Wie teuer soll das Fahren in Bus und Bahn künftig sein?

Die Zahlen für den Juli stehen immer noch aus. Trotzdem überschlagen sich die Befürworter des Neun-Euro-Tickets mit Vorschlägen für dessen Zukunft – doch die Realität ist komplexer als eine PR-Kampagne.

MAGO / Christian Ohde

Tankrabatt und Neun-Euro-Ticket sind zeitgleich an den Start gegangen. Doch während die Steuererleichterung auf Benzin schnell als Flop geframt wurde, galt die Subventionierung von Bus- und Bahnfahrten als Erfolg. Die Befürworter in ARD, ZDF und politisch befreundeten Medien hatten den hohen Bekanntheitsgrad und die guten Verkaufszahlen genutzt, um die Sympathie fürs Neun-Euro-Ticket zu festigen. Der Tankrabatt wirkte sich zäher und weniger sichtbar aus. Als es soweit war, war die öffentliche Meinung schon rechtlich.

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Eine große Bewährungsprobe für das Neun-Euro-Ticket steht aber dieser Tage an: Wie viele Dauerkarten wurden im Juli verkauft? Der Juni-Wert von 21 Millionen Tickets lief hoch und runter in den Medien. Wegen des Juli-Wertes fragte TE Anfang vergangener Woche beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) nach: „Die Zahlen für Juli stehen in der Tat noch nicht fest, da wir dafür auf die Zulieferung der Verkehrsunternehmen und Verkehrsverbünde angewiesen sind. Und da auch dort Urlaubszeit herrscht, werden wir die Julizahlen wohl frühestens Ende dieser Woche, eventuell aber auch erst Anfang kommender Woche kommunizieren können“, lautete die Antwort des VDV. Das wäre dann an diesem Dienstag oder am Mittwoch.

Die PR fürs Neun-Euro-Ticket war im Mai wolkenkratzerhoch. Entsprechend ließ sich die Nachfrage im Juni erklären. Nun melden Wissenschaftler und Bahn-Gewerkschafter gleichlautend, dass es nur selten Pendler waren, die vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel umgestiegen sind. Meist seien mit dem Neun-Euro-Ticket Menschen unterwegs gewesen, die das Schnäppchen aus Neugier nutzten, oder um mal günstig durch die Republik zu kommen. Auch ausländische Touristenbüros warben für das Ticket. Allerdings führte die zusätzliche Nachfrage zu überfüllten Zügen und damit zu Abwicklungsproblemen und einem Anstieg der Verspätungen – aber auch dazu, dass Fahrgäste aus allzu vollen Zügen buchstäblich herausgeschmissen wurden. Es bleibt abzuwarten, ob das im Juli die gleiche Reiselust geweckt hat.

Und selbst wenn nochmal 21 Millionen Tickets verkauft worden sind – oder sogar mehr. Dann ist immer noch nicht klar, wie es mit dem Angebot weitergehen soll. Vorschläge gibt es reichlich: 365-Euro-Ticket. 69-Euro-Ticket, 29-Euro-Ticket – wer bietet weniger? Doch Finanzminister Christian Lindner (FDP) winkt ab. Das sei nicht zu bezahlen. Außerdem sei er gegen „Gratismentalität“.

Der Begriff ist höchst unglücklich. Derzeit stehen zahllose Haushalte vor Existenzkrisen, weil die Ernährer nicht wissen, wie sie die explodierenden Gaspreise bezahlen sollen – ebenso wenig wie die stetig steigenden Preise für Strom und Lebensmittel. Gleichzeitig nimmt der Staat in dieser Krise der Privathaushalte so viel Steuergeld wie noch nie ein. Da erinnert Lindners „Gratismentalität“ stark an die „spätrömische Dekadenz“ des einstigen FDP-Chefs Guido Westerwelle.

