Tourismus in Deutschland liegt noch um ein Viertel unter Vor-Corona-Niveau

Fast ein Viertel weniger Übernachtungen als vor der Corona-Zeit. Vor allem das Auslandsgeschäft ist eingebrochen. Trotzdem gibt es Versuche, sich die Situation der deutschen Tourismusbranche schön zu feiern.

IMAGO / Jürgen Held

Das Statistische Bundesamt gibt den Ton vor: „Fast dreimal so viele Übernachtungen wie im Vorjahresmonat“, überschreibt die Pressestelle die Mitteilung zu den Zahlen aus dem März. Eine positive Interpretation, die von den meisten Medien begierig aufgegriffen wird. Die beliebteste Überschrift zu der Meldung heißt: „Tourismus nimmt wieder Fahrt auf“. Fahrt aufnehmen wie Verreisen und das wiederum wie Tourismus. Wortspiel. Super lustig.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Die Fröhlichkeit und der Optimus speisen sich aus dem Vergleich der Zahlen vom März 2022 mit denen vom März 2021. Um 157,7 Prozent seien die Übernachtungen in diesem Zeitraum gestiegen. 157,7 Prozent. So viel haben nicht mal die SED oder Martin Schulz als SPD-Parteivorsitzender geschafft. Nur: Wie sinnvoll ist dieser Vergleich? März 2021. Für alle, die es vergessen haben. Der März 2021 begann damit, dass es nur noch vier Wochen waren, bis wir nur noch vier Wochen durchhalten mussten, um dann weitere vier Wochen lang unsere Erfolge nicht zu gefährden, bis dann die Gastronomie schon bald wieder öffnen konnte. Der vierwöchige November-Lockdown dauerte vom 1. März 2021 an noch fast drei Monate.

Wie sinnvoll ist es, einen Vergleich anzustellen, zu einer Zeit, in der die Gastronomie geschlossen und der Tourismus massiv eingeschränkt war? Überhaupt nicht, sagt das Statistische Landesamt Rheinland-Pfalz: „Ein Vergleich mit dem Jahr 2021 ist wegen des damals geltenden Beherbergungsverbots nicht sinnvoll“, heißt es in einer Mitteilung, in der das Amt die rheinland-pfälzischen Zahlen vom Februar 2022 vorstellt.

Wer die Jubelstimmung weglässt und rein auf die (vergleichbaren) Zahlen sieht, kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Um 23,7 Prozent ist die Zahl der Übernachtungen in Deutschland von März 2019 auf März 2022 laut Statistischem Bundesamt zurückgegangen. 33 Millionen Übernachtungen waren es vor der Pandemie, 25,1 Millionen Übernachtungen sind es in diesem März gewesen. Vor allem das Auslandsgeschäft ist eingebrochen: Um 44,2 Prozent ist die Zahl der Übernachtungen von Gästen aus dem Ausland weniger geworden seit März 2019. Im Inlandsgeschäft sieht es nicht ganz so schlimm aus: Da betrug der Rückgang nur 19,2 Prozent.

Knapp zwei Drittel der touristischen Übernachtungen finden in Hotels, Gasthöfen und Pensionen statt. In diesen wirkte sich der Rückgang stärker aus als im Schnitt: Um 28,6 Prozent ging das Geschäft von März 2019 auf März 2022 zurück. Es gab auch einen Profiteur in der Krise: die Campingplatzbesitzer. Ihr Geschäft ist im März 2022 sogar vergleichsweise gestiegen – 39,1 Prozent mehr an Übernachtungen konnten sie verbuchen als im März 2019.

EU-Vergleich
Deutsche Arbeitnehmer profitieren kaum von den hohen Arbeitskosten
Ein Blick auf eine Tourismusregion wie Rheinland-Pfalz zeigt, wo die Einbrüche stattfanden. Dort hat das Statistische Landesamt erst die Zahlen für den Februar ausgewertet. Im Land ist ein Sondereffekt zu berücksichtigen, weil der Tourismus an der Ahr in Folge der Flutkatastrophe mancherorts komplett zusammengebrochen ist. Im Vergleich der Regionen von Februar 2022 zu Februar 2020, in dem es noch keinen Lockdown gab, seien die Übernachtungszahlen um zwischen 25 Prozent in der Eifel und 51 Prozent in Rheinhessen zurückgegangen.

Wobei in Rheinland-Pfalz das Geschäft mit den ausländischen Gästen nahezu tot ist. Gerade mal noch 14 Prozent Anteil hat es am Gesamtgeschäft. Die Einbrüche in diesem Bereich liegen laut Statistischem Landesamt bei über 50 Prozent. Der rheinland-pfälzische Tourismus lebt eigentlich stark von seinen Nachbarländern wie Belgien und die Niederlande. Zudem gibt es einen Sondereffekt durch die vielen Militärstandorte: Viele amerikanische Gäste besuchen Rheinland-Pfalz – beziehungsweise haben Rheinland-Pfalz vor der Pandemie besucht.

