Tatort Frankfurt: Warum in der Nähe ermitteln, das Böse liegt gaaanz weit weg

Der Tatort mal wieder als Volkserziehung. Dieses Mal geht es um die Entzauberung der guten alten Zeit. Schließlich trieben schon damals Serienkiller ihr Unwesen.

HR / Degeto / Sommerhaus / Daniel Dornhöfer

Die Idee, „kalte Fälle“ neu aufzukochen ist nicht neu, wurde beim ZDF unter dem Titel „Letzte Spur Berlin“ seit 2012 in allen Varianten vom eingespielten Duo aus Kommissar Oliver Radek (Hans-Werner Meyer) und seiner iranisch-stämmigen Kollegin Mina Amiri (Jasmin Tabatabai) durchgespielt.

Nachdem die Serie vom ZDF abgesetzt wurde, tritt nun der Tatort Frankfurt in diese Fußtapfen, nicht überraschend mit der iranisch-stämmigen Kommissarin Maryam Azadi (Melika Foroutan) und ihrem bosnisch-stämmigen Kollegen Hamza Kulina (Edin Hasanovic). Das alte Team Frankfurt aus Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) wurde sang- und klanglos in den Ruhestand hinausgesprengt, angeblich, so die gestelzte Erklärung, damit die beiden „mehr Zeit für neue Projekte, mit den Enkeln und fürs Fotografieren“ hätten.

Die Kommissare gehen, die Dachschäden bleiben

Nun also alles auf „neu“ im Tatort Frankfurt, wobei sehr schnell klar wird, dass genauso wie die Katze das Mausen, der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht von seinem wohl einstudierten Bildungsauftrag lassen wird. Nur im ausgeprägten Chips-Koma wäre es möglich, den Luftzug des energisch geschwungenen Zaunpfahls nicht zu verspüren, überflüssig, die sattsam bekannten Themen hier aufzulisten.

Hamza Kulina, Sohn Bosnisch-Herzegowinischer Flüchtlinge, trottet wenig begeistert in das Kellerbüro seiner neuen Kollegin Azadi, die bereits von zweien seiner Vorgänger dort im Stich gelassen wurde, wohl weil denen die Umgebung (Fensterlose Arbeitsplätze sind übrigens nicht zulässig, was das ZDF bei der Unterbringung der eigenen Kellerermittler in „München Mord“ respektiert hat) nicht behagte.

Hamza ist da nicht so empfindlich, die Tatsache, dass er gerade auf das Ergebnis eines Diziplinarverfahrens wartet (konnte einen Kollegen nicht mit der Waffe schützen, hat wegen Bosnienkriegstrauma ein Problem beim sicheren Zielen) macht ihn duldsam, weshalb er sich von seiner zuckersüßen Chefin Sandra Schatz (Judith Engel) auch als Spitzel auf Azadi ansetzen lässt. Dieses Schätzchen von einer Vorgesetzten wurde von ihr zweimal dienstlich ausgebootet und sie hofft daher, die ihr verhasste akribische Durchforsterin von Akten und Archiven bei einem Regelbruch zu erwischen. Ganz abwegig ist das nicht, Kommissarin Azadi hat sich völlig unzulässigerweise in ihrem Keller eine riesige Kopiensammlung von Akten angelegt, die sie ständig erweitert.

Manfred oder Wolfgang, egal

Der neue Fall beginnt in der scheinbar idyllischen Umgebung des Frankfurter Speckgürtels in, wie kann es anders sein, der unscheinbaren Garage des verstorbenen Wolfgang Zeller, dessen Tochter Michaela (Anna Drexler) gerade den Haushalt ihres Vaters auflöst und zwischen Gitarren und Kinderspielzeug Leichenteile entdeckt. Hier mussten die Autoren Senad Halilbasic, Stefan Schaller und Erol Yesilkaya weiter wenig Phantasie entwickeln, denn der Krimi wird teilweise dokumentarisch und folgt dem Ablauf der Ermittlungen zum „Main-Ripper“ getauften Serienmörder Manfred Adolf Seel, die in etwa so abliefen, wie es der Tatort nun nachzeichnet.

Verhaftung überflüssig – was tun ?

Die Forensik findet langsam Verbindungen zwischen den Opfern (bei Seel waren es ingesamt wohl 5) und dem nicht mehr vernehmbaren Garageninhaber. Belastbarstes Indiz gegen Wolfgang Zeller sind laut Maryam Azadi in die Werkbank des Verdächtigen geritzte Zeichen, die sich mit den Verletzungen der Leichen decken sollen. Da es – zunächst – nicht mehr um die Entlarvung und Festnahme eines Täters geht, bastelt sich der Kriminalfilm die für mehr Dramatik nötige Eilbedürftigkeit zurecht. Azadi argumentiert, dass möglichst viele Opfer identifiziert werden müssten, damit eventuelle Angehörige vor der durch Kollegin Schatz hastig drei Tage später angesetzten Pressekonferenz schonend informiert werden können. Zeller habe möglicherweise noch viele weitere Menschen ermordet, denn seine Vorgehensweise weise auf langjährige Übung und drauf hin, dass er mit jungen Jahren bereits das Töten begonnen habe. Außerdem gebe es Hinweise auf einen Komplizen, der durch die Pressemeldung gewarnt werden könnte.

