Gehören „Vielfalt“ und „Demokratie“ zusammen?

„Für Demokratie und Vielfalt“ – dieser Satz wird aktuell bei Anti-Rechts-Demonstrationen gerne verwendet. Das Wörtchen „und“ verbindet beide Begriffe zu einer sprachlichen Einheit. Aber besteht die auch sachlich, anders gesagt: Muss Vielfalt „demokratisch“ sein und Demokratie „vielfältig“?

IMAGO

„Dieses Land ist so vielfältig“, heißt es in einem 1813 erschienenen landeskundlichen Bestseller, „dass man nicht recht weiß, wie man seine verschiedenen Religionen, Staaten, Klimazonen, ja Völker auf einen Nenner bringen kann“. Der Titel des Buches lautete „De l’Allemagne“ (Über Deutschland) und die Verfasserin, Madame de Staël (1766-1817), hat das französische Deutschlandbild bis heute geprägt.

Vielfältiges Deutschland

Findet man diese Vielfalt des alten Deutschland noch heute? Die religiöse Vielfalt blieb erhalten, aber sie besteht seit den 1960er Jahren nicht mehr nur aus Judentum und christlichen Konfessionen: Im Zuge der massiven Arbeits-. Asyl- und Fluchtmigration nach Deutschland verbreiteten sich auch andere Religionen, besonders der Islam (aktuell sind ca. sechs Millionen der 84 Millionen Einwohner Deutschlands Muslime).

Die politische Vielfalt gibt es seit der Reichsgründung von 1871 nicht mehr: Der neue deutsche Nationalstaat hat die alte Staatenvielfalt ersetzt und auf die regionale Ebene (Föderalismus) beschränkt. Auch die Vielfalt der Volksstämme (Bayern, Sachsen, Westfalen usw.) spielt im Nationalstaat nur noch regional eine Rolle. Hingegen ist – wie die tägliche Wetterkarte im Fernsehen zeigt – das Klima in Deutschland vielfältig geblieben, ebenso die Landschaft vom Hochgebirge bis zu Meer.

Fazit: Vielfalt gibt es in Deutschland schon lange vor seiner Demokratie. In der Demokratie tritt sie dann bis Ende des 20. Jahrhunderts politisch hauptsächlich als „Meinungsvielfalt“ auf.

Politisches Fahnenwort „Vielfalt“

Das Wort „Vielfalt“ weckt positive Assoziationen – man denkt an Abwechslung, reiche Auswahl und ein buntes Spektrum von Möglichkeiten in Natur, Kultur und Gesellschaft, kurz: „die phantastische Vielfalt des Lebens“ (Stefan Zweig). Als politischer Begriff ist „Vielfalt“ (bildungssprachlich: Diversität, englisch: diversity) relativ neu, breitete sich seit Anfang der 2000er Jahre von den USA aus und wurde in der deutschen Politik nach der Bundestagswahl 2021 zum Fahnenwort: „Uns verbindet das Verständnis von Deutschland als vielfältiger Einwanderungsgesellschaft“, vereinbarten SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag. Den Slogan „Für Demokratie und Vielfalt“ kann man deshalb auch als „Für Demokratie und Einwanderung“ interpretieren.

Die Formel „vielfältige Einwanderungsgesellschaft“ wurde aus dem Wahlprogramm 2021 der Grünen übernommen, wo „Vielfalt“ und „vielfältig“ laufend vorkommen: Von der „vielfältigen Kulturlandschaft“, der „biologischen Vielfalt an Land und im Meer“ über die „Geschlechtervielfalt in der Digitalwirtschaft“, die „Vielfalt sexueller Orientierungen“ bis zum „muslimischen Leben in seiner ganzen Vielfalt“ (einschließlich Vielehe, Scharia?) und der „Vielfalt in der Verwaltung“, die durch „Diversity-Mainstreaming“ hergestellt werden soll.

