ARD-Sommerinterview: Söder attackiert Merz – aber verpackt in Watte

Markus Söder geht auf Konfrontationskurs zu Kanzler Friedrich Merz. Ohne auf Konfrontationskurs zu gehen. Im Sommerinterview der ARD kritisiert der CSU-Chef die schwarz-rote Koalition in allen wesentlichen Punkten. Doch zuvor bringt er stets verbale Eckenschoner an. Von Brunhilde Plog

picture alliance/dpa/AP-POOL | Ebrahim Noroozi

So etwas kann nur Markus Söder. A sagen und B meinen. Oder: Heute A sagen und morgen B. Und einfach behaupten, B sei schon immer A gewesen. Auch das Sommerinterview der ARD nutzt der bayerische Ministerpräsident, um sich selbst als den Heilsbringer innerhalb der Union zu präsentieren, der alles kann und alles weiß. Zumindest weiß er alles besser.

Noch am Mittwoch hatte Söder in einem absurd überschwänglichen Post Friedrich Merz über den grünen Klee gelobt. Dieser sei „der neue Leader in Europa“, habe „die Europäer organisiert“ und „mit dem US-Präsidenten beim Ukrainekrieg neue Bewegung in Richtung Frieden gebracht“. Deutschland werde endlich international wieder respektiert und übernehme eine Führungsrolle in Europa. „Das liegt an Friedrich Merz. Respekt!“, so Söder.

Klingt wie Satire. Und bei Söder weiß man nie.

Auch im Sommerinterview wird das Posting kurz zum Thema. Söder steht zu seiner angeblichen Euphorie, die so schwer zu glauben ist. Denn in allen zentralen Themen widerspricht er der gegenwärtigen Regierungslinie, derweil er betont, wie zufrieden er doch mit der Arbeit der Koalition sei. Sogar die SPD bekommt lobende Worte. Balancieren auf rohen Eiern über blankem Eis und dabei sogar noch Salz und Stolpersteine verteilen – so etwas kann nur ein Söder.

Zahlen, die den Niedergang dokumentieren
Das Wirtschaftswunder Merz-Klingbeil fällt nicht aus, es findet nur woanders statt
Thema Erbschaftsteuer: Söder ist strikt gegen eine Erhöhung, im Gegenteil, man müsse sie „massiv senken, um mindestens die Hälfte. Thema soziales Pflichtjahr für Rentner, eine Idee des SPD-„Ökonomen“ Marcel Fratzscher: Söder nennt es kurz „Quatsch-Idee“ und „so ein Blödsinn“. Thema Steuererhöhungen generell: „No way, no Chance, das zu machen“, sagt Söder, denn „wir müssen endlich anfangen, Steuern zu senken“. Thema Krankenkassenbeiträge: Eine Erhöhung sei überhaupt nicht nötig, sagt Söder, denn im System selbst gebe es noch „so viele Möglichkeiten“ der Optimierung, etwa die Klärung der Frage, „ob wirklich so viele Krankenkassen nötig sind“ oder „ob die Digitalisierung nicht endlich mal Früchte tragen sollte“.

Beim Thema Gaza stellt er sich im Gegensatz zu Merz vollumfänglich und uneingeschränkt auf die Seite Israels und verteidigt zugleich, dass Merz die militärische Unterstützung eingestellt hat. Aber nicht direkt, nur zwischen den Zeilen. Dass dies alles recht widersprüchlich klingt, versteckt er hinter wattweichen Worten. Schließlich spricht hier Söder, der kann A und B in einem Atemzug.

Beim Thema Aufrüstung beschwört er munter die Gefahr, dass Putin „2027 oder 2029“ den Westen angreifen könnte. Belege hat er nicht, er zitiert nur „Experten“. So wie damals, als er während Corona das Bücherlesen auf Parkbänken untersagte. Eine Impfpflicht forderte. Menschen in zwei Klassen trennte. Zugleich aber sagt er heute über die Ukraine: „Jede Lösung mit Russland wird keine Nato-Soldaten vorsehen.“ Also wäre eine Aufrüstung, logisch betrachtet, eigentlich gar nicht nötig. Doch nicht so bei Söder. Er verteidigt die geplante massive Erhöhung der Rüstungsausgaben: „Warum warten, wenn wir schon heute wissen, dass die Gefahr besteht?“ Ach ja, die Taurus-Rakete werde übrigens in Bayern produziert, betont er. Vielleicht sind die Dinge mitunter ganz einfach zu erklären.

