Tichys Einblick
Vor dem Auto-Gipfel

Elektrisch reden, Benzin tanken – der Abschied vom Verbrenner findet nicht statt

Das Jahr 2023 hat für Anhänger der Elektromobilität schlecht begonnen. Die Zweifel bekommen Auftrieb. Möglicherweise gibt es auch hier eine Zeitenwende. Die Autokonzerne setzen weiter auf Verbrennermotoren – auch wenn sie das nicht an die große Glocke hängen.

Zunächst häufen sich in Medien, die sonst als bekennende Anhänger von Elektroautos mit Speicherbatterien galten und Verbrennerautos wegen der CO2-Emissionen stets als Klima-Killer verteufelten, plötzlich Berichte, in denen Zweifel an der alleinseligmachenden Klimarettung durch rein elektrisch angetriebene Autos auf Batteriebasis auftauchten. 

Zum einen, weil sich inzwischen auch bei fanatischen Klimarettern herumgesprochen haben mag, dass E-Autos jetzt und für viele Jahre nur mit „dreckigem“ Kohlestrom betrieben werden können. „Sauberer“ Grün-Strom von Wind und Sonne steht auf lange Zeit nicht ausreichend zur Verfügung: 

  • weder um den heutigen IST-Stromverbrauch aus „dreckigen“ Quellen durch nachhaltig erzeugten „grünen“ Strom zu ersetzen, noch um die zwangsläufig wachsende Zusatznachfrage nach sauberem Strom durch den geplanten Ersatz von 15 Millionen Verbrennerautos durch Elektroautos bis 2030 sicherzustellen. 
  • Und klima-freundlicher Atomstrom, wie er jüngst von Verkehrsminister Wissing zur Rettung der deutschen Klimaziele im Verkehr ins Spiel gebracht wurde – unter vorgehaltener Hand jedoch wohl mehr zur Rettung der hohen Milliarden-Investitionen der deutschen Politik in die Elektromobilität im Verkehrssektor –, kommt aus ideologischen Gründen in Deutschland nicht in Frage, in Frankreich schon. 

Sauberer Atomstrom ist aber auch gar nicht notwendig, weil – jetzt kommt der Punkt: „Die Massen an Elektroautos, die sich so betanken ließen, gibt es nicht, und wird es so schnell nicht geben“, stellt sogar die Energiewende-freundliche Südeutsche Zeitung fest.

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Zum anderen, weil der Thinktank Agora Energiewende bei seiner jüngsten Auswertung (4. Januar 2023) zum Ergebnis kommt, dass Deutschland seine selbst gesetzten Klimaziele für 2022 trotz Sparmaßnahmen deutlich verfehlt hat. Insbesondere der Öl- und Kohle-Einsatz trug zu den Emissionen bei. Vorläufigen Zahlen zufolge emittierte Deutschland 761 Millionen Tonnen Treibhausgas, also fünf Millionen Tonnen mehr, als die selbst gesetzte Obergrenze vorsieht. Dafür verantwortlich waren unter anderem Kohlekraftwerke, die als Ersatz für Russen-Gas hochgefahren werden mussten.

Eine Entwicklung, die für jeden Ökonomen „alternativlos“ war, Agora-Chef Simon Müller allerdings zu der Kritik veranlasste: „2022 sind die Klimaziele aufgrund kurzfristiger Maßnahmen für die Energiesicherheit ins Hintertreffen geraten.“ Müller nannte die Ergebnisse der Studie ein „Alarmsignal im Hinblick auf die Klimaziele“. Deutschlands CO2-Emissionen seien trotz des geminderten Energieverbrauchs sowie günstiger Bedingungen für Wind- und Solaranlagen kaum gesunken.