Dass der größte Rückgang in der kleinen Region Rheinhessen stattfand, ist kein Zufall. Die allermeisten seiner rund 640.000 Einwohner leben in Mainz, Bingen, Alzey oder Worms. Vor der Pandemie waren sie besonders beliebte Ziele für Städtetourismus. Doch besonders der hat unter der Lockdown-Politik gelitten. Entsprechend ist der Städtetourismus eine Baustelle, an der die Branche arbeitet. So haben sich jüngst europäische Metropolen wie Wien, Berlin, Paris, London oder Barcelona zusammengetan. Sie wollen mit einer gemeinsamen Werbekampagne verloren gegangene Kundschaft zu einer Rückkehr motivieren. Die Aktion „United Cities of Tourism“ beginnt am 15. Mai mit einer Aktion auf dem sozialen Netzwerk Instagram.

Im Merkur bemüht Wiens Tourismus-Chef Norbert Kettner den Vergleich mit 2021, um Optimismus zu verbreiten. Auch seien zwar viele kleine Betriebe kaputt gegangen, aber es werde jetzt wieder investiert. Springt der Tourismus wieder an, wäre das Geschäft also nicht weg – es würde nur jemand anderes machen.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 6 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

6 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
tyr777
2 Jahre her

Dass viel weniger Gäste aus dem Ausland kommen ist ja wohl logisch, wer will den schon Urlaub machen in einem Land, das bis vor wenigen Wochen mit die strengsten Corona-Maßnahmen weit und breit hatte.
Urlaub innerhalb Deutschlands hat sich für mich auch erledigt, die Gastromie und Hotels etc haben doch in der überwiegenden Mehrheit den Wahnsinn in den letzten 2 Jahren mitgemacht und das zum Teil sogar noch freiwillig (z.B 2 G als es noch keine Pflicht war).

Hatsenichtalle
2 Jahre her

Ich weiß doch nicht welche Regeln in welchem Bundesland gelten.
Deshalb geht es über Dänemark und Schweden nach Norwegen. Flieger kommt nicht in Frage wegen der Maskenpflicht; darf ich aals ungeimpfter eigentlich fliegen?
Landschaft geniessen, die Menschen sollen da ja wegen der falschen Massnahmen alle tot sein.
Und wenn mich jemand fragt, wo ich her komme, dann hole ich eine Maske raus. 🙂

Biskaborn
2 Jahre her

Ehrlichkeit, Objektivität, Realismus sind Begriffe die wir in Kürze hierzulande komplett aus dem Vokabular streichen müssen. Politiker und Einheitsmedien wollen es so und alle machen mit!

mth
2 Jahre her

Nur ein Viertel? Ach ja: Die momentane Freiheit noch schnell genießen und die Feste feiern wie die inzidenzen es zulassen (aktuell Frühlingsfest). Am Ende des Geldes schauen wir mal was im besten und teuersten Deutschland aller Zeiten noch geht. Meine Ärzte-Nachbarn werden sicher trotzdem noch, frisch geboostert, ihre Fotos vom Skilift in den WhatsApp Status stellen – weil sie es können. Beim Rest wird es spannend. Aber vielleicht liegt es ja nicht am Geld sondern am Klimaschutz!? Sind es nicht #Birthstrike :innen die nicht nur keine Kinder mehr kriegen, jetzt logischerweise auch nicht mehr reisen?

Elki
2 Jahre her

„…Wien, Berlin, Paris, London oder Barcelona…“ – Berlin? – hoffen lassen kann man sie ja.
„Im Merkur bemüht Wiens Tourismus-Chef Norbert Kettner den Vergleich mit 2021, um Optimismus zu verbreiten. Auch seien zwar viele kleine Betriebe kaputt gegangen, aber es werde jetzt wieder investiert. Springt der Tourismus wieder an, wäre das Geschäft also nicht weg – es würde nur jemand anderes machen.“ – Dazu noch die Zwangstests zur Einreise und „jemand anderes“, da weiß man wenigstens Bescheid.

lioclio
2 Jahre her

Dann warten wir nochmal ein zwei Monate mit prächtiger Inflation ab. Da wird ein nicht unbedeutender Teil der Schafmichel gar kein Geld mehr für den dt. Hochpreis-Urlaub haben und wenn reicht es vielleicht diese Jahr noch für eine Woche Türk. Riviera oder Goldstrand. Aus die Maus. Die Anzahl der üppigst versorgten Rentner (Bustages- und Wochentouren das „Goldene Rheingau“ u.ä.) wird sich auch ziemlich rasch verringern.