Die größte innenpolitische Herausforderung sieht Söder beim Bürgergeld. Er fordert die ersatzlose Abschaffung, denn die Hälfte der Bezieher seien keine deutschen Staatsbürger. „Wir haben gut ausgebildete Leute und setzen Anreize, dass sie nicht arbeiten. Das ist absurd.“

Bei Ausreisepflichtigen müssten „die Leistungen auf ein Existenzminimum reduziert werden“ und es brauche eine nationale Bezahlkarte für alle Steuergeldempfänger. Überhaupt sei das Thema Migration ja traditionell ein CSU-Thema und nicht etwa das der AfD. „Wir haben noch ’ne Menge Arbeit, Sparpotential und auch Veränderungen, die durchzusetzen sind.“

So viel Konfliktpotential innerhalb der Union, so viel Uneinigkeit. Und doch: so viel Einigkeit! Das will Söder dem Zuschauer zumindest weismachen. Sein Verhältnis zu Friedrich Merz etwa sei historisch das beste, was es je zwischen einem CDU- und CSU-Vorsitzenden gegeben habe. Da wird es selbst der Moderatorin Anne Engelke zu viel. Sie stellt fest: „Unter historisch machen Sie es nicht.“

ARD-Sommerfrechheit mit Pauken und Trompeten
ARD-Sommerinterview: Das Interview, das alles zerstörte – nur nicht Weidel
Wovon der ARD-Zuschauer nichts mitbekommt, ist eine massive Störaktion während des Interviews. Am Nachmittag hatte die „Identitäre Bewegung“ auf X mitgeteilt, sie habe mit einem erfolgreichen Flashmob das Interview gestört. „Wir haben das Sommerinterview mit Söder lautstark besucht. Denn wir stehen für mehr als Protest: Wir stehen für eine neue Generation. Kein System kann unseren Willen ersticken. Eine Idee, deren Zeit gekommen ist, ist nicht aufzuhalten. Remigration!“

In mehreren Videos ist auf den Treppen gegenüber der Open Air-Studiofläche an der Spree eine Gruppe schwarz-gelber Demonstranten zu sehen, die ein Plakat mit dem Spruch „Stärkste Kraft im Land. Uns übertönt ihr nicht“ zeigen. Dazu skandieren sie lautstark „Europa, Jugend, Reconquista“ sowie immer wieder „Remigration“.

Der Flashmob wurde offenbar nach wenigen Augenblicken von der Polizei handgreiflich aufgelöst, und die Demonstranten wurden am Boden fixiert. Interessant, dass die Polizei plötzlich so schnell und effizient einschreiten kann. Beim Weidel-Interview sah es noch ganz anders aus. Die linken Aktivisten durften die ganze Sendung über lautstark stören, sogar ein tausende Watt starker Soundbus war am Start. Und die ARD sah sich außerstande, den Ton später zu bereinigen.

Das Söder-Interview hingegen wurde offenbar erfolgreich bearbeitet. In der ausgestrahlten Sendung ist von den Identitären weder etwas zu sehen noch zu hören. Auch eine angemeldete Demonstration der Pro-Kernkraft-Organisation „Nuklearia“ wird in der späteren Aufzeichnung der ARD nicht erwähnt. Man sieht lediglich ein paar friedliche Demonstranten und zwei Transparente im Hintergrund der Szenerie.

Söder blickt allerdings während des Gesprächs auffällig oft zum anderen Ufer hinüber. Der vorinformierte Zuschauer spürt: Da ist doch irgendwas!

Jedes schauspielerisches Talent hat eben seine Grenzen.

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Kommentare ( 28 )

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28 Comments
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kb
3 Monate her

Der derzeit größte Scharlatan in der deutschen Politik. Aber er hat Erfolg damit bei seinen Dummbayern.

Talleyrand
3 Monate her

Aber was für’n Ticker ist ein Poli-ticker? Woher kommt er, und was will er von der Welt? fragte Georg Kreisler. Gute Frage angesichts dieses Poli-Tickers aus Bayern.

Waldschrat
3 Monate her

Söder ist ein Opportunist allererster Güte und so glaubwürdig wie Baron Münchhausen. Das dient möglicherweise alles dazu, sich in Stellung zu bringen, da fraglich ist, wie lange Merz noch der greatest Leader of Germany ist.

Or
3 Monate her

Der geneigte Zuschauer fragt sich, bei den vielen tollen Ideen des Söders.
Er regiert doch in Bayern quasi allein, bzw. nur mit einem CSU-Appendix. Warum setzt er dann nicht etwas davon um ?

