Medienkritik im Spiegel: „Die Wut der klugen Köpfe“

Sechs Seiten widmet der aktuelle SPIEGEL dem Unmut über die "sogenannten Mainstream-Medien". Ein Leser: "Ich finde es widerlich, dass ich ständig belehrt werde, was ich zu denken habe."

Eine aktuelle Umfrage des renommierten Institutes für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, an der einst Deutschlands renommiertester Medienwissenschaftler Hans Mathias Kepplinger lehrte, zeigt: 36 Prozent der Befragten stimmen der Meinung zu: „In meinem persönlichen Umfeld nehme ich die gesellschaftlichen Zustände ganz anders wahr, als sie von den Medien dargestellt werden.“ Immerhin 35 Prozent stimmen teilweise zu und nur 26 Prozent sagten, dies treffe (eher) nicht zu.

Kleber und Slomka gehen vielen auf die Nerven

Der SPIEGEL stellt fest, dass insbesondere „auch unter den Gebildeten … der Hass auf die sogenannten Mainstream-Medien“ wachse. Leute wie Claus Kleber oder Marietta Slomka vom ZDF heute-journal gingen vielen zunehmend auf die Nerven. „Empörte Zuschriften bekommt die Redaktion [des heute-journals] nicht mehr nur aus dem AfD-Lager, sondern auch von FDP-Anhängern: Wirtschaftsprüfern, Managern, Steuerberatern. Also gerade keine gesellschaftlichen Verlierer, sondern eher die konservativ-liberale Elite.“

Ein Leser bringt es auf den Punkt: „Ich finde es widerlich, dass ich ständig belehrt werde, was ich zu denken habe.“ Als Beispiele nennt er die Berichterstattung zum Schuldendrama um Griechenland, zur Flüchtlingskrise und zum Atomausstieg. „In Parteien und Medien allerdings werde ständig so getan, als könne und dürfe es keine Alternative geben. Zur Europäischen Union nicht, zur Flüchtlingspolitik nicht, zum Atomausstieg nicht. Er wolle sich selbst ein Urteil bilden, von den Medien aber werde ihm dauernd vorgegeben, was er zu denken habe: dass Migranten willkommen zu heißen seien, auch Wirtschaftsflüchtlinge. Dass Europa ohne die EU nicht denkbar sei und eine Frauenquote zwingend fortschrittlich.“ Das finde er anmaßend – und lese lieber alternative Blogs wie „Achse des Guten und „Tichys Einblick“. Soweit der SPIEGEL.

Ich lese auch gerne „Mainstream-Medien“

Mir gehen die Prediger der politischen Korrektheit in den Medien nicht erst jetzt auf die Nerven. In meinem 1994 (!) erschienenen Buch „Wohin treibt unsere Republik?“ kritisierte ich scharf den linken Medienmainstream, der auch vor bürgerlichen Medien wie der FAZ keinen Halt machte. Und in meiner Autobiografie schilderte ich, wie ich mich in den 90er-Jahren sogar als WELT-Redakteur einer linken Redaktionsmehrheit gegenübersah, die verbissen jeden bekämpfte, der politisch nicht korrekt war.

Und was nervt mich heute? Mich nerven immer noch linke Meinungsjournalisten, die sich alle so sehr einig darin sind, dass die Me-too-Kampagne eine tolle Sache sei, dass der Kapitalismus ein schlechtes Wirtschaftssystem ist, dass die deutschen Autohersteller die Zukunft verpassten und die jedes Unwetter als sicheren Beleg dafür werten, dass die Welt sich immer mehr der Klimakatastrophe nähere. Und die zwar mit Kritik an der AfD nicht sparen, aber Sahra Wagenknecht mehr oder minder heimlich verehren.

Zwischen allen Stühlen

Und was ist neu? Mich nerven heute aber auch jene, die sagen, dass sie deshalb diese Medien gar nicht mehr lesen oder schauen. Die nur noch Blogs lesen, in denen sie ihre eigene (rechte) Meinung bestätigt bekommen. Mich nerven einerseits ideologisierte SPIEGEL-Redakteure, wie jener, der letzte Woche einer von mir beauftragten Agentur zu meinem neuen Buch erklärte, dies sei „zu pro-kapitalistisch“ – und deshalb wolle man es nicht besprechen, da der SPIEGEL solchen Meinungen keine Plattform geben wolle. Aber: Ich lese den SPIEGEL gerne und finde dort kritische Artikel wie den, über den ich oben berichtet habe. Ich lese mit Genuss SPIEGEL-Autoren wie Jan Fleischhauer. Und die Bücher des SPIEGEL-Redakteurs Alexander Neubacher „Ökofimmel. Wie wir versuchen, die Welt zu retten, und was wir damit anrichten“ und „Total beschränkt. Wie uns der Staat mit immer neuen Vorschriften das Denken abgewöhnt“ gehören zu den besten, die ich in den letzten Jahren gelesen habe. Diejenigen, die den SPIEGEL seit Jahren nicht mehr lesen, weil der ja gleichförmig „links“ sei, haben da etwas verpasst.

