Starkes erstes Halbjahr, Autobauer und Wohnungsbaukonzerne allerdings mit regulatorischem Gegenwind

Arroganz, Behäbigkeit, mangelnde Vorausschau – ganze Konzerne können von neuen Technologien weggefegt werden, wenn sie zu spät reagieren. Der schnelle Untergang trifft manchmal gar unangefochtene Weltmarktführer. Die bekanntesten Beispiele dafür sind der Kamera- und Filmhersteller Eastman Kodak sowie der Handy-Produzent Nokia.

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Derzeit erlebt nun die Autoindustrie eine regulatorisch verordnete technologische Revolution. Es ist die größte seit den bahnbrechenden Erfindungen von Carl Benz, Nikolaus Otto und Rudolf Diesel Ende des 19. Jahrhunderts. In China könnten die in der Tradition dieser großen Erfinder stehenden Traditionshersteller nun ihren Nokia-Moment erleben.

Für BMW, Mercedes sowie den Volkswagen-Konzern ist das Reich der Mitte der mit Abstand wichtigste Markt. Dort verkaufen sie gut jedes dritte Fahrzeug. Dabei handelt es sich jedoch vor allem um Autos mit Verbrennungsmotor, während vor Ort der Absatz sogenannter New Energy Vehicles boomt. Aufgrund dieses Trends hat Volkswagen jüngst seine jahrelange Marktührerschaft an den chinesischen Platzhirsch BYD verloren. In der Wolfsburger Zentrale schrillen deshalb die Alarmglocken, zumal auch andere lokale Anbieter im Vergleich mit der ausländischen Konkurrenz erheblich aufholen. Die Qualität chinesischer Autos hat sich erheblich verbessert, und bei der Software sind sie in Sachen Infotainment, Gamification und Bedienungsfreundlichkeit den Europäern deutlich voraus.

Die technologische Revolution verläuft in China anders als in Deutschland von unten nach oben. Während hierzulande Neuerungen wie das Antiblockiersystem (ABS) zuerst in der Oberklasse eingebaut und dann erst nach und nach über die Mittel- und Unterklasse ausgerollt wurden, boomen E-Autos im Reich der Mitte vor allem in den unteren und mittleren Segmenten. Das liegt daran, dass die Batterieproduktion ein Massengeschäft ist. Deshalb ist VW von den Marktverwerfungen am stärksten betroffen. Doch das kann sich ändern.

Zeitgleich mit dem Erfolg auf dem Heimmarkt nehmen Elektroauto-Anbieter aus anderen Ländern, insbesondere natürlich China, den europäischen Markt ins Visier. Gerade Hersteller aus dem Reich der Mitte verzeichnen in Deutschland derzeit erstaunliche Wachstumsraten. Aufhorchen liess im Herbst bereits die Ankündigung des Autovermieters Sixt, in den kommenden Jahren 100 000 E-Autos von BYD für den europäischen Markt zu kaufen, offenbar auch, weil hiesige Firmen nicht ausreichend lieferfähig sind.

Das Urteil der Börse über die Chancen der Hersteller ist eindeutig: Dort wird Tesla mit 750 Milliarden Euro bewertet, das ist mehr als das Dreifache von BMW, Mercedes und Volkswagen zusammen. Und BYD kommt mit 35 Milliarden immerhin schon auf die Hälfte der Marktkapitalisierung von Volkswagen.

Zugleich liegt das Kurs-Buchwert-Verhältnis, das den Wert des Anlagevermögens ins Verhältnis zum Aktienkurs setzt, der deutschen Autobauer zwischen 0,4 (Volkswagen) und 0,8 (Mercedes), während Tesla auf 8,7 und BYD auf 4,5 kommt. Noch kann die deutsche Autoindustrie allerdings die Kurve kriegen. Dank den meist hohen Gewinnen der vergangenen Jahre haben sie genug Pulver für Investitionen in Forschung und Entwicklung.

Dank erfreulicher Konjunkturdaten haben die US-Börsen am Freitag klare Gewinne erzielt. Auch die Monats- und Halbjahresentwicklung der wichtigsten Indizes kann sich sehen lassen. Der Nasdaq 100 schaffte zwischen Januar und Juni mit knapp 39 Prozent den höchsten Kursanstieg in einem ersten Halbjahr seiner gut 38-jährigen Geschichte.

Am Freitag schloss der technologielastige Index 1,6 Prozent höher auf 15.179 Punkten. Sein Wochenplus beläuft sich damit auf knapp zwei Prozent, und für den Juni steht ein Gewinn von 5,7 Prozent zu Buche. Technologiewerte profitierten seit Jahresbeginn besonders stark von Hoffnungen auf ein baldiges Ende des Zinserhöhungszyklus der US-Notenbank Fed. Damit konnten die anderen Indizes nicht mithalten. Der Dow Jones Industrial erzielte einen Tagesgewinn von 0,8 Prozent auf 34.408 Punkten, womit er einen minimal höheren Wochengewinn als der Nasdaq 100 erzielte. Für den Juni verbuchte der New Yorker Leitindex ein Plus von gut vier Prozent, während der Kursanstieg für die erste Jahreshälfte knapp darunter liegt. Der marktbreite S&P 500 gewann am Freitag 1,2 Prozent auf 4.450 Punkte und erreichte damit den höchsten Stand seit April 2022. Auch für die anderen Zeiträume kann er deutlichere Gewinne als der Dow vorweisen.

