Tichys Einblick
Wirtschaft

Besseres Klima durch weniger Wohlstand

Die Protagonisten der ökologischen Klimapolitik feiern den steigenden Anteil der Erneuerbaren am Stromverbrauch. Steigende Stromkosten, Reallohnverluste und Deindustrialisierung sind die Folgen.

IMAGO - Collage: TE
„Eine gute Nachricht zum Jahresbeginn: Die Energiewende schreitet erfolgreich voran“, meldeten die Grünen am 4. Januar. Tatsächlich ist Deutschlands CO2-Ausstoß im vergangenen Jahr um 10,8 Prozent auf nur noch 673 Millionen Tonnen gesunken, auf den niedrigsten Stand seit 1950. Als Meilenstein feierte Bundeswirtschafts- und -klimaminister Robert Habeck (Grüne), dass der Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch in Deutschland erstmals die 50 Prozent „geknackt habe“.

Der Energiebereich sei, „wenn wir in dem Tempo weitermachen“, auf dem besten Weg, die für 2030 gesetzten Etappenziele beim Klimaschutz zu erreichen. Bis dahin soll der Anteil der Erneuerbaren 80 Prozent betragen. Auch beim Primärenergieverbrauch, der zur Erreichung der Klimaziele im Vergleich bis 2030 gegenüber 1990 fast halbiert werden muss, war der Rückgang um 8,2 Prozent im vergangenen Jahr ein gewaltiger Schritt nach vorn.

Zynische Klimaretter

Was für die Protagonisten der ökologischen Klimapolitik ein Grund zum Feiern ist, führt bei immer mehr Bürgern zu Frust und berechtigten Zweifeln an dieser Klimapolitik bis hin zu den nun auch in Deutschland von den Bauern angeführten Klimaprotesten. Die Bürger erkennen, dass die seit Jahrzehnten von wechselnden Bundesregierungen vorangetriebene ökologische Klimapolitik mit herben Wohlstandverlusten einhergeht, da sie steigende Energiekosten bewirkt, die in die Deindustrialisierung und zu Reallohnverlusten führen.

Denn diese Klimapolitik lässt die Möglichkeiten zur Anpassung an den Klimawandel weitgehend außer Acht und unterwirft die gesellschaftliche Entwicklung der Erreichung einer Klimaneutralität, die zudem fast ausschließlich auf der Nutzung vergleichsweise teurer und nur begrenzt verfügbarer Wind- und Sonnenenergie beruht. Und um mit den immer knapper werdenden Energiemengen dennoch zurechtzukommen, gilt es, den Energieverbrauch mit Hilfe extrem kostspieliger Energieeffizienzsteigerungen drastisch zu senken.

Die vom Ukrainekrieg ausgelöste Energiekrise hat dieser Klimapolitik in den vergangenen zwei Jahren einen enormen Schub verliehen. Denn wegen Gasknappheit und der zwischenzeitlich befürchteten Gasmangellage sind vor allem die Preise für Gas, aber auch für substituierende Energieträger wie Kohle und Erdöl, temporär stark angestiegen. Zudem sind die Strompreise gestiegen, weil der gleiche preistreibende Mechanismus in Gang gesetzt wurde, der bereits seit Anfang der 2000er Jahre für steigende Strompreise sorgt.

Die infolge des Ukrainekriegs schnell gestiegenen Energiepreise haben nämlich eine Kettenreaktion ausgelöst, in welcher der Stromverbrauch zurückging, wodurch der Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch anstieg und dies die Strompreise noch weiter nach oben trieb. So ist der Anteil der Erneuerbaren während der Energiekrise wie im Zeitraffer nach oben geschossen und damit auch die Strompreise. In den vorangegangenen Jahrzehnten hingegen ist der Ausbau von Wind- und Solarenergie nur langsam vorangekommen, dadurch gab es einen nur schleichenden Anstieg des Anteils der Erneuerbaren und entsprechend schleichend stiegen die Strompreise.

Mehr Erneuerbare, höhere Preise

Dass der Anteil der Erneuerbaren am Bruttostromverbrauch preistreibend wirkt, lässt sich an den Strompreisen für private Haushalte leicht nachvollziehen, denn sie tragen die Hauptlast beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Anfang der 2000er Jahre lagen die Strompreise in Deutschland bei etwa 14 Cent/kWh und der Anteil der Erneuerbaren – damals fast ausschließlich Wasserkraft – lag bei nur etwa 5 Prozent. Mit dem sukzessiven Ausbau der Erneuerbaren, gefördert durch die EEG-Umlage – die die Stromverbraucher bis zur Übernahme der Kosten in den Staatshaushalt im Jahr 2022 knapp 300 Milliarden Euro an Subventionen kostete – stieg der Anteil der Erneuerbaren am Bruttostromverbrauch bis 2021 auf 41,5 Prozent und die durchschnittlichen Strompreise stiegen auf gut 32 Cent/kWh.