Ich finde in einer Zeitung wie der FAZ nebeneinander nervige Artikel in einem linken Feuilleton und hoch interessante Beiträge im Wirtschaftsteil, aus denen ich viel lerne. Ich lese in der WELT Artikel, die mich ärgern und tolle Beiträge von Redakteuren wie Dorothea Siems, Ansgar Graw oder Robin Alexander (dem Autor des Buches „Die Getriebenen“).

Ich gebe zu, dass ich gerne all die Talkshows schaue, auch wenn dort überwiegend Meinungen vertreten werden, die ich nicht teile. Gerade weil ich mir meine eigene Meinung bilden kann, habe ich nicht die geringste Angst davor, Meinungen zu lesen und mir anzuhören, die ich nicht teile. Im Gegenteil: Zur Bestätigung meiner eigenen Meinung (die kenne ich bestens) brauche ich Medien weniger als dafür, Meinungen zu lesen, die ich nicht teile. Ich finde es toll, dass es heute Medien wie TICHY, EUROPEAN und einige andere gibt, in denen man Meinungen findet, die dem politisch-korrekten Mainstream widersprechen. Aber das ist für mich noch lange kein Grund, keine „Mainstream-Medien“ mehr zur Kenntnis zu nehmen und nicht anzuerkennen, dass es auch dort kluge und vernünftig denkende Journalisten gibt – neben den nervigen Dunja Hayalis, Claus Klebers und Marietta Slomkas.

Ich weiß, dass vielen Lesern meine Sicht, wie ich sie in diesem Artikel vertrete, absolut nicht passt. Das stört mich nicht im Geringsten, und ich bin froh, dass ich sie dennoch aufschreiben und zur Diskussion stellen kann. Zwischen allen Stühlen zu sitzen ist nicht immer bequem, aber mir gefällt es trotzdem.

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Kommentare ( 338 )

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Sonia.B.
5 Jahre her

Man bekommt manchmal den Eindruck, als wäre so manchem Journalisten nicht klar, dass das Schriftleitergesetz keine gültigkeit mehr hat und sie jezt schreiben dürfen, was sie wollen.
Auch als Leser habe ich aber die Verantwortung, die Meinungsvielfalt und -freiheit durch meine Toleranz zu fördern. Wer nur seine Meinung liest, kann nicht umfassend informiert sein. Da braucht man sich auch nicht rausreden, das die Gegenseite dies auch tue.

Josef K.
5 Jahre her

Linke Geschichtsklitterung ist inzwischen in informationsträchtige Dokumentationen eingezogen. Man glaubt, man wird grundlegend informiert und bekommt nur linke Hetzpropaganda und die Ohren. So etwa die Doku in ZDFInfo „Jerusalem – ewiger Kampf um die Heilige Stadt “ Gegen Ende dieser Doku wird dem Seher nahegelegt, Israel als einen Nazistaat anzusehen. Die Aggression der umgebenden arabischen Welt wird nicht nur ausgeblendet, nein sie wird als Opfer des Aggressors Israel präsentiert. Die Mauer wurde als krönender Abschluss lapidar kommentiert: „Heute trennt Palästina eine Mauer“: Ende. Ich empfehle hierzu Wikipedia: „Israelische Sperranlagen (Westjordanland)“. Es sollte damit nämlich verhindert werden, dass Terroristen, aus den… Mehr

Josef K.
5 Jahre her

Noch vor einhundertfünfzig Jahren behandelte man Nervenleiden mit Elektroschocks und Eiswasserbädern. Mir erscheinen die Protagonisten unsere Medienlandschaft wie die Psychiater des 19. Jh. Wer sich über die herrschenden Zustände aufregt, wird eingeliefert. Wer noch immer klagt, bekommt nochmals Elektroschocks und wird ins Eiswasser gepackt. Irgendwann lässt der Widerstand nach. Lethargie tritt an die Stelle der kritischen Vernunft. Unsere Demokratie wurde zur Irrenanstalt. Am Ende herrscht die gewünschte Friedhofsruhe hinter den Mauern des Mainstreams. Jasager und Lemminge bevölkern das Land. Der Rest wird für verrückt erklärt. Ich glaube, die Schreiber dieser irren Artikel, wissen genau was sie tun. Neu scheint zu… Mehr

Alfred Schlicht
6 Jahre her

es war ja selbstverstaendlich , dass die offensichtliche vertuschung und schoenfaerberei nicht nur tumbe schreihaelse nervt – auch die meist schweigsamen ‚klugen koepfe‘ hat das veraergert, da sie aber leise toene waehlen, kamen sie in dieser doch etwas grob geschnitzten republik kaum zur geltung . jetzt entdeckt man sie – ob es aber hilft ?

