Barbies Nachwehen: Wenn rosa Kulturkampf nach hinten losgeht

Barbies feministische Botschaft heizt den Kulturkampf an: Während immer mehr Frauen drohen, ihre Partner zu verlassen, wenn sie Barbie nicht mögen, erlangt Ken unerwarteterweise Kultstatus beim männlichen Publikum und wird zur Identifikationsfigur.

IMAGO / Everett Collection
Umberto Eco ist den meisten Menschen vor allem als Autor des Buchs „Der Name der Rose“ bekannt. Sein ursprünglichstes Betätigungsfeld war aber die Semiotik, also die Zeichenlehre. Bereits in seiner „Einführung in die Semiotik“ aus 1968 beschrieb er ein einfaches Grundproblem höchst komplex: die Mehrdeutigkeit der Botschaft eines Werks. Denn wenngleich der Autor eine Grundintention hat, so hat auch der Rezipient des Werks eine eigene Intention und Lesart, mit der er an das Werk herangeht. So kann es passieren, dass die kulturelle Wirkmächtigkeit eines Werks sich verselbstständigt und manchmal sogar das Gegenteil der beabsichtigten Botschaft vermittelt.

Genau in solch einem Prozess könnte sich der Film Barbie befinden. Die offensichtlich beabsichtigte, woke-progressive Botschaft des Films trieft aus allen Poren. Soweit zur unmissverständlichen Intention der Autoren. Die Botschaft wirkt: Immer mehr Frauen rufen auf TikTok und anderen sozialen Netzwerken dazu auf, dass Frauen ihre Partner mit in den Barbie-Film schleppen und diese danach verlassen sollen, falls ihnen der Film, bzw. genauer gesagt dessen feministische Botschaft, nicht gefällt. Tatsächlich folgen immer mehr Frauen diesem Aufruf und unterziehen ihre Partner regelrechten Tests.

Eine Frau berichtet davon, dass sie ihr erstes Date absagte, da der Mann sich weigerte, rosa gekleidet im Kino zu erscheinen. Andere Damen verbauen sich nicht nur zukünftige Beziehungen aufgrund der Propagandabotschaft, sondern bezeichnen Barbie gar als „den Beziehungstest, um festzustellen, ob er ein guter langfristiger Partner ist“. Eine Belgierin, die 2015 Finalistin eines Schönheitswettbewerbs war, brachte die Botschaft auf den Punkt: „Nehmt eure Freunde in den Barbie-Film und wenn sie ihn hassen, verlasst sie.“

Während also die Frauen von TikTok bereit sind, ihre Beziehungen für die Propaganda eines Spielzeugkonzerns aufs Spiel zu setzen, haben Vordenkerinnen, wie Daisy Buchanan (Autorin von „The Sisterhood“ – „Die Schwesternschaft“) sogar ein ganzes Skript für die Männer parat:

„Männer, ein Wort der Warnung: Wenn Ihre Partnerin euch dazu überredet hat, sich dem Rosa zu beugen und Barbie zu sehen, wird sie sich wahrscheinlich während des Abspanns zu euch umdrehen und fragen: ‚Und? Wie fandest du es?‘

Das ist keine unschuldige Frage. Die Zukunft eurer Beziehung steht auf dem Spiel. Ich rate euch, sich an das folgende Skript zu halten:

‚Wie fand ich den Barbie-Film?‘

Ich bin so froh, dass du fragst. Er hat mir die Augen geöffnet. Ich hatte keine Ahnung, wie sehr Frauen unter den strukturellen und endemischen Ungleichgewichten der Macht leiden, während Männer davon profitieren. Dieser Film hat mich dazu gebracht, über Freiheit nachzudenken – die Freiheit, die sich ergeben würde, wenn alle Menschen echte Gleichheit genießen würden, und nicht nur die Freiheit, in einem fluoreszierenden Trikot Rollschuh zu fahren.

Es ist an der Zeit, dass Männer zur Seite treten, einen Schritt zurücktreten, um Frauen wirklich zu unterstützen, und euch Raum geben, eure ehrgeizigsten Ziele zu verfolgen. Das schaffen wir nur, wenn Männer wie ich die Ärmel hochkrempeln und die Spülmaschine ausräumen.

Aber genug davon – was macht es schon aus, was ich denke? Ein Leben lang wurde ich nach meiner Meinung gefragt. Die einzig berechtigte Frage ist jetzt natürlich: Was denkst du?’“

Am Wendepunkt der Gezeiten

Umberto Eco hätte hier wohl konstatiert, dass die Intentionen des Autors vom Publikum verstanden wurden, da beide Seiten die verwendeten „Codes“ kennen und verstehen. Diese Codes wurden auch in der konservativen Kritik verstanden, die mehrheitlich die unverhohlene Misandrie (Männerfeindlichkeit) in dem Film erkannte und zurecht kritisierte.

