Wirecard: Die Aktien-Apokalypse aus Aschheim

Der DAX-Konzern ist insolvent, Milliarden fehlen, die Aktie kollabiert. Zurück bleibt ein Scherbenhaufen. Der Bilanzskandal hat längst die Berliner Bühne erreicht und zu einem politischen Streit und Forderungen nach härterer Regulierung geführt. Von Wolfgang Ehrensberger

imago images / Sven Simon

Der von einem Bilanzskandal erschütterte Zahlungsdienstleister Wirecard hat am Donnerstag Insolvenz angemeldet – „wegen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung“. Zum ersten Mal in der 30-jährigen Geschichte des deutschen Leitindex ist damit ein DAX-Mitglied kollabiert. Es ist eine der bislang größten Pleiten in Deutschland und das erste Mal in der mehr als 30-jährigen Geschichte des Leitindex DAX, dass ein Dax-Mitglied kollabiert. Die Aktien stürzten nach einer vorübergehenden Aussetzung des Handels um knapp 80 Prozent auf 2,50 Euro ab. Die Finanzaufsicht Bafin will zumindest die Wirecard Bank aus der Insolvenz heraushalten. Das Geldhaus umwirbt seit Jahresbeginn mit einer Banking-App gezielt Privatkunden.

Unterdessen wurde bekannt, dass Firmenchef Markus Braun in den vergangenen Tagen Aktien für 155 Millionen Euro verkauft hat – sein Wirecard-Anteil sank mitten im Crash von sieben auf 2,6 Prozent. Angeblich bediente er damit Bankkredite. Braun wurde am Dienstag gegen fünf Millionen Euro aus der Untersuchungshaft entlassen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Bilanzfälschung und Marktmanipulation vor. Sein Vorstandskollege und Vertrauter Jan Marsalek wird von den Ermittlern noch gesucht, ihm droht die Verhaftung.

Wirecard weckt Erinnerungen an das Börsensegment des Neuen Markts vor 20 Jahren, an Namen wie Infomatec, Comroad und EM.TV. Schillernde Firmen mit charismatischen Chefs, die Anleger erst in ihren Bann zogen und dann in den Abgrund. Diesmal trifft es allerdings kein Nebenwertesegment, sondern mit Wirecard einen Hoffnungsträger aus dem DAX. Nach SAP hätte sich der Leitindex mit einem weiteren deutschen Techunternehmen von Weltrang schmücken können. Der Finanzkonzern mit Banklizenz wickelt bei Onlinebestellungen Zahlungen zwischen Käufern und Händlern ab. Doch das gefeierte Geschäftsmodell erweist sich als Luftnummer.

Skandal erreicht Berlin

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Der Zahlungsabwickler aus Aschheim bei München hatte zu Wochenbeginn eingeräumt, dass in der Bilanz 2019 aufgeführte 1,9 Milliarden Euro wohl gar nicht existierten. An der Börse stürzte der Aktienkurs ab, Milliarden Euro Börsenwert lösten sich in Luft auf. Erst vergangene Woche hatte das Unternehmen seine Bilanzvorlage 2019 zum vierten Mal verschoben, nachdem in Asien vermutete Milliardengelder auf Treuhandkonten nicht mehr aufzufinden waren. Die Wirtschaftsprüfer EY hatten das Testat für die Bilanz verweigert – allerdings erst, nachdem eine monatelange Sonderprüfung durch KPMG erhebliche Unklarheiten im Zahlenwerk offenlegte. Die Finanzaufsicht Bafin geht mittlerweile davon aus, dass auch die Bilanzen für die Jahre 2016 bis 2018 falsch sind. Doch inzwischen stehen auch die Aufseher und Prüfer in der Kritik. Der Bilanzskandal hat längst die Berliner Bühne erreicht und zu einem politischen Streit und Forderungen nach härterer Regulierung geführt.

