Tatort Berlin: Oh wie schlimm ist Venezuela!

ARD-„Tatort“ als Sozialmärchen. Drei „Armutsflüchtlinge“ aus Venezuela. Moralisch edel und nur aus Not kriminell, tricksen sich in Berlin bis in die Bundesdruckerei. Zwischen Lieferdienst-Elend, Pass-Hacking und Gutmenschen-Romantik weiss der Film nicht, ob er Melodram oder Mission sein will.

screenshot/ ARD - Tatort

Ihrem Eric Mustermann der Armutsflucht verleiht die clevere ARD eine statistisch in Deutschland kaum nachweisbare Staatsangehörigkeit.

Eigentlich nutzt das Drehbuch von Dagmar Gabler den verdächtigen Verkehrstod des Kurierfahrers Tomás Rey, (Hannes Wegener in einer Doppelrolle) als Aufhänger, um an bekannten Allgemeinplätzen über Geflüchtete, Flüchtlinge und Zuwanderung weiterzustricken und wählt als zentrale Protagonisten drei Venezolaner aus, die mit falschen Identitäten in Berlin unter ausbeuterischen Verhältnissen ihren Traum des oft bemühten „Besseren Lebens“ zu verwirklichen suchen. Der unbekümmerte Umgang mit dem Thema kommt dem Lehrfilmchen mehrfach in die Quere.

Irgendwas weit weg mit Spanisch

Nicht wenige werden dankbar Notiz davon nehmen, dass sich vom Herkunftsland Venezuela, anders als zu einigen z.B. in Asien liegenden Ländern, keine aktuellen Parallelen nach Deutschland ziehen lassen. Über das Südamerikanische Land ist wohl kaum mehr bekannt, als dass Donald Trump glaubt, mit dem an Erdöl reichen Staat ein Hühnchen rupfen zu müssen, und dass man da wohl Spanisch spricht. In der ersten Hälfte des Films werden die Mühen der Drei ausführlich dargestellt, sich perfekt zu integrieren und „hier einfach so leben zu wollen, wie Sie“ (Luis Rey, Bruder des toten Tomás, gespielt von Henry Morales, zu Kommissarin Susanne Bonard, gespielt von Corinna Harfouch).

Eine Reise ins Glück kostet eine mit einem Metzgermesser entfernte Niere (Tatort-Drehbuch zitiert den Obduktionsbericht)

Die mittlerweile fast perfekt Deutsch sprechenden „Armutsflüchtlinge aus Venezuela“ (Luis über ihr Trio: „die hier keine Chance auf Asyl haben“) sind mit schon lange abgelaufenen Touristenvisa eingereist, arbeiten u.a. als Scheinselbständige 7 Tage die Woche für den Lieferdienst „Cheetah“ und teilen sich den deutschen Personalausweis von Xavier Weberlein (wieder Hannes Wegener). Ihre Original-Papiere, inklusive „Schulzeugnisse und Geburtsurkunden“ haben sie wohltuend ordentlich in ihrer sauber aufgeräumten Wohnung in einer Hochhaussiedlung aufbewahrt. Bei den Behördenkontakten nach Venezuela läuft es erstaunlich reibungslos: Assistent Malik Aslan (Tan Caglar) stellt mühelos Kontakte nach Caracas her und kann Angaben zu Tomás, seinem Bruder und ihrem ebenfalls aus dem Slum Cotiza nach Alemania geflohenen Mitbewohner Gabriel Rosales (wegen Bandendiebstahls vorbestraft, gespielt von Alberto Wolf) einholen.

Die Unschuld von der Bundesdruckerei

Den Lieferprotokollen der „Cheetahs“ entnimmt Hauptkommissar Robert Karow (Mark Waschke) den Namen einer besonders eifrigen Kundin von „Nummer 194“ (Tomás und seine beiden Leidensgenossen fuhren alle unter dieser Zahl, der Lieferdienst konnte sie optisch nicht unterscheiden) bei der Bundesdruckerei: Sicherheitsfachkraft Annika Haupt (Annett Sawallisch). Der zynische Karow wittert gleich, worum es hier gegangen sein muss, nämlich um ein „bisschen Amore gegen Staatsbürgerschaft…“ und in der Tat lässt der Chatverlauf der Kundin mit dem Lieferradler daran wenig Zweifel. Annika Haupt war klar, wie prekär Tomás’ Aufenthaltsstatus war, aber sie „würde auch nicht in Venezuela bleiben, das sei völlig sinnlos und die Menschen würden da verhungern…“. Er habe „nie um irgend etwas gebeten“…ihrer Schildkröte Löwenzahn gepflückt und ihr Spanisch beigebracht. Später bestätigt Bruder Luis zwar, dass Tomás Annika „ zu Beginn“ ausgenutzt, sich danach aber wirklich in sie verliebt habe.

