Boom nach hoffnungsvollen Nachrichten zu Impfstoff

Noch vor ein paar Tagen sah es so aus, als geriete der DAX abermals in einen Abwärtsstrudel. Die jüngsten Ereignisse jedoch entfachten eine fulminante Rally.

imago images / Marcel Lorenz

Schon die US-Wahl nahm einen beruhigenden Verlauf für Börsianer mit voraussichtlich geteiltem Kongress, der dem gewählten Präsidenten Joe Biden kaum die Chance lässt, etwa die Steuersenkungen der Ära Trump zurückzudrehen. Der folgende Impfstoff-Coup der Mainzer Firma Biontech löste die nächste Welle aus. Der DAX notiert nun nahe seinem Nach-Corona-Hoch und nur unwesentlich unter dem Schlussstand des Vorjahres — so als hätte die haarsträubende Achterbahnfahrt der vergangenen Monate gar nicht stattgefunden. Ein geduldiger Investor vom Typ Warren Buffett, der seine Aktien einfach gehalten hätte, würde damit trotz der Pandemie kaum merkliche Verluste verzeichnen. Mit einer guten Portion Gelassenheit sollten Anleger auch dem aktuellen Favoritenwechsel an den Märkten begegnen und die neuen Lieblinge der Börse keinesfalls um jeden Preis erwerben. Ebenso sollten sie soeben gestrauchelte Highflyer, viele davon aus der Techbranche, nicht verdammen. Denn bis zur Bewältigung der Krise dauert es noch eine ganze Weile — trotz der Impfstoff-Perspektiven.

Der DAX zeigte sich am Freitag jedenfalls von seiner gemütlichen Seite. Der Leitindex schloss 0,2 Prozent im Plus bei 13.077 Punkten. Auf Unternehmensseite stand der im September in den DAX aufgestiegene Lieferdienst Delivery Hero mit einem Kurssturz von zeitweise 14 Prozent im Fokus. Die Kartellbehörde in Südkorea empfahl dem DAX-Aufsteiger, seine dortige Tochter zu verkaufen, um die Erlaubnis für die Übernahme des Konkurrenten Woowa zu bekommen. Analysten hatten keine derart strenge Auflage erwartet.

Vom VW-Konzern kamen ebenfalls keine guten Neuigkeiten. Nach der leichten Stabilisierung im September war es mit der Erholung der Verkäufe im Oktober schon wieder vorbei. Die Auslieferungen des weltgrößten Autoherstellers sanken um 4,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, wie VW am Freitag mitteilte. Insgesamt konnten etwas mehr als 903 000 Fahrzeuge ausgeliefert werden. Zuvor hatte sich das von der Corona-Krise belastete Geschäft im September etwas gefangen, als die VW-Gruppe zwischenzeitlich 3,3 Prozent mehr Autos absetzte.

Der Immobilienkonzern Deutsche Wohnen kann 2020 wie schon in den Jahren davor erneut mit einem hohen Sonderertrag durch die Neubewertung von Immobilien rechnen. Der Vorstand des seit Juni im Dax notierten Unternehmens geht davon aus, dass die jährliche Bewertung des Wohnimmobilienbestands zum 31. Dezember voraussichtlich zu einer Aufwertung von rund sechs Prozent der bislang bilanzierten Werte führen wird.

Bayer kann sich Hoffnung auf eine mögliche Verlängerung der exklusiven Verkaufsrechte in Europa für seinen Umsatztreiber Xarelto machen. Der Ausschuss für Humanarzneimittel der europäischen Arzneimittelbehörde EMA gab eine positive Empfehlung für eine Erweiterung der Zulassung des Gerinnungshemmers zur Behandlung von Blutgerinnseln bei Kindern ab, wie die EMA und Bayer am Freitag mitteilten.

Im Gegensatz zu Deutschland präsentierte sich der US-Aktienmarkt kurz vor dem Wochenende nach einer ohnehin bereits guten Börsenwoche noch einmal von seiner starken Seite. Der Dow Jones Industrial baute anfängliche Gewinne kontinuierlich aus und stieg am Ende um 1,4 Prozent auf 29.480 Punkte. Dank der Kurs-Rally vom Wochenbeginn verbuchte der US-Leitindex einen Wochengewinn von gut vier Prozent.

Am Montag war der Dow in der Spitze um fast sechs Prozent auf ein Rekordhoch geschnellt und hatte den Sprung über die 30.000er Marke nur knapp verpasst. Diese bleibt auch das nächste Ziel auf dem weiteren Weg des Dow nach oben. Vor allem die Hoffnung auf einen Corona-Impfstoff hatten die Börsen weltweit befeuert. Der marktbreite S&P 500 rückte am Freitag ebenfalls um 1,4 Prozent auf 3.585 Punkte vor. Auch der S&P 500 hatte zum Wochenbeginn ein Rekordhoch erklommen. Für den technologielastigen NASDAQ 100 ging es um 0,9 Prozent auf 11.938 Zähler aufwärts.

