Der Brückenbauer: Papst Leo XIV.

Gerade einmal drei Monate nach der Papstwahl hat Michael Hesemann eine gut recherchierte Biografie Robert Francis Prevosts vorgelegt – seine Recherche führte ihn unter anderem nach Chicago und Peru, um den Spuren des neuen Papstes vor Ort nachzugehen.

Als Robert Francis Prevost am 8. Mai 2025 die Benediktionsloggia des Petersdoms betrat, mit einem gerührten, gütigen Lächeln, aber sichtlich nervös, war die Überraschung groß: Niemand hatte mit dem Augustiner gerechnet, und nicht wenige fragten, wer das überhaupt sei, dieser erste US-Amerikaner auf dem Papstthron – und das, obwohl er als Präfekt des Dikasteriums für die Bischöfe ein hohes Amt in der Kurie innehatte.

Das Oberhaupt des kleinsten Staates und der größten Kirche der Welt weckt naturgemäß großes Interesse. Doch an dieser Stelle fordert die digitale Kommunikationsgesellschaft ihren Preis: Sie lässt uns immer weniger Zeit, Ereignisse auf uns wirken zu lassen, und Entwicklungen zu beobachten, bevor Meinungen vorgelegt, Analysen und Prognosen erstellt werden.

So überschlagen sich immer noch Vermutungen über das Wesen und die Agenda des neuen Papstes, jede Geste, jedes Wort wird gleichsam auf die sozialmediale Goldwaage gelegt und auf seine Motivation, Bedeutung und Wirkung hin abgeklopft – umso mehr, da Franziskus eine tief gespaltene Kirche und ein schwieriges, inkonsistentes Erbe hinterlassen hat, während sie global vor vielerlei Herausforderungen steht: Da sind technologische und weltanschauliche Entwicklungen, namentlich etwa KI und Transhumanismus, denen gegenüber der Mathematiker und Philosoph Prevost denkerisch und fachlich kompetent erscheint. Da sind auch Krisenherde und Kriege, zunehmende Intoleranz, grassierende Christenverfolgung aber auch eine Rückkehr der Religiosität und die Frage, wo sich Religion zwischen polarisierten politischen Strömungen zu positionieren hat.

An Leo XIV. richten sich also große Erwartungen, die unterschiedliche kirchliche Lager, aber auch die säkulare Öffentlichkeit hegen.

Mit seiner Papstbiografie legt Michael Hesemann ein Buch vor, das die Neugier auf Leo XIV. stillen soll – und das gerade einmal drei Monate nach dessen Amtsantritt. Dennoch nahm sich Hesemann die Zeit, um unter anderem in die USA und nach Peru zu reisen, um vor Ort mit Weggefährten Prevosts zu sprechen, und so eine Lebensbeschreibung vorzulegen, die sich nicht auf vatikanistisches Hörensagen beschränkt, sondern belastbare Informationen bietet.

Dass schnell gearbeitet wurde, verrät das nicht durchgängig sorgfältige Redigat – wie so häufig bei Büchern, die schnell auf den Markt gebracht werden, um eine Aufmerksamkeitswelle mitzunehmen.

Name mit Signalwirkung
Leo XIV.: Ein Löwe zwischen Tradition und Erwartungsdruck
Das ist schade, denn der Autor hat den Werdegang Leos XIV. sichtlich gründlich aufgearbeitet. Es wäre zu wünschen, dass sich diese Gründlichkeit in weiteren Auflagen auch in der Aufbereitung zeigt.

Bevor Hesemann auf Herkunft und Leben des Papstes eingeht, lässt er das Konklave und die vorangegangenen Pontifikate von Benedikt XVI. und Franziskus Revue passieren. Denn um die Rolle und Position des jetzigen Papstes zu verstehen, ist es sinnvoll, die Ausgangslage zu beschreiben, in die das neue Pontifikat hineintritt.

