DER SPIEGEL will sich gesund schrumpfen

Der Marktanteil der alten Medien ist nicht vergrößerbar. Selbst der starke SPIEGEL ist in der Krise; die Antwort ist sparen. Aber das ist noch kein Plan. Kann es überhaupt einen geben?

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Dass der Spiegel-Verlag 150 von knapp 730 Stellen einsparen will und 16 Millionen Euro bis 2018, beleuchtet die Lage der alten Medien exemplarisch. Auch in der Auflage: Gut 830.000 Exemplare verkauft das gedruckte Magazin aktuell durchschnittlich von jeder Ausgabe, davon gehen 250.000 Hefte im Einzelverkauf weg. Vor zehn Jahren lag der Gesamtverkauf noch bei über 1,1 Millionen Exemplaren und über 480.000 im Einzelverkauf abgesetzten Ausgaben. Beim Nachbarn, beim STERN, sind die Zahlen noch schlechter und in Berlin, der neuen Focus-Bleibe, noch mal schlimmer. Aber einfallsreicher ist der SPEGEL auch nicht.

Denn was der Verlag über seine Pläne in der Sache verlauten lässt, folgt offensichtlich keiner Strategie, sondern dem Verfahren Trial and Error: Ausprobieren. Das muss nicht falsch sein, zeigt aber, dass selbst ein Haus wie der Spiegel seinen Platz im Digital-Zeitalter nicht gefunden hat: weder auf Papier noch digital. Das Experiment, den Erscheinungstag vom Montag auf den Samstag vorzuverlegen oder gelegentlich auf den Donnerstag hat keine neuen Leser gebracht. Diese Leser wollen keine Tageszeitung, und schon gar keine, die nur einmal in der Woche nach Aktualitätslage erscheint. Der Wert des SPIEGELS ist ja nicht Tagesaktuakutalität, sondern Hintergrund. Passen die neuen Ideen zu den alten Werten?

Anzeigenmarkt statt Journalismus entscheidet

Regionalseiten wird der Spiegel in Nordrhein-Westfalen testen. Wie bitte? Ich kaufe oder abonniere in Köln doch keinen Spiegel, um zu erfahren, was in NRW los ist. Gibt es irgendein relevantes Thema, dessen Hintergründe nur NRW-spezifisch wären, das nicht den Blick über ein Bundesland hinaus erfordert, ja, meist über die deutschen Grenzen hinweg? Ich wette, hinter dieser Regionalisierung steckt kein journalistisches Konzept, sondern nur ein Anzeigenmarkt. Bis die Anzeigen-Kunden merken, dass Inserieren in einem NRW-Teil des Spiegels nichts bringt, dauert nur eine Anzeigen-Saison.

Der digitale „Spiegel International“ soll im ersten Halbjahr 2016 erweitert werden: Zugleich gibt es dann den englischsprachigen Service nur noch gegen Bezahlung. Leute, die sich dafür interessieren, können nur aus dem Bestand der (immer noch) treuen Spiegel-Leser kommen. Wer außerhalb des Stammpublikums wird den Spiegel thematisch international konsultieren statt seit Jahrzehnten führende internationale Titel aus London und den USA? Den Stammlesern wird der Spiegel wohl nicht zusätzliches Geld abnehmen wollen? Kurzum, bei dieser Operation warten rote Zahlen, keine schwarzen.

Das Daily machen schon Zeitungen

„Spiegel Daily“ kündigt das Hamburger Medienhaus als digitales, täglich „kuratiertes“  Nachrichtenangebot an: Warum nennt der Verlag das nicht einfach digitale Tageszeitung?  Diesen Eindruck macht das Wochenmagazin ohnehin jetzt schon oft. Sollte der Verlag wirklich glauben, er kann mit weniger Leuten ein Weekly und ein Daily machen, zwischen denen die Strukturen auch noch verschwimmen? Das machen doch schon zu viele Portale, die Tageszeitungen ohnehin. ARD und ZDF auch. Nachrichten sind heute Billigware. Ich nehme das eher als Beleg dafür, dass ein ziemlich unausgereiftes Experiment beginnt.

