Deutschlands Abstieg vom Musterknaben zum Sorgenkind der EU

Die „Maastricht-Kriterien“ sollten den Euro stabil halten, hieß das Versprechen in den 90er Jahren. Doch kaum ein Land hält sich noch daran. Vor allem die größte Volkswirtschaft der EU, die deutsche, rutscht ab.

IMAGO / Laci Perenyi

Drei Prozent. Das waren die beiden magischen Worte in den 90er Jahren. Kein Staat der EU dürfe über eine Neuverschuldungsrate von drei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsproduktes (BIP) kommen. So solle der Euro stabil gehalten werden. Hieß es. In den 90er Jahren. Auch dürfe kein Land sich so sehr verschulden, dass der Gesamtschuldenstand auf über 60 Prozent des BIP kommt. Kein Land, kein einziges, dürfe sich so stark verschulden. So lauteten die „Maastricht-Kriterien“. Spoileralarm: Das hat nicht geklappt.

Im Gegenteil. Länder, die sich an diese Kriterien halten, sind die Ausnahme. Der Schnitt der Verschuldung lag in der EU laut Statistischem Bundesamt bei 84 Prozent zum jeweiligen Bruttoinlandsprodukt. Staaten, die unter der 60-Prozent-Grenze bleiben, bilden die Ausnahme. Auch Deutschland gehört nicht mehr dazu. Ende Dezember waren es hierzulande 66,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Die größte Volkswirtschaft war einst der Musterknabe der EU, brachte die starke D-Mark in die Währungsunion ein. Doch der Musterknabe entwickelt sich zum Sorgenkind: In diesem Jahr erwartet der „Stabilitätsrat“ des Bundestages ein Defizit, das in Deutschland bei 4,25 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt liegt. Zur Erinnerung: Ab 3 Prozent ist die Stabilität des Euro in Gefahr. Hieß es. Früher.

Gleich zwei Momente bringen Deutschland auf den griechischen Weg: Zwar nimmt der Staat seinen Bürgern so viel von ihrem Geld ab wie noch nie. Trotzdem kommt der mit diesen „Rekordeinnahmen“ nicht aus, steigt die Verschuldung rasant. Zum anderen schrumpft das Bruttoinlandsprodukt – zuletzt zwei Mal in Folge. So etwas passiert halt in einem Land, in dem der Wirtschaftsminister die Unternehmen beruhigt, sie müssten nicht in die Insolvenz, wenn sie nur rechtzeitig aufhörten zu produzieren – das tun sie nun offensichtlich.

Die 4,25 Prozent, um die sich Deutschland anteilig zum Bruttoinlandsprodukt verschuldet, sind nur eine Schätzung des „Stabilitätsrates“. Der hat zuletzt am 2. Mai getagt. Da ging der Rat noch von der Prognose der Bundesregierung aus, das Bruttoinlandsprodukt werde im Laufe des Jahres zunehmen. Zwischenzeitlich hat sich herausgestellt, dass es stattdessen im ersten Quartal zurückgegangen ist. Sprich: Die 4,25 Prozent Neuverschuldungsquote liegt zwar deutlich über dem Höchstwert, den die EU noch als stabil bezeichnet – ist aber trotzdem optimistisch.

Der Stabilitätsrat versucht denn auch in seinem Abschlussbericht, sich die Lage schönzureden: „Das gesamtstaatliche Defizit ist in hohem Maße auf die temporären Maßnahmen zur Krisenbewältigung zurückzuführen.“ Mit anderen Worten: Wird schon wieder. Doch nun rächt sich die Wumms-Politik des Kanzlers. Olaf Scholz (SPD) hat sich durch sein erstes Jahr gewurstelt, indem er Probleme mit Geld zuschüttete und Stadionlyrik à la „You’ll never walk alone“ verbreitete.

Doch Finanzminister Christian Lindner (FDP) sitzt jetzt vor dem Scherbenhaufen. Du kannst zwar Schulden in „Sondervermögen“ umbenennen. Du kannst sie auch aus deinen Bilanzen raustricksen und dich für einen „ausgeglichenen Haushalt“ feiern lassen. Doch Schulden bleiben Schulden und sie bleiben, solange man sie nicht zurückbezahlt – neuerdings kommen auch wieder ordentlich Zinsen obendrauf.

