Deutschland, diversissimo

„Diversity Wins“ – unter dieses Motto stellte die deutsche Nationalmannschaft ihren Auftritt bei der Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar. Nach zwei Vorrundenspielen ohne Sieg – 1 : 2 gegen Japan und 1 : 1 gegen Spanien – ist das Lob der Diversität verstummt.

IMAGO / HMB-Media

Der Spruch „Diversity Wins“ auf dem Airbus der Lufthansa, mit dem die deutsche Mannschaft am 14. November in das Trainingslager nach Oman (nicht direkt nach Katar) flog, stammt weder vom DFB (Deutscher Fußball-Bund) noch der Lufthansa. „Diversity wins“ lautet der Titel einer 2020 von der Unternehmensberatung McKinsey veröffentlichten Studie, die zeigen will, dass Firmen mit hoher Diversität in Führung und Belegschaft erfolgreicher sind als personell homogene. Stimmt das? Wie dem auch sei, für McKinsey hat sich die Studie gelohnt: Der Beratungsbedarf in Sachen „Diversity Management“ ist enorm gestiegen.

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Aber wie misst man „Diversität“? Für die Natur (Biodiversität) ist das relativ einfach: Man zählt die Arten und vergleicht das aktuelle Ergebnis mit dem früherer Jahre. Die Tendenz ist eindeutig: Die Artenvielfalt nimmt ab. Das gilt auch für Kulturpflanzen: Zum Beispiel gibt es von ehemals 2.092 Apfelsorten in Bayern heute nur noch 647, und von diesen kommt nur ein Dutzend in den Supermarkt.

Auch die Sprachenvielfalt – derzeit werden weltweit rund 6.000 Sprachen verwendet – ist rückläufig: Es gibt ein „Sprachensterben“, das auch im deutschen Sprachgebiet zu beobachten ist, nämlich an den Dialekten. Sprachen verschwinden nicht plötzlich, sondern nach einer Entwicklung, in der die Sprache immer mehr kommunikative Funktionen verliert: Einen solchen Funktionsverlust erleidet im internationalen Kontext auch die deutsche Sprache, die hier von vielen Muttersprachlern durch Englisch ersetzt wird: Deshalb steht auf dem Flugzeug der deutschen Nationalmannschaft nicht „Vielfalt gewinnt“, sondern „Diversity Wins“. Sprachliche Diversität zu zeigen (man hätte die Beschriftung des Flugzeuges ja zweisprachig gestalten können), ist kein Anliegen von DFB und Lufthansa.

Kulturelle Vielfalt wird seit der Antike beschrieben und machte schon immer den Reiz des Reisens aus. Im 1813 erschienenen Buch „Über Deutschland“ (De l’Allemagne) der Schriftstellerin Madame de Staël beginnt das Kapitel „Über die Sitten und den Volkscharakter der Deutschen“ mit der Feststellung: „Die Unterschiede (les diversités) in diesem Land sind derart, dass man nicht weiß, wie man seine verschiedenen Religionen, Regierungsformen, klimatischen Verhältnisse und Völker auf einen gemeinsamen Begriff bringen kann.“

Madame de Staël beschrieb das alte, vornationale und konfessionell geteilte Deutschland mit Preußen und Österreich als Großmächten und einer Vielzahl von Kleinstaaten und Herrschaften. Die damaligen Diversitätsfaktoren christliche „Konfession“ (evangelisch oder katholisch) und regionale „Stammeszugehörigkeit“ (Franken, Schwaben, Bayern, Sachsen usw.) spielen in der heutigen Diversitätsdebatte keine Rolle mehr. Das war in der frühen Bundesrepublik noch anders: Die Kabinette von Bundeskanzler Adenauer (1949-1963) wurden nach Partei-, Konfessions- und Regionalproporz besetzt.

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Die Rückkehr der Binde
Sind „Proporz“ und „Diversität“ politisch dasselbe? Im Ergebnis ja, aber während der Proporz nur eine soziale Spielregel war, gilt Diversität als moralisches Gebot, das überall befolgt werden muss – auch im Fußball. „Diversity wins“ ist allerdings keine empirisch beweisbare Tatsachenaussage, sondern ein Glaubenssatz. Beim Spiel Deutschland gegen Japan ging dieser Glaube nicht in Erfüllung: Beide Mannschaften bestanden aus gesunden jungen Männern (Durchschnittsalter: 27 Jahre), die Diversitätsfaktoren Behinderung, Alter und Geschlecht konnten hier also nicht wirken.

Die Diversität lag in der ethnischen Herkunft: Von den jeweils 16 eingesetzten Spielern hatten bei den Deutschen sechs einen Migrationshintergrund, bei den Japanern keiner. Das ethnisch diverse Team der Deutschen gewann aber nicht, sondern verlor, und erreichte auch gegen die ethnisch wenig diversen Spanier (1 Spieler mit Migrationshintergrund) keinen Sieg.

Fazit: Im Fußball gilt eher „Diversity doesn’t matter“ (Diversität ist gleichgültig) als „Diversity wins“. Um noch ins Achtelfinale zu kommen, braucht die Nationalmannschaft (undiverse) „deutsche Tugenden“ und, vor allem, Glück.

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Kommentare ( 37 )

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Silverager
1 Jahr her

Richtig. Auch die Flüssiggaslieferungen müssten wegen der Klimaneutralität von Segelschiffen angeliefert werden. ?

