Wehmut und Zorn. Anmerkungen zur Frankfurter Buchmesse

Einst war die Frankfurter Buchmesse ein Fest des Geistes, ein Ort des freien Austauschs. Heute herrschen politische Korrektheit, Gesinnung und moralische Erbauung. Statt Autoren reden Aktivisten, statt Ideen zählt Haltung. Der Niedergang der Buchmesse ist Symptom eines Landes, das verlernt hat zu denken und zu streiten.

picture alliance/dpa | Hannes P Albert

Vom großen Arno Schmidt ist der Satz überliefert: „Die Verleger trinken Sekt aus den Hirnschalen ihrer Autoren.“ Ich erinnere mich anders. Es war französischer Schampus, und nicht nur mein Verleger teilte ihn mit seinen Autoren bis in die Morgenstunden in allen fünf Nächten der Frankfurter Buchmesse im Frankfurter Hof, dem Fünf-Sterne-Epizentrum der Weltliteratur während der Frankfurter Buchmesse. Es war einmal.

Es war einmal ein rauschendes Fest der Literatur, gelegentlich hart am Rande der Dekadenz, aber voller Zuversicht. Die Verleger waren spendabel, nicht nur mit Gelagen, sondern auch mit Vorschüssen, weil neben Sprit vor allem Spirit sprudelte, der Rohstoff der Branche. In den Messehallen drängelten sich einige tausend Buchhändler mehr als heute – und Leser, viel mehr Leser. Geist und Geschäft befanden sich in bestem Einvernehmen. Heute igelt sich die Branche ein, kleinmütig, kraftlos und politisch korrekt bis auf die Knochen, auf denen kaum noch Fleisch sitzt.

Mit der Buchmesse vor einem halben Jahrhundert hat die Veranstaltung gleichen Namens heute nicht mehr viel zu tun. Und das liegt nicht am Versiegen der Champagnerströme.

Korrekt in die Bedeutungslosigkeit
Frankfurter Buchmesse: Die Guten unter sich – die guten Bücher sind woanders
Sie ist geschrumpft – an Fläche, an Zahl der Verlage, an Zahl der Neuerscheinungen, an Umsatz, an Beachtung, an allem. Sicher, der Starkult auf der Messe konnte einem damals auf den Geist gehen, aber wenigstens gab es noch Stars unter den Autoren – und alle kamen und saßen auf dem Blauen Sofa, das es auch nicht mehr gibt. Heute spielen sich Influencer auf, die selbst als Stars gelten und auch noch Bücher veröffentlichen – weil die wenigstens noch jemand kauft.

Wenn heute deutlich weniger gelesen wird – nicht nur Schmonzetten für geistige Analphabeten –, liegt es nicht daran, dass die Hochliteratur langweiliger geworden wäre (und, ja: auch weiblicher, es lesen ja fast nur noch Frauen). Die meisten Leute (nicht nur die Männer) starren lieber den halben Tag auf Bildschirme und Handys, da bleibt für ein nach Papier und Druckerschwärze duftendes Relikt wenig Zeit. Die Hauptursache der Lesekrise ist die Bildungskatastrophe. Im Wesentlichen ist sie dem Umstand geschuldet, dass die Sonderpädagogik der Moralisten den Ton angibt. Sie haben das Wichtigste verdrängt: die Aufklärung, die ja dem Buch ihren Siegeszug verdankt – und umgekehrt. Die Erfindung des Buchdrucks verlieh der Menschheit einen Bildungsschub sondergleichen. Der Fortschritt passte zwischen Buchdeckel.

Im Blick zurück mischen sich Wehmut und Zorn. Damals wurde weder die Sprache kaputt gegendert noch pausenlos Moralsülze serviert. Die Buchbranche war nicht woke, sondern wach. Deshalb wurden weder die Rechtschreibung noch rechte Ansichten gecancelt, wobei heute alles als rechts gilt, was nicht links ist. Die wahre Literatur wird vom Zeitgeist ausgetrocknet, „falsche“ Verlage versteckt oder gar nicht erst zugelassen, der Markt der Meinungen reduziert auf den Korridor des Korrekten.