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Doch in der Sache liegt Lindner gar nicht mal so verkehrt: Schon jetzt wird der öffentliche Nahverkehr staatlich subventioniert. Es gibt kaum städtische Verkehrsbetriebe, die schwarze Zahlen einfahren – vom Land gar nicht zu sprechen. Ein Neun-Euro-Ticket würde immer zusätzliche Kosten bedeuten. Und das bei einem Staat, dem trotz Rekordeinnahmen das Geld bei weitem nicht ausreicht. Eine dankbare Ausgabe ist diese Subventionierung zudem nicht für die Verantwortlichen. In der DDR hielt der sozialistische Staat die Preise für Bus und Bahn künstlich niedrig. Doch da sich die Menschen bald an die kleinen Preise gewöhnt hatten, nahmen sie die als selbstverständlich – und nicht als Bonus des Staates. Wenn DDR-Bürger Bus und Bahn nutzten, lag das weniger an den niedrigen Preisen für den öffentlichen Nahverkehr, sondern daran, dass Autokäufer ohne SED-Parteibuch zehn oder 15 Jahre auf ihren Trabi warten mussten.

Jetzt stellt sogar der Spiegel in einem Beitrag den oft beschworenen Nutzen des Neun-Euro-Tickets für den Klimaschutz in Frage: Es führe „zu zweifelhaften Effekten“. Erste wissenschaftliche Auswertungen ergäben, dass der Autoverkehr nur um wenige Prozent zurückgegangen sei. Getestet wurde das zudem nur in Städten, mit einem dichten Netz an Bus und Bahnen – sowie mit attraktiven Angeboten. Etwa München mit seiner U-Bahn. Ob auf dem Land wirklich ein Pendler morgens das Auto wegen des Neun-Euro-Tickets stehengelassen hat – dafür gibt es keine Belege.

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Es kommt noch dazu, dass Vorschläge wie ein 29-Euro-Ticket aus einer Politikszene stammen, in der mathematische oder betriebswirtschaftliche Studienerfahrungen nicht gerade weit verbreitet sind. Wer für das 29-Euro-Ticket oder Ähnliches ist, rechnet meist den zusätzlichen Preis mal 21 Millionen Tickets und denkt, diese Summe stünde dem System öffentlicher Nahverkehr dann jeden Monat zusätzlich bereit. Doch so einfach ist das nicht. Der Erfolg des Neun-Euro-Tickets beruht zum einen auf der unglaublichen Gratis-PR, die dem Angebot vor dem 1. Juni zuteil wurde. Zum anderen darauf, dass der Preis unter einer wichtigen Schwelle liegt. Schon eine Erhöhung um einen Euro würde die Verkaufssituation psychologisch ändern.

20 Euro Differenz mögen in der Berliner Politblase zudem nicht viel sein. Er entspricht vielleicht einem Nachmittag in einem Szenecafé. Doch für Familien, die unter hohen Preise für Strom und Lebensmittel leiden – von Gas gar nicht zu sprechen – könnte das den Unterschied ausmachen zwischen: Ticket kaufen und sich ein paar Freizeittouren gönnen oder das Geld in Essen, Kleidung oder Energie stecken.

Müsste der Staat das 29-Euro-Ticket oder Ähnliches finanzieren, würde das Geld binden. Derselbe Staat müsste dann zusätzliches Geld für die Infrastruktur aufbringen. Für mehr Personen- und Güterverkehr auf der Schiene ist das Netz zu klein. Zudem ist es marode, was zu Baustellen führt, die wiederum Kosten verursachen und Zugausfälle. Außerdem ist das Personal mit dem zusätzlichen Verkehrsaufkommen überlastet, wie die Bahngewerkschaften mitgeteilt haben. Also müsste auch das Personal aufgestockt werden, was wiederum weitere Kosten bedeutet – und in Zeiten des Arbeitskräftemangels auch kein einfaches Unterfangen ist.

Der politische Unterbietungswettbewerb dürfte weitergehen: Das 69-Euro-Ticket zu fordern, klingt gut – und provoziert die Konkurrenz, es mit dem 29-Euro-Ticket toppen zu wollen. Dagegen hat sich mit dem FDP-Chef und den Gewerkschaften eine bemerkenswerte Koalition gebildet. Auf ihrer Seite haben sie die Realität und die Mathematik.

