Bei Anne Will findet Robert Habeck Deutschland in moralisch „unschöner“ Lage

Der Grüne Habeck gab dem Ganzen eine unfreiwillig sarkastische Note, als er feststellte, dass Deutschland sich durch zu großes Vertrauen in Putin in diese selbstverschuldete Position gebracht habe. Vernichtender kann ein Urteil über die Ära Merkel nicht ausfallen!

Screenprint ARD / Anne Will

Noch nie seit Ende des Zweiten Weltkrieges befand sich das wiedervereinigte Deutschland in einer so schwierigen außenpolitischen Situation wie heute. Es sieht sich in Russland mit Putin einem aggressiven Gegenüber konfrontiert. Das Dilemma: Es ist zugleich von ihm so abhängig, dass die eigene Handlungsfähigkeit blockiert ist. Eine in jeder Hinsicht blamable Lage. Selten wurde dies so klar auf den Punkt gebracht wie gestern Abend bei „Anne Will“.

Gleich zu Beginn ging Wirtschaftsminister Robert Habeck mit erstaunlicher Klarheit an die offene Wunde heran: „Unser Verhalten in der Vergangenheit hat uns jetzt moralisch in eine nicht schöne Lage gebracht.“ Von der Gastgeberin gefragt, warum Deutschland nicht ein sofortiges Embargo der Gas-, Öl- und Kohleimporte, mit deren Erträgen (eine Milliarde Euro täglich) Putin seinen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine finanziere, verfüge, antwortete Habeck: „Es besteht die Angst, dass die Folgen in Deutschland nicht durchzuhalten sind, und wir am Ende zurückrudern müssten, was von Putin als Triumph empfunden würde.“ Eine Einschätzung, die der SPD-Bundesvorsitzende Lars Klingbeil teilte.

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Es war der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter, der die Schwäche dieser Argumentation schnell erkannte. Im Umkehrschluss, so sein Hinweis, könnte ja Putin, durch einen Stopp der Lieferungen seinerseits, Deutschland zu jedem Zeitpunkt in die Knie zwingen. So gesehen also ein Null-Summen-Spiel, bei dem es jetzt darauf ankommt, wer es schneller schafft, durch Gegenmaßnahmen wie andere Energiequellen und neue Partner auf deutscher Seite aus der gefährlichen Falle herauszukommen. Putin andererseits müsste genauso rasch nach neuen Abnehmern Ausschau halten, wobei das energiehungrige China als sicherer, aber gewiss nicht bequemerer Partner als Deutschland „Gewehr bei Fuß“ steht.

Es war der Grüne Habeck, der dem Ganzen eine unfreiwillig sarkastische Note gab, indem er feststellte, dass Deutschland sich durch zu großes Vertrauen in Putin in diese selbstverschuldete Position gebracht habe. Vernichtender kann ein Urteil über die Ära Merkel nicht ausfallen! Es war von Anne Will zu erwarten, dass sie in diesem Zusammenhang nicht auf die Frage kam: „Was macht eigentlich Angela Merkel zur Zeit?“ Doch auch ohne Will werden sich viele Zuschauer diese Frage gestellt haben. Denn tatsächlich hat das deutsche Volk ein Recht auf die Erklärung der derzeitigen Situation in Europa durch eine der Hauptverantwortlichen.

Wirkliche Wege aus diesem Dilemma konnte keiner der Teilnehmer aufzeigen. Doch wer könnte das überhaupt?

Im Kopf von Wladimir Putin
Klare Vorstellungen darüber hatten der zugeschaltete ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sowie die ukrainische Schriftstellerin und Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin Katja Petrowskaja. Beide forderten angesichts der verzweifelten Lage der Menschen in der Ukraine ein sofortiges Eingreifen der Nato. Besonders Lars Klingbeil wies dies mit dem Hinweis auf die Gefahr eines dann drohenden Dritten Weltkrieges zurück. Die ukrainischen Gäste hielten dem entgegen, dass die Geschichte gezeigt habe, dass es für Tyrannen niemals Grenzen gegeben habe und auch Putin seine Aggressionen und Eroberungsversuche schon bald fortsetzen werde. Als mögliche Ziele nannte der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter Moldawien, Georgien aber auch die Baltischen Staaten Estland, Litauen und Lettland. All diese Länder waren ehemalige Sowjetrepubliken und würden von Putin als Teil des russischen Imperiums betrachtet.

Außer Kuleba und Petrowskaja war man sich einig, dass Putin einen Angriff auf das Nato-Gebiet nicht riskieren würde. Eine Überzeugung, die Claudia Major von der „Stiftung für Wissenschaft und Politik“ teilte, wie sie auch sonst das Vorgehen der Bundesregierung unterstützte. In diesem Zusammenhang wäre es hilfreich, die jeweiligen Finanziers der entsprechenden Institutionen kurz einzublenden. Das alte Sprichwort „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“ hat unverändert Gültigkeit.

Einen schalen Beigeschmack bekam der Abend, als der ukrainische Außenminister auf deutsche Technik in den gepanzerten Sturmfahrzeugen der russischen Infanterie hinwies – beispielsweise der Firma Bosch. Weder Will, noch Klingbeil und Kiesewetter gingen darauf ein.