Es wird heute auch die Aufklärung gecancelt, ersetzt durch Postdemokratie, Identitätspolitik, Klimagerechtigkeit, Gesinnungshuberei und Gefühlsduselei. Der Mensch mag nicht mehr streiten, das strengt doch allzu sehr an, sondern lieber Zeichen setzen, Haltung zeigen, an das Gute glauben und sich unterhaltsam verblöden lassen.

Das denkt auch der alles regulierende Staat. Wenn er etwas nicht brauchen kann, dann sind es mündige, also belesene Bürger. Wer liest, denkt selbst, gewinnt Urteilsvermögen. Die Bildungskatastrophe hat dieser Staat zu verantworten – und ich fürchte, sie kommt ihm gelegen. Kurz gesagt: Der Niedergang der Frankfurter Buchmesse ist dem Klimawandel zuzuschreiben, dem Wandel des geistigen Klimas.

Aber es besteht doch Hoffnung, oder?! Ich weiß nicht. Vielleicht war das Medium Buch doch nur ein Zwischenspiel der Menschheitsgeschichte. Wenn KI erst einmal seine volle Wirkung entfaltet haben wird, muss kein Mensch mehr selber schreiben, und das wenige, das er noch liest, lässt er sich vorlesen – falls er nicht nur Bilder inhaliert. Was das für das menschliche Hirn bedeutet, ist bekannt.

Der Analphabetismus besitzt eine glänzende Zukunft. Abgesehen von ein paar Schriftgelehrten, abgesehen vielleicht von einer gebildeten Minderheit, die es sich im Elfenbeinturm der Literatur bequem macht. So war es ja schon einmal, kurz nach der Steinzeit. Wozu sich noch selbst orientieren – macht alles die KI im Auftrag jener Mächte, die uns manipulieren und geistig kastrieren. Good bye, Abendland. Dein schönstes Fest, dein Feldgottesdienst, war einmal die Frankfurter Buchmesse.


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Kommentare ( 19 )

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Haba Orwell
1 Monat her

> Die meisten Leute (nicht nur die Männer) starren lieber den halben Tag auf Bildschirme und Handys, da bleibt für ein nach Papier und Druckerschwärze duftendes Relikt wenig Zeit.

Auf einem Handy kann man nicht nur Videos glotzen, sondern auch lesen – muss nicht jeder wissen.

Evero
1 Monat her

Die Moralsülze ist doch das Thema der Gouvernanten und der Emanzen.
Dass dieses Haltungsgedöns heute derart in den Vordergrund tritt, hat sicher damit zu tun, dass mehr Frauen, eher herkommend aus den Gesellschaftswissenschaften und weniger aus den Naturwissenschaften, Themen im öffentlichen Raum requirieren und wenn es politischer Nonsens ist.
Vielleicht gibt es ja Diplomanden oder Doktoranden, die sich einmal dieses Thema um die Entstehung der deutschen Gesinnungsdemokratie wissenschaftlich zur Brust nehmen wollen und mutig sind.

gast
1 Monat her

Diese Verlags- und Autoren Welt, die sich da selbst bejubelt und gefeiert hat, sah von außerhalb vielleicht etwas anders aus und gar nicht brilliant.
Ich habe mal ein ausgezeichnetes und gerühmtes Buch von Günter Grass gekauft. Nach 10 Seiten legte ich es weg. Mein Mann behauptete 15 Seiten geschafft zu haben und mein Vater machte nach 30 Seiten der Qual ein Ende.
Aus Ärger über das Buch kaufte ich danach „Tod eines Kritikers“ von Martin Walser. Das las ich sehr schnell bis zum Ende.

