Bettina Röhl über die Bundesrepublik im Rausch von 68

68 ist zur »Leitkultur« des Westens geworden. Aber ein Blick hinter die Kulissen zeigt einen mörderischen Fanatismus, in dem wichtige Protagonisten endeten. Das Entsetzliche: Damalige »Narrative« entfalten noch in der Gegenwart ihre verheerende Wirkung

Die 68er-Bewegung wird als Aufbruch, Erneuerung gefeiert. Übersehen wird dabei, dass einige Protagonisten Deutschland jahrelang mit einem mörderischen Terror überzogen haben, den viele Anhänger gedeckt und gefördert haben – und dass Fehler und erfundene Narrative leider den politischen Alltag Deutschlands heute noch bestimmen. In der aktuellen Sendung von »Tichys Ausblick« spricht Bettina Röhl, Journalistin und ausgezeichnete Buchautorin darüber, wie der tobende Anti-Semitismus der heutigen Linken damals entstand.

Die Linke entdeckte die Palästinenser als Opfer und Vorbild, trainierte ihre Gewaltaktionen dort, paktierte mit Flugzeugentführern und Attentätern, versuchte den Krieg auch in deutsche Städte zu bringen. Später wurde die Liebe zu den angeblich so heroischen Palästinensern auf alle Zuwanderer aus dem muslimischen Kulturkreis übertragen – und motivierte die Öffnung der Grenzen und Massenzuwanderung seit 2015. Bettina Röhl analysiert das Geschehen;  Ulrike Meinhof, ihre Mutter, ist eine der Gründerinnen der RAF.

Mit zuvor unbekannten Fakten und den Stimmen neuer Zeitzeugen unterlegt, liefert Bettina Röhl, die als Kind die Gründung der RAF hautnah miterlebte, eine spannende Analyse und erzählt die scheinbar bekannte Geschichte neu. Bei ihren Recherchen fand Bettina Röhl zahlreiche zuvor unveröffentlichte Briefe, Dokumente und Fotos, die den Leser die damalige Zeit hautnah miterleben und nachvollziehen lassen.

Zur Entstehungsgeschichte dieses Buches schreibt Bettina Röhl:

»Ich habe im Laufe der Jahre vielfach geschrieben und gesagt, dass die 68er-Bewegung zu einem großen Teil ein Missverständnis, eine Fehlverarbeitung der damals neuen Realitäten, der neuen Möglichkeiten gewesen ist, und auf die lange, allgemein verkannte Tatsache hingewiesen, dass die 68er-Generationen die Nutznießer und nicht die Erfinder der vielen neuen Freiheiten waren. (…)

Seit eh und je weise ich darauf hin, dass die 68er nicht die Erfinder der Aufarbeitung der Nazizeit sind, dass diese Aufarbeitung in Westdeutschland vorher begann und bei den 68ern lange Zeit nicht im Fokus stand. Dieses Thema entdeckten sie erst viel später und behandelten es oft allzu taktisch. Auch hierauf weisen immer mehr Alt-68er heute selbstkritisch hin, wie sie auch seit Längerem mühsam eingestehen, dass sie in Mao Zedong einem Rattenfänger und Despoten gigantischen Ausmaßes hinterhergelaufen sind. (…)

Sendung 27.05.2021
Tichys Ausblick: „Die Linken und der Antisemitismus – aus der Geschichte nichts gelernt?“
Gleichwohl haben sich die damals entzündeten Ideologien der Westlinken in den letzten fünfzig Jahren zum gesellschaftlichen Leitbild entwickelt. 68 ist zur ›Leitkultur‹ des Westens geworden. 68 ist also tatsächlich immer noch ein brennendes Thema. Dieses Buch handelt von den pop-kommunistischen Blessuren der Bundesrepublik, die sich von den Nachwirkungen der adaptierten ›Kulturrevolution‹ selber nicht mehr befreien kann.«

Es ist ein Buch, das viele Perspektiven umfasst. Mich persönlich hat berührt, wie Bettina als Kind zu Beginn der Radikalisierung ihrer Mutter an deren Kleiderschrank geht und die schönen Abendkleider bewundert aus der Zeit, in der Ulrike Meinhof umschwärmtes Mitglied der journalistischen Elite Hamburgs war. Längst waren die Kleiner abgelegt und zerrissene Jeans und verfleckte Pullis die neue Kleiderkultur, die vielfach bis heute besteht.