Die „Will-Stunde“ ging wie im Fluge vorbei! Das heißt, die Sendung war spannend, informativ und in bitterem Sinne aufschlussreich. Die Moderatorin wirkte vom ersten Augenblick an konzentriert und ließ auch mit bohrenden Fragestellungen nach Deutschlands Rolle in dieser dramatischen Krise nicht nach.

Dennoch, auch wenn es lästig sein mag, sollten Wills Bosse beim NDR doch ernsthaft erwägen, Alt-Kanzlerin Merkel zu einem der früher doch so häufigen Solo-Besuche bei Anne Will einzuladen. Jeder Unternehmer, der nach seinem Abgang ein derart katastrophales Erbe hinterlassen hätte, müsste sich längst nicht nur dringenden Fragen zur Aufklärung stellen.

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Kommentare ( 161 )

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tomo
2 Jahre her

Danke Herr Gafron. Auch TE bemerkt die Qualität dieser öffentlich-rechtlichen Sendung und da es sich um einen Beitrag im Feuilleton handelt, muss auch der Auftritt des Ministers unter diesem Aspekt bewertet werden. Habeck ist in einem nicht selbstverschuldeten „Dilemma“. Dieses Zugeständnis ist stark und hebt sich von dem sonst schwachen Lavieren seiner Kollegen ab. (Ich verzichte auf das Gendern bewusst).

usalloch
2 Jahre her

Irgendwann ist das Maß voll. Bei allem Verständnis für die Nöte der Ukraine darf nicht übersehen werden, das diese politische Führung in den letzten Jahren sehr leichtsinnig vorgegangen ist. Keiner dieser politischen Laien hatte genug politische Erfahrung, die nötig gewesen wäre, um die Interessen der Russen und der USA austarieren zu können. Sie hätten es wissen müssen das Amerika sehr weit ist und der Bär sehr nahe. Und jetzt Druck auf die NATO bzw. Deutschland zu machen, wie sie der Botschafter permanent ausübt, ist kontraproduktiv.

Riffelblech
2 Jahre her

Manchmal glaube ich die Autoren haben Scheuklappen vor den Augen . So wie in dieser Zusammenfassung des Abends bei A.Will . Putin ist der große Schuft der Stunde ,wer das nicht sagt ist nicht gesellschaftsfähig? War es nicht Russland das immer wieder gewarnt hat das ein noch weiteres heranrücken von NATO Truppen an sein Territorium nicht zugelassen werden könnte . Und haben nicht die NATO Verbündeten mit Süffisanz den Ukrainischen Nationalisten alle Machtspielchen unterstützt ? Jawohl ,es ist schlecht und schwer hinzunehmen was in der Ukraine abläuft . Aber wo bleibt die Empörung im Jemen ? Wo in Syrien ,wo… Mehr

Manfred_Hbg
2 Jahre her
Antworten an  Riffelblech

Zitat: „War es nicht Russland das immer wieder gewarnt hat das ein noch weiteres heranrücken von NATO Truppen an sein Territorium nicht zugelassen werden könnte.“ > Mhh, vielleicht können Sie bitte mal erklären, warum es sich die Russen bis zum sog. Mauerfall 89 herausnehmen durften sich unter anderem HOCHgerüstet und UNgefragt bis kurz vor die West-Deutschen Grenze heran breit machen durften so das die Russen-Kasernen keine 3(drei) Stumden Autofahrt vor Hamburg standen und warum es umgekehrt nicht auch den Westen mit der weitaus weniger gerüsteten NATO erlaubt sein soll?? Hier hatte es den Russen auch nicht interessiert ob deren -auch… Mehr

Riffelblech
2 Jahre her
Antworten an  Manfred_Hbg

Jawohl ,ich könnte sie bitten doch einmal Geschichtsbücher in die Hand zu nehmen ,die die Geschichte Deutschlands nach dem Kriege beschreiben .
Gehen sie nach Bonn ins Haus der Geschichte und informieren sie sich dort ! Dort finden sie Antworten die wesentlich besser sind als ich es jemals erklären könnte .

Walter Eiden
2 Jahre her
Antworten an  Manfred_Hbg

Da gibt es jede Menge Erlärungsansätze:
Das ist über 30 Jahre her
Es war „kalter Krieg“
Es war nicht Russland sondern die UdSSR.
Auch der Westen/die NATO war, auch und insbesondere in Deutschland, gut gerüstet, incl. den Atomwaffen in Büchel.
Es gab keine Versprechen seitens der UdSSR
Hinsichtlich einer aggressiv militärischen Aufdringlichkeit sollte man vielleicht mal die Menschen in Afghanistan befragen ob die dahingehend unterscheiden zwischen Ost und West.
Einseitiger könnte evtl. das Urteil der Menschen in Korea, in Vietnam, im Irak, usw., usw. sein.