Kuratieren hieß früher im Kultur- und Kunstbetrieb, eine Ausstellung zu organisieren. Die herkömmliche Arbeit von Redakteuren und Redaktionen ist auswählen und aufbereiten. Ist Kuratieren etwas anderes? Ich denke ja. Zum Kuratieren brauche ich im Verlag selbst und beim Medium in letzter Konsequenz keine Journalisten mehr, also keine Leute, die selbst schreiben, aber auch keine Redakteure. Ich brauche nur noch Kuratoren, die aus dem „Content“, den Journalisten in „Recherche-Pools“ und anderen schon jetzt oder später outgesourcten Unternehmen und/oder als Freelancer gegen Hungerpreise schreiben, kuratieren. Solche Kuratoren schreiben nicht selbst, sind aber perfekt darin, den kuratierten Content als Werbe-, PR- und Product-Placement-Umfeld richtig zu platzieren.

Der einst – nicht zuletzt politisch – einflussreiche Beruf der Setzer fiel dem Digitaldruck zum Opfer, nun steht Redakteuren und Redaktionen das gleiche Schicksal bevor. Sie verlieren ihre Makler-Rolle zwischen Autor und Verlag oder Herausgeber. Wer im Spiegel-Verlag und in allen anderen Verlagen weiß das und sagt es bloß nicht? Positiv gewendet werden in der neuen Kommunikationswelt die Autoren Direktvermarkter. Braucht es dann noch Verlage? Nein, Plattformen im Internet brauchen keine Verlags-Häuser im mehrfachen Sinne.

Vielleicht ist „Spiegel-Daily“ das einzige Projekt mit Zukunft – mittelfristig. Wenn Spiegel Daily einen kompakten Überblick gibt und mit ausreichend Hintergrund einordnet, kann er seine Kern-Leser – eine sprachliche Anleihe bei Kern-Wählern von Parteien – halten und vielleicht maßvoll ausbauen. Kernwähler unterschied vor etlicher Zeit eine Parteienstudie von Stammwählern so: Stammwähler machen ihr Kreuz nie wo anders als bei „ihrer“ Partei. Aber Stammwähler gehen nicht jedes Mal sicher zur Wahl: Das tun nur Kernwähler, die also eine Teilmenge der Stammwähler sind.

Jubel nur beim ManagerMagazin

Der Spiegel und andere klassische Medien haben Stammleser – zahlenmäßig abnehmend wie bei den Stammwählern der Parteien. Die Kernleser, die ebenfalls weniger werden, sind die zahlenden Leser – ob als Abonnenten oder Einzelkäufer, Print und Online. Dadurch, dass der Spiegel seine Online-Angebote Stück für Stück zahlpflichtig machen will, kann er seine Einnahmen nicht steigern. Sein Marktanteil ist ebenso wenig nachhaltig vergrößerbar wie der aller klassischen Medien.

Nicht das erste Mal sagt meine Nase, dass aus dem parallelen Kundenschwund bei klassischen politischen Parteien und klassischen Medien etwas in neuem Gewande wieder auferstehen kann: nicht simpel Parteizeitungen, aber politische Richtungsportale. Seit fast alle großen Medien in einem Stream paddeln, den sie  gemeinsam zum Main machten, ist auch der Spiegel austauschbar mit ZEIT, STERN, SÜDDEUTSCHER oder zunehmend der FAS. Das Alleinstellungsmerkmal fehlt. Früher oder später wird es sich ändern. Das zum SPIEGEL gehörende MANAGER MAGAZIN freut sich, dass es nach dem vollendeten Schrumpfprozess bei CAPITAL und dem sich beschleunigenden Relevanzverlust bei der Wirtschaftswoche das letzte verbleibende relevante Wirtschaftsmagazin wird: Ganz ohne eigenes Zutun wird es so vom Kostgänger zu einer Säule des Gesamtverlags. Fortune braucht man, und im Geschäft ist das oft das Versagen der anderen. So leicht wird es im breiteren Feld nicht abgehen – elektronische Konkurrenten entstehen, die die Lücken vorweg nehmen und besetzen.

Ob die neue Differenzierung nach den Leserbedürfnissen alte Verlage machen oder neue Internet-Unternehmer oder beide in einem vielleicht sogar Qualitäts-steigerndem Wettbewerb? Wir werden sehen. Gegen den Erfolg beim SPIEGEL spricht: Die alten Verlage sind in alten Kostenstrukturen verhaftet und gelähmt mit Betriebsräten und Gewerkschaften, die sich zurücksehnen nach den golden Zeiten fetter Gewinne. Starke Verleger und pointierte Chefredakteure sind Mangelware; Verwalter prägen keine Medien. Das macht es neuen Konkurrenten leichter.

Ich weiß nicht, wer es beim Spiegel und den anderen weiß, aber ich zweifle nicht daran: „Verlegen“ ist im Kommunikationsmarkt von morgen eine Nischenbranche.

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