Diane Keaton verkörperte die selbstbewusste wie gebrochene Frau des 20. Jahrhunderts

Mit Diane Keaton (79) ist eine der größten Schauspieler des klassischen Hollywoods gestorben. Zu Lebzeiten haben Kritiker ihren Wert nicht ausreichend zu schätzen gewusst – dabei hat sie die selbstbewusste Frau des 20. Jahrhunderts verkörpert. Mit all ihren Brüchen.

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Die deutschen Kulturschaffenden wussten Diane Keaton nicht ausreichend zu würdigen. Spannend. Denn, wenn es darum geht, Aufrufe pro Feminismus zu unterzeichnen, sind sie gerne dabei. Maulhelden. An den Taten sollt ihr sie erkennen: Zu Lebzeiten haben sie Diane Keaton nicht zu würdigen gewusst, die nun im Alter von 79 Jahren aus öffentlich nicht bekannten Gründen gestorben ist.

Der Film ihres Lebens heißt in Deutschland: “Der Stadtneurotiker” (1977), stellt also die männliche Hauptfigur in den Mittelpunkt. Im Original heißt der gleiche Film “Annie Hall”. Das ist Diane Keatons Geburtsname. Persönlicher geht es nicht. Als sie Ende der 60er Jahre ihre Karriere in Hollywood startete, entschied sie sich für den Geburtsnamen ihrer Mutter, weil es bereits eine etablierte Schauspielerin namens Hall gab.

— Kay (@legendaarykay) October 11, 2025

An der Seite Woody Allens spielte Keaton mehrfach. Sie hatte auch eine mehrjährige Beziehung mit dem Autor und Regisseur. Auch wenn die Kay Adams in der Pate-Trilogie ihre berühmteste Rolle war, so sind doch die Auftritte an Allens Seite die prägendsten Filme in Keatons Karriere. Aus Sicht der deutschen Kulturschaffenden ist sie die weibliche Nebenrolle, ein Sidekick. Was für ein Fehler.

Denn nach der Sicht der deutschen Kulturschaffenden geht es in den Allen-Filmen um den neuen Mann. Doch das ist die Perspektive von linken Macho-Weicheiern, deren Welt sich nur um sich selbst dreht. In Wirklichkeit geht es darum, was solch dysfunktionale Männer einer ganzen Generation an Frauen angetan hat. Genau diese Frauen verkörperte Keaton. Mit ihrem Selbstbewusstsein und ihren Versuchen, auf eigenen Beinen zu stehen – aber auch mit allen Brüchen, die sich daraus ergeben:

Die Single-Frauen, die auf dem Rücksitz sitzen und hoffen, dass der Mann erst ihre Freundin nach Hause fahren und dann sie selbst – die dann aber zuerst in der New Yorker Einzimmerwohnung Wein trinken. Allein. Die jederzeit ins Museum gehen können, wann immer sie wollen. Aber viel zu oft allein. Die einen modernen Mann suchen, aber an ihm verzweifeln, wenn sie ihn finden. Aus deutscher Sicht geht es im Großstadtneurotiker um die Frage, warum sich Annie Hall von Alvy Singer (Allen) getrennt hat. Doch die eigentliche Frage lautet, warum sie überhaupt bei ihm geblieben ist. Immerhin hat die Oscar-Jury geschaltet und Keaton für dieses Meisterwerk als beste Schauspielerin ausgezeichnet.

Selbst in den beiden sehenswerten Paten-Filmen strahlt Keaton stärker, als es manch Kritiker klar ist. Auch den englischen sowie den Filmemachern. Im Abspann des ersten Paten (1972) taucht Keaton erst nach Robert Duvall und Nebenrollen-Darstellern wie Richard Castellano, Sterling Hayden oder John Marley auf. Doch Keaton verkörpert einen entscheidenden Aspekt in der Männerwelt der Mafia, die denkt Frauen an den Rand drängen zu können und dann eines Besseren belehrt wird.

Der erste Teil der Trilogie spielt noch in den 40er und 50er Jahren des 20. Jahrhunderts. Keaton ist da – dem Zeitgeist der Epoche entsprechend – noch das Weibchen, das ihrem Verlobten Michael (Al Pacino) glaubt, dass er nicht in die “Geschäfte” seiner Familie einsteigen wolle. Die auf ihn in ihrer Single-Wohnung wartet und ihn bekocht, wenn er dann doch zum Mobster wird. Und die ihm hinterherrennt, wenn er nach einem Doppelmord in Sizilien untertaucht, sich dort verheiratet und das alles, ohne sich von Kay verabschiedet zu haben.

Die Szene, in der Kay den Besitz der Corleones aufsucht, um nach Michaels Verbleib zu forschen, ist eine der besten des ohnehin starken Films. Die Welt der Mafia hält Regisseur Francis Ford Coppola in Schwarz-Weiß. Keaton taucht in dieser schwarz-weißen Welt auf – komplett in Rot gekleidet. Die Kritiker haben Steven Spielberg 20 Jahre später mit Schindlers Liste für einen ähnlichen Effekt gefeiert. Bei Diane Keaton haben sie übersehen, dass hier die moderne Frau der 60er Jahre in die Männerwelt der 50er Jahre einbricht.

Im zweiten Teil der Trilogie (1974), die in den frühen 60er Jahren spielt, zeigt Coppola diesen Effekt deutlicher. Zu dessen Beginn ist Kay noch die brave Mafia-Frau, die in der Welt ihres Mannes buchstäblich eine Gefangene ist. Doch an ihr ist es, den Thronfolger in der Verbrecher-Monarchie zu gebärden. Kay durchbricht den Kreislauf. Sie treibt den potenziellen männlichen Nachfolger Michaels ab. Eine Rache an ihrem Ehemann. Eine Lebens-Entscheidung. Ein Mafia-Mord aus weiblicher Sicht.

Der deutsche Kulturbetrieb hat Diane Keaton nie ausreichend gewürdigt. Doch, was soll’s. Kritiker sind zu Lebzeiten nur wenigen bekannt und nach ihrem Tod schneller vergessen als der Schweif eines Kometen. Keaton ist für alle Zeiten Teil der Filmgeschichte. Ihr gehört die letzte Großaufnahme im Paten. Sie ist Teil einer ikonischen Szene: Wenn Michael sie ein letztes Mal glauben machen kann, er sei nicht das Haupt einer Mörderbande. Wenn die Unterwerfung seiner Gefolgsleute eine andere Sprache spricht. Und wenn sich die Tür der Männerwelt der Mafia vor Kay und dem Zuschauer wieder schließt.

Diane Keaton ist im Alter von 79 Jahren gestorben – als Kay Adams-Corleone und Annie Hall bleibt sie unsterblich.

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