Fußbälle zu Fahrradreifen!

Fünf Gründe, warum es für den aus der Zeit gefallenen Ballsport des 19. Jahrhunderts ein „weiter so“ nicht geben kann.

IMAGO / YAY Images

Oliver Bierhoff hat ihn vorgemacht, den Einstieg in den Ausstieg. Genug mit dem (manchmal Voll-)Kontakt-Ballsport, seinen enthemmten, Bierbecher-schmeißenden Fussball-Hooligans, ihren Fahnenmeeren, Bengalos und Sprechchören. Genug mit den Nationalfarben in Vorgärten und an Balkonen, an Autospiegeln und in Seitenscheiben. Genug mit diesem 2 x 45 Minuten dauernden Durchmarsch eines aggressiven Vokabulars aus Angriff und Verteidigung, gegnerischen Offensiven, Bombenschüssen und Knallern unter die Latte. Verschwitzte, nach kurzen Sprints stets in kontemplativer Siegerpose verharrende Athletiker, die der weißen Pille hinterherlaufen wie die Windhunde der Karnickelattrappe. Radioreporter*innen, deren sich überschlagende Stimmen in Toooooor, Toooor…münden.
Vereinsnamen, von denen sich einige so lesen, als wären sie deutschnationale Studentenkorps: „Borussia“. „Arminia“. „Alemannia“. Sogar „Preußen“.
Ehrlich, wer das schön findet, brät schon in der Vorhölle des vielgescholtenen „Party-Patriotismus“, ohne den, so Nationalismusforscher Dario Brentin zum österreichischen „Standard“ vor der letzten WM 2018, „die Normalisierung von Nationalismus nach der WM in Deutschland 2006 und der Erfolg der AfD nicht möglich gewesen wäre.“

Grund 1. Das nationale Grauen erobert über den Fussball den öffentlichen Raum

Sehr anschaulich beschrieb dieses unappetitliche Spektakel das Abendblatt:
„Fans sagen heute nicht „meine Mannschaft spielt“, sondern sie sagen „wir spielen“; ganz gleich, ob es sich um die liebste Vereinsmannschaft oder die Nationalmannschaft handelt … im Stadion – vor allem aber beim Public Viewing – können sie ihre Emotionen ungestraft so zeigen, wie sie es wollen … umarmen, küssen, herumhüpfen, brüllen, fluchen, in die Luft springen, singen, schreien, ihren Tränen freien Lauf lassen, Gelbe und Rote Karten fordern und Elfmeter; sie dürfen sogar politisch inkorrekt sein. Kurz gesagt: Sie dürfen einfach mal die Sau rauslassen …“

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Da öffentliches Fussballschauen 2022 nun ausfällt, kann auch nicht mehr der Beweis des Gegenteils dessen angetreten werden, was die Taz 2018 behauptete: „…in der durch die Präsenz der AfD aufgewühlten Stimmung des ethnisch formulierten Misstrauens“, und einer „Aggression sehr vieler dem Deutsch-Multikulturellen gegenüber.“ Seit Sommer 2015 kann sich „die Atmosphäre für ein Land, das weltoffen ist und eine Mannschaft gut findet, die wirklich wie ein Traum der „rot-grün-versifften Republik“ aussieht … eigentlich nur noch zum Schlechteren entwickeln…“

Grund 2. Wenn man es nicht kann, soll man aufhören.

Auch ohne das Manko der Damen-Nationalmannschaft (sie hat nämlich laut ARD-Sportschau zu wenige Spielerinnen mit Migrationshintergrund) hat es die Truppe von Hansi Flick nicht geschafft, die Atmosphäre für Fans wie Christoph Landsgesell von Sports Illustrated Deutschland „irgendwie zu emotionalisieren“. Das Ausscheiden einer Mannschaft wie „eine Rauhfasertapete“ lässt ihn kalt, ist halt passiert. Reichlich saft-und kraftlos auch die Analysen in der Presse: es müsse nun schonungslos aufgearbeitet … Konsequenzen gezogen werden … dem deutschen Spiel mangle es an „Eingespieltheit, Widerstandsfähigkeit und Automatismen“ (Toni Kroos). Antonio Rüdiger und Bastian Schweinsteiger vermissen die Groschenroman-Dramatik: „Wo bleibt da das Brennen? Wo ist das Feuer ?“ Den Kollegen fehle „das Dreckige, die letzte Gier“. Mit solchen primitiven Begriffen will der DFB die eigene Elf als „Mannschaft“ wohl nicht in Verbindung bringen. Eher passen würden sie zu den „Drei Löwen“ (England), den „Drachen“ (VR China) oder den „Adlern von Karthago“ (Tunesien). Die dürfen den Killerinstinkt haben, den der Bundestrainer bei seinen Schützlingen schon im September vermisste (Sport1). Sah er denn nicht, wie gut eine gepflegte Zahnlosigkeit ins Bild dieser „sehr, sehr lieben Mannschaft“ (nochmal Antonio Rüdiger) passte ?