Die Zinshoffnungen am Markt wurden von neuen Inflationszahlen untermauert. Obwohl die Einkommen und Konsumausgaben in den USA im Mai stiegen, hat der Preisauftrieb abgenommen. Der Kernindex ohne Energie und Nahrungsmittel stieg etwas weniger stark als im April, wogegen Ökonomen mit einer unveränderten Rate gerechnet hatten. Zu den Zinshoffnungen trugen auch die deutlich gesunkenen Inflationserwartungen der US-Verbraucher bei, welche die Universität Michigan im Rahmen des von ihr erhobenen Konsumklimas veröffentlichte. Diesem zufolge hat sich zudem die Verbraucherstimmung im Juni überraschend deutlich aufgehellt.

Unter den Einzelwerten stachen am Freitag die Aktien von Nike mit einem Minus von 2,7 Prozent negativ heraus – das bedeutete den letzten Platz im Dow. Der weltgrößte Sportartikelhersteller kämpft weiter mit hohen Lagerbeständen. Da er die überschüssige Ware nur mit hohen Rabatten losschlagen konnte, sank der Gewinn im vierten Geschäftsquartal (per Ende Mai) etwas deutlicher als von Analysten im Schnitt erwartet. James Grzinic vom Analysehaus Jefferies betonte, dass der Ausblick auf das laufende Quartal zwar enttäuschend sei, der Konzern mit seinen Zielen für das neue Geschäftsjahr aber im Rahmen der Markterwartungen liege.

Dagegen setzten die Anteilscheine von Apple ihren Rekordkurs am Freitag fort: Mit einem Plus von 2,3 Prozent auf 193,97 US-Dollar waren sie bester Dow-Wert. Der Technologiekonzern erreichte mit seiner Marktkapitalisierung wieder die viel beachtete Marke von drei Billionen Dollar.

Die Papiere des Diagnostikunternehmens Renalytix schnellten sogar um knapp 41 Prozent hoch, nachdem ihm die US-Gesundheitsbehörde FDA die Marktzulassung für einen Prognosetest für Diabetes und Nierenerkrankungen erteilt hatte.

Beim Computerhersteller Dell sorgte eine positive Analystenstimme für Kursgewinne von 1,9 Prozent auf 54,11 Dollar. Händlern zufolge nahm die Citigroup die Beobachtung der Aktien mit einer Kaufempfehlung sowie einem Kursziel von 60 Dollar auf.

Der Euro beendete seine jüngste Schwächephase und kletterte auf 1,0908 Dollar. US-Staatsanleihen traten nach dem Kursrückschlag vom Donnerstag letztlich auf der Stelle: Die Rendite für zehnjährige Treasuries betrug damit 3,84 Prozent.

Zum Ende eines starken ersten Halbjahres waren zuvor schon am deutschen Aktienmarkt weitere Anleger auf den fahrenden Zug aufgesprungen. Der Leitindex DAX , der seit Jahresbeginn um beachtliche fast 15 Prozent gestiegen ist, legte am Freitag um weitere 1,3 Prozent auf 16.148 Punkte zu. Damit fielen auch Wochen- und Monatsbilanz mit einem Aufschlag von zwei beziehungsweise gut drei Prozent positiv aus. Der MDAX der mittelgroßen Titel schloss am Freitag 1,5 Prozent höher bei 27.610 Zählern.

Adidas und Puma standen vor dem Wochenende nach Quartalszahlen von Nike im bosonders im Blick. Sie schüttelten ihre Anfangsverluste rasch ab, nachdem Markteilnehmer die Kennziffern und Prognosen von Nike eingeordnet hatten. Adidas gewannen 2,5 Prozent und Puma 3,3 Prozent.

Die Aktien von Kion setzten an der MDAX-Spitze ihre Erholungsrally mit plus 6,8 Prozent fort. Mehrere Analysten erhöhten ihre Kursziele für die Papiere des Staplerherstellers, die Deutsche Bank und die Warburg Bank rieten zum Kauf. Im Fahrwasser von Kion legte auch Konkurrent Jungheinrich um 4,9 Prozent zu.

Am Anleihenmarkt stieg die Umlaufrendite von 2,45 Prozent am Vortag auf 2,53 Prozent.

Der Blick auf den Gesamtmarkt verstellt indes den Gegenwind, der manchen Branchen aus der Politik entgegenbläst. Die „Vergesellschaftung“ der Berliner Immobilienbestände großer Wohnungsunternehmen sei rechtlich möglich, so die Quintessenz eines Gutachtens, das eine Expertenkommission am vergangenen Mittwoch vorlegte. Im Roten Rathaus in Berlin übergab die Vorsitzende der 13-köpfigen Kommission, die einstige Justizministerin Hertha Däubler-Gmelin (SPD), den 154-seitigen Bericht an den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU), und Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD).

Ausgangspunkt war ein Volksentscheid vom September 2021, in dem rund 58 Prozent der teilnehmenden Berliner Bürger für eine solche Vergesellschaftung gestimmt hatten. Laut den Aktivisten der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ soll diese für alle privatwirtschaftlichen Wohnungsunternehmen mit einem Berliner Bestand von mindestens 3000 Wohnungen gelten. Betroffen wäre unter anderem der mittlerweile vom DAX-Unternehmen Vonovia übernommene Konzern Deutsche Wohnen. Erklärtes Ziel ist es, die Wohnungen in eine Anstalt öffentlichen Rechts einzubringen und ihre Mieten zu senken sowie dauerhaft „bezahlbar“ zu halten. Der Aktienkurs von Vonovia, der im August 2021 noch bei über 60 Euro notiert hatte, hat sich mittlerweile mehr als gedrittelt. Der DAX selbst ist in der gleichen Zeit um rund zwei Prozent gestiegen.

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