Dass die Märkte gegenwärtig auf einen Corona-Impfstoff setzen, war auch mit Blick auf die Kurse der Biotech-Unternehmen Biontech und Curevac zu beobachten, die beide an der Nasdaq notiert sind: Biontech gewannen 4,3 Prozent und Curevac fast acht Prozent. Beide Unternehmen hatten jüngst mit ermutigenden Nachrichten zu Impfstoffen gegen Covid-19 aufgewartet.

Rückenwind gab es derweil auch von überraschend guten Quartalszahlen und Prognosen der Technologiekonzerne Cisco und Applied Materials. Aktien von Cisco setzten sich an die Spitze des Dow Jones Index mit einem Plus von gut sieben Prozent. Die Umsatzprognose des Telekom- und Internet-Ausrüsters überraschte am Markt positiv. Analyst Rod Hall von Goldman Sachs sprach zudem von einer zunehmend attraktiven Bewertung der Aktie. Die Papiere von Applied Materials legten um 4,3 Prozent zu. Auch hier sprachen Analysten von optimistischen Prognosen des Herstellers von Anlagen für die Halbleiterindustrie. Die Bank RBC und die Handelshäuser Cowen und Stifel erhöhten die Kursziele für die Aktien und rieten zum Kauf.

Aktien von Walt Disney stiegen um 2,1 Prozent zu. Das Entertainment-Imperium erholt sich allmählich vom Corona-Schock, der weite Teile der Aktivitäten stillgelegt hatte. Die Magie sei zurückgekehrt in das Königreich der Unterhaltung, schrieb Analystin Alexia Quadrani von JPMorgan. Die Abonnentenzahlen für den Streaming-Dienst Disney+ eilten den Erwartungen voraus. In jedem Geschäftssegment habe Disney die Erwartungen übertroffen.

Schon vor zwei Wochen bekamen die Webgiganten in China zu spüren, wer im Reich der Mitte wirklich das Sagen hat. Und das ist die Regierung in Peking, die den multi-milliardenschweren Börsengang von AntFinancial wegen Transparenzproblemen in letzter Minute abblies. Hinter den Kulissen munkelte man von einer Strafaktion für die Kritik des Gründers des Konzerns, Jack Ma, an der staatlichen Regulierung. Nun hat es die anderen großen Internetgiganten wie Alibaba und Tencent erwischt. Denn Chinas Kartellbehörden haben vergangene Woche einen Gesetzentwurf vorgestellt, um monopolistisches Verhalten der Internetplattformen zu begrenzen. Dies verunsicherte die Anleger sehr. Die Kurse rutschten daraufhin stark ab, der Hang Seng Technology Index verlor mehr als sechs Prozent.

Langfristig lohnen sich Aktien immer, heißt eine goldene Investmentregel. Nur: Keine Regel ohne Ausnahmen, wie der japanische Nikkei-Index demonstriert. Er notiert immer noch weit vom Allzeithoch im November 1989 bei 39.000 Punkten. Mit aktuell 25.000 Punkten hat der Auswahlindex aber vergangene Woche immerhin ein neues 30-Jahre-Hoch erklommen. Ein Grund hierfür war neben dem Stimulus durch die US-Wahl und der Impfstoff-Rally, dass viele japanische Privatinvestoren Large Caps wie Sony und Softbank neu für sich entdeckt haben. Der Topix, der für institutionelle Investoren attraktiver ist, hinkt der Wertentwicklung des Nikkei in diesem Jahr hinterher.

Es gibt aber insgesamt fundamentale Gründe für die steigende Anziehungskraft japanischer Papiere. „Die Konsensschätzungen für Japans BIP im dritten Quartal sind stetig gestiegen. Inzwischen liegt der Mittelwert bei fast 20 Prozent Zuwachssaisonbereinigt und annualisiert gegenüber dem Quartal davor”, erklärt John Vail, Chief Global Strategist bei Nikko Asset Management. Zu diesem Wachstum tragen fast alle wichtigen Segmente bei, vor allem aber die Nettoexporte, die Staatsausgaben und der private Konsum. „Im Jahresvergleich wäre die japanische Wirtschaftsleistung damit um sechs Prozent gesunken. Das entspricht in etwa dem Rückgang in den USA, ist aber deutlich besser als in der Eurozone.