Besonders interessant sind für den Leser sicherlich die Ausführungen zum Ablauf des Konklaves. Die Papstwahl ist ein geheimnisumwittertes Prozedere. Hesemann beschreibt nicht nur den Ablauf, er lässt den Leser sowohl die politische, vor allem aber die spirituelle Dimension dieses Geschehens erahnen. Denn insbesondere in Bezug auf das Konklave nach dem Tod von Papst Franziskus hatte die Polarisierung innerhalb der Kirche dazu geführt, dass der Eindruck entstand, beim Konklave ginge es vor allem um politische Ränke und um ein Ringen zwischen dem „traditionellen“ und dem „progressiven“ Lager – als seien mit zwei derart klar abgegrenzten Gruppen die innerkirchlichen Positionen genügend beschrieben. Eine solche Vereinfachung lässt nicht nur außer Acht, dass bei Kardinälen aus allen Erdteilen und von unterschiedlichster Herkunft eine Diversität besteht, die sich durch derartige Schemata nicht abbilden lässt; sie vergisst vor allem auch, dass die Kirche die Papstwahl als geistlichen Prozess betrachtet, in dem der Heilige Geist ein Wörtchen mitzureden hat.

Hesemann bringt diese Dimension glaubwürdig zum Ausdruck.

Anekdotische Episoden zu den vorangegangenen Pontifikaten bieten auch dem kirchlich nur bedingt informierten Leser knappe Einordnungen, die erleichtern sollen, die Bedeutung der Papstwahl im Mai 2025 zu verstehen.

Dabei fällt allerdings die Analyse des Pontifikats von Papst Franziskus eher fragwürdig aus – wenn es etwa heißt, Franziskus sei weder Traditionalist noch Modernist gewesen, sondern Purist, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Tatsachen der Prägnanz des Ausdrucks geopfert wurden. Zumal die Ausführungen Hesemanns mehr als deutlich machen, dass „Purist“ eine denkbar ungeeignete Beschreibung eines Papstes ist, der sich zwar als Papst der Einfachheit inszenierte – und sich sicher auch selbst als solcher sah –, der aber zum Beispiel Mehrkosten und großen Aufwand in Kauf nahm, um nicht im päpstlichen Palast zu wohnen, sondern im vatikanischen Gästehaus; oder der gemeinschaftliche Entscheidung propagierte, dann aber mit Alleingängen „durchregierte“. Da Hesemann diesen Mangel an Konsequenz und Kongruenz selbst beschreibt, wirkt die Schlussfolgerung bemüht und wenig überzeugend.

Generell sticht das Bedürfnis hervor, die detailreichen Ausführungen zuletzt in Schlagworte zu fassen, die dann das zuvor Beschriebene nur unzureichend wiedergeben – etwa der Drang, Päpste in archetypischer Weise einzuordnen, anstatt ihre Facetten und vielleicht auch Widersprüchlichkeit unkommentiert stehen und wirken zu lassen.

Der Detailreichtum aber ist es gerade, der diese Biografie auszeichnet: Durchgängig nutzt Hesemann jeden sich bietenden Anknüpfungspunkt, um dem Leser historische Gegebenheiten und Anekdoten nahezubringen. Exkurse über die Entstehung des „Heiligen Jahres“, die Auffindung des Kreuzes, ein Marienbild von besonderer Bedeutung, aber auch über den Namen der Stadt Chicago oder die Geschichte Perus; über den heiligen Augustinus oder auch Leo XIII. bieten eine riesige, aber nachvollziehbar und gut strukturierte, nie wahllose Vielfalt von Aspekten (nicht nur) der Kirchengeschichte, und das auf abwechslungsreiche Art und Weise.

Zum 70. Geburtstag
Papst Leo XIV. – Geboren im Zeichen des Kreuzes
Angesichts der Kürze des Pontifikats ist eine belastbare Analyse noch nicht möglich. Allerdings wurden einige entscheidende Parameter schon kurz nach der Papstwahl sichtbar und wurden auch entsprechend rezipiert und von verschiedenen Vatikan- und Kirchenkennern übereinstimmend analysiert.

