Von der EU nach London: Unilever will gehen, Shell überlegt

Anders als prognostiziert fliehen nach dem Brexit keine Firmen aus Großbritannien. Es scheint eher eine umgekehrte Bewegung zu geben. Die holländischen Grünen drohen mit einer EU-Fluchtsteuer.

imago images / Hollandse Hoogte

In der Brexit-Debatte gab es vor allem in deutschen Medien die Ankündigung: tritt das Vereinte Königreich aus der EU aus, werden viele Firmen die Insel verlassen und auf den Kontinent übersiedeln. Jetzt scheint es tatsächlich eine Bewegung von Firmen zu geben: allerdings in die umgekehrte Richtung. Das Traditionsunternehmen Unilever – Hersteller unter anderem von Lipton’s Tea, Knorr-Suppen und Axe-Duschgel – steht offenbar kurz davor, seinen Firmensitz in Rotterdam aufzugeben und ganz nach London zu ziehen, wo sich bisher eines der beiden Hauptquartiere befand. Damit würde die 90jährige niederländisch-britische Firmengeschichte inklusive zweier Sitze enden.

Eine ähnliche Debatte gibt es gerade bei dem niederländisch-britischen Ölmulti Shell.

Am Montag stimmte eine 99-Prozent-Mehrheit der niederländischen Aktionäre für die Verlagerung von Unilever nach London. Im kommenden Monat müssen noch die britischen Anteilseigner entscheiden. Eine Mehrheit gilt als sicher. Den Umzug des Konzerns mit 155.000 Mitarbeitern weltweit und 52 Milliarden Euro Umsatz (2019) treibt Vorstandschef Alan Jope voran. Ein Firmensitz spart nicht nur Kosten; der Komplettumzug nach Großbritannien macht künftig auch Akquisitionen rechtlich leichter. Künftig sollen Aktien des Unternehmens nur an der Börse in London gelistet werden. Damit entginge der Konzern auch einer möglichen Finanztransaktionssteuer, über deren Einführung in der EU debattiert wird.

Zwar kündigte Unilever schon an, „grüner“ werden zu wollen und mehr nachhaltige Inhaltsstoffe einzusetzen. Aber wie viele Unternehmen will der Lebensmittel- und Drogeriegüter-Hersteller das Tempo gern selbst bestimmen. Auch das dürfte in Großbritannien leichter fallen als in der EU, die mittlerweile jeder Branche detailliert vorschreibt, wie viel CO2 sie zu reduzieren hat. Shell-Vorstandschef Ben van Beurden erwähnte eine ähnliche Komplettverlagerung des bisher binationalen Konzerns nach London in einem Interview als „Option: „Nichts ist dauerhaft, und natürlich schauen wir auf das Standortklima.“

Bemerkenswert fällt die politische Reaktion in den Niederlanden aus. Dort will der Grünen-Politiker Bart Snels eine Strafsteuer für den Wegzug Unilevers und anderer EU-müden Konzerne ins Parlament bringen – eine Art EU-Fluchtsteuer.

Im Fall von Unilever könnte sie nach Spekulationen des Grünen-Politikers bis zu 11 Milliarden Euro betragen. Die Grünen sind in den Niederlanden Oppositionspartei, aus der Regierungskoalition kamen zu dem Plan von Snels bisher sehr zurückhaltende Kommentare. Außerdem der Hinweis, dass eine solche Wegzugssteuer sowohl gegen internationales Recht als auch gegen ein niederländisch-britisches Besteuerungsabkommen verstoßen würde. Trotzdem bleibt der Eindruck: statt Unternehmen etwas zu bieten, wollen EU-Verteidiger sie am liebsten anketten. Das animiert andere Firmen kaum, umgekehrt vom UK auf den Kontinent zu ziehen.

Auch auf einem anderen Gebiet folgte auf den Brexit nicht das, was viele Kommentatoren vorausgesagt hatten, nämlich eine Flucht junger Gründer aus London. Im Gegenteil – in dem Ranking der 36 besten Städte für Startups 2020 rangiert die britische Hauptstadt ganz oben, gleich nach dem Silicon Valley und gleichauf mit New York. Als beste EU-Stadt liegt Stockholm auf Platz 10, Berlin als beste deutsche Gründermetropole auf Rang 16.

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Kommentare ( 123 )

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Jan des Bisschop
3 Jahre her

Ob das Beispiel Schule macht wird wohl daran liegen, ob es gelingt ein vernünftiges Handelsabkommen zwischen GB und der EU zu etablieren. Kannn sich GB aus der tötlichen Umklammerung der EU Umweltpolitik befreien und dennoch Waren zollfrei in die EU exportieren, dann wird es wohl ein run auf die Inseln geben.

monsalvat
3 Jahre her

Ganz um sonst kommt hier ein Lösungsvorschlag für die Niederländer. Nexit und das ganz fix. Dann können sie vielleicht noch was retten. Ganz zu schweigen von den vielen nach Brüssel fließenden Milliarden, die sie dann für ihr eigenes Land ausgeben können.

Anti-Merkel
3 Jahre her

Ich habe mich schon oft über Unilever geärgert — aber diesmal haben sie recht. Gute Entscheidung, hoffentlich gibt es noch viele, die es nachmachen.
Die Erfolgsgeschichte Brexit wird andere Länder dazu bewegen, das auch richtig zu machen. (Schweizer Bundesrat, lest Ihr mit? Der Rahmenvertrag mit institutioneller Einbindung ist abzulehnen!)