Lindner versucht sich in Appellen: „Was wir jetzt brauchen, ist ein entschiedener Konsolidierungskurs mit einer klaren Priorisierung der Ausgaben.“ Doch, ob er das auch durchsetzen kann, ist fraglich. Denn zum einen gibt es den Koalitionspartner und Kinderbuchautor Robert Habeck (Grüne), der grenzenlos neue Schulden machen will. Und zum anderen bleibt ein Kanzler, dem zu Problemen nichts anderes einfällt als zurückzuwummsen.

Von griechischen Verhältnissen ist Deutschland weit entfernt. Noch. Die Griechen hatten zum Jahreswechsel einen Schuldenstand, der 171,3 Prozent des eigenen Bruttoinlandprodukt betrug. Doch in die Richtung entwickelt sich auch Deutschland. Denn derzeit fehlt es der Bundesregierung für beide Faktoren an einem Plan: die Verschuldung umzukehren und die Wirtschaft wieder wachsen zu lassen. Was es gibt, sind schöngefärbte Berichte wie die des „Stabilitätsrates“. Bis 2026 würden die Einmaleffekte bereinigt sein und die Schuldenstandsquote wieder unter drei Prozent rutschen.

Nur: Die Politik hat die Liebe zum Notstand entdeckt. Der Ukraine-Krieg ist der Joker, mit dem jedes auftauchende Problem gerechtfertigt wird. Die Corona-Pandemie war der Grund, aus dem die EU überhaupt erst ihren Mitgliedsstaaten erlaubt hat, die Maastricht-Kriterien zu ignorieren. Und seit mittlerweile vier Jahren befinden sich rund 60 deutsche Städte im permanenten „Klima-Notstand“. Ein Grund für „krisenbedingte Einmaleffekte“ findet sich also immer und (zu) optimistische Prognosen waren seit jeher die Begleitmusik zu jedem Untergang. Stabilitätskriterien sind da nur noch das Geschwätz von vorgestern. Nur dummerweise ist es mit instabilen Währungen wie mit Schulden. Man kann sie sich schönreden – substanziell besser werden sie davon aber nicht.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 28 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

28 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
pcn
10 Monate her

Angefangen hat alles mit der „Eurorettung“. Nein, darum ging es nicht. Es ging darum Pleitestaaten wie die Südländer unter allen Umständen im Euro zu halten. „What ever ist takes.“ Es ging darum, dieses nie wirklich funktionierende Projekt Zentralstaat EU, die erzwungene Auflösung jedweder staatlicher Selbstbestimmung tradierter Nationalstaatlichkeit durchzusetzen. Wenn ideologischer Wahn, vor allem die Käufer von Staatsanleihen Vorrang haben, Banken nicht zur Verantwortung gezogen werden, sondern die hart arbeitenden Bürger, die für die Inflation nicht verantwortlich sind, die Inflation von heute schon 2008 vorprogrammiert war, dann spreche ich von Straftätern, die uns regieren. Denn sie wussten, was sie tun. Bis… Mehr

Juergen P. Schneider
10 Monate her

Die Bürokratendiktatur in Brüssel wird ohne ihren Hauptfinanzier relativ schnell untergehen. Die zu erwartende weitere Schwächung der deutschen Volkswirtschaft wird das „schöne“ und demokratieferne Projekt eines europäischen Bundesstaates hoffentlich bald erledigen. Die bürokratischen Vorschriften zur Wirtschaftslenkung, die von den selbsternannten EU-Regenten in Brüssel ständig weiter verschärft werden, sind am Ende nur das Sägen an dem Ast auf dem man selbst sitzt. Der Euro ist ein weiteres gescheitertes Projekt weltfremder EU-Pseudoeliten. Was einmal zur Schwächung deutscher Wirtschaftskraft ersonnen wurde, wird am Ende die Bürokratendiktatur in Brüssel zu Fall bringen. Was wir bräuchten, wäre ein Neustart hin zu einem Europa freier Nationalstaaten,… Mehr

Delegro
10 Monate her

Es kommt die Zeit, da werden wir am eigenen Leibe erfahren, was die anderen EU-Staaten tatsächlich noch von den dämlichen Deutschen halten. Wir brauchen dann Geld aus der EU und werden es nicht bekommen. Deutschland hat jahrzehntelang sauber die EU durchgefüttert und darf dann gehen. Und ich kann das nur zu gut verstehen. Wer will mit uns schon noch was zu tun haben. Wir regieren unser Land sehend in die Katastrophe und fordern diesen Weg auch noch bei den anderen Ländern mit ein.

thinkSelf
10 Monate her

Erstens soll die Wirtschaft nicht *wachsen“ und zweitens werden die Schulden über die Inflation abgebaut.
Und die Mastricht-Kriterien hat eh nie jemand ernst genommen, außer die depperten „Konservativen“ in Dummland.

