Versuch zum bedingungslosen Grundeinkommen gestartet

Ein Verein hat einen Modellversuch gestartet, bei dem einhundert Personen 1.200 Euro pro Monat erhalten – über drei Jahre hinweg. Die Aussagekraft ist Kritikern zufolge gering – und die wichtigsten Grundsatzfragen bleiben ausgeklammert.

IMAGO / Jannis Große

122 Personen bekommen ab sofort 1.200 Euro monatlich aufs Konto überwiesen – und müssen dafür nichts tun. Fast nichts: Über einen Zeitraum von drei Jahren müssen sie sieben Fragebögen beantworten. Finanziert wird der Modellversuch mit 5,2 Millionen Euro von dem Verein “Mein Grundeinkommen”, der die Summe unter 181.000 Spendern eingesammelt hat. Man wolle herausfinden, “ob und wie die bedingungslose, regelmäßige Auszahlung eines Geldbetrags, der mehr als das Existenzminimum deckt, bei Menschen überhaupt wirkt”, sagte der beteiligte Forscher Jürgen Schupp vom Wirtschaftsforschungsinstitut DIW Berlin.

Der Verein sammelt bereits seit Jahren per Crowdfunding Geld, um ein 12-monatiges bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) von tausend Euro zu verlosen. Laut der Internetpräsenz gewährte man bislang über 800 BGEs.

Gleichwohl dürfte die Aussagekraft solcher Modellversuche sehr begrenzt sein. Der Volkswirt Guido Raddatz von der liberalen Stiftung Marktwirtschaft meint etwa in einer Untersuchung, bei den Verlosungen des Vereins handle es sich um “nicht mehr als ein clever inszeniertes Marketinginstrument, ohne dass man daraus belastbare Schlüsse ziehen könnte.” Modellversuche dauerten im Allgemeinen viel zu kurz, um langfristige Verhaltensänderungen abschätzen zu können. Ein BGE für ein oder zwei Jahre sei wie ein “kleiner Lottogewinn”, mit dem man sich ein paar Sonderwünsche erfülle.

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Dazu komme, dass die Zahl der Versuchsteilnehmer zu gering sei, um alle Folgen abschätzen zu können. Etwa könnte durch das BGE die Arbeitsmoral der Bürger sinken, weil Nichtarbeiten mehr Akzeptanz in der Breite finden könnte. Außerdem werde das bedingungslose Grundeinkommen bei Modellversuchen gar nicht von den Versuchsteilnehmern selbst finanziert. Das sei “eine gleichermaßen paradiesische wie unrealistische Annahme”, schreibt Raddatz. Es könne bei dem Versuch gar nicht vorkommen, dass die Finanzierungsmittel für das BGE die Wirtschaft ausbremsten oder die Arbeitslosigkeit erhöhten. Von vorneherein sei die Frage ausgeklammert, ob das BGE überhaupt finanzierbar sei, schreibt Raddatz.

In der Tat ist die Finanzierung eine Kernschwäche der Pläne für ein BGE. 1000 Euro monatlich für alle, bedeutete eine Billion Euro jährlich, die irgendjemand bezahlen müsste, sagt etwa Professor Dominik Enste vom IW Köln laut der Tagesschau. Für ihn ist das BGE eine Utopie, die scheitern muss.

Das Problem ist, dass beim BGE die Zahl der Nettostaatsgeldempfänger deutlich steigt. Das legen bereits Studien aus den USA aus den Siebzigern und Achtzigern über die negative Einkommenssteuer nahe. Bei dieser erhält jeder, der unter einem bestimmten Schwellenbetrag bleibt, Sozialhilfe, um sein Einkommen aufzustocken. Eine Übersicht von vier Studien fand heraus, dass Erwerbstätige weniger Stunden leisteten, sobald sie die negative Einkommenssteuer erhielten – besonders galt das für Frauen und Jugendliche. Wenn aber weniger Menschen arbeiten, müssen die restlichen mehr leisten – zumindest wenn der Lebensstandard gleich bleiben soll.