Die grüne „Vielfalt in der Verwaltung“, die Leistung durch Quote ersetzt, wird seit einigen Jahren offen oder verdeckt in staatlichen Einrichtungen praktiziert, und die Folgen spüren alle Bürger: Der deutsche Staat funktioniert nicht mehr richtig. Am einfachsten kann man dies bei Reisen mit der Deutschen Bahn erleben, die Vielfalt als „eine entscheidende Stärke“ (Bahnchef Lutz) ansieht, aber nicht (mehr) Pünktlichkeit. Im Ausland werden übrigens „deutsche Tugenden“ noch geschätzt: Die italienische Polizei fasste kürzlich einen lange erfolgreichen Bankräuber, den sie den Namen „il tedesco“ (der Deutsche) gegeben hatte, weil er seine Überfälle vorzüglich organisierte.

Macht Vielfalt stark?

Im sogenannten „Kampf gegen Rechts“ wollen (oder müssen) auch deutsche Unternehmen „klare Haltung“ zeigen: Mitte Februar veröffentlichten einige hundert Firmen (darunter die Deutsche Bahn) in mehreren überregionalen Zeitungen eine doppelseitige, von ihren Firmenlogos umgebene Anzeige mit dem Leitspruch: „Vielfalt macht uns stark!“ Tatsächlich ist aber die aktuelle wirtschaftliche Lage schwach: „Finanzminister Lindner stellt dem Wirtschaftsstandort Deutschland ein bemerkenswert schlechtes Zeugnis aus“, titelte die Süddeutsche Zeitung (13. Februar 2024) zwei Tage vor dieser Firmenanzeige.

Der Spruch „Vielfalt macht uns stark“ ist auch grundsätzlich fragwürdig: Vielfältige Arbeitskräfte, im Personalerdeutsch: „gemischte Teams“, bringen kommunikative Probleme sprachlicher und kultureller Art mit sich, was schnelles und effizientes Handeln stört. Dass Vielfalt zu weniger Leistung führen kann, zeigt das schlechte Abschneiden der deutschen Schulen im internationalen PISA-Test: „Die 15-Jährigen in Deutschland fallen bei PISA 2022 in allen Kompetenzbereichen auf die niedrigsten Werte ab, die hierzulande … je gemessen wurden“ (Deutsches Schulportal). Die Ursache? Ein effizienter Unterricht ist in „vielfältigen“ Klassen, in denen nur ein Teil der Schüler die deutsche Sprache beherrscht, nicht machbar.

Vielheit und Mehrheit

Deutschland hat eine vielfältige Bevölkerung, aber in dieser Vielheit bildet eine Gruppe immer noch die Mehrheit, nämlich diejenigen, die sich kulturell als „Deutsche“ verstehen und biologisch als Mann oder Frau. Dass diese Mehrheit sich auch politisch äußert, müsste in einer Demokratie mit Meinungsvielfalt normal sein, auch in einer „wehrhaften Demokratie“ – ein vom Bundesverfassungsgericht eingeführter Begriff, der aktuell im „Kampf gegen Rechts“ oft eingesetzt wird.

„Wehrhaft“ klingt kriegerisch, aber es geht hier nicht gegen einen äußeren Feind, sondern einen inneren, und hier sind die Möglichkeiten begrenzt: Ein demokratischer Staat darf nicht das eigene Volk bekämpfen. In der DDR, die nur dem Namen nach „demokratisch“ war, ging das, und die Regierung hat es beim Volksaufstand vom 17. Juni 1953 auch getan. Dazu schrieb der Schriftsteller Bertolt Brecht (1898-1956) ein kurzes Gedicht mit dem Titel „Die Lösung“, in dem er abschließend die Frage stellte:

Wäre es da
nicht doch einfacher, die Regierung
löste das Volk auf und
wählte ein anderes?

In einem Urteil von 1975 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, das Grundgesetz habe „die Bundesrepublik Deutschland … als eine streitbare, wehrhafte Demokratie konstituiert“. „Streitbar“ geht also vor „wehrhaft“ – und ein Meinungsstreit, eine breite, öffentliche Diskussion über Nutzen und Nachteil einer „vielfältigen Einwanderungs-gesellschaft“ hat in Deutschland noch nicht stattgefunden. Demokratisch entscheiden kann diesen Streit nur die Mehrheit – gleichgültig, wie vielfältig sie ist.

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Kommentare ( 29 )

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eschenbach
2 Monate her

Demokratie bedeutet „Herrschaft des Volkes“. Laut Verfassung geht in unserem Land alle Staatsgewalt vom Volke aus. Wie „vielfältig“ das Volk ist, ist der Demokratie vollkommen wurscht.