Scheitern mit Ansage: Passproduktion am Limit, 4000 hungrige, unterbezahlte Mitarbeiter

Die Selbstverständlichkeit, mit der der Lieferfahrer da täglich im „deutschen Fort Knox“ (Karow über die Bundesdruckerei „bdr“) mit Zugangsausweis ein- und aus ging, und weil sein Rucksack offenbar beim Herauskommen schwerer geworden war, machen die Ermittler misstrauisch. Und obwohl in der riesigen Berliner Behörde scheinbar alles unter der Fuchtel des selbsternannten „Terriers“ und Security-Bosses Friedrich Richter (Andreas Schröders) super sicher zuzugehen scheint, gerade im Hochsicherheitsbereich der Banknotenherstellung „jede Putzfrau extra bewacht werde“ – ist da was faul, wo „Deutschland sein ganzes Geld druckt“ (Lieferfahrer Anil Kumara über die bdr, gespielt von Ajay Paul, zitiert Shakespeare und spricht perfekt Deutsch).

Mangelernährung in Venezuela, Hungerlöhne beim Bund

Der Tatort nimmt sich Zeit für einen anrührenden Ausflug in die gigantomanisch futuristisch anmutenden Hallen und Fahrzeughangars des Landeskriminalamts Berlin, für deren Darstellung die ARD extra einen der zahlreichen stillgelegten Flughäfen Berlins als Kulisse angemietet hat. Wo Bonard Gemüsesuppe kocht und man schliesslich vor Erschöpfung am Bildschirm einnickt (Karow muss von ihr zugedeckt werden und putzt sich nach dem wach werden am Schreibtisch die Zähne).

Der Leiter der IT-Kriminalität, Dr. rer Nat. Carsten Goth (Ben Hartmann), genannt „Gott“, meint, dass die bdr zwar die Digitalisierung nicht verschlafen habe, er die vielen dort angestellten „Externen mit Zugriffsrechten“ für ein Risiko halte, auch weil man bei der Arbeit für die IT des Bundes einfach nicht reich werden könne. Er probiert, sich in die als unknackbar berüchtigten Systeme der bdr einzuhacken, und siehe da: er kann sich selbst einen Pass ausstellen, Geburtsort „Hölle“, Venezuela.

Die ganze Welt zum Retten heim holen, koste es, was es wolle?

Nun werden sich einige Zuschauer bestätigt fühlen, denn alle drei Zugereisten haben den sprichwörtlichen Dreck am Stecken und im grossen Stil und mit Hilfe von Insidern frisch gedruckte Pässe an tausende Landsleute ausstellen lassen, die alle „raus wollten“. Karow bestätigt, dass so was in Berlin-Kreuzberg schon funktioniert habe, wo eine ganze Abteilung korrumpiert worden sei. Mitwisserin und Komplizin ist ausgerechnet die sicherheitsüberprüfte Annika Haupt, 2.100,- EUR Nettolohn im Monat. Sie rechtfertigt sich damit, dass sie an Stelle nur eines Einzigen (Tomás) durch Ehelichung gleich Hunderte mit neuen deutschen Ausweispapieren habe retten wollen, „gute Leute, die es verdient hätten, hier zu leben, als in Venezuela zu krepieren“. Kommissarin Bonard „..kann sie doch verstehen…“ hofft auf „diplomatische Bemühungen, Menschen wie diesen legalen Zutritt zu Deutschland zu verschaffen..“