Geradezu absurd ist die umfangreiche Schilderung, wie ihr Vater und Mutter um das Sorgerecht ihrer Zwillinge stritten: Der Vater aus der Villa an der Elbechaussee, die Mutter mittels eines Anwalts aus dem Untergrund. Schließlich landeten die Mädchen nicht bei der Mutter, aber bei Genossen in einem italienischen Notlager. Von dort sollten sie in ein palästinensisches Flüchtlingslager gebracht werden, das bei den folgenden Kämpfen zwischen jordanischen Regierungstruppen und Palästinensern vollständig vernichtet wurde. »Entweder wären wir getötet worden oder hätten unser Ende im Harem eines Palästinenser-Führers gefunden«, resümiert Bettina Röhl heute bitter. Ulrike Meinhof konnte ihre Liebe zu den Kindern weder leben noch ausdrücken; aus dem Gefängnis, in dem sie später starb, schrieb sie ihren Töchtern den Satz, der zum Buchtitel wurde: »Die RAF hat Euch lieb!« Mutterliebe, die persönlichste und intimste Form der Zuneigung, wird wegdelegiert an eine anonyme Kampfeinheit.

»Wenn Röhl mit Ulrike Meinhof ins Gericht geht, dann besitzt sie dafür die natürlichste aller Legitimationen. Aber die Autorin geht in ›Die RAF hat Euch lieb‹ weit über die Mutter-Tochter-Beziehung hinaus. Und vielleicht brauchte es ja diese Jahre des Nachdenkens und Herantastens – einige zitierte Gespräche sind fast zwanzig Jahre alt – um endlich abzuliefern, was nun vorliegt, was auch ein literarisches Leseabenteuer geworden ist, welches die große schriftstellerische und journalistische Bandbreite der Bettina Röhl von heute abbildet,« schreibt dazu
Alexander Wallasch auf TE online.

Die Liebe der RAF zu den Palästinensern wurde eine Konstante der deutschen Politik. Sie wurden zu Opfern verklärt und die Israelis, schließlich alle Juden, zu Tätern. Der rassistische Unterton wird übermalt mit Schlagworten wie »Antikapitalismus« und »Anti-Kolonialismus« und ist doch noch ein Vorwand, um zu verdecken, dass die Palästinenser-Führer RAF-Abgesandte mit Hitler-Bildern begrüßten und ihn als großen Helden feierten, wie Bettina Röhl notiert.

»Bettina Röhl, mit ihrer Unbestechlichkeit und ihrem Fleiß, steht mit diesem Buch gegen eine ganze Phalanx von Revolutionsromantikern, gegen den Willen zur Gewalt, der heute noch, 50 Jahre später, die Köpfe verhext, schreibt Matthias Matussek auf TE online. Mit den starken Essays, die sie in die Geschichte einwebt, und dem bizarren Tonfall der herangezogenen Akten, ist ein Buch entstanden, das schafft, was man nicht mehr für möglich gehalten hätte: die RAF zu erklären und auch die aktuellen Entwicklungen der Bundesrepublik«.

Bettina Röhl, „Die RAF hat Euch lieb!“ Die Bundesrepublik im Rausch von 68. Eine Familie im Zentrum der Bewegung. Heyne, 640 Seiten mit 16 Seiten Bildteil, 24,00 €.


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Kommentare ( 12 )

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WandererX
2 Jahre her

Wenn es so etwas wie eine Kulturrevolution in den 1960ern gegeben hat, dann war der Beat, der zuerst in Hamburg und nicht in England oder den USA in die Mitte (!) der Gesellschaft vordrang und das Verhältnis der jungen Generation zu ihrem Körper in ganzer Breite (!) erneuerte. Natürlich war das ohne den RocknRoll der 50er, widerumwieder seinen Impuls aus der schwarzen Musik Amerikas beziehend, nicht denkbar. Es gab also eine KULTUR- Erneuerung in 1963-66, an der diese POLIT- Erneuerer der 1968 lediglich andockten! Sie hatten leichtes Spiel, die kulturell zu dieser Zeit bereits als altmodisch geltenden Professoren in ihren… Mehr

Andreas Spata
2 Jahre her

Habe es leider noch nicht gelesen obwohl es schon einige Jahre auf meiner „to read“ Liste steht.
Schein mir ähnlich stark geschrieben zu sein wie das Buch „Meines Vaters Land“ der ehemaligen Tageschausprecherinn Wiebke Bruns. Auch aus diesem Buch kann man klar, aus kürzester familiärer Distanz, herauslesen warum auch Intellektuelle den größten Verführern aller Zeiten lange nachliefen.

BOESMENSCH
2 Jahre her

Ob es uns gefällt oder nicht:

1. Die 68er ist Leitkultur geworden

2. Der Marsch durch die Institutionen hat funktioniert

3. Die Mehrheit der Wähler findet das gut

luxlimbus
2 Jahre her
Antworten an  BOESMENSCH

Ergo, agierte die RAF erfolgreich! (…)

IJ
2 Jahre her

Gut, dass es in dieser Zeit der zahllosen grün-links-aktivistischen Geschichtsfälscher noch Menschen gibt, die sich der Sache der geschichtlichen Wahrheit derartig schonungslos verschrieben haben. Meine Hochachtung und meinen Dank für ihre zutiefst eindrucksvolle Arbeit, liebe Frau Röhl.