Ausgiebige Diashow „wie trügt doch die scheinbar schöne Erinnerung an die gute alte Zeit“

Das große Thema des Tatorts scheint mitnichten die Suche nach Opfern oder Tätern, sondern die akribische Darstellung der Zeit 1970-1999, und deren anschließende Entzauberung durch ausgesprochen bestialische, sadistische und sinnlose Lustmorde. Lange verweilt „Dunkelheit“ bei Aufnahmen von Frankfurter Straßencafes unter bunten Sonnenschirmen und sorglos vorüberhuschenden Passanten; Fast erwartet man den Auftritt von Heinz Schenk mit einem schönen Glas Äppelwoi „zum blauen Bock“.

Mord, Mancave, Märklin

Da ist die hoffnungsvolle junge alleinerziehende Witwe Meral Yenigün (Canan Kir), die gemeinsam mit ihrem Mann noch das „Gastarbeiterprogramm unterschrieben“ hatte, und die es trotz des Todes ihres Gatten noch mit ihrem Sohn als Reinigungskraft nach Frankfurt zog, nur um Zellers erstes Opfer zu werden. Da ist die junge Anne Winterfeld (Miriam Schiweck), die mit ihren hippen Eltern (Vater gespielt von Hans Diehl, Mutter von Hiltrud Hauschke) in einem besetzten Haus von einer Karriere als Designerin träumte, Yvonne Alpbach (Silvia Schwinger), die in der neu in Frankfurt entdeckten Freiheit mit ihrer großen Liebe Helena Haas (Denise M’Baye) schwelgte.

Allen Opfern widmet sich der Film ausgiebig und mit großer Emotionalität, immer untermalt von den Fundstücken aus Azadis umfangreichen Akten, sogar Tagebucheinträgen und Kassettenaufnahmen alter Zeugenaussagen. Da kann es nicht ausbleiben, dass Ermittler Kulina unter der Bestialität der grässlich beendeten Existenzen zusammenbricht, ihm Wolfgang Zeller in seiner bideren Verkleidung als Modelleisenbahn bastelndes bebrilltes Rollkragenmonster im Traum erscheint. Der war tatsächlich einmal als Zeuge vernommen worden, aber wer würde schon so einem sozialen, ruhigen Mann, der sehr bescheiden und sparsam lebt und seine Toaster selbst repariert, schon misstrauen ?

Erst Mord, dann Madeira-Urlaub

Wolfgang Zeller war ein Ungeheuer, der unter einer harmlosen Maske während des Familienurlaubs in Portugal (immer nach einem neuen Mord), trotz Vorort-Häuschen und Vereinsmeierei seine sadistischen Triebe auslebte, neue Taten plante, seine Opfer folterte und ausweidete. Das ist ein denkbar ungünstiges Tätigkeitsfeld für Hamza Kulina, dessen Bruder Enes in Srebrenica verschleppt wurde und dessen Leiche nie gefunden wurde. Mit Mutter Emina (Gordana Boban), die immer noch auf die Rückkehr des Sohnes wartet, spricht er nur Bosnisch und feiert die Geburtstage des Verschollenen mit ihr und Baklava-Gebäck (kauft Blätterteig und Nüsse dafür „beim Türken“). Für Kulina ist das Zusammentreffen mit den Angehörigen eine seelische Qual, denen er zwar verspricht, dass “unser psychologisches Team ihnen zur Seite stehen kann“, letztlich übermannt ihn aber die Trauer und es kommt zu spontanen tränenreichen Umarmungen.

Zum Ende dieses makaberen, aber eben blutleeren, weil abgestorbenen Bilderbogens müssen Buch und Regie (Stefan Schaller) noch ein bisschen Tempo und Dramatik einbauen, was ihnen mit einem Trittbrettfahrer (Andreas Rathkolb gespielt von Andreas Schröders) so leidlich gelingt, der sich telefonisch des Mordes an dem Schulbuben Tobias Waslawski (Jonathan Wirtz) bezichtigt. Dumm für ihn, dass er als Zeuge in dem – Zeller zugeschriebenen – Mordfall aktenkundig ist und Kommissar Kulina ihn deshalb nochmal vernehmen möchte. Bei dem Besuch versagen Rathkolb die Nerven und er greift den Polizisten an, der gottlob mit dem in Notwehr abgegebenen Schuss aus seiner Dienstwaffe (einmal mehr) nicht trifft.

Wer sich mit weitgehend erfundenen Kriminalfällen im Frankfurter Milieu (inkl. Bahnhofsviertel und Umgebung) aber mit ebenso viel Anspruch auf Authentizität unterhalten will, dem sei die Serie „Ein Fall für Zwei“, speziell die Episoden mit Günter Strack und Rainer Hunold, sowie dem unverwüstlichen Claus-Theo Gärtner ans Herz gelegt.