Warren Buffett, der einen legendären Riecher für unterbewertete Titel und Märkte hat, setzte schon vor knapp zwei Monaten mit Milliarden auf günstige Titel aus Nippon, die sich seither gut entwickelt haben. Nicht ganz so gut läuft es insgesamt bei seiner Holding Berkshire Hathaway im dritten Quartal. Der Gewinn sank im Jahresvergleich um 32 Prozent auf 5,5  Milliarden US-Dollar, das Versicherungsgeschäft machte Verlust. Das Nettoergebnis profitierte dagegen stark von der Börsenrally und legte von 16,5 Milliarden auf 30,1 Milliarden Dollar zu. Buffett selbst warnt davor, dieser Kennziffer wegen ihrer Schwankungsanfälligkeit zu große Beachtung zu schenken. In den drei Monaten bis Ende September gab das Konglomerat nach eigenen Angaben vom Samstag rund neun Milliarden Dollar für den Rückkauf eigener Anteilscheine aus. Im bisherigen Jahresverlauf summiert sich der Betrag auf 16  Milliarden Dollar.

​Der Höhenflug von Bitcoin geht weiter: Die älteste und wichtigste Cyber-Devise stieg allein am Freitag um gut zwei Prozent und war mit 16.495 Dollar so teuer wie zuletzt vor knapp drei Jahren. „Selbst kleinste Rücksetzer werden sofort als Gelegenheit zum Wiedereinstieg wahrgenommen“, kommentiert Analyst Timo Emden von Emden Research.


Weitere Meldungen und Kommentare zu Wirtschaft und Börse lesen Sie auf unserer Partner-Site

www.boerse-online.de

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 6 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

6 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Eberhard
3 Jahre her

So etwas war bisher undenkbar. Der Weihnachtsmann wird arbeitslos. Jedenfalls scheint das nach dem Ergebnis der von Merkel vermurksten Corona Videokonferenz der Ministerpräsidenten immer wahrscheinlicher. Aber wer soll dann die Geschenke verteilen? Und wenn keiner zum Verteilen da und die Empfänger noch Kontakt ärmer, warum dann überhaupt noch kaufen. Das große Weihnachtsgeschäft machen dieses mal wahrscheinlich ganz andere. Corona schichtet mächtige Finanzströme und Gewinne um. Riesige Gewinne scheinen zu winken. Nicht nur durch Entwicklung und Herstellung der Impfstoffe, sondern durch ihre erforderliche weltweite Anwendung und der dazu erforderlichen Versorgungsmittel. Schon stehen da Ersatzweihnachtsmänner in den Startlöchern, um sich einen Teil… Mehr

Alexis de Tocqueville
3 Jahre her

Der Dax wird seine Talfahrt schon wieder aufnehmen, keine Sorge. Schrott bleibt Schrott.
Klar, er wird nicht auf Null fallen, weil die Unternehmen eins nach dem anderen ausgetauscht werden.
Nachdem wir jetzt schon einen Pizzalieferanten haben, fehlen uns ja noch Friseursalons, heute Barber-Shops genannt, und Nagelstudios.
Dann natürlich ein paar Windrad-Firmen, die ihren Umsatz zu 100% aus dem Steuersäckel generieren.
Und vielleicht ein neuer Mobilitätsdienstleister, da wird sich doch bestimmt eine Droschkenfirma finden, und vielleicht ein Eselzüchter.
Läuft bei uns.

BOESMENSCH
3 Jahre her

Angesichts der politischen Vorgaben werden Solaraktien, Windaktien, Impfstoff-Aktien, Batterieaktien und vegane Aktien weiter explodieren.

Auch Gold und Silber werden weiter massiv zulegen. Hier wird der Staat aber Verbote und Regulierungen vornehmen.

LadyGrilka55
3 Jahre her

Vom Börsengeschehen habe ich schlicht und einfach kaum Ahnung.

Aber der Titel „Boom nach hoffnungsvollen Nachrichten zu Impfstoff“ klingt für mich, als säßen die Profitgeier schon in den Startlöchern, um sich am Corona-Hype kräftig zu bereichern. Da stellt man sich als Laie schon mal die Frage, in wieweit und auf welche Weise sie diesen Boom vorher gepusht haben.

Alexis de Tocqueville
3 Jahre her
Antworten an  LadyGrilka55

„Vom Börsengeschehen habe ich schlicht und einfach kaum Ahnung.
Da stellt man sich als Laie schon mal die Frage, in wieweit und auf welche Weise sie diesen Boom vorher gepusht haben.“

Dieter Nuhr hat dazu mal nen schönen Aphorismus rausgehauen.

moorwald
3 Jahre her

Weitere Kontakteinschränkungen, Demonstrtionsverbote – also Beseitigung alldesse, was dem „Durchregieren “ noch im Wege steht. Regierung gegen Volk: es ist nicht zweifelhaft, wie dieser Krieg ausgehen wird.
Aber es kann dauern. Da hilft wohl nur noch ein Austand, eine Revolution.