Liberale Zeiten brechen kurz vor der Wahl an

Doch. Die FDP kann konsequent sein. Zumindest wenn es darum geht, dem Wähler etwas vorzugaukeln: Alles, was sie bisher nicht geliefert hat, werde jetzt kommen, verspricht sie – wenige Tage vor der Wahl in Niedersachsen.

IMAGO / Jochen Eckel

Seit knapp einem Jahr ist die FDP in der Bundesregierung und sie hat geliefert. Wie bitte? Hat sie nicht, meinen Sie? Doch! Hat sie! Wohl: Da ist das Tempolimit, das sie verhindert hat. Und sie hat die deutschen Talkshows um Marie-Agnes Strack-Zimmermann bereichert. Obendrein kommt das Tempolimit. Und dann ist da noch das Lächeln Strack-Zimmermanns, das den betörenden Zauber einer Umsatzsteuervoranmeldung versprüht. Nicht zu vergessen das Tempolimit. Also ganz viel hat die FDP geliefert. Im liberalen Sinn.

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Ja. So ein paar Punkte gab es, da hätte man die optimale liberale Bilanz noch weiter optimieren können. Die FDP wollte die Corona-Maßnahmen beenden. Aber mit den „strengsten Regeln in Europa“ ist sie da echt nahe herangekommen. Gut: Die Inflation rennt davon, die Wirtschaft kollabiert und im Winter droht der Blackout. Die Bundesregierung reagiert darauf mit staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft, einer enormen Neuverschuldung und dem vorzeitigen Ausstieg aus allem, was Strom erzeugt. Liberal im Sinne der klassischen Lehre ist das jetzt nicht direkt. Aber hey: Strack-Zimmermann. Hallo? Und das Tempolimit!

Zudem wird das ja ohnehin alles besser. Wofür zehn Monate nicht gereicht haben, das holt die FDP jetzt alles in einer Woche nach. Der Woche vor der Wahl in Niedersachsen. Allein ihr Chef Christian Lindner: Der will Atomkraftwerke laufen lassen. Bis 2024. Und er will ARD und ZDF reformieren, weil außerhalb der SPD und der Grünen es vielleicht viele nicht ausschließlich gut finden, dass sie 8,5 Milliarden Euro im Jahr für Parteipropaganda bezahlen sollen.

Und die Frist für die Abgabe der Daten zur Grundsteuer will Lindner obendrein verlängern lassen. Wenn es schon Kommunen nicht schaffen, die Daten zu sammeln, wie sollen es dann Hilfsarbeiter Otto und Rentnerin Maria hinkriegen? Gut. Lindner könnte auch in Frage stellen, warum der Staat überhaupt Daten seiner Bürger abfragt, die er selbst schon hat, statt die einfach zusammenzutragen. Hat sich Lindner nicht auch mal als digitaler Vorreiter inszeniert? Aber das ist kompliziert und taugt nicht für ein kurzfristiges, verlogenes Wahlversprechen. Sorry, für einen nachhaltigen liberalen Kurswechsel.

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Da wir schon bei verlogenen Bezeichnungen sind: Schulden sind für den Staat jetzt ebenfalls tabu. Das hat der FDP-Fraktionsvorsitzende bei Anne Will erklärt. Der Staat mache ja keine Schulden, sondern ziehe einen „Schutzschirm“ auf. Das Schulden zu nennen, bloß weil es komplett auf Schulden beruht, wäre zu ehrlich und unliberal. Wenn man nur achtsam genug mit den Begriffen wie „Schuldenbremse“, „Sondervermögen“ und „Schutzschirm“ jongliert, erscheint sogar die Haushaltspolitik der FDP seriös.

Das alles hat aber nichts mit der nahenden Wahl in Niedersachsen zu tun. Und dass der FDP dort der Rauswurf aus dem Landtag droht. Nein. Der FDP geht es nicht nur um Mandate und Posten, wie immer getan wird. Der FDP geht es um viel mehr – um grundsätzlichere Werte wie: Pensionsansprüche, Dienstwagen, Aufträge an Firmen von Freunden und Ehefrauen, Stellenbesetzungen mit Parteisoldaten und Privilegien wie das maskenfreie Verreisen, während der Pöbel den Stofffetzen tragen muss. Das ist wahrer liberaler Geist.

Womit sich der Kreis zu Marco Buschmann schließt. Der Justizminister kündigt das Ende aller Corona-Maßnahmen an. Schon wieder. Das mag jetzt unfair klingen. Buschmann bemüht sich schließlich redlich, lustig zu sein, und produziert immer wieder neue Gags. Aber am besten sind doch seine Klassiker: Das Ende aller Corona-Maßnahmen kommt. Also echt dieses Mal. Wirklich. Ehrenwort.