Diesen schließt sich Hesemann an, wenn er Papst Leo XIV. primär als Brückenbauer charakterisiert, der innerkirchlich versöhnlich und versöhnend nach Ausgleich strebt, und nach außen hin die brennenden Themen unserer Zeit zu kommentieren sucht.

Von dieser grundsätzlichen Einsicht aus widmet er sich den Vorfahren Robert Francis Prevosts, und fördert zunächst eine verblüffende und außergewöhnliche Familiengeschichte zutage, die erahnen lässt, dass die Intuition vieler Gläubiger, die den Papst als „den“ Papst für unsere Zeit betrachten, wahrscheinlich richtig liegt: Da ist zum einen die typisch amerikanische Ahnenreihe, die sich aus Menschen verschiedenster Provenienz zusammenfügt, und italienische, französische, karibische und kreolische Wurzeln aufweist: Dies lässt ein tiefes Verständnis für den modernen, von Mobilität, aber auch Wurzellosigkeit und der Suche nach Rückbindung geprägten Menschen vermuten. Da wäre aber auch das enge Verhältnis zu den Geschwistern, und die prägende Persönlichkeit der Mutter, eine überaus fromme, zugleich jedem Klischee widerstehende Frau.

Familiäre Wurzeln, die den Papst geradezu dazu prädestinieren, Probleme unserer Zeit wie Bindungslosigkeit, den Niedergang der Familie oder den unzureichenden Ersatz zwischenmenschlicher Kontakte durch eine digitale Parallelwelt anzusprechen, und Phänomene wie die durch sozialmediale Verkürzung bedingte Rückkehr des Stereotyps und des Schubladendenkens zu durchbrechen.

Nach Kindheit und Jugend in Chicago widmet sich Hesemann in folgenden Kapiteln dem Berufungsweg Prevosts und dem Eintritt in den Augustinerorden, der bewegten und ereignisreichen Tätigkeit als Missionar, die Prevost ganz maßgeblich prägte, sodann dem Wirken als Generaloberer, und schließlich der Berufung ins Bischofsamt und der Ernennung zum Kardinal, um mit dem Kapitel „Der Brückenbauer“ und einem Epilog zum einen den Bogen zurück zum Beginn des Buches zu schlagen, und andererseits den einen oder anderen – notgedrungen glaskugelhaften, aber doch auf handfesten Beobachtungen beruhenden – Blick in die nähere Zukunft zu werfen, was bestimmende Themen der Weltkirche betrifft, etwa das Verhältnis zur Orthodoxie.

Durchweg kommen dabei Menschen zu Wort, die Prevost an verschiedenen Stationen seines Lebens kennengelernt und begleitet haben – wertvolle und einzigartige Einblicke, die den Reiz des Buches zu einem gewichtigen Teil ausmachen.

Gerade auch in Anbetracht der Kürze der Zeit ist erstaunlich, wie viele Details Michael Hesemann versammelt. Der Autor schafft hier zugleich weniger und mehr als eine Biografie. Weniger, weil das Pontifikat Leos gerade erst angebrochen ist, aber natürlich ein entscheidender Bestandteil seiner Lebensgeschichte sein wird – ohne dass dies jetzt schon ausreichend gewürdigt werden könnte.

Mehr, weil hier zahllose Aspekte – auch eigenwilligere – der Glaubens- und Lebenswelt der Kirche anschaulich, spannend und mit Lust am Detail einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Ohne dass es sich um ein geistliches Buch handelt, wird der katholische Leser seinen Glauben gestärkt, und sein Gespür für die Schönheit der Kirche sensibilisiert finden – während den nichtkatholischen Leser Einblicke in ein unbekanntes und erstaunliches Universum erwarten.