Am Markt ist jeder Mensch gezwungen, eine Tätigkeit auszuüben, die auch anderen Nutzen bringt. Ansonsten würde er nicht bezahlt. Die Lohnhöhe ist ein Informationssignal, das die Arbeitnehmer in die Branchen lockt, wo sie am wertschöpfendsten tätig werden können. Das BGE unterwandert dieses Prinzip – es ist eine Subvention von nichtproduktiver Arbeit. Leute würden ihre Leidenschaft zum Beruf machen, ohne einen tatsächlichen Mehrwert für andere zu schaffen. Anders gesagt: Auch unbeliebte Tätigkeiten muss jemand übernehmen.

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Das BGE akzeptiert dagegen ein Recht auf Faulheit und Müßiggang auf Kosten der Steuerzahler, wie Guido Raddatz in der Untersuchung herausstellt. “Was heute noch als missbräuchlicher Sozialleistungsbezug gebrandmarkt und bei Entdeckung sanktioniert wird, würde bei einer bedingungslosen Transfergewährung als akzeptiertes und gesetzestreues Verhalten gelten”, schreibt der Volkswirt. Das könnte gerade Jugendliche aus sozial schwachen und bildungsfernen Schichten betreffen, die es versäumten, sich zu qualifizieren. Wenn Deutschland als eines von wenigen Ländern ein BGE einführt, würde das außerdem vermutlich sehr anziehend auf gering qualifizierte Einwanderer wirken – besonders angesichts der Personenfreizügigkeit innerhalb der EU.

Trotz dieser Einwände ist das BGE politisch relevant. Die Grünen haben im vergangenen Herbst einen Verweis darauf ins Grundsatzprogramm aufgenommen. Laut einem Bericht stimmten 62 Prozent der Delegierten dafür, in das sechste Kapitel mit dem Titel “Solidarität sichern” die Aussage aufzunehmen: “Dabei orientieren wir uns an der Leitidee eines bedingungslosen Grundeinkommens.” Kanzlerkandidatin Baerbock sprach sich laut den Angaben damals aber gegen das BGE aus.

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Kommentare ( 68 )

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alter Preusse
2 Jahre her

Das Ziel scheint klar:
Faulenzer und Kriminelle aller Welt vereinigt euch in Deutschland. Dort gibt für euch Vollversorgung ohne Arbeit.

Iso
2 Jahre her

Ich weiß nicht, was dieser Quatsch soll? Jahrelang wurde uns erzählt, dass wir in einer Leistungsgesellschaft leben, und das habe ich auch akzeptiert. Jedoch merke ich immer mehr, dass sich Leistung nicht mehr auszahlt, und der Staat über Gebühr abkassiert. Dem passe ich mich nun an, habe mein Krankentagegeld erhöht, lasse mich ziemlich oft krankschreiben, habe innerlich meinen Job gekündigt, erwarte die Kündigung, gehe dann zur Arbeitsagentur, habe das Haus verkauft, und eine kleine Wohnung gekauft. Mit diesen sozialistischen Experimenten habe ich nichts am Hut, möchte sie aber auch nicht mehr finanzieren. Für mich hat sich dieser Staat schon erledigt.… Mehr

tbrey
2 Jahre her

Wir müssen doch nur nach den USA schauen, da läuft das Experiment Corona-bedingt ja schon. Bedingungslose US$300 pro Woche, und, überraschenderweise finden Unternehmen, die jetzt wieder aufmachen dürfen, keine Arbeitskräfte…

Seneca
2 Jahre her

Einfach nur in die USA schauen. Dort haben die stimmy-checks in kürzester Zeit dazu geführt, dass Millionen so schnell nicht mehr arbeiten wollen, sondern lieber am FED gepushten Aktienmarkt spekulieren. Derweil verrottet die Infrastruktur weiter voran und selbst Restaurants finden keine Kellner mehr unter $18 Stundensatz

Politkaetzchen
2 Jahre her

Es gäbe eigentlich nur eine gültige „Studie“ zum BGE: Man nehme zehn Leute, 5 arbeiten, 5 arbeitslos. Das BGE wird durch den Lohn der Arbeitenden finanziert.