Prometheus
10 Monate her

Die USA wollen die EU schwächen. Und das tut man, indem man Deutschland schwächt. Das Ausland freut sich, da es dann mal Luft zum Atmen hat und sie nicht durch die deutsche oft konkurrenzlose Wirtschaft erstickt werden. Und solange der Absteig Deutschlands langsam und Stück für Stück verläuft, ist das kein Problem für die Welt. Jedes Jahr wandern schon 200.000 Fachkräfte ins Ausland ab. In den kommenden Jahren nimmt deren Zahl eben noch weiter zu. Firmen und Patente können ausländische Firmen aufkaufen, und die Großkonzerne verlegen sich Stück für Stück ins Ausland…Deutschland wurde zum Raub und zur Beute freigegeben.

ketzerlehrling
10 Monate her

Wann werden die anderen EU-Mitglieder Buntland aus der EU werfen? Wie lang wird dieses Land noch den Rest der EU finanzieren können?

Nibelung
10 Monate her

Die Amis haben Deutschlands Pipeline in die Luft gesprengt und sie somit von preiswerter russischer Energeie abgeschnitten und die Norweger leisteten Beihilfe und das war eine Kriegserklärung und hätten wir noch eine ernstzunehmende Regierung, wäre damit das Band entgültig zerschnitten, was man aber von solchen Kollaborateuren nicht erwarten kann, weil sie schon zu tief im US-Sumpf drin stecken, wo es kein Entrinnen mehr gibt. Somit opfern sie ganz bewußt deutsche Interessen und lassen es zu, daß es mit uns wirtschaftlich abwärts geht und gerade die Grünen und Roten sind der Sargnagel unserer Republik, die Schwarzen sind allerdings nicht viel besser… Mehr

StefanZ
10 Monate her

Mir ist lieber, sie machen weiter Schulden. Gespart wird doch sowieso immer nur zu Lasten des Bürgers. Staat und Bürger sind doch schon lange zwei verschiedene Veranstaltungen. Der Staat dient nicht mehr dem Bürger sondern der Bürger dem Staat. Er ist nur noch die Melkkuh, der die feuchten Träume und Spinnereien der fetten und dekadenten Obrigkeit finanzieren darf. Jeder bei den Leistungen für den Bürger „gesparte“ Cent, würde doch nur für den Aufbau einer neuen „Stasibehörde“ genutzt oder irgendeiner NGO zufließen. Oder glaubt wirklich noch jemand an das Märchen vom Bürokratieabbau und dem schlanken Staat? Ricarda wird uns noch früh… Mehr

alter weisser Mann
10 Monate her

Musterknabe der EU ist Deutschland doch vorwiegend nur mit dem Maul, bei der Einführung und Umsetzung immer neuer Regeln und Vorschriften. (Da bräuchten wir im Grunde gar keine EU für, da haben wir eine deutsche Affinität.)
Ansonsten sind wir Zahlmeister für den Laden mit über 20 Mrd. pro Jahr was etwa die Hälfte der Nettozahlungen der ganzen EU ist. Das sind aber nur die beitragsmäßigen peanuts, die Stützung des EURO/EZB-systems, z.B. Deutschlands target-Saldo von ca. 1.200 MRD EURO ist da nicht dabei. Schulden tun den Gegenwert in etwa Italien, Spanien und Griechenland, was zu deren Realisierbarkeit genug sagen dürfte.

Last edited 10 Monate her by alter weisser Mann
89-erlebt
10 Monate her

Wieviel Mrd Steuergeld wurden in alle Welt verschenkt ? Wieviele Mrd in das korrupte Fass Ukraine gekippt ? Wieviele Mrd verbrennt die ungezügelte Massen Migration ?
Für wieviel Billionen an Target2 und EU Schulden zahlen und haften wir ?? Gezielt herbeigeführter Ruin!!