Doch ab und zu passieren wundersame Dinge und die negativsten Dinge verkehren sich in ihr Gegenteil. Solch eine Katharsis scheint in der Wahrnehmung der männlichen Zuseher des Films stattgefunden zu haben, denn während Frauen die Gefügigkeit ihrer Partner auf die Probe stellten, erkannten diese sich massenhaft in der Figur des Ken wieder.

Obwohl Ken anfänglich vollkommen unter der Fuchtel von Barbie steht, blüht er nämlich in der „echten Welt“ auf, als er erstmals mit positiv konnotierten Beispielen von Männlichkeit in Berührung kommt. Wohlgemerkt, hier laufen die Intentionen wohl auseinander, denn während die feministische Botschaft Pick-Ups, Fitness, Pferde und Sylvester Stallone wohl eher als toxisch darstellen möchten, werden gerade mit solchen Bildern Instinkte bei Männern ausgelöst, die auf der Suche nach positiver Wirkmächtigkeit in der Welt sind.

Eine Welle der Solidarität mit Ken, der mit Fortdauer des Films den Auswirkungen des „toxischen Patriarchats“ unterliegt, schwappte über das Internet, die Hashtags #KenIsLiterallyMe (Ken ist exakt wie ich) und #KenDidNothingWrong (Ken hat nichts falschgemacht) eroberten Twitter in Windeseile. Memes mit diesen und ähnlichen Sprüchen verbreiteten sich, die Nachfrage nach „I am Kenough“ (Ich bin Kenug) Hoodies ging durch die Decke.

Es handelte sich hier allerdings nicht nur um eine reine Trotzreaktion, denn Ryan Goslings Darstellung von Ken ließ bereits Oscar-Rufe laut werden. Vor allem aber erscheint die Darstellung des toxischen Patriarchats im Film bei genauerer Betrachtung, trotz entsprechender Einordnungsversuche durch die Filmemacher, eben nicht als Dystopie, sondern als gesunde und strebsame Gesellschaft, geprägt von Respekt und Freiheit für Frauen auch einmal „Nein“ zur Karriere zu sagen, wenn sie darauf keine Lust haben. Kens Interesse für Pferde ist eben nicht nur ein Spleen aus der Barbiewelt, sondern, wie er es selbst bezeichnet, eine „Erweiterung seiner Männlichkeit“.

Auf Youtube gehen manche Leute sogar so weit, dass sie Barbie als griechische Tragödie des tragischen Helden Ken und als den neuen „Fight Club“ bezeichnen, in dem die Frage männlicher Identität und Ziele behandelt wird. Die Bedeutung des Pferdes wird dabei als Symbol „bronzezeitlicher Vitalität“ interpretiert. Ob man darin mitgehen möchte, oder nicht, muss jeder selbst für sich entscheiden. Umberto Eco wäre auf solche Interpretationen jedenfalls stolz gewesen.

So bahnt sich bereits die nächste Hysterie an, denn während der Film an den Kinokassen zumindest bereits den Rekord des finanziell erfolgreichsten Films aller Zeiten einer weiblichen Regisseurin aufstellte, schwingt trotz forscher Forderungen nach Unterwerfung durch die Filmemacher, die Medien und selbst Teile des weiblichen Publikums bereits ein unzufriedener Unterton mit. Der BR stellte bereits die Frage „Warum reden alle über Ken?“, traute sich aber weder das Phänomen der erpresserischen Frauen noch die Verselbstständigung der Botschaft unter Männern zu thematisieren. Am Ende bleibt für den BR nur der Profit für Mattel.

Zugegeben, das dürfte kein zu vernachlässigender Faktor sein, aber die Rechnung zahlen Paare, die sich nun auch an den Kinokassen entfremden dürfen. Während manche Frauen sich lieber für den Feminismus als für eine Partnerschaft entscheiden, ziehen immer mehr Männer es vor – wie die MGTOW-Bewegung (Men going their own way) es bereits seit Jahren propagiert –, „ihren eigenen Weg zu gehen“, denn als „Simp“ (ein Mann, der eine Frau zu sehr verherrlicht und dessen Aufmerksamkeit nicht erwidert wird) durchs Leben zu gehen. Vollgas also in die demographische Katastrophe, mit besten Empfehlungen von Mattel & Co!

— Saleh Waziruddin صالح (@salehw) August 3, 2023

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