Ein junges Paar tötet kaltblütig die Schwiegereltern in spe. Aber natürlich verbirgt sich hinter der Tat und der Kulisse aus Bohnerwachs und Spießbürgertum ein Abgrund aus Fremdenfeindlichkeit, Patriarchat und Inzest: alles dabei.
Screenprint: Das Erste / Tatort
Wenn es der SWR unterlassen hat, zu diesem Tatort ein Pressedossier herauszugeben, in dem sonst dessen tieferer Sinn und hehre gesellschaftliche Ziele ausgewalzt werden, dann hat das einen guten Grund. Hier verlässt die ARD zum ersten Mal die traditionelle Form des Sonntagskrimis und ersetzt ihn durch eine lustvoll gehässige Persiflage.
Gewaltfantasien, die am ehesten im Lager antibürgerlicher Umstürzler auf johlenden Beifall stoßen werden. Immerhin ist das eine politisch ehrliche Darbietung, die tiefen Einblick in die Abscheu gibt, mit der man den als behäbiges, reformunwilliges deutsches Establishment wahrgenommenen Teil der Bevölkerung betrachtet.
Motto: „Mach kaputt, was dich kaputt macht“
Annette Lober (Drehbuch) und Regisseur Didi Danquart toben in diesem Sonntagskrimi ganz offensichtlich ihren Unmut angesichts geburtenstarker Jahrgänge aus, die meinen, ihren bescheidenen Wohlstand in den Vorstädten, weit weg von einer neuen Modernität, auf ganz banale Weise genießen zu können. Auch wenn sich das unter mechanischer Zelebrierung klassischer Tischkultur und hinter verglasten Eingangstüren mit schmiedeeisernen Ranken abspielt, vor der wohl scheußlichsten 70er-Jahre Tapete, die man finden konnte (Szenenbild Irene Piel).
Um den frühpensionierten Finanzbeamten Gustav Schaub (Bruno Cathomas) vor seinem gewaltsamen Ableben nochmal in maximal altbackenem Licht darzustellen, wird er in ein paar Fischerhosen mit Knöchelhohen Socken und Sandalen gesteckt. Seine Frau Emilia „Emmi“ (Judith Hofmann) ist eleganter gekleidet, steht aber unterm Pantoffel des Patriarchen, wegen dessen Allergie sie sich das „immer schon gewünschte“ Kätzchen verkneifen musste.
Nightmare on Emil-Nolde-Ring, Frankenthal
Sohn Mike Schaub (Jeremias Meyer) will den Eltern vor ihrer Abreise in den Wohnmobilurlaub noch schnell seine neue Freundin Nisha Nevarin (Amina Merai) vorstellen. Blumen und ein „anti-allergisches“ Kätzchen sollen als Mitbringsel die Stimmung aufhellen. Das gelingt nicht, schon weil der Herr Papa mit seinem Genörgel und forschenden Fragen zu den beruflichen Aussichten für Anspannung sorgt. Er gibt Nisha, die er ungefragt duzt, schon bei der frostigen Begrüßung nicht die Hand und bezeichnet Mikes Graffiti-Kunstwerke als „Geschmiere“. Nimmt keine Notiz von Nishas karitativem Einsatz in einer kirchlichen Suppenküche für „Leute, die wirklich Hunger haben“ (wie später gezeigt wird, für arme deutsche Alte) und reagiert pikiert auf die Information, dass ihre Mutter Shirin 1979 vor dem Shah-Regime aus Persien geflohen war und anschließend ebenfalls in einem Finanzamt gearbeitet habe. Der Herr des Hauses, so erfährt man, vergiftet schon mal den Hund des Nachbarn mit Schlaftabletten, nur weil der sein Häufchen nicht korrekt gesetzt hat.
Mike angesichts der toten Eltern: „Jetzt müssen sie weg“
Als ihr Bub die Nachricht verkündet, dass die Beiden demnächst heiraten wollen und die Schaubs Großeltern würden, dreht der rüstige Rentner vollends durch und will Nisha aus dem Haus werfen, schreit, „bis wir aus den Ferien zurück sind, ist dieses Kind abgetrieben… es gibt eh zu viele davon!“. Er versteigt sich auch zu rassistischen und ausländerfeindlichen Parolen: „ihr seid damals übriggebliebener Schrott von 1979, ihr verfluchten Wirtschaftsflüchtlinge…Abfall, der sich hier eingenistet hat…unser Leben beschmutzt und unsere Ruhe stört!“
Als er Nisha ins Gesicht schlägt, ist es mit ihrer Contenance vorbei, sie schnappt sich einen Schürhaken und streckt den Schwiegervater in spe mit einem einzigen Schlag nieder. Als Emmie sich auf ihren Mann wirft und laut um Hilfe bzw. nach der Polizei ruft, mit dem Zuchthaus droht, schlägt das Pärchen auch sie tot. Das Vorortgrauen setzt sich bei den üblichen Verdächtigen fort.
Die Schnapsdrossel
Natürlich bleibt so ein Geschrei in einer Vorortsiedlung nicht unbemerkt, wo man schon „wenn es nach verbranntem Plastik riecht, die Polizei ruft“ (Grund, warum die Täter die Beweisstücke nicht verbrennen, sondern vergraben). Gerlinde Wagner (Anna Stieblich) pflegt ihre demente Mutter schräg gegenüber und wählt nach dem, was sich für sie eher wie das „Schlachten einer Sau“ angehört habe, den Notruf. Die beiden alarmierten Streifenbeamten sind maximal bräsig, bezichtigen die alte Dame, die dem Kirschlikör nicht abgeneigt ist, schon an der Tür, „ein Gläschen zu viel getrunken zu haben“ und machen sich bald, ohne groß ermittelt zu haben, davon.
