Was das Virus mit der Energiewende zu tun hat

2020 hat der Verbrauchsrückgang aufgrund von COVID-19 zur größten Reduzierung der Treibhausgasemissionen seit 1945 geführt. Es bräuchte ähnliche Einschränkungen in jedem Jahr der kommenden Dekade, um die politisch vorgegebenen Klimaziele zu erreichen.

Die diesjährige Ausgabe des „World Energy Markets Observatory“ (WEMO) von Capgemini (in Zusammenarbeit mit De Pardieu Brocas Maffei, Vaasa ETT und Enerdata) reflektiert zwei Entwicklungen: einerseits aus dem Jahr 2019 die Fortsetzung vorheriger Trends im Bereich der Energiewende – den Fortschritt bei erneuerbaren Energien, Speichertechnologien und hinsichtlich des Klimawandels sowie die Veränderung der Energiemärkte; andererseits die tiefgreifenden Auswirkungen von COVID-19 auf die Branche im Jahr 2020. Sie definieren die Ausgangsbasis neu und schaffen eine sogenannte neue Normalität.

Angesichts der Akühlung des weltweiten Wirtschaftswachstums bereits im Jahr 2019 lag das BIP-Wachstum der G20-Länder um 0,8 Prozentpunkte unter dem des Vorjahres. Die Energienachfrage stieg um lediglich 0,7 Prozent – gegenüber einem Plus von 2,2 Prozent im Jahr 2018. Während die globalen CO2-Emissionen im Jahr 2019 um weitere 0,6 Prozent anstiegen (auf den höchsten jemals erreichten Wert), sanken sie in der EU – am stärksten in Deutschland um 6,5 Prozent. Dies entspricht einem Drittel der EU-weiten Reduktionen, doch Deutschland ist weiterhin der größte Emittent in Europa. Im Energiesektor weltweit gingen die Emissionen um 0,4 Prozent zurück. Das ist auf eine Kombination verschiedener Faktoren zurückzuführen, darunter eine Verlagerung von Kohle zu Gas, das Wachstum der erneuerbaren Energien und Verbesserungen der Energieeffizienz.

Im Jahr 2020 hat der beträchtliche Verbrauchsrückgang aufgrund von COVID-19 zur größten Reduzierung der Treibhausgasemissionen seit dem Zweiten Weltkrieg geführt. Die Emissionen werden im Gesamtjahr 2020 aufgrund von Mobilitätseinschränkungen und einer starken wirtschaftlichen Abkühlung gegenüber 2019 um schätzungsweise sieben bis acht Prozent zurückgehen, in Deutschland um elf Prozent.

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Doch die Emissionswerte des Jahres 2020 sind vor allem Ausdruck situativer Veränderungen, so Guido Wendt, Head of Energy and Utilities bei Capgemini: „Dieser Emissionsrückgang im Jahr 2020 hängt mit den Lockdowns und anhaltenden Mobilitätseinschränkungen zusammen. Die Emissionen werden wieder ansteigen, sobald sich die Welt von der Pandemie erholt. Zur Veranschaulichung: Es bräuchte ähnliche Einschränkungen in jedem Jahr der kommenden Dekade, um ökologisch auf Zielkurs zu kommen, was natürlich kein gangbarer Weg ist. Grundlegende Veränderungen sind daher notwendig, um die Klimaschutzziele zu erreichen.“ Die weltweiten Investitionen in die Stromerzeugung fließen zu über der Hälfte in erneuerbare Energien – mehr in den Industrieländern und weniger in den Entwicklungsländern. Letztere bauen weiterhin Kohle- und Gaskraftwerke, um den boomenden Strombedarf zu decken. Mit dem wachsenden Markt für erneuerbare Energien und durch technologischen Fortschritt sanken die Erzeugungskosten 2019 weltweit erneut um mehr als zehn Prozent (Wind und Solar), wobei kontinuierlich niedrigere Kosten zu verzeichnen waren. Sehr aussichtsreich ist die Offshore-Windenergie, während die Akzeptanz an Land problematisch bleibt. Im Onshore-Bereich fand Wachstum 2019 in der EU hauptsächlich in Spanien und Schweden statt; in Deutschland dagegen fiel es auf den niedrigsten Wert seit 1998 zurück. Für den Zugewinn von 40 Prozent bei den Erneuerbaren sorgten hierzulande hauptsächlich Solar- und Offshore-Windanlagen.