Bafin-Chef Felix Hufeld übte sich noch in Selbstkritik, sprach von „Schande“ und „Desaster“ und räumte das Versagen der Aufseher ein. „Wir sind nicht effektiv genug gewesen, einen solchen Fall zu verhindern.“ Bundesfinanzminister Olaf Scholz kritisierte die Bafin und die Wirtschaftsprüfer – und stellt eine schärfere Regulierung in Aussicht. „Der Fall Wirecard ist in höchstem Maße besorgniserregend“, sagte Scholz. Der CDU-Finanzpolitiker Matthias Hauer wiederum forderte, die Rolle des Finanzministeriums zu hinterfragen, dem die Bafin unterstellt ist. „Lücken und Schwächen im Aufsichtssystem“ müssten geschlossen werden, so Hauer.

Als fataler Fehler kristallisiert sich inzwischen heraus, dass Wirecard selbst wohl als Technologieunternehmen eingestuft wurde, und die Aufsicht sich nur für die Wirecard Bank zuständig fühlte. Die Opposition im Bundestag wiederum schießt sich auf die Regierung ein. „Kleine Finanzvermittler werden bis ins Detail reguliert, aber bei einem DAX-Konzern schaut die Große Koalition weg“, sagte FDP-Vizefraktionschef Christian Dürr.

Am kommenden Mittwoch wird sich der Finanzausschuss des Bundestags mit dem Fall Wirecard beschäftigen – und den herbeizitierten Bafin-Chef Hufeld ins Gebet nehmen. Derweil stehen auch viele Anleger vor einem Scherbenhaufen. Zuletzt bleibt die Hoffnung auf Schadenersatzklagen in Milliardenhöhe. Ob sich diese Hoffnungen der Investoren erfüllen werden, bleibt aber abzuwarten.


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Kommentare ( 37 )

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Aeppler
3 Jahre her

Was ich mich frage; Wer ist eigentlich verantwortlich für die Aufhebung des Shortselling-Verbotes für Wirecard-Aktien vor geraumer Zeit? Da ist mit Sicherheit Korruption bis in die höchsten Kreise von BaFin, Deutscher Börse, Commerzbank, Deutscher Bank und div. Anderer im Spiel. Bei einem bestehenden Shortselling Verbot hätten die Shortseller nicht mehr als 1 Milliarde Euro in der letzten Woche abgreifen können. Korrekt wäre, wenn einem massiven Verkaufsangebot keine ausreichenden Käufer gegenüber stehen, Aktie sofort vom Handel zurückziehen und ein sofortiges Delisting aus dem DAX einplanen, Die Deutsche Börse ist scheinbar nur noch ein Zocker-Casino für Insider. Meine Lehre – Keine deutschen… Mehr

Johann-Thomas Trattner
3 Jahre her

Ich würde mir bei TE eine gründlichere und differenziertere Berichterstattung über diesen Fall wünschen. Das allerorten einsetzende Bashing der Wirtschaftsprüfer und der BaFin nebst den wohlfeilen Haben-wir-es-doch-gewußt-Meldungen erklärt nichts über den Betrug. Und im Übrigen sind nicht die Kontrolleure oder die Politik oder die Börse als erstes Schuld, sondern erst mal die Betrüger, die man mit größter Wahrscheinlichkeit nunmehr bei Wirecard verorten darf.

Onan der Barbar
3 Jahre her

Fintech – ein mit großem technischen Aufwand verschleiertes Nullsummenspiel.

Flavius Rex
3 Jahre her

Mir tun die vielen Kleinanleger leid, die ihr sauer Erspartes verloren haben.

In den Mainstream-Zeitungen wurden Leute, die Aktien kaufen in den letzten Jahren auch plötzlich „Sparer“ genannt. Damit wollte man vertuschen, dass wg. Nullzins echtes Sparen regierungsamtlich abgeschafft wurde – und damit verharmloste man die Risiken, die mit Aktieninvestments immer einhergehen.

Wundert mich trotzdem, dass solche Gauner in den DAX kamen und die Bafin durch ein Shortsellingverbot den Betrügern half. Das hätte ich nicht gedacht.

Mein eigenes Vermögen ist global diversifiziert. Auch das ist nicht risikofrei (drohende Dollarabwertung etc) aber sicher besser als Deutschland zu trauen.

Alexis de Tocqueville
3 Jahre her
Antworten an  Flavius Rex

Ich bin nicht global. Ich habe einen US-Home-Bias.