Grund 3. Das ist kein Spiel, sondern toxisch männliche Gassenkeilerei, in der es um Dominanz, gewonnene Zweikämpfe und das Bezwingen des Gegners geht.

Fußball ist keine blutleere Angelegenheit, in der man sich in steriler Umgebung artig Bälle zuschiebt. Wie die heißblütigen Kicker aus Costa Rica bewiesen haben, kann man durch eine plötzliche Kraftanstrengung, wenn einem der Blitz der Erkenntnis in die Knie fährt, dass man hier tatsächlich den wackligen Teutonen eine Abreibung verpassen könnte, über sich selbst hinauswachsen. Die „Ticos“ (Spitzname des Nationalteams) haben den Deutschen den Schneid abgekauft, den Hansi Flick dann nur mit einer Frischzellenkur von der Reservebank aufpäppeln konnte. Und wenn der Mittelstürmer die Abwehr durchbricht, das gegnerische Feld aufbricht, um dann eine Granate einschlagen zu lassen, dass die Schlachtenbummler im Fanblock nur so explodieren – dann ist die Stimmung so ganz nach dem Geschmack – der Falschen.

Grund 4. Ernsthafte Versuche, dem hemdsärmeligen Fußball-Machismo ein freundlicheres Gesicht zu verschaffen, verpufften.

Man muss doch, so die Überlegung, dieser aggressiven Elemente in dem Sport irgendwie Herr werden. Es darf „doch nicht sein“, dass ein Ballspiel solche Aggressionen hervorrufen kann. Prompt versuchte sich die Filmindustrie an mehreren Streifen, in denen Ihr Verständnis von Fußball, wie er sein soll, projiziert wurde. Beispielhaft ist hier der für Kinder erdachte Fußballer-Fünfteiler “Wilde Kerle” aus den Jahren 2003-2008. Jede Art von Jungensklopperei wurde konsequent gemieden und durch flotte Sprints und Gebolze ersetzt. Höchstens bespritzt man die Gegner der anderen Bande (die „unbesiegbaren Sieger“) mit Wasser oder bewirft sich mit Matsch. Demnach tragen die neuen deutschen Pennäler (im Gegenteil z.B. zu denen in Erich Kästner’s Fliegendem Klassenzimmer) ihre Auseinandersetzungen auf dem Fußballfeld aus, nach festen Spielregeln und mit Schiedsrichter. Getreten wird nur noch das runde Leder. Blutgrätschen, Nachtreten und böse Fouls werden aus dem Spiel gestrichen, stattdessen siegen Fairness und Mannschaftsgeist.
Ohne Erfolg. Die Zahl der Schlägereien im Amateurfussball steigt, wie die Lübecker Nachrichten erst im November berichteten … und die „Spitze sei noch nicht erreicht“.

Grund 5. Der Fuß- wird zum politischen Spielball

„Ein Gentlemen-Sport, ausgeübt von Proleten.“ (Englische  Weisheit)

Die Politik ist auf die in dem Spruch so platt dargestellte Wirkung auf Persönlichkeitsentwicklung und Aufstiegschancen spätestens seit dem „Sommermärchen 2006“ aufmerksam geworden. Der Fusßallsport sollte eine Art sozialpolitische Allzweckwaffe werden, die insbesondere neu zugezogenen Jugendlichen die Deutsche Sprache, Sportsgeist und die Vorzüge eines über den Familienverband hinausreichenden Mannschaftsgedankens schätzen lernen hilft. Fußball als großer Besänftiger und Versöhner. Schnell zu begreifen, mit geringster technischer Ausrüstung spielbar und mit etwa denselben körperlichen Anforderungen, die ein durchschnittlicher Erwerbstag an einen Jäger und Sammler in den weniger entwickelten Gebieten der Erde stellen würde.
Ausführlich geht die Bundeszentrale für politische Bildung 2016 auf das Thema „Fussball und Integration“ ein.

Diese „sozial konkurrenzlose Kontaktfläche zwischen den gesellschaftlichen Gruppen“ hat, so die bpb, in der „als Ausnahmesituation begriffenen Phase der Flüchtlingsbewegung seit September 2015…im Prozess der Entwicklung jener „neuen Deutschen“ die erwartete und erhoffte Rolle gespielt“. Jedoch räumt die bpb ein, dass „die zivilisierende, kultivierende und integrierende Kraft des Fussballs limitiert sei“ … und er auch nicht „am anderen Ende des derzeitigen Krisenszenarios gegen die Gefahren eines international operierenden, religiös motivierten Terrorismus und seine fragwürdige Attraktivität für desorientierte Jugendliche immunisieren kann …“.

Diese genial-einfache neudeutsche Version der Helden des Fußballstiefels muss Schlagseite haben. Schon deshalb, weil sie zu einseitig ist und den wirklichen inneren Mechanismen vieler junger Kerle nicht mal annähernd nahekommt. Die Fußballnation Deutschland (A. Merkel 2016) verliert mit jeder Niederlage an Strahlkraft, und wegen der nun an ihr entblößten unappetitlichen Züge (Kampagne der Grünen und Linken Jugend gegen Flaggenschmuck) wird die Neigung, sie vor einen sozialpolitischen Karren zu spannen, abnehmen.