Die Realität ist härter als jedes soziale Polster

Schon in Venezuela war das Trio in seinem „Barrio“ Cotiza nahe an den kriminellen Clanstrukturen, die sich überall bilden, wo staatliche Strukturen fehlen. Gabriel war zum bandenmäßigen Diebstahl gezwungen worden und nun wittert die venezolanische Mafia neue Weidegründe. Für tausend geschleuste Arme sollen hunderte Mitglieder des Clans ebenfalls mittels Reisepass zu deutschen Staatsbürgern werden. Tomás, habe „immer nur das Gute“ (Haupt über ihn) gesehen, nicht aber das Kerngeschäft der Clans, nämlich „Schmuggel, Drogen, Waffen, Mord“ (Karow über das Metier). Nun fordert die Familie der Suarez Tribut in Pässen und bedroht die Familie Rey. Tomás bemerkt, dass der Neffe des Clanchefs einen deutschen Pass erhalten hat und versucht heldenhaft, die neuen Ausweise der Verbrecher zu vernichten.

Sie kennen Venezuela nicht, da bestrafen sie immer die Kleinen, nie die Grossen (Luis über seine Heimat)

Nun kommt auch der ursprünglich nur mit einem angeblich verlorenen Personalausweis in die Sache verwickelte Xavier Weberlein wieder in den Focus, der jahrelang für die bdr im Softwarebereich gearbeitet hatte. Er ist nicht nur „Südamerikaaktivist, Regenwaldretter und Sympathisant einer Guerilla, die sich für Enteignungen einsetzt“, sondern auch zusammen mit dem zwielichtigen Friedrich Richter und einem ehemaligen Mitarbeiter der bdr in Panama Drahtzieher der tausendfachen elektronischen Passfälschungen. Er war auch derjenige, der Tomás den Rucksack mit den Clanpässen hätte abnehmen sollen. Als er merkt, dass Tomás die Pässe der Clankriminellen zerstören will, rammt er den Fahrradkurier mit seinem Wagen und nimmt den Rucksack an sich.

Die Passfälscher werden sich, so die Polizisten, wegen Landesverrates verantworten müssen. Haupt entwendet Bonards Dienstwaffe und schießt Weberlein als Rache für den Mord an ihrem Liebhaber in den Fuß.

„Tatort-Fans.de“ fasst nicht ohne Mitgefühl das praktische Dilemma der vielen „Robin Hoods“ (Karow-Kommentar), für die das Leid in der Welt so schmerzvoll ist, dass sie Gesetze brechen und jede Vernunft über Bord werfen, mit Bezug auf die Venezolaner in dem Tatort zusammen:

„Obwohl in ihrem Heimatland unhaltbare Zustände herrschen und sie dort ein perspektivloses Leben in Armut fristen müssten, gelten sie für die deutschen Behörden als reine „Wirtschaftsflüchtlinge“, ohne jede Chance auf Anerkennung.“

Und manch einer wird angesichts der in dem Krimi raunend angedeuteten Zustände im Stillen froh und dankbar darüber sein, dass deutsche Pässe nach vielen Reformen immer noch nach einem halbwegs verlässlichen System verteilt werden.

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Kommentare ( 21 )

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Mausi
1 Monat her

Der ÖRR hat zu viel Freiheit, um seine Pflichten zu „erfüllen“. Angebliche Unterhaltung wird zu „Bildung“ gemacht. Aber Bildung in was? Weltanschauung? Lebensstil? Lachen über Menschen, die fast ernstlich verunglücken und auf jeden Polizisten muss eine Polizistin kommen? Und darf das Auftrag sein? Angebliche „Bildung“ und Unterhaltung zu vermischen? Der ÖRR wäre längst tot, könnten ihm die Kunden weglaufen. Aber niemand wird ihn kippen können.

Nibelung
1 Monat her
Antworten an  Mausi

Die Fünfzigprozent-Quote für die Polizei und in der Armee wäre geradezu der Wunschtraum aller Verbrecher oder Gegner, denn damit hätten sie es wesentlich leichter ihre eigenen Träume durchzusetzen und selbst die Zusammensetzung im Streifenwagen mit männlich und weiblicher Besetzung belegt doch, daß man in der Gesamtbetrachtung nicht so sicher ist, denn wenn es brenzlig wird ist die Quote am Ende und wenn man damit alles auf den Kopf stellt befördert man nur die Interessen der Gegenseite, während die eigenen in die Hinterhand geraten und wer das ignoriert kann nicht normal sein, weil er sich damit gegen Naturgesetze stellt, die man… Mehr

Jens Frisch
1 Monat her

„…sie „würde auch nicht in Venezuela bleiben, das sei völlig sinnlos und die Menschen würden da verhungern…““
Komisch: Das erdölreichste Land der Welt, aber da „verhungern“ Menschen?
Was geschieht, wenn die Sozialisten in der Sahara regieren?
10 Jahre passiert nix, dann wird der Sand knapp.

littlepaullittle
1 Monat her

„BERLINER KRIMINELLE“ ?
Die echten sitzen doch im Parlament und Bundestag …… oder beim Sender.

