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DER SPIEGEL Nr. 45 – „Kontrollverlust“

Der Sonntags-Vorleser ist gelangweilt

THEMA:
Reisserischer Titel "Kontrollverlust" - aber wenig Neues. Der Spiegel schert mit Titel und Bildsprache aus und bleibt doch inhaltlich dann weit zurück: Das Stück der Woche von Niggemeier ist in der FAS, im SPIEGEL nur eine Kindheitserinnerung.

Der Spiegel ist in dieser Woche ignorant, irrelevant, und er langweilt. Chefredakteur Klaus Brinkbäumer konnte sich in dieser Woche augenscheinlich nicht für ein großes Thema entscheiden. Die Flüchtlingskrise geht weiter und wird von Angela Merkel augenscheinlich mindestens bis zu den nächsten Landtagswahlen im Frühjahr ausgesessen. Merkels einziger ernsthafter Antipode, der bayerische Löwenherz Horst Seehofer, hat laut Spiegel Beißhemmung und muss mangels Fußvolk hilflos zuschauen. Wirklich Neues ist nicht in der Titelgeschichte. Mit der Zeile „Kontrollverlust“ schert er allerdings aus der breiten Mehrheit der Beruhigungsmedien aus, die Merkels Mantra „Wir schaffen das“ nachbeten. Aber es wird inhaltlich nicht wirklich gedeckt und wirkt dadurch seltsam anbiedernd.

Nach der Lehman-Brothers-Pleite 2008 wurde hysterisch über die Systemrelevanz von Banken wie IKB oder HSH Nordbank diskutiert. Jetzt, wo die Deutsche Bank sich aus der Champions League in unbekannte Tiefen stürzt und die Frage zu diskutieren wäre, ob die Deutschen ohne die Nachfahren von Ackermann, Breuer und Kopper zurechtkommen, ist das für die Hamburger nicht mehr als eine halbe Seite Kommentar wert.

Gute Headlines, wenig Finesse

Es liegt nicht an der Themenauswahl, dass die aktuelle Ausgabe enttäuscht. Viele Headlines machen neugierig – und dann sind die Bilder und Illustrationen vielfach sehr viel interessanter als die Texte, die behäbig, lang, routiniert daherkommen, ohne Finesse. Zwei Ausnahmen: Der Leitartikel „Heilige Kuh“ von Susanne Weingarten um die absurd gewordene Suche nach einem Essen mit Gesundheitsrisiko Null. Und die „Apokalyptische Wiese“.

Und dennoch gibt es einen sehr guten Grund, sich Zeit für den aktuellen Spiegel zu nehmen – die Literaturbeilage. Lesevergnügen pur. Florian Illies schreibt über „Berlin – ein Stadtschicksal“, eine 105 Jahre Polemik von Karl Scheffler, die heute ebenso aktuell ist wie damals. Volker Weidermann macht neugierig auf Isabel Allendes neuen Roman „Der japanische Liebhaber“. Georg Diez hat das Gesamtwerk von Ernst Jünger als Taschenbuchausgabe auf sich wirken lassen – 22 Bände, 11.700 Seiten. Elke Schmitter bespricht nicht nur die Gedichte von Hannah Arendt, sie ist auch in die Modewelt eingetaucht mit Büchern von Diane von Fürstenberg über Diane von Fürstenberg und von der emeritierten Literaturprofessorin Hannelore Schlaffer, die feinsinnig über die Aspekte der femininen Kostümierung schreibt. Nils Minkmar macht neugierig auf „Tambora und das Jahr ohne Sommer. Wie ein Vulkan die Welt in die Krise stürzte“ des Historikers Behringer. Robert Harris bekennt sich vehement zu seiner Liebesaffäre mit Cicero. Und Stefan Niggemeier, bekennender Fan der Bücher von Terry Pratchett, ergründet, warum die seltsamen Figuren der Scheibenwelt dem Leser so vertraut vorkommen. Wobei Niggemeiers spannendstes Stück nicht im SPIEGEL steht, sondern in der Sonntagszeitung der FAZ über die Medienberichterstattung zum KZ-Vergleich von Akif Pirinçci: Da hat die FAS mit demselben Autor den Spiegel an Relevanz weit, sehr weit abgehängt – dem SPIEGEL bleibt nur die persönliche Literaturempfehlung, die FAS hat das Stück der Woche.

In dieser Woche ist der Spiegel ignorant und irrelevant. Ein Lesegenuss ist die Beilage Literatur.

Und hier der Niggemeier der Woche, der  sauber ein mediales Desaster um einen schrecklichen Autor seziert.

http://www.stefan-niggemeier.de/blog/22191/die-unwahrheit-ueber-akif-pirincis-kz-rede/

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