Die Kosten für Elektrofahrzeugakkus und stationäre Speicher sind im Jahr 2019 erneut um 19 Prozent gesunken (Li-Ionen-Batterien), und es gibt 115 Produktionsgroßprojekte. Davon sind 88 in China angesiedelt. Neben China dominieren mit Japan und Südkorea weitere asiatische Akteure diesen Markt.

Unterdessen macht Europa deutliche Fortschritte bei der Entwicklung von Wasserstoff als grüne Energiequelle. Im Juli 2020 beschloss die Kommission der Europäischen Union, bis 2050 zwischen 180 und 470 Milliarden Euro zu investieren, um einen Anteil von zwölf bis 14 Prozent grünen Wasserstoffs am europäischen Energiemix zu erreichen. Deutschland und Frankreich stellen in ihren Corona-Maßnahmenpaketen neun beziehungsweise sieben Milliarden Euro für die Entwicklung der Wasserstofftechnologie bereit.

Mit dem steigenden Anteil fluktuierender erneuerbarer Energieerzeugung (Wind- und Sonnenenergie) wird der Netzausgleich anspruchsvoller, und die Versorgungssicherheit könnte in Gefahr geraten. Dieser Umstand hat sich in diesem Jahr sowohl in Europa als auch in den USA gezeigt:

• Im April 2020, während des Lockdowns, führte der Rückgang des Stromverbrauchs in Europa, kombiniert mit sonnigem und windigem Wetter, zu Rekordanteilen erneuerbarer Energie im Netz – in Deutschland am 21. April von 78 Prozent. In Deutschland und im Vereinigten Königreich kam es beinahe zu Stromausfällen. Dies hat gezeigt, dass die Netze und Regulierungen nicht auf den hohen Anteil erneuerbarer Energien abgestimmt sind, der zum Ende des Jahrzehnts erreicht sein soll.

• Mitte August 2020 kam es während einer Hitzewelle zu Stromausfällen in Kalifornien, wo die Stromversorgung zu 33 Prozent aus erneuerbaren Energien, hauptsächlich aus Sonnenenergie, besteht. Dies ist an heißen Sommerabenden eine Herausforderung, wenn die Stromerzeugung aus Solarenergie auf Null sinkt, der Bedarf an Klimatisierung jedoch bestehen bleibt. Diese Schwierigkeiten werden sich noch verschärfen, da Kalifornien das Ziel von 60 Prozent erneuerbarer Elektrizität im Jahr 2030 verfolgt und gleichzeitig planbare Erzeugungen aus fossilen Brennstoffen und Kernkraftwerke auslaufen lässt.

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Wendt rät: „Die Branche sollte mit Blick auf den erwarteten Anstieg der Erneuerbaren weitere Aktivitäten unternehmen, um die Netzstabilität auch in Zukunft gewährleisten zu können. Es stehen viele ausgereifte digitale Instrumente und Methoden zur Verfügung, um die Vorhersagbarkeit, Zuverlässigkeit und Netzstabilität abzusichern und so die Energiewende zu beschleunigen.“ Die Netzstabilität erfordert planbare Erzeugungskapazitäten, Speicher oder eine steuerbare Verbrauchsflexibilität. Der WEMO zeigt Möglichkeiten auf, den Netzausgleich dort zu optimieren, wo ein hoher Anteil erneuerbarer Energiequellen existiert – durch genauere Prognosen zur Erzeugung sowie kohlenstofffreien Speicherung mit Batterien und zunehmend Wasserstoff. Eine zuverlässigere Prognose und Beeinflussung der Nachfrage werden möglich durch die Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Automatisierung. Smart Grids in großem Maßstab sind ein weiteres Strategieelement, um die dezentrale Energieerzeugung besser zu managen. Regulatorische Anreize könnten für ihren Ausbau positive wirtschaftliche Signale senden und zu den nötigen Investitionen anregen.