Karlsruher
3 Jahre her

Loosers
Buy
WEYercard

Bafin
Aufsicht
Foll
Im
Nebel

thinkSelf
3 Jahre her

Realwirschaftlich völlig vernachlässigbar. Der Laden hat lediglich 5500 Beschäftigte weltweit. Assets dürfte es, bis auf ein paar abgesessene Büromöbel, auch keine. Und wieso „Desaster“? In den letzen 15 Jahren dürften da eine Menge Leute reichlich Kohle gemacht haben. Selbst der Untergang des Unternehmens war für die Short Seller äußerst lukrativ. Letzenden Schätzungen zu Folge dürften die etwa 3,5 Mrd. gemacht haben. Und das in drei Tagen. Da muss eine alte Oma schon lange für stricken. Gut, jetzt haben wieder die ganzen Deppen ihre Kohle verloren. Aber die haben es nicht anders verdient. Die gehen jetzt alle in das seit langem… Mehr

Alexis de Tocqueville
3 Jahre her
Antworten an  thinkSelf

Bei Tesla wäre ich mir gar nicht so sicher. Gerade wegen Elon Musk. Ich bin nicht drin und halte es für hoffnungslos überbewertet, aber Ponzi-Schema? „Alle diese Buden haben als Aushängeschild einen Guru an ihrer Spitze, dessen Herscharen von Gläubigen dann erst den Hype so richtig in die Breite tragen.“ Kann man auch als Qualitätsmerkmal sehen. Jeff Bezos Amazon ist ein Top-Unternehmen der Extraklasse. Mark Zuckerbergs Facebook, ob man es mag oder nicht, ist eine Gelddruckmaschine. Apple, wir erinnern uns an den messianischen Selbstdarsteller Steve Jobs? Elon Musk ist auch so einer, ja. Und er bewegt was. Drückt aus dem… Mehr

Alexis de Tocqueville
3 Jahre her
Antworten an  thinkSelf

Mein Beileid. Ich investiere selbst nur in den USA und ggf. in England. Ich will nicht behaupten, dass es solche Skandale in den USA nicht gäbe. Aber gerade im Lande des Kapitalismus wissen die damit umzugehen, die Börsenaufsicht ist kein Kindergarten, mit denen ist nicht zu spaßen. China dagegen interssiert sich für China, nicht für langnasige weiße Teufel. Kann man machen, muss man aber wissen. Kleine Kanada-Klitschen sind alles Anleger-Nepp. Und deutsche Unternehmen, tja, die sind sowieso ein No-Go. Denn es gehört zu meinen Grundsätzen niemals in sozialistische Länder zu investieren. Auch wenn D dieser Definition noch nicht voll entspricht,… Mehr

Thomas Hellerberger
3 Jahre her

Ach ja. Ich fühle mich doch wieder einmal bestätigt. „Milliarden von Aktienvermögen lösen sich über Nacht in Luft auf“. Was aber ist „Vermögen“ denn anderes als Luft? Haben AGs denn tatsächlich Geld- und Goldsäcke in Tresoren liegen, die ihren Firmenwert besichern? Nichts dergleichen. Ein Industrieunternehmen hat eventuell noch seinen Anlagenwert – aber sonst? Was war denn Aktienwert von Wirecard und den ALLER ANDEREN Aktiengesellschaften? Eine Phantasie im Kopf der Anleger. Die modere digitale Wirtschaft operiert im wahrsten Sinne des Wortes mit nichts. Daten sind nichts. Ein Mausklick, oder eine falsche Information, und sie sind WEG. Daher sind Aktien eindeutig KEINE… Mehr

Silverager
3 Jahre her
Antworten an  Thomas Hellerberger

Früher hätte ich sie heftig beneidet, da wir trotz intensiven Bemühens keine Kinder bekommen konnten und fremde nicht adoptieren wollten.
Heute bin ich froh, dass ich mir um die Zukunft meiner Kinder oder gar Enkel, die in eine gewalttätige, von der Scharia bestimmte Zukunft hineinwachsen, keine Sorgen machen muss. Ich selbst bin bis dahin lange tot.