Dresden111
1 Monat her

Der belehrende Tatort war furchtbar. Danke für den Zeitungsbeitrag. Die Handlungen waren so verwirrend, dass man (jedenfalls ich) diesen nicht folgen konnte. Ich hätte den Film überhaupt abschalten müssen schon wegen des Themas. Tatorte sind nicht mehr sehenswert. Leider habe ich mir nach langem Tatortentzug diesen Film angetan. Zeitverschwendung.

Nibelung
1 Monat her

In Venezuela glaubt der Ami Dampf ablassen zu können, weil er mit seinem Latein an der Russenfront und im Nahen Osten am Ende ist und das dürfte eine weitere Fehleinschätzung werden, denn wenn sich die Resistance in die Berge oder in den Dschungel zurück zieht haben sie das gleiche Übel wie in Vietnam vor sich und dieser Kampf könnte auch noch viele aus ganz Süd -und Mittelamerika anziehen und könnte zu einer unüberwindbaren Hürde werden und die Verluste in keinem Verhältnis zum Gewinn stehen, auch in Anbetracht der Hilfestellung Rußlands und Chinas, wo man sich erneut an Vietnam erinnert, wo… Mehr

Dr. Thomas Schimpff
1 Monat her
Antworten an  Nibelung

Grundgütiger, was hatten Sie nur im Kafi heute Morgen ?? So ein komprimierter Unsinn wie obig deutet auf Exportprodukte des Nachbarlandes Kolumbien hin… .

Peter Pascht
1 Monat her

Venezuela? Schlimmer wie Deutschland kann es nicht sein. Corona Euthanasie im Rot-Grünen Infektionsschutzgesetz „Euthanasie“ – „Unwertes Leben“ – das Nazi-Narativ es ist wieder da !!! im Rot-Grünen Infektionsschutzgesetz aus der Corona Zeit Es heißt jetzt „TRIAGE“ „Triage“ – wer leben darf und wer sterben muss GG Art; 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – gilt nicht mehr Mussten bei Corona Menschen sterben weil zu wenige Betten, Beatmungsgeräte, Herz-Lungenmaschinen. usw. im Gesundheitswesen vorhanden sind und waren? Heute entscheidet das BverfG zur „Triage“im Infektionsschutzgesetz zu einer Verfassungsbeschwerde von Ärtzten und dem Marburger Bund „Triage“ = französich, zwangweises Aussortieren von Menschen „Triage“… Mehr

Dr. Thomas Schimpff
1 Monat her

Corinna Harfouch schätze ich seit ihrem genialen Auftritt als Magda Goebbels (die real zwischendurch auch mal, oh je, Friedländer hiess) in „Der Untergang“. Neben „Schtonk“ und „Stalingrad“ mE einer der besten Filme aus D.-schland

Den Staatsfunk dagegen meide ich konsequent, niemals einen Pfennig abgedrückt, als noch im D.-schland wohnend (luge natürlich Börne / Thiel aus Münster, aber via evt. nicht ganz egaler Internet-Mitschnitte).

Deswegen kann ich unwissend zum konkreten Tatort nur sagen: GUTEN MORGEN gen T.`s Einblick & Kommentatoren.

MfS-HN-182366
1 Monat her

Tatort „classic“ war gestern, heute sind die ÖRR-Anstalten selbst Tatorte, wenn Verdummung und Lügen Straftatbestände wären.

Dieter Blume
1 Monat her

Auf den Tatort habe ich mich früher immer gefreut. Heute reichen zwei Minuten, um den volkserzieherischen Charakter der meisten Produktionen zu erkennen.

TinaTobel
1 Monat her

Mich würde interessieren, ob dieser Tatort den Mut hatte, zu erwähnen, warum die Lebensverhältnisse in Venezuela so schlimm sind. Stichwort: „Sozialismus und seine Folgen“.