Moral ist Flankenschutz für die Liebe

Der bekannte Publizist Bernhard Meuser hat mit seinem neuen Buch eine Frontal-Attacke auf ein Kernanliegen des Synodalen Weges vorgelegt. Meuser, der selbst den Missbrauch durch einen Priester erlebt hat, hält es für einen "bischöflich initiierten und assistierten Skandal".

Oliver Maksan: Herr Meuser, Sie betrachten in Ihrem Buch Freie Liebe die von der Mehrheit des Synodalen Wegs angezielte neue Sexualmoral als „Skandal“. Warum? 

Bernhard Meuser: Aus mehreren Gründen. Erstens braucht man keine „neue Sexualmoral“, um sexuelle Gewaltverbrechen ethisch zu qualifizieren; dazu genügen rudimentäre Begriffe von Anstand. Zweitens sehe ich darin ein strategisches Ablenkungsmanöver vom Missbrauch. Auf der Großbaustelle „Synodaler Weg“ sollen die hässlichen Dinge in der Sakristei – sie sind nach wie vor nicht aufgearbeitet – hinter der Fassade einer „neuen Sexualmoral“ verschwinden. „Die sind ja so moralisch“, sollen die Leute sagen, „dass sie gleich eine neue Sexualmoral bauen!“ Drittens laufen die bislang bekannt gewordenen Entwürfe auf eine Zerstörung der Grundlagen christlicher Anthropologie hinaus. Im Übrigen bin ich sehr für eine „neue Sexualmoral“. Nur nicht für diese.

Warum nicht? Es sollen humanwissenschaftliche Erkenntnisse besser berücksichtigt werden.

Kurz gesagt: Die Entwürfe sind ebenso weit von der Heiligen Schrift entfernt, wie von der Wahrnehmung realer Sexualität. Sie ignorieren das Lehramt der Kirche. Sie sind penetrant auf Anschluss an eine falsche Welt bedacht. Sie haben eine relativierende (im Übrigen häretische) Vorstellung von Ehe im Gepäck. Sie sind einseitig auf die Rehabilitation von fragmentierten Lebensweisen bedacht, deren Kollateralschäden verschwiegen werden. Das nenne ich einen Skandal und eine theologische Katastrophe.

Inwiefern sind die Vorlagen Ihrer Meinung nach häretisch?

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Lesen Sie mal in den Entwürfen des Synodalforums zur Sexualmoral nach: Erst wird gewunden von der Liebe und der „Lebenswirklichkeit heute“ gehandelt, bis die Hüllen fallen: „Sexualität wird mehrdimensional erfahren. Dabei ist die Ehe nicht der einzige legitime Ort für Sexualität.“ Ach! Dieses neue Axiom möchte man nun doch von einem Bischof unterschrieben sehen am besten noch versehen mit vatikanischem Poststempel. Dank des „Satzes vom ausgeschlossenen Dritten“ gibt es in der Logik kein „Mittleres“, das zwischen zwei kontradiktorischen Gegensätzen vermitteln könnte. Entweder ist wahr: „Sexualität hat ihren einzigen legitimen Ort in der Ehe“ oder es ist wahr, was alle Welt für richtig hält und was nun auch in der Kirche für richtig gehalten werden soll: „Die Ehe ist nicht der einzige legitime Ort für Sexualität.“ Das ist der Spreng-Satz. Wenn er wahr ist, können Sie alles in die Kiste packen, was in 2000 Jahren im Horizont der Heiligen Schrift über Sexualität gelehrt wurde.

Wo sehen Sie die katholische Moral grundgelegt? 