Last edited 2 Monate her by eschenbach
Gabriele Kremmel
2 Monate her

Einfältig ist, wer komplexe Fragestellungen und die Forderung nach ihrer Bearbeitung mit der pauschalen Hohlfrase „Vielfalt“ abbügelt. Ich bin bunt, wir sind vielfältig, das sind -mit Verlaub- Narrensprüche.

Mit Demokratie hat das nichts zu tun, denn bezüglich Mitgestaltung und Mitreden jener, die andere Meinungen zum Thema haben ist es bei den Bunten schnell vorbei mit der Vielfältigkeit. Da regiert die blanke Einfalt.

Last edited 2 Monate her by Gabriele Kremmel
Freedomofspeech
2 Monate her

Ist Japan keine Demokratie? Ist Taiwan keine Demokratie? Es lassen sich mit Sicherheit weitere Beispiele finden, und damit ist die Frage m.E. beantwortet.

Helmut Berschin
2 Monate her
Antworten an  Freedomofspeech

Japan (123 Millionen Einwohner) ist eine Demokratie und behandelt zum Beispiel das Thema „Migration“ ganz anders als Deutschland (84 Millionen): Die Zahl der Asylanträge betrug 2023 in Japan 20 000 in Deutschland 351 000. H.B.

John Beaufort
2 Monate her

„Das Wort „Vielfalt“ weckt positive Assoziationen“. Wirklich? Bei mir tut es das nicht mehr, seit es vom Mainstream zu einem Oberbegriff für Masseneinwanderung aus dem nahen Osten und Gender-Verwirrung umgedeutet wurde. Übrigens ist Vielfalt (im ethnischen und religiösen Sinn) noch nie eine Stärke für ein Staatswesen, sondern immer eine Schwäche gewesen. Die meisten Zusammenbrüche von großen Imperien standen irgendwie im Zusammenhang mit Einwanderung, ethnischen und religiösen Konflikten, also mit Vielfalt. Wenn Menschen keine gemeinsamen Identitäten und Werte haben, vertrauen sie einander nicht und arbeiten auch nicht demokratisch zusammen. Genau das Gegenteil des öffentlich ständig wiederholten Mantras ist der Fall: Gemeinsamkeiten… Mehr

Last edited 2 Monate her by John Beaufort
Helmut Berschin
2 Monate her
Antworten an  John Beaufort

Das Wort „Vielfalt“ – nicht der politische Begriff – ist rein sprachlich in der Tat positiv konnotiert: Unter „Blumenvielfalt“ findet man bei Google über 500 000 Einträge, hingegen kommt „Verbrechensvielfalt“ nur zehnmal vor. Anders gesagt: Die Deutschsprecher verwenden normalerweise das Wort in positiven Kontexten, deshalb wird es politisch beim Thema „Migration“ benutzt und – wie Sie schreiben – „zu einem Oberbegriff für Masseneinwanderung“ gemacht. H. B.

P. Pauquet
2 Monate her

Nein, zu beiden Begriffen. Diese Wörter sind zur Zeit verbrand, nicht das Papier wert auf dem sie geschrieben sind. … Große Teile unserer Sprache, DEUTSCH, sind pervertiert worden. Es sollte dringend mal ausgekehrt werden, damit man wieder versteht, über was wir überhaupt reden! Als AWM ist mir unsere Sprache als eine der umfangreichsten, komplexesten und präzisesten der Erde bekannt. Vergleichbares muss man suchen. Mir fällt im Moment keine ein. … Mehr will ich nicht schreiben, sonst artet es aus, und das geht auf diesem Wege nicht. Das ist für mich kein Thema, zu dem ich mal eben auf die Schnelle… Mehr

Ombudsmann Wohlgemut
2 Monate her
Antworten an  P. Pauquet

Bei heute verbreiteten Sprachen mag das stimmen, im Vergleich zu fast sämtlichen alten Sprachen (die waren wesentlich komplexer) ist das heutige Deutsch hingegen leider auch nur plump und ausufernd umschreibend in Ermangelung an passenden Ausdrucksformen, und mit jeder weiteren Änderung wird es noch simpler (und stets mit unnötigen und inkonsequent Ausnahmen versehen)…

Peter Pascht
2 Monate her

„Gehören „Vielfalt“ und „Demokratie“ zusammen?“
Schon , wenn es darum ginge, aber darum geht es express nicht.
Die allermeisten die „Vielfalt“ schreien, meinen damit ihre eigene „Hegemonie“.
„Vielfalt“ heißt bei denen blos „viel Einfalt“.
Viele sollen meine Weltansicht und Bevorteilung meiner Person gut heißen.