Und in jedem Fall wird man nach der Lektüre Robert Francis Prevost, Leo XIV. mit anderen Augen sehen – und umso interessierter und anteilnehmender mitverfolgen, wie er das Schiff der Kirche durch bewegte Zeiten steuern wird.

Michael Hesemann, Leo XIV. Papst und Brückenbauer. Die Biographie. LMV, Hardcover mit Schutzumschlag, mit zahlreichen Farb- und Schwarz-weiß-Fotos, 320 Seiten, 24,00 €.


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Kommentare ( 8 )

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KorneliaJuliaKoehler
24 Tage her

Ein Papst, der einen Eisblock segnet?
Da kann man nur noch den Kopf schütteln!
Eine bessere Symbolik, einen schmelzenden Eisblock, für den Untergang der römisch-katholischen Kirche gibt es nicht.

Nibelung
24 Tage her

Mittlerweile besser den sündigen Laden in Rom abschließen und zum grünen Glauben umsatteln, den zu mehr taugen sie nichts und mit dieser traurigen Erkenntnis kann man gedankliche Erinnerungen an frühere Tage als weiteres Kapitel des eigenen Lebens abschließen und der ganze Verrat an der göttlichen Autorität hat doch schon vor 2000 Jahren begonnen und befindet sich im Endstadium, wo nichts mehr zu retten ist. Die noch vorhandenen Gläubigen sind aus der fehlenden Intelligenz heraus nicht in der Lage diesen Zustand zu begreifen und immer noch glauben, da sitzen gottesfürchtige Männer, was sich seit einigen Jahrzehnten bereits überholt hat und das… Mehr

Haba Orwell
25 Tage her

> Da sind auch Krisenherde und Kriege

Der Franzose Todd meint, für Kriege seien grundsätzlich eher Protestanten als Katholiken zuständig: https://tkp.at/2025/11/19/die-verschiedene-auspraegung-von-russophobia-bei-protestanten-und-katholiken/

> „… Was wir in letzter Zeit in Europa beobachten können, ist eine spezifisch europäische Russophobie, eine spezifisch europäische Kriegstreiberei, die sich auf Nordeuropa, auf das protestantische Europa konzentriert. … Das protestantische Europa umfasst das Vereinigte Königreich, den größten Teil Deutschlands, Skandinavien und zwei der drei baltischen Staaten. …“

Wenigstens etwas Trost, allerdings mit einem Gegenbeweis – katholisches Polen agiert gerade stark bellizistisch. Vielleicht nur verbal?

Walter81
25 Tage her

Chicago, das ist doch die Marxistenhochburg, welche täglich mehrere Mordfälle durch Bandenkriege zu verzeichnen hat. OBAMA wurde dort groß.

Ein S-hole, wie Donald Trump sagen würde.

Marc Greiner
25 Tage her

Ein Papst der einen Eisblock segnet hat schlicht nicht alle Tassen im Schrank, oder er ist ein feiger Oportunist. In beiden Fällen Prädikat „unbrauchbar“.

Walter81
25 Tage her
Antworten an  Marc Greiner

Die moderne Kirche glaubt an Penunzen und Sodomie. Was wundert Sie also ?

Haba Orwell
25 Tage her
Antworten an  Marc Greiner

Wenn es tröstet – evangelisch-lutherisches Island hat gerade dem Klima den Krieg erklärt: https://tkp.at/2025/11/19/island-macht-klima-zur-sicherheitsbedrohung/

Wenn die sich auf den Punkt 5 des NATO-Vertrags berufen, müssen Sie in die Bunteswehr eingezogen chinesische und indische Kohlekraftwerke stürmen.

Montesquieu
25 Tage her

Solche katholische Protagonisten leeren auch die Kirchen in Deutschland. Der Vatikan sollte zur sozialistischen Exklave für alle Menschen umgewidmet werden, die neu dabei sind. Der Platz reicht, Geld ist vorhanden und die von Gott erleuchteten können sich göttlich betätigen. Klappe zu.