In der Bibel, und dort im Grunde in fünf Sätzen ihres ersten Buches: Gen 5,1 die Gottesebenbildlichkeit: „… machte er ihn nach dem Bilde Gottes.“ Gen 1,27 die Komplementarität: „… und er schuf sie als Mann und Frau.“ Gen 1,28 die Generativität durch Vater und Mutter: „Seid fruchtbar und mehrt euch.“ Gen 2,23 die gegengeschlechtliche Verwiesenheit: „Und der Mensch sprach: Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch. Frau soll sie genannt werden; denn vom Mann ist sie genommen.“ Gen 2,24 die Einswerdung (= Hochzeit): „… und sie werden ein Fleisch.“ Das ist Schöpfungsordnung, Roter Faden, Sinn von Sex. Alles was an Großem etwa Brautmysterium Jesus/Kirche dann bei Jesus und Paulus noch hinzukommt, ist Explikation …

Nun gibt es aber jede Menge exegetischer Literatur, mit denen der biblische Befund geknackt werden soll. 

Zeigen Sie mir einen einzigen gelungenen Ansatz! Es gibt halsbrecherische Versuche, Stellen aus der Heiligen Schrift gegen den evidenten Wortlaut zu interpretieren. Allein mit dem, was Paulus alles nicht gewusst haben konnte, könnte man eine halbe Bibliothek füllen. Theologie im Optativ: Wir wollen … dann muss das so sein! Es wird geknickt, gedrückt, geschoben. Da sind mir jene lieber („Theologen“ will ich sie dann nicht nennen), die sagen: Zu diesem und jenem Thema hat die Bibel uns nichts mehr zu sagen. Das ist ehrlicher. Aber dann muss man wieder genau hinsehen, aus welchen „human- und sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen“ diese Leute ihre grundstürzenden Normen ableiten. Da kreisen wahrhaft die Berge …

Vom Theologenstreit abgesehen gibt es nun einmal die „Lebenswirklichkeit“ von Menschen im 21. Jahrhundert. Meinen Sie, junge Leute würden auf Sex vor der Ehe verzichten, geschiedene Ehepaare oder schwule Menschen würden enthaltsam leben nur, weil die katholische Kirche das so will? 

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Die Kirche hat gelernt, die Freiheit der Menschen zu respektieren, sie trotzdem nicht zu verlassen, ihnen immer wieder mit Barmherzigkeit und ohne Verurteilung zu begegnen. Aber sie muss eine prinzipielle Antwort haben, wenn jemand danach fragt, wie er sein „neues Leben“ vom Evangelium her gestalten soll. Der berühmte Dominikaner Garrigou-Lagrange (1879-1964) hat einmal gesagt: „In ihren Prinzipien ist die Kirche intolerant, weil sie glaubt doch in ihren Handlungen ist sie tolerant, weil sie liebt. Die Gegner der Kirche sind im Prinzipiellen tolerant, weil sie nicht glauben. Doch in ihren Handlungen sind sie intolerant, weil sie nicht lieben.“ Es gibt keine intoleranteren Menschen als die Apostel der Toleranz.

„Die Entwürfe des Synodalen Wegs sind ebenso weit
von der Heiligen Schrift entfernt wie von der
Wahrnehmung realer Sexualität“

Viele Seelsorger sagen, dass die kirchliche Morallehre jungen Leuten kaum vermittelbar ist, junge Katholiken inbegriffen. 

Wie bitte? Ich mache die gegenteilige Erfahrung. Unter gläubigen jungen Leuten gibt es kein faszinierenderes Thema als die „Theologie des Leibes“ (Katechesen von Papst Johannes Paul II, Anm. d. Red.). Wir sind doch selbst dran schuld, dass mittlerweile mehrere Generationen junger Menschen im Ganzen nicht mehr von einem christlichen Konzept von Liebe und Sexualität berührt wurden, ja dass selbst innerhalb kirchlicher Welten die jungen Leute nur noch mit unzusammenhängenden Versatzstücken einer kirchlichen Sexualmoral konfrontiert wurden. Sie teilen die Denke der Welt und nehmen an allgemeinen Handlungsweisen teil, ohne ihre Dissonanz zu kirchlichen Vorstellungen von Sexualität und Liebe überhaupt noch wahrzunehmen. Ihr Liebesleben ereignet sich längst auf einem anderen Planeten. Nun werden sie, die keine Katechese zu Liebe, Ehe und Sexualität erfuhren, die auch nur entfernt den Namen verdient, dafür instrumentalisiert, das abzuschaffen, was sie nicht kennen und das herbeizuführen, was sie schon haben: einen gebrochenen Zustand.

