Deutsche Sprache, schöne Sprache

Das internationale Image der deutschen Sprache ist schlecht: Sie gilt als schwierig zu lernen, hart und rau im Klang, grammatisch kompliziert und stilistisch schwerfällig. Roland Kaehlbrandt, der bereits mit einem Bestseller „Die zehn großen Vorzüge unserer erstaunlichen Sprache“ vorstellte, hat nun eine ästhetische Bewertung nachgereicht.

Der kubanische Nationalheld José Martí (1853-1895), der vermutlich autodidaktisch Deutsch gelernt hatte, nannte es in einem Zeitungsartikel (1876) eine „mathematische Sprache“ (el matemático idioma alemán), die klarer sei als jede andere Sprache und unklar nur für jemand, der ihren Sprachbau nicht verstehe. Diese mathematische Struktur zeigt sich zum Beispiel in der Satzgliedstellung des Aussagesatzes: Das Verb steht immer auf Platz zwei, die übrigen Satzglieder werden darum frei gruppiert; bei drei nichtverbalen Satzgliedern ergibt das 3 x 2 = 6 Kombinationen (mit Bedeutungsnuancen): Ich gebe Dir ein Buch, Dir gebe ich ein Buch, Ein Buch gebe ich Dir usw.

Nun ist Mathematik nicht jedermanns Sache, und deshalb hatte und hat Deutsch auch den Ruf einer unklaren und verkomplizierten Sprache. Der US-amerikanische Schriftsteller Mark Twain fasste 1880 nach einer Europareise seine Erfahrungen als Deutschlerner in einem Essay mit dem sprechenden Titel „Die schreckliche deutsche Sprache“ (The awful German language) zusammen: Es gebe keine andere Sprache, die „derart ungeordnet und systemlos“ (so slip-shot and systemless) sei, und als ein Beispiel führte er die trennbaren Verben an (Morgen reise ich mit meiner Frau ab): „Kann sich jemand etwas Verwirrenderes (anything more confusing) vorstellen?“

Kaehlbrandt hat seine „Entdeckungsreise zu den Schönheiten des Deutschen“ (S. 15) in zwei Teile gegliedert: „Wie das Deutsche schön sein kann“ (S 27-124) und „Wie schön Deutsch sein kann“ (S. 127-281). Im ersten, mehr theoretischen Teil geht es um die Voraussetzungen eines schönen Deutsch, im zweiten Teil um dessen Sprachpraxis.

Was befähigt Deutsch zur Schönheit? Kaehlbrandt nennt zwei sprachstrukturelle Faktoren: Erstens der „Sprachbau“ mit seiner inneren Logik (die schon Martí rühmte) und zweitens der „Wohlklang“.  Deren richtige Anwendung ergibt einen „schönen Stil“, der – sprachgeschichtlich gesehen – durch eine „Verfeinerung des Deutschen“ sich entwickelte, bis schließlich in der Goethezeit (1770-1830) Deutsch als Kultursprache seine feste, im Wesentlichen noch heute gültige Form erreicht hatte.

Was die deutsche Sprache kann!
Eine Liebeserklärung an unsere erstaunliche Sprache
Beim „Wohlklang“ des Deutschen wird man einwenden, dass Deutsch für viele „hart“ klingt, und dafür gibt es eine phonetische Erklärung: Im Sprechfluss überwiegen nicht – wie zum Beispiel im Französischen oder Italienischen – die Vokale, also Öffnungslaute mit starker Resonanz, sondern die geräuschhaften Konsonanten. Wie hart Deutsch klingt, hängt allerdings von der Aussprache einzelner Konsonanten ab, vor allem des Zäpfchen- oder gutturalen R, das den in Hollywood-Filmen beliebten deutschen Kommandoton seine knarrende und schnarrende Lautung gibt. Allerdings wird in heutiger Aussprache das R außer im Wortanlaut oft zu einem schwachen a-Laut vokalisiert: „E-r steht vo-r de-r Tü-r“ klingt dann wie „Ea steht voa dea Tüa “ , wodurch sich das konsonantische Übergewicht stark verringert.

