Tichys Einblick
Lieferung von Technik

Keine deutsche Technik für Ungarns Kernkraftwerk? Habecks Amt verweigert Export-Genehmigung

Für das im Bau befindliche Kernkraftwerk Paks II wünscht Ungarn deutsche Steuersysteme. Siemens Energy würde gerne liefern – darf aber nicht, weil es keine Ausfuhrgenehmigung gibt. Ungarns Chefdiplomat reagiert empört

IMAGO / imagebroker

Wenn am kommenden Dienstag die Hauptversammlung von Siemens Energy stattfindet – virtuell wie derzeit alle Aktionärsversammlungen, trotz Pandemie-Ende – muss sich der Vorstand mit einem unangenehmen Thema befassen. Eine aktivistische Gruppe „Kritische Aktionäre und Aktionärinnen“ prangert in ihrem Antrag das Unternehmen zum einen dafür an, sich klimapolitisch nicht ausreichend zu engagieren. Gleichzeitig wirft sie dem Management vor, Steuertechnik für das im Bau befindliche ungarische Kernkraftwerk Paks II liefern zu wollen. Ungarn gehörte zu den EU-Ländern mit einem umfangreichen Import von russischem Gas. Durch die Erweiterung der Kernkraft will es sich von dem Import und generell von fossiler Energie unabhängiger machen. Aber genau das scheint der klimabewegten Aktionärsgruppe auch nicht recht.

Die Attacke auf der kommenden Hauptversammlung müsste die Führung von Siemens Energy noch nicht stören – wenn es nicht auch gleichzeitig von Seiten der Bundesregierung den Versuch gäbe, die Lieferung von Technik an das entstehende ungarische Kernkraftwerk zu stoppen oder wenigstens zu verzögern. Der Kauf von deutsche Leittechnik, so der Vorstand des Unternehmens in einer Stellungnahme, sei der ausdrückliche Wunsch der Ungarn – denn Siemens Energy verfüge „als weltweit einziger Anbieter über Referenzen, die eine Qualifizierung nach europäischen Standards erlauben“. Gleichzeitig teilt der Vorstand auch mit: „Derzeit finden keine Lieferungen statt, da das deutsche Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) über den Antrag auf Ausfuhrgenehmigung noch nicht entschieden hat.“ Das BAFA untersteht Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Offenbar gibt es die Lieferung wegen des industriellen Partners nicht frei, der mit Ungarn beim Bau von Paks II kooperiert: das russische Unternehmen Rossatom. Die Vereinbarung mit dem Unternehmen stammt noch aus der Zeit vor dem Beginn des Ukraine-Kriegs: geschlossen wurde sie 2014.

Ganz überraschend kommt die aggressive deutsche Politik gegen den Ausbau der Kernkraft in anderen EU-Staaten nicht: Schon 2022 erklärte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) bei einem Besuch in Polen, Deutschland werde „alle rechtlichen Mittel“ gegen den Bau eines polnischen Kernkraftwerks prüfen – obwohl es dort keine industrielle Partnerschaft mit Russland gibt. In Warschau wurde diese Ankündigung als anmaßend und heuchlerisch empfunden. Denn die Kohleverstromung in Polen kritisiert die deutsche Seite natürlich auch.

Auf die deutsche Behinderung von Paks II reagiert Ungarns Außenminister Péter Szijjárto mit einer geharnischten Stellungnahme. Es sei „schlichtweg empörend und inakzeptabel“, dass zwei grüne Minister der deutschen Regierung die Erteilung einer Exportgenehmigung für die Kontrollsysteme von Paks II an die deutsche Siemens Energy „aus wer weiß welchen politischen oder ideologischen Gründen“ blockierten, erklärte der ungarische Außenminister am Freitag in Budapest. Er kündigte eine Beschwerde bei der EU an: „Wir können nicht zulassen, dass jemand die Sicherheit der ungarischen Energieversorgung gefährdet, und deshalb habe ich bereits am Montag in Brüssel darauf hingewiesen, dass die Europäische Kommission keinen Vorschlag unterbreiten sollte, der die Zusammenarbeit zwischen Ungarn und Russland im Bereich der Kernenergie in irgendeiner Weise einschränken würde.“

Sollte das grün geführte Wirtschaftsministerium die Lieferung der Siemens Energy-Leittechnik nach Ungarn dauerhaft blockieren – auch darauf weist der Vorstand des Unternehmens in seiner Stellungnahme zur Hauptversammlung hin – gäbe es für die Konstrukteure von Paks II Alternativen: Ähnliche Leittechnik bietet auch China und Russland an. Eine zweite Möglichkeit erwähnt das Unternehmen zwar nicht, aber auch sie steht im Raum: würde die Produktion aus Deutschland verlagert, könnte das Bundeswirtschaftsministerium in Zukunft Lieferungen nicht behindern.

Der Fall Paks II und Siemens Energy wirft auch ein bezeichnendes Licht auf die Doppelstandards der deutschen Energiepolitik: Zum einen kritisiert die Bundesregierung den Bau von Kernkraftwerken in Polen und Ungarn, und versucht in dem letzteren Fall sogar, ihn zu erschweren. Zum anderen führt die Abschaltung der deutschen Atomkraftwerke im April und der Kohleausstieg bis 2030 automatisch dazu, dass die Bundesrepublik künftig mehr Nuklearstrom aus Frankreich importiert – und über den europäischen Stromverbund möglicherweise auch ab und zu aus Ungarn, demnächst auch aus Polen.

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