Werner
6 Jahre her

„„Ich finde es widerlich, dass ich ständig belehrt werde, was ich zu denken habe.“ Als Beispiele nennt er die Berichterstattung zum Schuldendrama um Griechenland, zur Flüchtlingskrise und zum Atomausstieg. „In Parteien und Medien allerdings werde ständig so getan, als könne und dürfe es keine Alternative geben. Zur Europäischen Union nicht, zur Flüchtlingspolitik nicht, zum Atomausstieg nicht.“ Wer Widerspruch bei Entscheidungen der Regierung/ EU zeigt, ist automatisch mindestens „Rechts“ oder gleich Nazi. Vielfach geübt und nachgewiesen (Einführung des EURO 1998). Bin auf der Autobahn und habe quer durch das Land das Radio an. Auf allen regionalen Sendern zu bestimmten Themen (Syrien,… Mehr

Alexis de Tocqueville
6 Jahre her

Lieber Herr Zitelmann, liebe Mitleser Es ist löblich, nicht selbst denselben Fehlern anheimfallen zu wollen, die man anderen vorwirft. Allerdings ist das Ausmaß an Lügen, Pöbeleien und Hetze, welches ein Leser auszuhalten bereit ist, doch begrenzt. Wenn er im ersten Satz persönlich beleidigt wird, weiß er, dass sich im folgenden höchst wahrscheinlich keine sachliche Argumentation wird finden lassen. Warum sollte er seine Aufmerksamkeit solcherlei Unrat widmen, und diesen auch noch finanziell unterstützen? Intelligente Menschen mögen sich ungern freiwillig in irgendeine Echokammer begeben. Aber wenn sie nur die Wahl zwischen zwei Echokammern haben, nehmen sie die, wo es weniger wehtut. Alles… Mehr

franky lee
6 Jahre her

Ihr Kommentar…Alexis de Torqueville Danke für Ihren exzellenten Kommentar. sie habe vollkommen Recht.

zaunkönig
6 Jahre her

Ich sehe den Schwerpunkt des Spiegel-Artikels eher in dem Unbehagen der Leser manipuliert zu werden: Die Meinung des Journalisten wird dem Leser als alternativlos vorgesetzt. Information und Meinung vermischen sich in einer beabsichtigten Richtung so, dass man von einem Manipulationsgeschäft sprechen kann.
Dafür ist CNN ein leuchtendes Beispiel.
Viele Artikel, Beiträge lassen – wenn man genau zuhört, liest – Parallelen mit der Arbeit von PR-Agenturen zu.
Ein kurzer Weg: Vom Qualitätsjournalismus zum Meinungsbildner, vom Meinungsbildner zum Manipulationsgeschäft.

hatmut polzin
6 Jahre her

ich gehörte jahrelang zu den menschen,die jeden montag am kiosk den spiegel gekauft haben..seit 2014 ertrage ich dieses linke Propagandablatt nicht mehr,ich lese das nicht mal mehr wenn es irgendwo herum liegt….und das obwohl mir Herr Fleischauer persönlich sympatisch ist..ich lese lieber Achgut und Tichy

Jens.N.
6 Jahre her

Ich lese so ziemlich die ganze Palette von links bis rechts – nur deshalb, glaube ich, habe ich einen einigermaßen guten Überblick. Ich muss wissen, was wo wie gesehen oder gedacht wird – von manchem kann ich lernen, manches korrigiert mich, manches bestätigt mich. Damit bin ich bisher gut gefahren: Ich habe deshalb ganz gut begründbare Ansichten.

Karl Napf
6 Jahre her

Ich bin von MSM endlich geheilt. Ich lese sie, ich kommentiere, ich werde wegredigiert. Da mach ich nicht mehr mit. Meine Medien Diaet sieht so aus:

Spiegel und Welt um zu erfassen, was Medien denken, dass Sache ist
Cicero und TichysEinblick als Vernunftskorrektur
Taz als linke Korrektur
Damit komme ich durch den Tag

Der wirklich gesunde Teil der Diaet:

Bewusst aus dem Rennen:
ARD und ZDF seit 2Jahren
Zeit seit drei Jahren
Focus seit 6Monaten
Talkshows: eine im Quartal

Mir fehlt nichts.