Will Hunting
1 Monat her
Antworten an  gast

Danke. Sehr gut beschrieben. Entweder man verschlingt es förmlich oder es lähmt einen. Ich denke es gibt heute fiktionale Bücher die man wieder weglegt, weil dort Haltungen versteckt werden. Somit werden allerdings auch Autoren, in ihrem Wirken und geistigem Schaffen geradezu kastriert.

RMPetersen
1 Monat her

Den Niedergang und die Wehmut kann ich verstehen.
Als Ingenieur trauere ich der Industriemesse Hannover und der Frankfurter Automobilmesse nach. Hannover meldet 127.000 Besucher 2025 als Erfolg, um 1960 waren es mehr als eine Million.
Auch die IAA ist nur noch ein Schatten.

Benedictuszweifel
1 Monat her

Das Problem ist die Schule, nicht nur mit der grottenschlechten Ausbildung, sondern v.a wegen Verstoßes gegen das 8. Gebot: „Du sollst nicht falsches Zeugnis geben wider Deinen Nächsten. “ Heute bekommen Legastheniker Abiture hinhergeschmissen ohne jede Ahnung von irgendwas. Die absolvieren ein Studium und werden Sozialfuzzi bei einer Behörde, oder eben selbst Lehrer (Es gibt Ausnahmen!!! Glasklar! Tolle Menschen, aber beileibe nicht die Mehrheit), Beamte, kommunistisch versorgt auf Lebenszeit. Früher gab es den Spruch (Ausnahmen, ja, aber das die Regel): „Lehrer? Ach, Lehrer: Weiß nix richtig aber Alles besser.“ Das ist eine Todesspirale: Am Ende die Katastrophe! Wie noch mal… Mehr

luxlimbus
1 Monat her

Richtig! KI ist wie Religion – in beiden ist Wahrheit nicht die oberste aller Direktiven.

PaulKehl
1 Monat her

Als bei der neuen Friedensnobelpreisträgerin das IT schon rauchte, sülzte die KI noch die platteste Propaganda, Menschenrechte, will die Wirtschaft durch Privatisierung der Ölindustrie wiederbeleben usw. Ganz gefährlich ist die KI in der Juristerei. Die von ihr genannten Urteile sin dfrei ausgedacht.

BellaCiao
1 Monat her

In Fachkreisen ist dieses Phänomen als Halluzination der KI bekannt. Es tritt meistens dann auf, wenn eine sogenannte generative KI (wie z. B. ChatGPT oder Microsoft Copilot) eine Fragestellung (mangels Information) eigentlich gar nicht beantworten kann.

Dann wird häufig eine Antwort halluziniert und diese dabei besonders viel und „gut“ ausgeschmückt.

Last edited 1 Monat her by BellaCiao
alter weisser Mann
1 Monat her

„Wenn KI erst einmal seine volle Wirkung entfaltet haben wird…“
Die künstliche Intelligenz (die noch gar keine ist) entfaltet bestenfalls ihre Wirkung.

Edwin Rosenstiel
1 Monat her
Antworten an  alter weisser Mann

Danke! Denn genau darum geht es auch bei der Buchmesse: SPRACHE! Und wenn die erst einmal zerstört ist, braucht es auch keine Buchmesse mehr. Sprache ist ein wunderbares Werkzeug, um sich präzise auszudrücken, Dinge exakt zu beschreiben auch um poetische Texte zu schreiben, und was machen wir daraus? 140-Zeichen-Gestammel, 3 Wort Sätze ohne Satzzeichen, endlos aneinander gereiht, schnell zusammengeklickt und verschickt, voller Fehler, teils aus Unvermögen, teils aus Schludrigkeit, weil es ja schnell gehen muss und dann noch verfälscht und vereinheitlicht durch automatische Wortergänzung: was bleibt da noch übrig an echter Information, eigenem Denken, Kreativität? Das ist wie „Malen nach… Mehr

suesssauer
1 Monat her

KI-Inzucht nennt man das wohl. Ich finde auch dieses Werkzeug hat seinen Sinn. Nun müssen wir lernen es zu benutzen.