Last edited 2 Jahre her by IJ
donpedro
2 Jahre her

Es waere die persoenliche und politische aufgabe von menschen wie herrn trittin etwa, sich oeffentlich hinzustellen und darauf verweisen wie verblendet er und seine kommunistisch-maoistischen genossen doch waren und sein „nie wieder“ muesste alle linken bis in die haarwurzeln beschaemen. finstere, herzlose gestalten wie jene esken muesste die konsequenzen ziehen und nicht die neuen terroristen, die antifa, unterstuetzen oder gar lobend erwaehnen, sondern sich strikt gegen die gewalt dieser verbrecher aussprechen. muesste, muesste….ich hab sie ja persoenlich erlebt, teile der raf und der „bewegung 2.juni“ und deren fanatismus. alles wird verlogen verklaert.da entschuldigt sich keiner bei den ermordeten polizisten, das… Mehr

Marcel Seiler
2 Jahre her

„Damalige »Narrative« entfalten noch in der Gegenwart ihre verheerende Wirkung“, schreibt der Rezensent. Stimmt – aber sind diese Narrative „damalig“?
Ich denke, sie fangen Menschheitssehnsüchte und -bedürfnisse ein: „Gerechtigkeit“, Mitleid mit dem angeblichen Unterdrückten, Identitätsstiftung durch klares Freund-Feind-Verhältnis, Zugehörigkeit zu einer verschworenen Gemeinschaft, Lust an Abenteuer/Gefahr, Gestaltungswille – Bedürnisse, die unsere durchrationalisierte, ökonomisierte, materiell übersättigte Gesellschaft nicht recht befriedigt. Die 68’er waren die ersten, die das so stark spürten. Das Problem einer Gesellschaft, die reich, aber seelisch unbefriedigend ist, ist seitdem nur größer geworden.

Monika Medel
2 Jahre her

Ich war damals noch sehr jung und alles hat mich nur am Rande berührt. Aber es stimmt mit meiner Erinnerung absolut überein, dass die Aufarbeitung der NS-Zeit ganz ohne ´68 bereits im Gange war. Ich besuchte die Realschule und ohne das Thema „Nationalsozialismus“ konnte man keine Abschlussprüfung in Geschichte machen, diese Prüfung war Pflicht. Ich besitze immer noch ein „Grundwissen Geschichte, Klett-Verlag“ aus dieser Zeit mit meinen entsprechenden Anmerkungen in unausgereifter Schrift, wir wurden eben intensiv auf die Prüfung vorbereitet. Erst einige Jahre später war auf einmal alles „faschistisch“, wenigstens „protofaschistisch“.

WandererX
2 Jahre her
Antworten an  Monika Medel

naja, bei mir in Bayern wurde die NS- Zeit Mitte der 1970er Jahre vom Geschichtslehrer (Reserveoffizier) ausgespart – es war aber sein persönliches Ding, im Lehrpan war das natürlich enthalten. Beginn der breiten Diskussion war der Ausschwitz- Prozess in 1962, sicher nicht 1968. Es war auch Thema in unserer Familie um 1964. Die nächtse Welle war dann erst der Holocaust- Film im TV in ca 1985, überhaupt nicht 1968, auch wenn die Alten als Nazis beschimpft wurden. Mit dem Jahr 1985 wurde es dann Dauerthema der Medien, Höhepunkt war die Zeit 1991- 2005, fortgesetzt bis ca 2010 – 15. Heute… Mehr

Klaus Kabel
2 Jahre her

Zuerst waren die Juden die Hätschelkinder der Linken, bis sie merkten, dass sich die Juden selbst gegen die Araber wehren konnten. Danach schlug das Pendel um und die Linken nahmen sich die Palästinenser als Opfergruppe.

Last edited 2 Jahre her by Klaus Kabel
Monika Medel
2 Jahre her
Antworten an  Klaus Kabel

Das ist richtig. Die Sowjetunion hat Israel noch vor den USA diplomatisch anerkannt, dies, obwohl damals in Stalins Reich Juden massiv verfolgt wurden. Als Golda Meir seinerzeit in Moskau war, besuchte sie auch die Hauptsynagoge. Dazu muss man wissen, dass das jüdische religiöse Leben unter schwerem Druck stand und es nur wenige Alibisynagogen gab. Meir meinte das gut, es kam jedoch zu starken Sympathiekundgebungen junger Juden für sie – offiziell hatten die natürlich Sowjetpatrioten zu sein. Der Geheimdienst war aber auch da und fotografierte. Für die so Abgelichteten war das gar nicht gute Folgen.

Lux Patria
2 Jahre her

Ich empfinde eine gewisse Genugtuung. Ich hoffe, ich erlebe noch die Zeit, in der sich dieser 68er-Spuk in Luft auflöst und seine Ächtung findet.