Die Schönheit des Deutschen zeigt sich auf verschiedenen Sprachebenen: Wort, Satz, Satzgruppe und in der Verssprache. Schöne Wörter wie „Abendhauch“ (Matthias Claudius) oder „Abendglanz“ (Goethe) sind oft Komposita (zusammengesetzte Wörter). Deutsch ist bei der Wortbildung eine ungemein kreative Sprache, nicht nur für Wortkünstler, sondern für jedermann. Schöne Sätze können im Deutschen kurz sein: „Silbern im Mondlicht schimmerte die Straße“ (Joseph Roth), mittellang oder lang, ja sogar überlang wie der Eingangssatz von Herrmann Brochs „Tod des Vergil“, der 151 Wörter zählt. Auch die Schönheit von Satzgruppen behandelt Kaehlbrandt anhand mehrerer „schöner Stellen“ aus der Literatur, um dann zur „Schönheit der Verssprache“ überzugehen, mit Beispielen, die von Klopstock und Goethe bis zur modernen Lyrik und aktuellen Poetry-Slam reichen.

„Kann man auf Deutsch singen?“, fragt Kaehlbrandt wegen dessen starken Konsonantismus. Durchaus: Die kanadische Sopranistin Brueggergosman hält Deutsch sogar „für die beste Sprache“ zum Singen, „weil die Vokale klar und rein sind und die Konsonanten knackig“. Das R ist übrigens im Kunstgesang kein Problem, es wird vorne mit der Zungenspitze artikuliert.

Nicht nur für den Gesang ist Deutsch geeignet, sondern auch als Wissenschaftssprache, für politische Rhetorik, Witz und Humor, dialektale Vielfalt und – wie alle Sprachen – „Hässliches und Vulgäres“. Jedem dieser Anwendungsbereiche ist ein eigenes Kapitel mit erläuternden Beispielen gewidmet. So wird der (Wort)witz des Deutschen anhand der mehrdeutigen Wortform heiße gezeigt: „In einer Bahnhofshalle steht ein Verkäufer und ruft: „Heiße Würstchen!“. Jemand, der eilig vorübergeht, sagt ihm: „Ist mir doch egal, wie Sie heißen.“ (S. 231)

Fazit: Ein reichhaltiges Werk, welches „das ästhetische Begabungspotential der deutschen Sprache“ (S. 269) allgemeinverständlich linguistisch begründet und durch viele treffende Beispiele anschaulich macht. Das Buch selbst ist auch „schön“ geschrieben.

Roland Kaehlbrandt, Von der Schönheit der deutschen Sprache. Eine Wiederentdeckung. Piper Verlag. 320 Seiten. 14,00 €.


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Kommentare ( 18 )

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Jens Frisch
19 Tage her

Es ist die Präzision, die Deutsch zur natürlichen Sprache der Ingenieure macht:
Das „Gasnotabsperrventil“ oder die „Kolbenrückholfeder“ sind da nur zwei kleine Beispiele.
Ansonsten waren und sind es Autoren wie Robert Musil, Stefan Zweig, Reiner Maria Rilke oder Uwe Tellkamp die unserer Muttersprache Bilder von unendlicher Schönheit entlockte:
In Tellkamps „Der Turm“ „quecksilbert das Wasser unter dem tauenden Eis“.

giesemann
19 Tage her

Mathematik ist auch nur eine Sprache, zählt daher zu den Geisteswissenschaften, ist keine Naturwissewas.

giesemann
19 Tage her

Deutsch ist auch recht phonetisch, wie der Großrusse zeigt. Wer Rußland so schreibt, der denkt vielleicht an die rußige Seele von Putin, nicht aber an Russland. Ich wollte das „ß“ nicht missen, vor allem auch nicht als Dehnungszeichen. Wenn die Schweizer das abgeschafft haben, ist das egal, die verhunzen eh alles. Finessen wie Geisel und Geißel mal weggelassen. Aber auch gut. Groß- und Kleinschreibung, unbedingt. Grammatik? Die slawischen Sprachen bieten da größere Schrecken. Eine SPO-language sind die lateinisch geprägten Sprachen allesamt nicht, warum auch, nicht nötig. Das „r“ wird kaum intoniert, außer etwa bei Hölderlin in seinem Gedicht “ …… Mehr

Jens Frisch
19 Tage her
Antworten an  giesemann

Die Schweizer haben das „ß“ abgeschafft?
Dann haben die ja keinen „Fuuußball“ mehr sondern nur „Fussball“!