Nachdem die Preisspitzen des vergangenen Jahres überwunden sind, pendeln sich die Strompreise nun auf einem höheren Niveau als noch vor dem Ukrainekrieg ein, weil der Anteil der Erneuerbaren auf inzwischen 52 Prozent am Bruttostromverbrauch nach oben geschossen und die Strompreisbremse zum Jahreswechsel ausgelaufen ist. Zwar ist die EEG-Umlage entfallen, die die Strompreise mit 6,5 Cent/kWh im Jahr 2021 belastete, doch haben sich inzwischen neue Kostentreiber herausgebildet, die wiederum aus dem Ausbau der Erneuerbaren resultieren. Allein die Netzentgelte und die Offshore-Netzumlage belasteten die Strompreise im vergangenen Jahr mit durchschnittlich mehr als 10 Cent/kWh gegenüber knapp 8 Cent/kWh noch 2021. Hauptursache für den sehr dynamischen Anstieg, der sich auch in den nächsten Jahren fortsetzen wird, ist der Ausbau der Stromnetze wegen des steigenden Anteils der Windenergie am Bruttostromverbrauch.

Entgegen der – von den meinungsführenden Eliten in Politik, Wirtschaft und Medien geteilten – Einschätzung des Bundeswirtschaftsministers, wonach der Ausbau der Erneuerbaren in eine „Zukunft mit niedrigen erneuerbaren Strompreisen und ganz ohne Subventionen“ führen werde, ist der steigende Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch ursächlich für steigende Energiepreise. Das liegt daran, dass der Strom aus erneuerbaren Energien erstens sehr viel teurer ist als der aus konventionellen Kohle- oder Atomkraftwerken und dieser volatile Strom zweitens komplementäre Kraftwerke benötigt, die tage- und sogar wochenlange Dunkelflauten ausgleichen können.

So führt der steigende Anteil der Erneuerbaren am Bruttostromverbrauch dazu, dass der vergleichsweise günstige Strom moderner Kohle- und Atomkraftwerke, die zu Preisen von 4 bis 6 Cent/kWh produzieren können, durch den deutlich teureren erneuerbaren Strom ersetzt wird. Den günstigsten erneuerbaren Strom können Offshore-Windkraftanlagen produzieren. Wegen gestiegener Zinsen und entsprechend höheren Kapitalkosten werden neue Offshore-Windparks gegenwärtig jedoch nur noch entwickelt, wenn Einspeisevergütungen im Bereich von etwa 12 Cent/kWh erreichbar scheinen oder garantiert werden. Der erneuerbare Strom wird jedoch noch wesentlich teurer, da Reservekraftwerke – in Deutschland vor allem Gaskraftwerke – permanent bereitstehen müssen, um Dunkelflauten zu überwinden.

Da diese Kraftwerke nur relativ selten hochgefahren werden und sie wegen des steigenden Anteils von Wind- und Solarstrom dennoch einen Anteil von fast 15 Prozent am Bruttostromverbrauch liefern müssen, ist dieser Strom extrem teuer und belastet die Strompreise zusätzlich, je größer der Anteil dieser Erneuerbaren wird.

Um den Anteil der Erneuerbaren am Bruttostromverbrauch weiter steigern zu können, will Habeck in den nächsten Jahren „wasserstofffähige“ Gaskraftwerke mit einer installierten Leistung von 21 Gigawatt bauen. Das entspricht ungefähr der Leistung aller Kernkraftwerke, die seit 2011 in Deutschland stillgelegt wurden. Deren Bau dürfte ein neues 60-Milliarden-Loch in den Bundeshaushalt reißen oder aber die Strompreise erneut spürbar belasten. Die damit einhergehende Umstellung von vergleichsweise billigem Erdgas auf den sehr viel teureren erneuerbaren Wasserstoff wird die Stromrechnung nochmals enorm nach oben treiben.

Belastend für private Haushalte und Unternehmen wirken sich jedoch nicht nur die steigenden Strompreise aus, die mit dem steigenden Anteil der Erneuerbaren immer weiter nach oben geschraubt werden. Hinzu kommt die steigende Belastung fossiler Energien durch die nun forcierte CO2-Besteuerung. Sie ist einerseits erforderlich, um zu verhindern, dass Unternehmen und Verbraucher den steigenden Strompreisen durch stärkere Nutzung fossiler Energien ausweichen, andererseits soll sie einen Beitrag zur Finanzierung der gigantischen Kosten der ökologischen Klimapolitik leisten. Hinzu kommen Energiekostensteigerungen durch kostspielige Vorgaben zur Steigerung der Energieeffizienz sowie regulatorische Vorgaben, mit denen kostspielige Technologiewechsel – wie beispielsweise im Heizungsgesetz – direkt vorgeschrieben werden.

Reallohnverluste und Deindustrialisierung

Die gestiegenen Energiekosten haben längst einen gigantischen Wohlstandsabbau ausgelöst, der praktisch vollkommen auf die erwerbstätigen Massen, Rentner und Arbeitslose abgewälzt wurde. Denn um wirtschaftlich zu überleben, sind die Unternehmen gezwungen, steigende Energiekosten in den Lieferketten abzuwälzen, sofern es ihnen nicht gelingt, diese Kostensteigerungen durch Optimierung ihrer eigenen Wertschöpfung auszugleichen.