Lucius de Geer
3 Jahre her
Antworten an  Thomas Hellerberger

Auweia, dann wissen die Leute in Ländern mit hohem privatem Aktienvermögen (USA, England, Schweiz usw.) ja gar nicht wie dumm sie sind, dass sie sich an Produktivkapital beteiligen – und das schon seit Jahrzehnten. Kinder haben dieLeute dort übrigens auch und zwar im Schnitt mehr als in Deutschland, weil sie es sich aufgrund höherer Vermögen (auch Immobilienbesitz) leisten können. Die Aktienaversion der Deutschen ist neben der absurd hohen Besteuerung einer der Hauptgründe dafür, dass der Durchschnittsbürger im internationalen Vergleich ein armer Schlucker ist…

Delcarlo
3 Jahre her
Antworten an  Thomas Hellerberger

Nun ja, ich lebe seit dreißig Jahren ausschließlich von Divedendeneinkommen, habe jedes Jahr…, auch dieses…, eine Dividendenerhöhung von 5% bis 8%, deshalb kann ich Ihren Einwand nicht so recht verstehen. Natürlich lebe ich ebenfalls seit ca. Dreißig Jahren nicht mehr in Deutschland, weil dort der Staat zu gierig ist. Wir leben im Winter in unserer Villa in der Dominikanischen Republik und im Sommer in unserem Haus in Italien. Dort steht auch unser hier stets angefeindeter Tesla, der uns sehr viel Spaß macht, beim Bereisen von Europa. Und dafür, dass Aktieneinkünfte Ihrer Ansicht nach nicht sicher sind, gehts meiner Frau und… Mehr

Querdenker_Techn
3 Jahre her

Sicher kann man vielen Stellen hier eine Schuld zuweisen. Sind nicht alle Geldgeschäfte irgendwo auch „Bankgeschäfte“? Was ist z. B. mit dem Makler, der das Geld vom Hauskauf auf seinem Treuhandkonto verwahrt? Das ist nur ein Beispiel. Wie viele Geldgeschäfte werden international abgewickelt. Aber wer kontrolliert die Geldabwickler? Was ist bei Geldgeschäften mit China? Lassen die unsere Kontrolleure in ihre Karten schauen? Ich glaube nicht. Zählt dann Geld auf chinesischen Konten nicht mehr? Unsere Politiker, die hier einfach eine neue Behörde schaffen, wollen nur ein neues Placebo einrichten, das viel Geld kostet. Das wird uns jedoch nicht vor der nächsten… Mehr

Gerd Sommer
3 Jahre her

Tja wirecard, wer erinnert sich noch an Telekom? Aktienkultur in D und das Spiel mit der Lufthansa Aktienwert 1o,5o Der Bund greift ein Riesenpaket für 2,89 ab und, und, und…

Hihi und die Commerzbank steckt mit Bundehilfe auch tief bei Wirecard mit drin…

Verleihnix
3 Jahre her

Das ist natürlich schon ärgerlich, wenn man bedenkt, dass die ausgewiesenen Experten unserer Regierung es als erfolgversprechendes Konzept ansehen, wenn wir unsere Altersvorsorge teilweise über private Investition „sichern“. Wenn jetzt eine von den drei „Säulen“ bestenfalls nur noch halb so lang ist, wie die anderen, macht sich das natürlich erstmal nicht so gut im Masterplan.

Der Fall Wirecard zeigt (nicht zum ersten Mal, wie ja jeder weiß, der schon im entsprechenden Alter ist), dass für die Finanzmärkte das Vermögen der späteren Rentner schlicht und ergreifend „Dumb Money“ ist, das es möglichst effektiv abzuschöpfen gilt wie Sahne.

Lucius de Geer
3 Jahre her
Antworten an  Verleihnix

Das dumme Geld ist nur das derjenigen, die auf Einzeltitel setzen und sich von Schwätzern „beraten“ oder verführen lassen. Das weit höhere Aktienvermögen der Bürger in anderen Ländern ist fast immer breit (meist global) investiert, seien es die eigenen Anlagen oder die der betrieblichen Vorsorge. Der Deutsche neigt leider dazu, irgendwelchen Heilsbringern zu glauben, anstatt sich selbst schlau zu machen. Aber selber denken ist schon lange nicht mehr die Stärke des Michels…

Alexis de Tocqueville
3 Jahre her
Antworten an  Lucius de Geer

Böse Einzeltitel, gute ETF? Die ETF-Szene kommt mir zuweilen ziemlich heilsbringerisch rüber.