Klaus Uhltzscht
3 Monate her

Söder ist genau der richtige Kanzler für dieses deutsche Volk. Genau wie Merkel, Merz, Honecker, Gysi und Olaf Scholz.

hoho
3 Monate her
Antworten an  Klaus Uhltzscht

Ich bin nicht sicher was Honecker in der Gruppe macht – er war der Chef des Staates in Osten, der nicht mehr existiert. Gysi war nich mal nah an Kanzlerposition. Dazu das Volk in Osten hat irgendwie die Geduld verloren. Davon sind wir im Westen weit entfernt. Vlt wenn wir den Krieg gegen Russland verlieren, den Merz so gern haben möchte, wird sich was ändern.

Or
3 Monate her
Antworten an  Klaus Uhltzscht

Der Vergleich hinkt etwas. Der Dachdecker war schlau genug, sich nie einer wirklichen Wahl zu stellen. Der übernahm einfach das Amt vom Ziegenbart.

Ohanse
3 Monate her

Das ist der Unterschied: Dr. Weidel konnte die Störung souverän aushalten, weil sie stark ist. Söder dagegen ist schwach. Deswegen der Polizeieinsatz. In der CDU/CSU ist, wie generell in den Altparteien, kein kanzlerfähiges Personal mehr vorhanden. Schwache Politiker, schwache Politik. Solange die Altparteien regieren, geht es mit Deutschland weiter ungebremst bergab.

investival
3 Monate her

Söder hat die, per se nicht besondere, Gabe, Dinge außerhalb seiner, auch eigens wohlweislich begrenzten, direkten Verantwortung konkret anzusprechen. Darüber insinuiert er, ein Problemlöser sein zu können. Leider hat er eine dahingehende Glaubwürdigkeit, das auch zu wollen, mit seinem ‚Corona‘-Gehabe an Merkel’s Seite warum auch immer in diametraler Weise sabotiert. Er will offenbar gar kein Problemlöser sein. Es reicht ihm, sich als solcher fiktiv in hinreichend vielen Wählerhirnen seines begrenzten Verantwortungsbereichs zu gefallen. Bescheidenheit außerhalb staatlich alimentierter Versorgung ist halt auch eine Tugend 😀 Manchmal scheint dabei auch er knapp an der Realität zu scheitern …: „Wir haben gut ausgebildete… Mehr

Last edited 3 Monate her by investival
Privat
3 Monate her

Söder – Für mich ist dieser Söder auch ein gefährlicher Schädling, genauso wie der Rest der bunten Bande. Ein Wendehals der schlimmsten Sorte.

MartinKienzle
3 Monate her

Wer schaltet noch die alliierten Sender wie ARD an (https://www.deutschlandfunk.de/deutschland-re-education-alliierte-zweiter-weltkrieg-100.html), um unter anderem BRD-Politiker wie Söder zu hören, die im Auftrag der Alliierten handeln („Wir sind keine Mandanten des deutschen Volkes, wir haben den Auftrag von den Alliierten.“, BRD-Bundeskanzler Adenauer)?

Last edited 3 Monate her by MartinKienzle
Peter Gramm
3 Monate her

Worüber regt man sich auf. Im Politikbetrieb gibt es viele solcher Leute wie Herrn Söder. Es ist völlig unerheblich was er da so ausstülpt. Einkommen und Versorgung sind gesichert, Steuergeldverschwendung bleibt haftungsfrei. Sind doch paradiesische Zustände. Der Politikbetrieb ist voll von solchen „Leistungsträgern“. Ganz wichtig, auf dem Büroschild einen Dr. Titel. Hab irgendwo gelesen…ist halt wie bei den Pavianen. Je größer der rote Hintern um so mehr Respekt wird dem Inhaber entgegen gebracht. Unabhängig von seiner tatsächlichen Profession. Das GG sieht eigentlich nur eine Mitwirkung bei der Willensbildung vor. Tatsächlich haben sich die Parteien mit ihren Listengünstlingen diesen Staat gekrallt… Mehr

Or
3 Monate her
Antworten an  Peter Gramm

Danisch hat auf seinem Block von innerparteilichen, CDU/CSU nahen Doktorschmieden an deutschen Unis geschrieben.
Und auch wenn man sieht, welche Intellektuellen Dünnbrettbohrer sich in der Politik tummeln.
Da muss man davon ausgehen, daß dieser Dr. auf der Visitenkarte vieler Politiker eher durch loyale Parteiarbeit, und weniger durch eine akademische Leistung „erworben“ wurde.