Liberale Zeiten brechen an: solide Staatsfinanzen, Weiterbetrieb von Kraftwerken, eine Reform des Grünfunks, eine Schonfrist bei der Grundsteuer und das Ende aller Corona-Maßnahmen. Und falls das alles doch nicht klappt, ist das alles nur aufgeschoben. Dann verspricht es die FDP einfach noch einmal. Zur nächsten Landtagswahl: im Mai 2023 in Bremen oder im Herbst danach in Bayern.

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Kommentare ( 37 )

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Karina Gleiss
1 Jahr her

Was bleibt, ist der Klassiker von Loriot. ein Evergreen sozusagen: im liberalen Sinne heißt liberal nicht nur liberal. Dies zeigen auch die „grundrechtsschonenden“ Regelungen im vorerst letzten Gängelungsgesetz nach Art von Lauterbach. Aber im März nächsten Jahres werden alle Einschränkungen aufgehoben. Versprochen!

Thorsten
1 Jahr her

In China war die Regierung auch nur die „Verwaltung“ des Staates für den Kaiser. Nunmehr machen unterschiedliche Parteien ihre Politik.

ketzerlehrling
1 Jahr her

Nun, die FDP und die anderen Politdarsteller, können konsequent sein, im Lügen. Das ist nicht schwer, wenn man keine Konsequenzen tragen muss für sein Fehlverhalten, seine manchmal kriminellen Handlungen, wenn niemand sich traut, einen dafür zur Verantwortung zu ziehen und man nichts verliert und sich hinter einem Apparat verstecken kann.

Juergen P. Schneider
1 Jahr her

Ja, die FDP hat richtig toll geliefert, deswegen ist sie jetzt geliefert. Die Umfaller werden hoffentlich bei allen künftigen Wahlen angemessen abgestraft.

RandolfderZweite
1 Jahr her

Hätte die deutsche Politik nicht diese fatalen Auswirkungen auf unser Leben, dann würde ich dieses traurige Schauspiel als Revue aufführen lassen!!
„Buchen Sie jetzt das Wochendticket inklusive Übernachtung ins größte Schauspielhaus der Welt und genießen Sie die tolle Atmosphäre im Reichstag!“
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Franjo
1 Jahr her

Auch ich habe die FDP gewählt als Gegengewicht zu Rot-Grün…Lindner wäre besser bei seiner Aussage zur vorletzten Bundestagswahl geblieben:Besser nicht regieren als schlecht regieren…Ich werde sie nicht mehr wählen.
Es gab aber wohl zu viel Druck aus der Partei weil zu viel Führungspersonal versorgt werden musste und das geht eben nur in dfer Regierung

Wilhelm Roepke
1 Jahr her

Die FDP hat noch genau eine Chance: eine Entschuldigung bei und Kooperation mit der AFD. Warum? Weil die Wähler der FDP vor allem eines interessiert: ihr persönlicher Wohlstand. Und der geht gerade den Bach runter. Während Grüne noch bereit sind, für ein klimaneutrales Weltziel persönliche Opfer zu bringen, sind die Wähler der FDP das nicht. Peugeot statt Porsche, Föhr statt Florida und Imbissbude statt Italorestaurant führen zu Unmut; Brownouts erst recht.

WGreuer
1 Jahr her

Die Lindner-FDP wie in den letzten Jahren eigentlich immer: ein Fähnchen im Wind, illiberal, verlogen, korrupt, auf Pöstchen schielend. Perfekt passend zur Ampel und zu den restlichen Blockparteien. Da bleibt für einen ehemaligen FDP-Wähler nur noch #NieMehrFDP.

Guzzi_Cali_2
1 Jahr her

Ich oute mich: Ich habe bis zur Gründung der AfD tatsächlich immer FDP gewählt. Immerhin 30 Jahre. Von den anderen Parteien WEISS man ja, daß es Heuchler sind, aber bei der FDP dachte ich immer irgendwie noch an Genschi und so. Zwischenzeitlich sind die mir fast noch widerlicher, als die Grünen und die Roten. Diese beiden sind kalkulierbare Feinde der Demokratie. Die FDP hingegen ist falsch wie eine Schlange.

Monika
1 Jahr her
Antworten an  Guzzi_Cali_2

Genauso geht es mir auch. Ich empfinde auch nur noch Gefühle für die FDP, die sich mit sehr negativen Worten beschreiben lassen. Und auch ich habe die jahrzehntelang gewählt, als kleinstes Übel sozusagen.

Boris G
1 Jahr her

Kommt es in diesem Winter zu einer stabilen Hochdruckwetterlage, die sibirische Kaltluft zwei Wochen nach Westeuropa schaufelt (-24°C sind dann möglich), so fliegt die FDP im nächsten Jahr aus den Parlamenten, die neu gewählt werden. Dass all die pensionierten Apotheker, Ärzte, Steuerberater und Rechtsanwälte unter der von der FDP tapfer verteidigten EZB-Inflation nun jährliche Rentenkürzungen von 10% hinnehmen müssen (die berufsständischen Rentenversorgungswerke können keinen Inflationsausgleich zahlen), wird diese FDP-Stammklientel von der Fahne gehen lassen.