Ein lange andauernder Prozess dürfte nun beginnen, in dem Fans vielleicht motiviert werden, den Fußball gegen Volleyball, Dartspiel oder Leichtathletik einzutauschen. Sportlicher Wettbewerb ja, aber bitte schön getrennt vom Gegner und ohne Rangeleien. Ein Ball, der nicht übers Netz geht, ein Dartpfeil daneben, der 2-Meter-Fuffzig-Satz hat nicht gereicht zum Sieg? Da geht die Welt nicht von unter, und das Publikum hat keinen Grund, Fahnen schwingend und grölend Erinnerungen an politische Kundgebungen längst vergangener Zeiten zu wecken.

Dieser unsägliche Drang zum Martialischen

Es besteht allerdings die Gefahr, dass wesentlich kriegerischere, bislang nicht auf die peinliche Liste geratene Sportarten beim Niedergang des Fußballs an Attraktivität gewinnen. Biathlon-Athletinnen Denise Herrmann-Wick und Franziska Preuss z.B. haben bei Instagram schon jede um die 100.000 „Folgende“, die angeblich für mehrere Millionen Euro gehandelten Verteidiger Marvin Plattenhardt und Marcel Halstenberg aber gerade mal um die Hälfte. Hier könnte der Teufel vom Beelzebub abgelöst werden.

Zum Glück findet dieser Waffen starrende Spuk aber im eiskalten Winter statt, wo den Fans das Bier gefriert und ihre Gesänge vom Schnee gedämpft werden.

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Kommentare ( 5 )

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Biskaborn
1 Jahr her

Welch ein herrlich ironischer Artikel!

Andreas aus E.
1 Jahr her

Als erstes wäre sicher eine LGSBTQ-Quote für jede Spielgemeinschaft nötig, aber es sollte auch über die Sportbekleidung nachgedacht werden. Ein hochwertiger Lackschuh lädt zum behutsamen Umgang mit Sportgerät und Gegenspielerbein ein, eine tadellose Bügelfalte und eine empfindliche Krawatte mahnen auch rücksichtslose Spieler, sich nicht hemmungslos im Dreck zu wälzen.
Zudem sollte jeder Spielzug vorab von einem juristischen Kollegium aller beteiligten Mannschaften auf Regelgerechtigkeit überprüft werden, ehe das Schiedrichterinnenkollektiv den Ball frei gibt.
So ließe sich der fußballsportbedingte Sittenverfall einbremsen, und man hätte wieder Lust einem derartigen Sportereignis zuzuschauen.

Alexis de Tocqueville
1 Jahr her

Jeder, wie er mag. Sport sollte man machen, nicht angucken, finde ich. Was sportelt ihr denn so, liebe Leserkollegen? Also mein Sport ist Thaiboxen, und ich liebe diesen Sport. Dabei tritt man auch, bloß ohne Ball. Man darf aber auch Hände, Knie und Ellbogen benutzen. Anders jedoch als beim Fußball benutzt man den Kopf nur zum denken und schützt ihn lieber, statt ihn absichtlich gegen ein anfliegendes Stück Leder zu rammen. Politisch korrekt ist es natürlich nicht, wegen kultureller Aneignung und so, und irgendwie toxisch männlich ist es auch. Würde allerdings gern mal sehen wie so ein grüner Transveggie versucht,… Mehr

Roland Mueller
1 Jahr her

Es gibt Sportereignisse, welche ganz einfach immer wieder sehenswert sind. Zum Beispiel das Derby della Madonnina zwischen Inter Mailand und dem AC Milan. Ich habe es über zwanzig Mal gesehen und fand und finde es immer noch sehenswert. Da gibt es jede Menge Fußballfans, die während des Spiels lautstark zu „ihrer Mannschaft“ halten und nach dem Spiel friedlich auseinander gehen, ganz egal wie das Spiel ausgegangen ist. Man kann nämlich auch auf dem Platz um jeden Zentimeter kämpfen, ohne sich mit dem „gegnerischen Lager“ zu verfeinden. Übrigens geht es beim Derby della Madonnina nicht um Sozialpolitik durch die Hintertür, sondern… Mehr

H. Priess
1 Jahr her

Ich liebe Satire, wenn sie gut gemacht ist und hier ist es dem Autor gelungen. Der Fußball hätte auch eine Integrationsfördernde Sache sein können. Die Fußball EM 2008 erlebte ich in Köln, überall Leinwände, überall Massen, überall gute Stimmung. Unvergessen der Übertragungsausfall im Spiel Deutschland-Türkei, sechs quälend lange Minuten! Dauernd haute mir einer vor Begeisterung auf die Schulter als ich mich dann umdrehte war es ein Türke der immer wieder rief: Deutschland gut! Deutschland gut! Ich sah nirgendwo Schlägereien oder so aber das war noch in der Zeit als man in Köln noch allein Abends auf der Straße gehen konnte.… Mehr