Talleyrand
2 Jahre her

Es gibt keinen Ausweg? Natürlich gibt es einen. Selenskyj verschwindet, die NATO auch, Putin zieht sich zurück unter der Maßgabe zukünftiger garantierter Neutralität der Ukraine. Die Krim bleibt russisch, die Ostprovinzen unabhängig. Das ist genau das, was die Russen wollen und was weitere gegenseitige Zerstörung verhindert. Das ist m.E. das, was vor allem den Normalbürgern hüben wie drüben zugute käme.

Contra Merkl
2 Jahre her

Mal nochwas zu den ganzen Moralschlaumeiern hier im Land und dem Mann der bei Anne Will gestern meinte, wir müssten Putin doch im Gashahn zudrehen zuvorkommen. Bevor man seine ganze Dummheit vor einem Millionenpublikum im Fernsehen zur besten Sendezeit zum Besten gibt, sollte man sich erstmal mit Vertragsrecht befassen. Das sind langfristige Lieferverträge, Gasstrom gegen Geldstrom. Drehen wir jetzt hier den Gashahn zu, brechen wir den Vertrag. Da werden wir zwar nicht mehr das Gas abnehmen, aber jeden Tag vollumfänglich bis zum letzten Tag des Vertrages bezahlen. Ist ja nichts anderes wie wenn Leute einen 2 jahres Handyvertrag abschließen um… Mehr

Hegauhenne
2 Jahre her

Ich bin nun wirklich kein Merkel-Fan, aber die weit verbreitete Idee, daß allein Merkel an allem schuld sei, finde ich, ehrlich gesagt, bizarr. Dieser sicher schreckliche Krieg ist zum Teil von der Ukraine und ihren „westlichen Unterstützern“, vornehmlich den USA, selbst auch mit herbeigeredet und ausgelöst worden. Dies jahrelange Gejammer, wir wollen in die EU, in die Nato, dieser heraufbeschwörte Nationalismus, das alles hat doch auch dazu beigetragen. Die Ukraine, bzw. deren stets korrupte Regierungen wollten sich auf Kosten anderer ins warme Nest setzen, ohne Gegenleistung. So kann man das auch sehen, und die Einseitigkeit der Berichterstattung in allen Medien… Mehr

Walter Eiden
2 Jahre her

Allein der erste Absatz wirft bei mir mehrere Fragen auf:
Wie sollte 40 Jahre lang nach dem zweiten Weltkrieg ein wiedervereintes Deutschland in eine unangenehme Situation geraten?
Wieso sieht sich Deutschland mit Russland/Putin einem aggressiven Gegenüber konfrontiert? Wird Deutschland überfallen oder die Ukraine? Und ist Letztere nicht „Neutral“ (in Hinblick auf EU und/oder NATO)?
War die völkerrechtswidrige Teilnahme Deutschlands am Balkankrieg also weniger unangenehm als die aktuelle Bekriegung zweier „Drittstaaten“?

EinBuerger
2 Jahre her

Witzig finde ich auch, dass jetzt einige Medien (unter anderem der Focus) framen, dass „Habeck den Tränen nahe sei“. „Man merkt ihm seine Seelenqualen an.“ Etc.
Schöne Herzschmerzgeschichten a la Relotius.
Frage an die Medien: Wie peinlich könnt Ihr sein?
Antwort der Medien: Ja!

Enrico
2 Jahre her
Antworten an  EinBuerger

Und mir kommen fast jedesmal die Tränen, wenn ich mit meinem Browser die von derlei „Nachrichten“ überflutete Einstiegsseite meines Mailproviders aufrufe. Leider habe ich viel zuviele Dokumente in meinem Mailpostfach und im Moment einfach keine Zeit zu wechseln (muß ranschaffen für die Berliner Kohleverschwender).
Nur noch Journalismus-Praktikanten/Simulatoren „unterwegs“. Hoffentlich klicken das nicht allzu viele (junge und leicht zu beinflussende) Leute an. Es ist ein Graus. Bizarr!

November Man
2 Jahre her

Man braucht erst gar nicht versuchen alle Schuld der Merkel mit in die Rente zu geben. Der ganze verheerende Schlamassel den die angerichtete hat wird vorerst bleiben.
Wir brauchen effektive Lösungen, und zwar ohne die USA, aber mit Russland. Wir brauchen um gegen den ewigen Kriegstreiber USA bestehen zu können ein großes, friedliches Europa mit Russland und China/Indien als Handelspartner. Dort liegt unsere Zukunft.

pdudenho
2 Jahre her

„Wirkliche Wege aus diesem Dilemma konnte keiner der Teilnehmer aufzeigen. Doch wer könnte das überhaupt?“
Das Dilemma wurde hauptsächlich durch die dumme Energiepolitik mit grünem Anstrich verursacht. Ob wir von Putin oder den Ölscheichs dieser Welt abhängig sind, macht keinen großen Unterschied. Wer nach wie vor glaubt ein Industrieland komplett mit Technologie aus dem Mittelalter (Windmühlen) versorgen zu können, der ist Realitätsverweigerer. Kein Industrieland – das eines bleiben will- kommt langfistig an der „Atomkraft“ vorbei. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.