Wer war schuld daran? Natürlich der Verkehrssektor! Er ist nach Meinung der Agora-Studie das größte Problemfeld. Dort ist das Sektorenziel um 11 Millionen Tonnen CO2 verfehlt worden. Nach dem Ende des Lockdowns und gesunkenen Corona-Infektionen sei das Verkehrsaufkommen wieder stark gestiegen. Der Mangel an politischen Maßnahmen für eine Reduktion der Emissionen im Verkehrssektor habe laut Studie ebenfalls zum Verfehlen des Ziels beigetragen. Die Industrie hat dagegen ihre Ziele durch das Einsparen von Energie und mehr Effizienz eingehalten.

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Für Robert Habeck und die deutsche Umwelt- und Verkehrspolitik wiegen diese Vorwürfe schwer. War doch das Jahr 2022 ein „sattes“ Jahr für Elektroautos. Im Gesamtjahr 2022 wurden insgesamt 470.600 reine Elektro-Pkw (BEV) zugelassen, 32 Prozent mehr als im Vorjahr; rechnet man die 362.100 Plug-In-Hybride (PHEV) noch hinzu (plus 11 Prozent gegenüber dem Vorjahr), so erreichten Elektroautos einen Anteil an den Gesamtzulassungen von 31,4 vH. Das heißt: Fast jede dritte Neuzulassung 2022 war laut Statistik ein E-Auto, dabei lag der Anteil der BEV bei 56,5 vH, der Anteil der PHEV bei 43,4 vH.

Für die deutsche (E-Auto-Förder-) Politik ein stolzes Ergebnis, für Klimaretter durch Elektromobilität aber ernüchternd. Die Verkehrswende in Deutschland läuft für sie nicht wie geplant: Der Anteil von Elektroautos ist zwar gestiegen, die CO2-Emissionen sind aber nicht zurückgegangen – im Gegenteil. Jetzt will die Bundesregierung einen Mobilitätsgipfel mit prominenten Teilnehmern veranstalten. Das Treffen wird am heutigen Dienstag (10. Januar 2023) in großer Runde im Kanzleramt stattfinden.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sieht Deutschland grundsätzlich auf dem richtigen Weg, da trotz der Energiekrise durch Putins Angriffskrieg und der deshalb nötigen zusätzlichen Kohleverstromung die Gesamtemissionen 2022 gegenüber 2021 leicht gesunken sind. Deutliche Energieeinsparungen und der hohe Anteil der erneuerbaren Energien zeigten, „dass wir den richtigen Kurs eingeschlagen haben“. Aber: „Unser Sorgenkind ist der Verkehrsbereich, in dem die CO2-Emissionen erneut gestiegen sind“ (Habeck). Alle dort bisher vorgesehenen Maßnahmen reichten nicht aus.

Für die dann dort anwesenden Autobosse kein Grund, sich Versäumnisse vorzuwerfen. So haben Mercedes mit dem EQS und jüngst BMW mit dem i7 bewiesen, dass sie hervorragende Elektroautos bauen können. Und VW ist dabei, eine ganze Palette an kleineren Elektroautos auf den Markt zu bringen. Allerdings: In China wird es für die deutschen Hersteller, die dort jahrelang gute Gewinne eingefahren haben, bereits eng. Und chinesische Hersteller planen, mit elektrisch angetriebenen Kleinwagen günstige Modelle auf den deutschen Markt zu bringen und damit in die Lücken zu stoßen, die ihnen die deutschen Hersteller lassen.

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Die deutschen Hersteller haben sich bislang bewusst auf die oberen Marktsegmente inklusive SUV in der Elektrifizierung konzentriert – auch weil dort in erster Welle die betuchten Käufer für E-Autos angesiedelt waren. Unabhängig davon galt intern allerdings als sicher, dass auf lange Zeit Elektromobiliät keine Mobilitätsalternative zum Verbrennerauto im Massenmarkt sein kann. Mit der Materie vertraute Auto-Experten (Fritz Indra, Thomas Koch) haben immer darauf verwiesen, dass der Markt für Elektroautos kaum mehr als 20 Prozent Marktanteil haben wird.