Ali
3 Jahre her

Nun ja, aus Sicht von Privatunternehmen vollkommen nachvollziehbar.

Die EU steht für eine immer forcierten Gangart in Richtung totalitärer Öko-Sozialismus.

Während peinliche Stromabschaltungen bei Kaffee-Maschinen die „geistige Leistungsfähigkeit“ des Brüsseler Regimes lediglich der Lächerlichkeit preisgab, sind Anti-Marktwirtschaftliche Hürden wie „CO2-Ziele“ usw. nichts anderes als die Zukunft eines neuen „Trabbi für Alle“. Und „Enteignung des Großkapital ist ja auch nicht nur ein Thema der SPD“

Solche Entwicklungen können Unternehmen nicht wollen. Es ist richtig zu gehen .Lieber frei scheitern als unter Zwang unproduktiv dahinsiechen.

Old-Man
3 Jahre her

Der wahre Run aus der EU nach GB wird erst im kommenden Jahr mit Wucht los gehen,wenn die Britten nämlich nichts mehr mit der EU zu tun haben. Die sehr große Wahrscheinlichkeit,das es auch viele deutsche Unternehmen jucken wird sich aus dem EU-Joch zu befreien ist bei vielen schon spürbar. Die EU wollte ein Exempel an den Britten statuieren,das ist wohl damit nach hinten los gegangen,denn wenn die Britten sich nur ein wenig starrsinniger gegen bestimmte „Wünsche“ der EU-Idioten zeigen,schlägt das Pendel zurück in die Fratze der EU,und dann wackeln die Zähne. Ich „träumte“,das verschiedene Chemieunternehmen mit dem Wechsel liebäugeln,eine… Mehr

Marina
3 Jahre her

Mit einer EU-Flucht-steuer reißen sich selbst die -grün-Sozialisten die Maske vom Gesicht. Und das Gegenteil wird eintreten, nach dem Motto..,,Rette sich wer kann,,!

Sabine Ehrke
3 Jahre her

Wie sehr mich das freut, können sich die marxistisch-leninistischen EU Faschisten gar nicht vorstellen.

Wolff-Simon
3 Jahre her
Antworten an  Sabine Ehrke

Ich werde darauf mit meinen Freunden heute Abend mit einem sehr guten alten Single Malt anstoßen!

Proll27
3 Jahre her

Das grüne EU-Gefängnis fordert Wegzugsteuern. Nur weiter so! Das wird der Wirtschaft zeigen, wo Bartel den Most holt. Firmen/Konzerne, die einen Exit in Erwägung ziehen, werden diesen Entschluss hoffentlich nicht auf die lange Bank schieben, denn die grüne EU-Welle wird sieunweigerlich hinwegspülen. Viel Erfolg für Unilever. Ein richtiger, konsequenter Schritt. Wir brauchen keine EU-Kommandowirtschaft.

schwarzseher
3 Jahre her

Strafsteuer wegen Wegzugs, typisch grün-sozialistischer Schwachsinn. Eine Strafsteuer für weiße Hautfarbe ( Grüne und Rote ausgenommen, da sie als “ coloured “ gelten ) und für AfD Wähler wird wohl nach der Regierungsbeteiligung der Grünen in Deutschland unabdingbar sein.

8flieger8
3 Jahre her
Antworten an  schwarzseher

Und natürlich eine Strafsteuer für Dummh… ach, die gibts ja schon!

swengoessouth
3 Jahre her

Die Fluchtsteuer gibt es in Deutschland schon sehr lange. Diese heißt Wegzugsbesteuerung und ruiniert jeden Unternehmer und Unternehmen, die in ein anderes Land ziehen möchte. Diese Wegzugsbesteuerung wird, wenn man in ein EU Land umzieht, gestundet, kann aber jederzeit fällig gestellt werden. Diese Steuer verstößt gegen EU Recht, interessiert aber die Regierung nicht.

Jeder der ein Unternehmen gründet sollte sich vorab überlegen, in welchem Land er sein Unternehmen gründet, weil aus Deutschland bekommt er das Unternehmen nicht mehr heraus.

monsalvat
3 Jahre her
Antworten an  swengoessouth

Seit wann haben unsere Politiker ein Interesse an Gesetzten? Selbst Amtseid und Grundgesetz gehen denen doch am Arm vorbei.

Thomas G
3 Jahre her
Antworten an  swengoessouth

„Jeder der ein Unternehmen gründet sollte sich vorab überlegen, in welchem Land er sein Unternehmen gründet, weil aus Deutschland bekommt er das Unternehmen nicht mehr heraus.“ Dies war auch meine Befürchtung, als ich mich Anfang des Jahres selbstständig gemacht habe. Deshalb habe ich mich dazu entschieden, Einzelselbstständiger zu werden. Jetzt wird zwar der komplette Gewinn mit meinem persönlichen Steuersatz versteuert, aber das, was danach übrig bleibt, geht in ein Aktiendepot (haupsächlich kanadische Gold- & Silberbergbauaktien, aber Geschmackssache) im Vereinigten Königreich (siehe Kölsches Grundgesetz: Wat fott es, es fott). All dieser Aufwand wäre sicherlich besser investiert, wenn dadurch hier Arbeitsplätze geschaffen… Mehr