Rainer Schweitzer
1 Jahr her

Die Idee bei McKinsey ist, daß Menschen mit unterschiedlichem soziokulturellen Hintergrund Probleme unterschiedlich angehen, „diverse“ Arbeitsgruppen also potentiell besser eine Lösung für ein gegebenes Problem finden, weil ihr Repertoire an möglichen Lösungswegen größer sei. Der gleiche Effekt wird in homogenen Arbeitsgruppen jedoch erreicht durch Motivation, Engagement, Kreativität, Bildungshorizont und Intelligenz und das bei potentiell geringeren Reibungsverlusten. Entscheidend ist nicht, ob in einer Arbeitsgruppe auch Schwarze und Latinos vertreten sind, also die „Quote“ erfüllt wird, sondern nach welchen Kriterien die Mitglieder ausgesucht werden. Im Gegenteil die „Quote“ ist ein Killer. Im Fußball gilt genau das Gleiche. Die McKinsey-Studie ist das Musterbeispiel… Mehr

Micha.hoff
1 Jahr her

In meinem (gut)bürgerlichen Umfeld kenne ich wirklich niemanden, der diesen Schwachsinn gut findet. Das sind ausgelebte Machtphantasien verblendeter Ideologen und Geschäftemachern mit ein paar Mitläufern, die allerdings das Wohlwollen der Mainstreammedien und damit deren Reichweite genießen. Wer „Moral“ sagt will betrügen.

Aljoschu
1 Jahr her

Diversity loses! Nicht nur auf dem Spielfeld sondern auch im realen Leben. Singuläres Beispiel in der Geschichte: Deutschland.

Kalmus
1 Jahr her

Mein Gott, ist das alles kindisch, albern, und ungezogen. Hand vorm Mund, Binde am Arm, beleidigt sein, Sprüche klopfen, Flugzeug beschmieren, als Moderator und Reporter herumzetern, mit dem Finger zeigen, den Gastgeber düpieren, Gastfreundschaft mißbrauchen… da dachte der gute Sandro Wagner, er kann im Studio einen kleinen, unpolitischen Gag loslassen – Bademäntel. Au weia. Shitstorm, betteln um Verzeihung! Weil: Keine Haltung erkennbar, deswegen falsch! Richtig: „…in ihren weißen Bademänteln, die so unschuldig aussehen, aber uns Gute nicht über die Menschenrechtsverletzungen hinweg täuschen können.“ So, Sandro!

Last edited 1 Jahr her by Kalmus
eschenbach
1 Jahr her

Da gibt es noch ganz andere Schoten, Hannibal! Sowohl Frau Ricarda Lang als auch Frau Emilia Fester haben sich als „bi“ geoutet. Ja wie sexistisch, wie menschenverachtend ist das denn? „Diversity“ im ursprünglichen Sinne -also die restlichen 684 Geschlechter -wird hier doch komplett ausgeschlossen! Also wirklich ein „No-Go“ für jeden linksgrünen Vielfalts-Maniaken…

Rainer Schweitzer
1 Jahr her

Aber wie misst man „Diversität“?  Der aus dem Amerikanischen kommende Diversitätsbegriff ist in amerikanischen Firmen sehr verbreitet. Er führt dazu, daß in Marketing- und Schulungsmaterial überall da, wo eine Gruppe Menschen abgebildet ist, immer solche mit weißer, schwarzer, brauner und gelber Hautfarbe enthalten sein müssen. Und so sollen idealerweise dann auch Arbeitsgruppen strukturiert sein. Es orientiert sich an den Verhältnissen einer Einwanderungsgesellschaft wie den USA und hat zum Ziel, Segregation und Rassismus durch formale Maßnahmen bis hin zu so etwas wie „affirmative action“ zu vermeiden. Überträgt man das nun auf andere Kulturräume, kommt man zu kuriosen Ergebnissen. Würde beispielsweise eine… Mehr

Hueckfried69
1 Jahr her

Ich erinnere mich, dass Cem Oezdemir den WM-Gewinn der Franzosen 2018 als überzeugenden Beweis für die Überlegenheit ethnisch diverser Mannschaften wertete. Er vergaß dabei zu erwähnen, dass der andere Finalist -Kroatien- ungefähr soviel „Diversity“ mitbrachte wie Deutschlands Weltmeister-Mannschaft von 1954. „Diversity doesn’t matter“ ist vermutlich treffend, wenn auch politisch unerwünscht.

Salue
1 Jahr her

Beim Anblick des Fotos sagte mein Mann, er hat gedacht, auf dem Foto sei der Gefangenenchor aus Nabucco zu sehen…

elly
1 Jahr her

Kulturelle Vielfalt wird seit der Antike beschrieben und machte schon immer den Reiz des Reisens aus. „
Reisen sollen wir aber nicht mehr, unsere Klimakids wollen das nicht.

Klaus Uhltzscht
1 Jahr her
Antworten an  elly

Reisen bildet. Das wissen auch die Kommunisten, und haben deshalb damals eine Mauer in der DDR gebaut, um Reisen und Bildung zu verhindern.
Heute tut man das durch Entzug der individuellen Mobilität (Verknappung von Autos, Veteuerung von Benzin und Bahntickets, Lockdowns und Corona-Reise-Apps).

Hueckfried69
1 Jahr her
Antworten an  elly

Wer den ganzen Kontinent mit einen Multikulti- Einheitsbrei überziehen möchte, fördert keine Vielfalt. Er schafft sie ab.