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Kommentare ( 23 )

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Christa Born
1 Monat her

Seit „Mindhunter“ (grossartige Serie auf Netflix) müssen alle Cold Case Ermittler in fensterlosen Kellern sitzen. Wussten Sie das nicht?
Dieser Tatort war der erste seit Jahren, den ich nicht nach 5 Minuten weggezappt habe. Warum? Einfach weil ich ihn spannend fand und die Komissare durchaus sympathisch und glaubwürdig. Die Zaunpfähle habe ich dennoch nicht übersehen. Der ganze ÖRR ist ja ein einziger Lattenzaun sozusagen.
Wer sich gern an konkreten Fällen mit Tätern mit Migrationshintergrund ergötzt, dem empfehle ich „XY Ungelöst“ im ZDF.

verblichene Rose
1 Monat her
Antworten an  Christa Born

XY? Das ist vermutlich nur noch das Sprungbrett für zukünftige Schauspieler. Nach einem Fall hat man das Gefühl, einen ganzen Spielfilm gesehen zu haben. Da fragt man sich nach all den Fakten, warum überhaupt noch nach einem Täter gefahndet werden muß, wenn die einzelnen Erzählungen doch so detailgenau und langwierig sind.

Michael Palusch
1 Monat her

Weiß wirklich nicht, was der Autor am Volkserzieherduo Janneke/Prix gut (besser) fand?
Mit denen war meine Frankfurter Tatortzeit dann endgültig vorbei. Diese hatte aber bereits lange zuvor, zunächst mit Sänger/Dellwo und dann unter der besserwisserischen Nervensäge Conny Mey, ich aber wegen Frank Steier dennoch hin und wieder einschaltete, gehörig gelitten.

Krauti
1 Monat her

Auch sehr zu empfehlen und in der ARD Mediathek verfügbar: „Die Nichte des polizisten“. Dort wird auf hohem Niveau die Gefahr von rechts, der man hilflos ausgesetzt ist und nichts entgegenzusetzen hat, zelebriert (Ironie off). Der Film spielt im Jahr 2007. Seitdem ist die Gefahr stetig gewuchert, so glaube ich ist die Quintessenz des Filmes verstanden zu haben. Alles sehr wirre Gedankengänge. Ist halt so, wenn man keine Fakten parat hat.

Der kleine Muck
1 Monat her

Gibt vielleicht zu wenig aktuelle Themen, bei denen biodeutsche Täter beteiligt sind. Da muss man schon ein wenig in der Vergangenheit graben.

Wilhelm Roepke
1 Monat her

Gähn, und was soll der Leser jetzt mit diesem Artikel anfangen? Wie wäre es, stattdessen mal die Nachrichtensendungen wie die „tagesthemen“ zu analysieren?

Christa Born
1 Monat her
Antworten an  Wilhelm Roepke

Da fallen mir gleich noch viele viele andere ein: Tagesschau, Heute, Monitor, Kulturzeit, ttt, das gute Buch…, von den „Talkshows“, „Komikern“, „Sportschau“ gar nicht zu reden, eigentlich ja der komplette ÖRR. Bis auf die Lottozahlen, die stimmen, meistens jedenfalls.

K.Behrens
1 Monat her

Es soll ja Deutsche geben, die glotzen nach wie vor via „Fernsehgerät“ im heimischen Wohnzimmer. Seit 2013 schauen wir nur noch via „Mac“ relevante Sendungen als Mediathek. Für den ultimativen Horror kauft das ZDF „Midsommar“ für alle „Du ab 16“. Selbstverständlich nur per „Du“ nach Zustimmung der Anstalt. Das ZDF verlangt per „Du“ die Zustimmung? Irre und nun viel Spaß beim Horror beim „Midsommar“. Wobei klar sein dürfte, wie der hellste Tag des Jahres in Schweden tatsächlich statt findet.

MaxVanMoritz
1 Monat her

Warum wird die Propaganda mit der Zeit immer dümmer umd dann in eine Propagandaphobie umzuschlagen? Die Gegenreaktion wird das sein, was heute kaum existiert und scheinbar bekämpft wird, mit Garantie!

Wolfgang Richter
1 Monat her

Wer vertrödelt noch mit dem Konsum derartiger Machwerke seine Zeit??

Schwabenwilli
1 Monat her

Wem es gefällt der soll Tatort anschauen – und dafür bezahlen.
Wer Tatort nicht anschauen möchte braucht auch kein Grld dafür ausgeben.
So läuft das normalerweise.

Laurenz
1 Monat her

Hier werden Ausländer in Szene gesetzt, ohne die wir den heutigen Kulturkampf gegen uns gar nicht hätten. Der Tatort ist so stinkend langweilig, daß ich nach einer halben Stunde eingeschlafen bin. Die ARD hat fertig.

verblichene Rose
1 Monat her
Antworten an  Laurenz

Neuerdings wird ja so viel Werbung für Melatonin und andere Einschlafhilfen gemacht. Das ist wohl für die Leute bestimmt, deren Puls immer noch steigt, wenn die einen Tatort anschauen.
Sie machen daher alles richtig und sparen dabei auch noch Geld. Abgesehen von der „Demokratieabgabe“.
Wie nennt man das auch?
Praktisch denken, Särge schenken 😉