Zu Letzterem sind die Unternehmen in Deutschland jedoch kaum noch in der Lage, denn seit Jahrzehnten erreichen sie immer geringere Arbeitsproduktivitätsverbesserungen, die es ihnen in der Vergangenheit ermöglicht hatten, ihren größten Kostenblock – Löhne und Gehälter – durch Investitionen in den technologischen Fortschritt zu minimieren. Dadurch konnten sie die Erzeugerpreise weitgehend stabil halten oder sogar Preissenkungen vornehmen, ohne ihre Profitabilität zu gefährden. Inzwischen erreichen die Unternehmen in Deutschland nur noch marginale Produktivitätsfortschritte, so dass sie steigende Energiekosten nicht mehr selbst ausgleichen können.

Anstatt also dem Energiekostendruck durch produktivitätssteigernden technologischen Fortschritt entgegenzutreten und auf diesem Weg ihre Profitabilität zu sichern, weichen sie diesem Druck aus, indem sie versuchen, die steigenden Erzeugerpreise an ihre jeweiligen Kunden zu überwälzen. Ausgehend von Lieferkettenstörungen infolge der Coronakrise, verstärkt durch die Energiekrise und obendrein begünstigt dadurch, dass die EZB seit der Finanzkrise 2008 die Inflationsbremsen ausgehebelt hat, ist es den Unternehmen gelungen, die von steigenden Energiekosten ausgehenden Wohlstandsverluste weitgehend auf die Verbraucher abzuwälzen. Im 2. Quartal 2023 waren die durchschnittlichen Reallöhne in Deutschland im Vergleich zum 2. Quartal 2019 um satte 6,8 Prozent geschrumpft, und es sieht nicht danach aus, dass dieser Reallohnverlust wieder aufgeholt würde – sondern dass er sich bei der nächsten Inflationswelle ganz im Gegenteil sogar vergrößern wird.

Gelingt es den Unternehmen nicht, die gestiegenen Kosten in den Lieferketten auf andere abzuwälzen, etwa weil sie einem harten internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind oder die Energiekosten einen erheblichen Anteil an ihrer Wertschöpfung ausmachen – wie dies typischerweise bei energieintensiven Betrieben der Fall ist –, müssen sie – um Verluste zu vermeiden – die Produktion zurückfahren oder ganz einstellen. Diese Konsequenz haben viele energieintensive Betriebe wegen nun steigender Energie- und vor allem Stromkosten ziehen müssen.

Im Vergleich zu 2008 ist die Produktion der energieintensiven Industrien, die mehr als eine Million der bestbezahltesten Arbeitsplätze in Deutschland bieten, um ein Drittel gesunken. Wegen der Aussicht auf weiter steigende Energiekosten wird sich diese Entwicklung fortsetzen. Die energieintensiven Unternehmen hatten diese gegenwärtig ablaufende erste große Welle der Deindustrialisierung längst strategisch vorbereitetet, denn gegenüber dem Jahr 2000 hatten sie auf die voranschreitende ökologische Klimapolitik in Deutschland mit Desinvestition reagiert und ihren Kapitalstock bis 2021 bereits um 20 Prozent geschrumpft.

Klimapolitischer Imperativ

Die meinungsführenden Eliten glauben offenbar, dass es ihnen auch weiterhin gelingen kann, die ökologische Klimapolitik trotz des immer erkennbarer werdenden Wohlstandsdesasters voranzutreiben. Zugute kommt ihnen dabei das in Deutschland noch immer vergleichsweise hohe Wohlstandsniveau, wodurch die meisten Bürger über Reserven verfügen, mit denen sie den Wohlstandseinbruch kompensieren können. Zudem gehen sie offenbar davon aus, die für diese Klimapolitik erforderlichen finanziellen Mittel weiterhin zumindest teilweise zu generieren, indem andere Bereiche wie etwa die Infrastruktur oder die Landesverteidigung systematisch vernachlässigt werden, indem Notlagen zur Umwidmung von Geldern erklärt werden oder durch die Abschaffung der Schuldenbremse.

Es sind jedoch nicht nur die ökonomischen Möglichkeiten eines noch immer relativ reichen Landes, die die Eliten dazu bewegen, den eingeschlagenen klimapolitischen Kurs nicht in Frage zu stellen. Hinzu kommt, dass sie aus den ideologischen Prämissen dieser Klimapolitik, dass nämlich der Entwicklung der Menschheit und der Entfaltung ihres Wohlstands natürliche Grenzen gesetzt seien und dass die Rettung des Klimas sowie der Menschheit genau diese Klimapolitik erfordere, politische Legitimation ziehen. Sie bedienen sich dieser ideologischen Prämissen, um den klimapolitischen Kurs trotz seiner wohlstandsvernichtenden Konsequenzen zu rechtfertigen.


Mehr von Alexander Horn lesen Sie in seinem aktuellen Buch „Die Zombiewirtschaft – Warum die Politik Innovation behindert und die Unternehmen in Deutschland zu Wohlstandsbremsen geworden sind“ mit Beiträgen von Michael von Prollius und Phil Mullan.