Ein Drittel des mit 750 Milliarden Euro ausgestatteten europäischen Rettungsfonds ist für Nachhaltigkeits- und Energiewendeprojekte vorgesehen, und die Pläne der Mitgliedstaaten sehen ähnliche Anteile für Umweltprojekte vor. Dies kann einen großen Fortschritt begründen; entscheidend allerdings wird die Umsetzung dieser Pläne sein. Der WEMO empfiehlt daher, den Einsatz dieser für Nachhaltigkeitszwecke bestimmten Gelder genau zu beobachten und ihre grüne Zuteilungsauflage zu verstärken.

Um die Klimaschutzziele zu erreichen und gleichzeitig die Sicherheit der Energieversorgung zu gewährleisten, empfehlen die Autoren des Reports:

• Die Eindämmung von Treibhausgasemissionen. Die Bestimmung eines substanziellen Kohlenstoffpreises und / oder die Einführung von CO 2 -Steuern, gerade auch auf importierte Produkte, sowie die Begrenzung der Methan-Emissionen (ein besonders schädliches Treibhausgas).

• Die Begünstigung des Baus kohlenstofffreier Kraftwerke zur grünen Stromerzeugung (erneuerbare Energien, aber auch sichere Kernkraftwerke).

• Die Förderung von Elektrifizierung (insbesondere des Verkehrs) für die strukturelle Dekarbonisierung der Wirtschaft.

• Die Gewährleistung eines sicheren Netzbetriebes durch einen höheren Digitalisierungsgrad der Netze sowie bessere Möglichkeiten, Einspeisung und Entnahme zu beeinflussen. Das betrifft insbesondere die Dynamisierung von Tarifen und Einflussmöglichkeiten auf die „Merit-Order“, um erneuerbare Energien bei Bedarf beschränken zu können.

• Die Weiterentwicklung von grünem Wasserstoff.

• Die Sicherstellung, dass der grüne Anteil der Konjunkturpakete Realität wird.


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Kommentare ( 4 )

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StefanB
3 Jahre her

„…bessere Möglichkeiten, Einspeisung und Entnahme zu beeinflussen.“

Übersetzt: Planwirtschaft im Energiesektor, der grundlegend für ALLE anderen Bereiche ist, denn ohne Energie geht nunmal gar nichts. Aber immerhin ist es ja für’s „Gute“.

Klaus H. Richardt
3 Jahre her

Ein Smart-Grid wird im Großmaßstab niemals funktionieren können, da es wegen der großen Entfernung und Anzahl der zu regelnden Einzelerzeuger schon wegen der Signallaufzeiten zu Störungen kommen muss. Einziger Ausweg: Weiter Großkraftwerke betreiben (Kernkraft- oder Kohle) und erneuerbare Energien lokal nutzen.

Biskaborn
3 Jahre her

Interessanter Artikel, visionär aber wohl eher illusionär vermute ich mal.

Iso
3 Jahre her

Weltweit sind über 1000 Kohlekraftwerke im Bau und in Planung. In der EU schafft man sich hingegen beste Voraussetzungen, und nicht mehr Wettbewerbsfähig zu sein. Was wird wohl passieren, wenn man feststellt, dass die in Asien produzierten Konsumgüter mit Strom aus Steinkohle erzeugt wurden. Gibts dann in Deutschland keine Fernseher zu kaufen?