Aber um dem guten Ruf der deutschen Autoindustrie gerecht zu werden und ihn gegenüber Neo-Wettbewerbern wie Tesla zu verteidigen und der „grünen“ Politik aus Brüssel und Berlin zu folgen, hat man Elektroautos zusätzlich zum Verbrenner in den Fokus genommen, erst zögerlich, dann mit Vehemenz. Ohne jedoch intern jemals den Verbrenner völlig aufzugeben, zumal klimaneutraler Treibstoff für den Verbrennermotor am Horizont auftauchte.

Anekdoten aus Gesprächen mit leitenden Angestellten aus den Führungsetagen der deutschen Premium-Hersteller bestätigen das. Auf die Frage, ob es wirklich stimme, dass Audi ab 2026 nur noch E-Autos baut, wird herzhaft gelacht. Fakt ist, dass Audi – ähnlich wie auch die Hersteller in München und Stuttgart – Zehntausende Mitarbeiter im Bereich Motorentwicklung, Montage etc. beschäftigen. Wollte Audi ab 2026 keine Verbrenner mehr produzieren, so der Insider, müsste man 2023 schon anfangen, die Belegschaft auszudünnen und zum Beispiel das Werk in Györ umzubauen. In dieser Hinsicht sei bislang nichts erkennbar. Und überdies werden bei Audi wie bei den anderen Kollegen immer noch Motoren entwickelt und, klimafokussiert, weiter entwickelt. 

Dazu passt, dass VW-CEO Oliver Blume vor kurzem das Verbrennerverdikt für seinen Konzern durch die Hintertür aufgehoben hat, Porsche auf synthetische Treibstoffe setzt und Audi sich dem wohl anschließen wird. Auch bei Daimler, so heißt es, würden die Führungskräfte lieber weiter 6-, 8- und 12-Zylinder-Motoren bauen, weil damit Geld verdient wird, statt Elektroautos, wo es verbrannt wird. Auch die Nur-Luxusstrategie von Ole Källenius ist höchst umstritten. 

Auch hier dürfte ein Kehrschwenk absehbar sein – wenn der chinesische Großaktionär Geely das zulässt. Zumal der große Wettbewerber aus München eine andere Strategie verfolgt. Bei BMW stellt sich die Frage Elektroauto oder Verbrenner erst gar nicht, weil CEO Oliver Zipse, technologieoffen, an beidem festhält. Nach dem Motto: Die Welt ist groß, und jeder Kunde kriegt auch in Zukunft das, was ihm der Gesetzgeber erlaubt. Oder: das Eine tun, das Andere aber nicht lassen.

Letztlich hat sich die deutsche Autoindustrie immer an den Markt angepasst, und der Markt an die politischen Vorgaben. Sie ist damit trotz aller Transformationskosten gut gefahren. Das wird sie auch in Zukunft tun, auch wenn bei einzelnen Herstellern durchaus Zweifel berechtigt sind, ob die PR-mäßig einseitige Konzentration auf die Elektromobiliät via Batterie nicht doch eher das Prädikat Bluff verdient hat.  

Das Jahr 2022 hat gezeigt, dass sich die deutsche Wirtschafts- und Klimapolitik, treu dem Postulat des Grundgesetzes, jenseits ideologischer Verhärtung pragmatisch an veränderte Rahmenbedingungen anpassen kann. Wenn auf dem Mobilitätsgipfel, den Kanzler Olaf Scholz für den 10. Januar ins Kanzleramt einberufen hat, die Erkenntnis dämmert, dass weder 48,5 Millionen Verbrenner in Deutschland noch 1,6 Milliarden weltweit zur Klimarettung – wenn überhaupt – ausreichend schnell elektrifizierbar sind, schlägt die Stunde für Second-best-Lösungen, sprich Wasserstoff und dessen Derivate. Es ist hohe Zeit für eine pragmatische Weichenstellung und Umlenkung staatlicher Fördermittel. 


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