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Kommentare ( 27 )

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mega2xbass
2 Jahre her

das teuerste Verkehrsmittel ist das, in welches noch investiert wird, obwohl klar ist, dass es keine Zukunft hat. gehen wir davon aus, dass das selbstfahrende Fahrzeug Realität wird. Wenn sie mit Ihrem Smartphone das Fahrzeug rufen können, um von dem Ort an welchem Sie gerade sind, direkt an Ihr Ziel zu fahren, welchen Sinn macht dann noch der Bus oder die S-Bahn oder U-Bahn mit dem Zwang zum Umsteigen? Schienen werden für langfristig nötige Zwecke gebraucht und sind nicht schnell mal hingelegt. Was gehört auf die Schiene? Der Gütertransport. Die schweren LKW gehören weg von der Straße. Wenn jetzt noch… Mehr

mega2xbass
2 Jahre her
Antworten an  mega2xbass

Sie haben recht, die Infrastruktur dafür ist noch nicht da. Es geht um die Richtung, in die es in Zukunft gehen soll. Das selbstfahrende Auto ist ja auch noch nicht praxisnah anwendbar. Sie haben mit unseren Nachbarn in Europa auch recht. Es handelt sich also um ein Problem, welches in Europa gelöst werden muss. Das selbstfahrende Auto wird nicht nur Deutschland erobern, sodern nach und nach alle Straßen. Es ist so ähnlich wie die Kasse im Fast-Food-Laden. Die Person hinter den Kasse muss auch nicht mehr Kopfrechnen, um Barzahlern das Rückgeld rauszugeben. Moderne Autos bieten eine Rundumsicht beim Einparken, ohne… Mehr

A.G.
2 Jahre her

ich wohne aufm land…und müsste auf die wenigen Busse zurückgreifen um in die stadt zu kommen….und dann steige ich an ner haltestelle aus, wo der nächste supermarkt noch nen kilometer zu laufen wäre…daher ist und bleibt das auto hier auf dem land DAS Verkehrsmittel…auch bei den jungen leuten!!! schau ich in meinen bekanntenkreis und auch bei meinem geschäftspartnern warum diese das 9Euro ticket nutzen: der großteil nur zu freizeit-reisen, welche sie ohne dieses Ticket NICHT gemacht hätten…soviel zum Thema „Umweltschutz“

Positivsteuerung
2 Jahre her

Nein. Der Ansatz ist grundfalsch. Zahlung nur bei Nutzung. Das ist eine Rückkopplung für den Anbieter. Ohne Rückkopplung ist das von einer solchen „Qualität“, wie man es von staatlichen Stellen kennt. Es gibt Länder, z.B. in Lateinamerika, bei denen der Busverkehr, auch bei Überlandbussen, in rein privater Hand ist. Solange es eine Nachfrage nach Transporten gibt, fährt auch etwas, und selbst die Taxen für die letzte Meile sind bezahlbar, da sie in der Regel von Gruppen genutzt werden. Eine derartige Mobilität ist flexibel und organisiert sich selbst. Das geht beim schienengebundenen Transport nicht so einfach, und daher kann dies nicht… Mehr

GrafZahl04
2 Jahre her

Der Bundeswirtschaftsminister mögen bitte sofern er es kann mal hochrechnen. Kann er für diesen Preis das Schienennetz erneuern – die Bahnhöfe verbessern – allen voran die Sicherheit in den Zügen und Bahnhöfen verbessern? Natürlich müssen Züge entlastet werden, gerade an WE. Vielleicht, nein definitiv sollten Zugewanderte, die ja als Fachkräfte gekommen sind, auch als Lokführer arbeiten. Von den 3 Mio Zugewanderten, sind bestimmt 1000 dabei, die in Syrien, Ukraine, Afghanistan, Nigeria oder sonst woher als Lokomotivführer gearbeitet haben.