NochNicht2022
2 Monate her

Nein: Beides haben miteinander nichts zu tun. „Vielfalt“ ist einer ideologischer Kampfbegriff und hat mit der Staatsform „Demokratie“ nicht das Mindeste – eher im Gegenteil in Richtung linksgrün-versiffter Meinungsdiktatur – zu schaffen. Im Übrigen weisen das tatsächlich damit gemeinte, bereits mehrere BRD-GG-Artikel das seit 1949 aus … Insoweit ist die Fragestellung obsolet.

flo
2 Monate her

„Vielfalt“ und „Demokratie“ gehören NICHT untrennbar zusammen. Denn: Demokratie meint eine bestimmte STAATSFORM, die gekennzeichnet ist durch (Zitat von der Website des Bundestags) „Achtung der Menschenrechte, Gewaltenteilung, Verantwortlichkeit der Regierung, Unabhängigkeit der Gerichte, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, ein Mehrparteiensystem sowie freie, gleiche und geheime Wahlen. …“ „Vielfalt“ ist nach gängigem Sprachgebrauch eine Kennzeichnung für die GESELLSCHAFT(SSTRUKTUR), die von Einwohnern mit zahlreichen/möglichst vielen unterschiedlichen ethnischen, sprachigen, religiösen, kulturellen Merkmalen geprägt ist. Vielfalt hat naturgemäß Abstufungen – große, mittlere, nicht so ausgeprägte Vielfalt – und hätte als Gegenbegriff die Einfalt, eine fast zu 100 Prozent homogene Gesellschaft, die es aber wohl in der Geschichte… Mehr

Klaus D
2 Monate her

Vielfallt und Demokratie……(hahahahahahahahaha)……gebe ich bei google „vielfalt demokratie“ ein kommt als erster link: Bundesprogramm „Demokratie leben!“: Startseite. Jetzt kommts! Der erste artikel hinweis lautet….

Linken Extremismus kontern

Eine Handreichung unterstützt dabei, linken Extremismus im eigenen Umfeld zu erkennen und diesem argumentativ entgegenzutreten.

https://www.demokratie-leben.de/magazin/magazin-details/linken-extremismus-ueberzeugend-kontern-218

Die seite ist vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend!
(hahahahahahahahahahahahahahahaha)

verblichene Rose
2 Monate her

„Mitte Februar veröffentlichten einige hundert Firmen (darunter die Deutsche Bahn) in mehreren überregionalen Zeitungen eine doppelseitige, von ihren Firmenlogos umgebene Anzeige mit dem Leitspruch: „Vielfalt macht uns stark!“ Dazu sei gesagt, dass weder die Bundesbahn (und erst recht nicht der Bundestag) „Firmen“ im eigentlichen Sinne sind. Bei der Bundesbahn, wie auch beim Bundestag handelt es sich also um Institutionen, bei denen die „arbeitenden“ Menschen die Angestellten des Souverän sind! Und fast so ähnlich verhält es sich bei vielen dieser Firmen, die wie Ströer zB. eine dubiose GmbH & Co. KG ist. Dubios deswegen, weil die Konstellation der Haftung solcher Firmen… Mehr

Helmut Berschin
2 Monate her
Antworten an  verblichene Rose

Die „Deutsche Bahn“ ist handelsrechtlich eine Firma, konkret: eine Aktiengesellschaft, die allerdings zu 100 Prozent in Besitz der Bundesrepublik Deutschland ist. Insofern ist – wie bei zahlreichen Firmen und Organisationen, welche die Anzeige unterstützten – dieses Bekenntnis zu „Vielfalt macht uns stark“ in der Tat „dubios“. H. B.