K.Behrens
19 Tage her

Man kann alles wunderbar umschreiben, selbst den britischen Humor noch schwärzer gestalten. Man warte auf die nächste Ansprache des derzeitigen Mieters aus Schloss Bellevue oder wenn der Berliner Reichstag mit leeren Stühlen glänzt, weil eine sprachlich versierte Bärbock „den Russen die Beine abhauen wollte“? Noch Fragen? Warum lernt Bärbock als Austauschülerin in New York gerade englisch? Eine eher preiswerte Variante neben all den weiteren verkommenen TiK-Tok Weibern. Wie gut, dass TE auch immer mal wieder einen Link bietet, um das Kauderwelsch in den sozialen Medien abzubilden. Was sind eigentlich im reinen Sprachverständnis „soziale Medien“?

Autour
19 Tage her

Die deutsche Sprache ist wohl eine der genauesten Sprachen, wenn nicht die genaueste der Welt.
Da kommen viele Sprachen um längen nicht mit! Dank der Vorsilben (z.B. auf-. zu-, weg-, nach-, vor-… gehen) kann man Dinge beschreiben, für die andere Sprachen ganze Absätze brauchen… und manchmal muss man ellenlang sprechen um zu begreifen was der andere eigentlich will, da es sich einzig und allein aus dem Zusammenhang erschliesst.
Wie gut man es mit dem Deutschen hat merkt man erst wenn man im Ausland lebt und dort einen präzisen Sachverhalt schildern muss…

hert
19 Tage her

Die Epizentren des GENDERNS, der POLITISCHEN KORREKTHEIT und der ANGLOMANIE sind die Unis, Teile der Medien, die Wirtschaft und übereifrige Kommunalverwaltungen. Die Londoner Times nannte die Anglomanie der Deutschen einmal treffend als „linguistic submissiveness“. Aber die Sprache ist ein wichtiges Kulturgut unseres Landes. Wer sie verändern will, der negiert gleichermaßen unsere Kultur wie unsere Geschichte und Traditionen. Ich zitiere hier einmal Madame de Stael, die sich wie folgt äußerte: »Die deutsche Sprache ist viel philosophischer als die Italienische, viel poetischer in ihrer Kühnheit als die Französische, dem Rhythmus der Verse viel günstiger als die englische«. Übrigens, die deutsche Sprache erscheint… Mehr

Dr. Thomas Schimpff
19 Tage her

Alles zutreffend.

Was mich aber in concreto nervt. War jüngst in München. Suchte einen kleinen botanischen Garten. Habe drei Passanten gefragt. Nur grosse Augen. Es dann mit English probiert. Wieder nur grosse Augen. Und ähnliche Erfahrungen in Hamburg und, besonders unangenehmer Ort, Bremen gemacht.

Apfelmann
19 Tage her

Die „Deutsche Sprache“ gibt es bald nicht mehr. Wenn ich in Bus und Bahn fahre und den Jugendlichen zuhöre verstehe ich oftmal viele Wörter nicht. Zusammenhänge ergeben sich nur aus dem Kontext. Das was wir heute oder besser gestern als „deutsche Sprache“ kannten wird es in wenigen Jahren nicht mehr geben.

PaulKehl
19 Tage her

Deutscher Wohlklang. Wunderbar , aber braucht kein Mensch. Ich bin mit Holländisch aufgewachsen. Die Grammatik lernt man in zehn Minuten. Das reicht, um Australien zu entdecken. Die Erklärung, warum das nicht gelingen konnte, weil die Erde eine Scheibe ist, erfolgt dann wieder auf deutsch.

M. B.
19 Tage her

„Die deutsche Sprache ist die Orgel unter den Sprachen.“ Jean Paul

Schöne Worte: saumselig, schlaftrunken, und so viele mehr. Auch die konkreten, die man nicht hinterfragt wie: begreifen, Erfahrung, Besitz, einen Standpunkt haben, etc. etc