Peterson82
2 Jahre her

Wie teuer es sein muss? Ganz einfach. Fragen wir doch einen Unternehmer… man nimmt Ticketpreise die es erlauben die Infrastruktur zu bezahlen, die Wartung, Neuausbau, das Personal inkl. die Bahnhöfe. Ich befürchte nur, dass damit die Bahn das wahre Gesicht über ihre In-Effizienz zeigen würde und im Gegenzug jeder sehen würde, dass dem Land damit deutlich mehr geholfen wäre, wenn wir keine 2-spurigen Autobahnen mehr hätten sondern als Transitland endlich das Geld dort investieren wo es gebraucht wird. Nämlich dort, wo die meisten Menschen drüberfahren und ein vielfaches der Güter bewegt wird.

Teiresias
2 Jahre her

Die deutsche Bundesbahn, die gut funktionierte, wurde privatisiert zur deutsche Bahn AG – die erstens sehr schlecht funktioniert und zweitens jetzt mit gigantischen Subventionen Staatstickets verteilen soll.

Das schräge dabei ist, daß im allgemeinen Irrsinn des Landes dieser Staatsticket-Quark noch nicht einmal groß auffällt!

Last edited 2 Jahre her by Teiresias
Dr. Heisenberg
2 Jahre her

Ich bin mit dem Metronom Express von Hannover nach Göttingen gefahren. der Zug war vollkommen überfüllt, die Luft stickig, weil die Klimaanlage für diese Menschenmassen nicht ausgelegt ist. Weil 40 Minuten Verspätung, habe ich den Anschluss verpasst. Ich war jetzt 10 mal mit dem 9 € Ticket unterwegs, Nahverkehrszüge haben in der Regel 5 – 15 Minuten Verspätung, Anschlüsse habe ich mehrheitlich verpasst. Fasst immer saß ich dann 1 – 2 Std. auf so einem Bahnhof fest, ich war froh immer eine Bank ergattert zu haben, die meisten mussten stehen. Für mich ist das TICKET ein FLOP. In Zukunft werde… Mehr

Peterson82
2 Jahre her

Im Grunde kann man sich die Rechnung recht einfach machen. Man summiert alle laufenden und einmaligen Kosten auf die es benötigt um die gesamte Bahninfrastruktur, Personal, Wartung /Neubau usw. am laufen zu halten und teilt es grob gesagt durch die Anzahl der Passagiere bzw. Das ist das, was benötigt wird um kostendeckend zu arbeiten. Und diese Zahl wird deutlich höher sein als das 9 Euro Ticket. Jetzt hat man natürlich die Dauerpendler für die man sich Spezialtarife überlegen kann genauso ob man ein Flex-Preis anbietet, aber das wichtigste ist die Kostendeckung. Im Gleichen Maß sollte man sich überlegen wieso man… Mehr

old man from black forrest
2 Jahre her

Als jemand, der für weitere Strecken grundsätzlich die Bahn (Sparpreise und dgl.) nutzt, war das 9 € Ticket den Versuch auch im Nahverkehr wert. Fazit: praktisch kein Nahverkehrszug war pünktlich was zu Streß beim Umsteigen führt. Ebenso die Unfreundlichkeit und Unflexibilität bei den Busfahrern – diese sind natürlich auch gestresst. In diesem Bereich nutze ich auch künftig wieder den PKW. So langs noch Benzin gibt.

Mike76
2 Jahre her

Wenn es den Entscheidern in Berlin um eine echte Entlastung gegangen wäre, hätte man ein solches Ticket nicht überwiegend in die Sommerferienzeit 2022 (quasi als Feldversuch mit reduziertem Risiko) gelegt. Gleiches gilt auch für den derzeit etwas günstigeren Kraftstoffpreis, von dem leider nicht alles – wegen ausufernder Raffgier der Mineralölkonzerne – beim Endkunden ankam. Hier kalkulierte man, dass in der Ferienzeit viele zuhause bleiben werden (und das nicht immer ganz freiwillig) oder den Flieger ins Urlaubsziel benutzen. Diese Daten hätte man sogar bei den Reiseveranstaltern abrufen können, was man möglicherweise sogar vorher auch getan hat.