Nach nicht mal 20 Minuten wäre der Spuk vorbei.

doncorleone46
2 Jahre her

Völker hört die Signale, auf zum letzten Gefecht…..
Mindestlohn auf mindesten EUR 18,00 per Stunde setzen und ein dem Lebensstandard in Deutschland angemessenes BGE für alle, die Großindustrie in die Nachbarländer weg mobben und schon sind hier (fast) alle gleich arm. Hallo, hier ist der Sozialismus, wer möchte mit mir tanzen? Tolle Perspektiven für die Generation Z.

Politkaetzchen
2 Jahre her

Putzig wie die BGE Anhänger glauben, dass auf magischer Weise die Löhne steigen, nur weil man einen kindischen Erpressungsversuch beim Chef veranstaltet.

In der Realität wird der Chef lachend am Boden liegen, die Person die höhere Gelder verlangt rausschmeißen und durch billige ausländische Gastarbeiter ersetzen.

Mit BGE kann man also keine großen Sprünge machen? Meinst du? Was ist mit Schwarzarbeit, zig Kinder produzieren, ein bisschen Unterlagen fälschen? Die Möglichkeiten zu bescheißen sind grenzenlos.

Die BGE Anhänger sollten mal aufwachen und sich zur Abwechslung die echte Welt angucken, statt von Zauberroboter und Riesengehälter beim Kloputzen zu träumen.

Stuttgarterin
2 Jahre her

Der Ansatz des dm-Gründers Götz Werner ist ein vollständiger, der Ansatz in der politischen Debatte jedoch nicht, diese Unterscheidung ist wichtig. Es lohnt das Buch „Einkommen für alle“ von Götz Werner zu lesen, dann erklärt sich auch die Finanzierung. Ob dieser Ansatz auch bei starker Zuwanderung greift oder wie er diesbezüglich eventuell angepasst werden müsste, ist ein separat zu bedenkendes Thema. Aber die Eckpfeiler, dass auch eine andere Steuergesetzgebung dazu gehören, dass auf die Schaffensfreude der Menschen vertraut werden kann und dass enormer Aufwand für Verwaltung und Kontrolle entfällt, die haben Gewicht. Die Höhe des Grundeinkommens ist eine Mindestbasis, mehr… Mehr

Politkaetzchen
2 Jahre her
Antworten an  Stuttgarterin

Ich finde es bewundernswert wie die gleichen Leute, die sonst auf die bösen bösen Reichen schimpfen, gleichzeitig einem Unternehmer an den Lippen hängen, sobald er nur das von sich gibt was die Leute hören wollen.

Wie naiv blöde kann man eigentlich sein, um nicht zu erkennen, dass ein Götz Werner sich nur persönliche Vorteile aus dem BGE erhofft? (Wie zb dann niedrigere Löhne zahlen zu müssen oder mehr Kunden zu bekommen)

Last edited 2 Jahre her by Politkaetzchen
Warte nicht auf bessre zeiten
2 Jahre her

Schon der Name ist Ausweis des Irrsinns. Es gibt nichts Bedingungsloses in dieser Welt.

Felicitas21
2 Jahre her

Das einzige: Wir werden alle einmal sterben müssen.

Anti-Merkel
2 Jahre her

Dazu kommen noch verschiedene andere Probleme mit dem BGE, die der Versuch so nicht hat. Der Versuch ist zeitlich begrenzt. Die Teilnehmer wissen, dass sie spätestens danach wieder eine Arbeit brauchen, und werden sich großteils entsprechend benehmen. Die Empfänger eines staatlichen BGE wissen, dass das so schnell nicht mehr abgeschafft wird und sie sich nicht mehr anstrengen müssen. Der Versuch ist auf eine kleine Personengruppe begrenzt und wird damit, im Gegensatz zum echten BGE, nicht dazu führen, dass sich niemand mehr findet, der sich um Arbeiten wie das Reinigen von öffentlichen Toiletten an Autobahnparkplätzen kümmert. (Ok, dazu könnte man evtl.… Mehr