Der halbe Reichsbürger von der Stasi
Der füllige Erwin Ramthor (Wolf Bachofner), Kfz-Schlosser im Ruhestand, ist der direkte Nachbar zur Linken der Schaubs. Er hat einen Überwachungsfimmel, möglicherweise seit ihm die Behörden Waffenbesitzkarte und Jagdschein nach „Beschwerden“ mitsamt Gewehr und der Kriegswaffe seines Vaters, die für ihn einen „hohen emotionalen Wert habe“, abgenommen haben. Nun steht er nachts am Fenster und wedelt mit seinem Abhörgerät in der Gegend herum.
Mit der Polizei hat er es nicht so, dort ist er „als Selbstverwalter registriert, was fast so schlimm sei, wie ein Reichsbürger“. Daher verwundert es auch nicht, dass er, während Mike seine toten Eltern im Wohnmobil entsorgt, im Garten der Schaubs plötzlich vor Nisha steht und mutmaßt: „Du bist nicht von hier. Fremde, Ausländer, Migranten, sehen alle gleich aus“. Nisha weiß jetzt, was sie von ihm zu halten hat: „kranker Typ, Bastard“. Wie zur Bestätigung hetzt Erwin seinen Schäferhund „Fritz“ auf das arme Kätzchen, das Gustav auf der Terrasse ausgesetzt hatte. Als der Hund mit der Katze im Maul zurückkommt, lobt ihn der ebenso leger wie sein (nun toter) Nachbar Gekleidete: „Ja, braver Hund!“
Auch Mike kann sich über Erwin nur wundern, der auf die Frage, aus welchem Jahrhundert er denn sei, entgegnet, „aus dem Richtigen“. Erwin ist aber auch nicht von Vorgestern, und als die beiden Elternmörder im Garten einen Teich ausheben, zieht er vor dessen Befüllung noch die dort versteckten blutbefleckten Gummihandschuhe des Pärchens heraus.
Die Polizei: Langsam wie Erwins Kuckucksuhr, taub wie sein ausgestopfter Vogel
Gerlinde Wagner hat sich nun doch noch ein Herz gefasst und ist mit ihren Sorgen um das Wohl ihrer Nachbarn („das sind anständige Leut“) direkt zur Mordkommisson gegangen. Kriminalassistentin Mara Hermann (Davina Chanel Fox, spricht als Einzige im Team mit Pfälzer Dialekt) ist verzweifelt, die „lasst sich eifach ned abwimmle“. Die so nun doch noch in dem Kriminalfall angelangte Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) geht nicht auf Erwins unmoralisches Angebot ein, ihm seine WBK gegen Beweismittel in dem Fall zurückzugeben. Trotzdem überlässt er ihr die zwar gut ausgewaschenen, aber trotzdem mikroskopisch kleine Blutspuren enthaltenden Gummihandschuhe aus dem Gartenteich.
Unerträglich langsam ermittelt die Ludwigshafener Behörde, man hat Zeit für Gymnastik vor dem Präsidium. Bis allerdings etwas Greifbares herauskommt, sind die beiden Verdächtigen schon zwei Todesfälle weiter. Erwin Ramthor versucht, mit seinem Wissen Zärtlichkeiten von Nisha „Kulleräuglein“ zu erpressen, worauf die ihn mit einer Spritze tötet. Wenig später verliert sie ihr Baby.
Gut möglich, dass bei diesem Tatort der Fall von Jens Soering und Elizabeth Haysom Pate stand, der im deutschen Fernsehen eine gewisse Berühmtheit erlangt hat. Die beiden wurden wegen gemeinschaftlichen Mordes an den Eheleuten Haysom verurteilt. Was genau geschah, wird sich wohl nie klären lassen.
Um einiges abgebrühter als Jens und Elizabeth, die damals Hals über Kopf flohen, sind Mike und Nisha. Nicht nur entsorgt Mike kaltblütig die Leichen seiner Eltern im Kreislauf erneuerbarer Energien durch Versenken in einer Biogasanlage und kehrt dann an den Tatort zurück, um die Geschichte von den im Urlaub Verschwundenen zu spielen, er bedeckt in aller Seelenruhe die Blutflecken an einer Schiebetüre mit einem gesprayten Kunstwerk.
Seine Komplizin plündert den Kleiderschrank der erschlagenen Schwiegermutter und beide nächtigen im Ehebett der Ermordeten. Hier gibt es kein „dunkles Geheimnis zu lüften“ wie Kommissarin Johanna Stern (Lisa Bitter) andeutet – mit gradliniger Polizeiarbeit wäre nicht zuletzt der augenzwinkernde Sprung der Beiden „was für ein Trip!“ in den Selbstmord von der Ludwigshafener Hochstraße zu verhindern gewesen.
Der Schlussakkord, demnach Gustav Schaub der Vater von Nisha (hatte eine Affäre mit deren Mutter im Finanzamt, zahlte ihr Alimente) ist, die beiden Verlobten also blutsverwandt sind und die ablehende Haltung des alten Schaub der Verbindung gegenüber somit handfeste Gründe hatte, geht komplett unter.

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Liebe Drehbuchautoren, liebe Regie, liebe Schauspieler: Ich würde mich schämen, mit solch einem Schmonz mein Geld zu verdienen. Aber ich weiß, Ihr findet Euch dabei noch großartig.