Wo liegen denn die blinden Flecken des Synodalen Wegs beim Blick auf diesen, wie Sie sagen, gebrochenen Zustand? 

Ein paar Beispiele: Wenn heute drei Leute zusammenstehen, hat einer eine Geschichte von Missbrauch zu erzählen. Wie können ausgerechnet die Kirchen in naiven Sexualoptimismus verfallen und zur Verharmlosung der sexuellen Begierde beitragen, als sei die Konkupiszenz ein fröhliches Spaßteil für Alle, und als bräuchte man nicht die vielfältigen Instrumente von Kultur, Religion und Moral, um diese Urkraft zu zähmen und im Garten des Menschlichen zu beheimaten? Oder: Starke politische Kräfte etablieren Abtreibung als Methode der Verhütung und als Menschenrecht. In Deutschland wird jedes vierte Kind im Mutterleib getötet. Trisomie-21-Kinder sind aus der Öffentlichkeit verschwunden, weil sie in 90 Prozent der Fälle vor der Geburt umgebracht werden. Wo ist sie die „neue Sexualmoral“, die endlich den systemischen Zusammenhang von Sexualverhalten und Lebensschutz thematisiert? Nehmen wir die Pornographie. Sie ist ein Milliardengeschäft geworden, das dem internationalen Drogenhandel gerade den Rang abläuft. Schon 10- und 11-jährige Kinder werden in visuelle Prostitution eingeweiht, als Suchtkunden konditioniert und zu übergriffigem Sexualverhalten erzogen. Wo ist sie die „neue Sexualmoral“, die dem die Stirn bietet?

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Im 19. und 20. Jh. ging der Kampf um die Produktionsmittel; heute geht der Kampf um die Reproduktionsmittel. Leihmutterschaft und eine immer skrupellosere Fortpflanzungs-Industrie machen die Geburt eines (passend designten) Kindes zu einem Geschäft oder einem technischen Akt. Wo ist sie die „neue Sexualmoral“, die das Geschenk des Lebens vor dem Zugriff von Macht und Markt schützt? Oder nehmen wir die ideologische Dekonstruktion der klassischen Familie, der Entzug ihrer ökonomischen und rechtlichen Grundlagen (etwa die Bestreitung ihres primären Erziehungsrechts), zerstören die Keimzelle der Gesellschaft und den natürlichen Schutzraum von Kindern, die immer häufiger Opfer von Missbrauch werden. Wo ist sie die „neue Sexualmoral“, die für das Leitbild der natürlichen Familie in die Offensive geht? Wo ist sie, die Kirche, die dafür kämpft?

Wie sind Sie denn auf „Ihre“ Moral gekommen?

Weil ich so viel Schräges und Verlogenes erlebt habe, habe ich mich ein halbes Leben mit der Frage nach der Integrität von Liebe befasst. Wie geht das mit der Liebe, sie ist doch so schön und wir sehnen uns doch so sehr nach ihr, dass wir uns damit nicht gegenseitig kaputtmachen? Mir sind da immer wieder Sätze gekommen, die plötzlich eine Schneise wie von Licht geschlagen haben.

Zum Beispiel? 

Ich nenne Ihnen mal zwei! Der erste kam mir, als ich mich aus der verhängnisvollen Abhängigkeit von meinem „väterlichen“ Missbraucher löste. Da war er plötzlich da, der Satz: „Ein Vater darf alles sein, nur nicht geil auf sein Kind.“ Seither weiß ich, dass das alles ist, nur nicht Liebe, wenn man in die Fänge eines anderen gerät, in der Gier eines anderen verbraucht wird.

Nur in der Liebe darf man sich hingeben? 

Ja, denn nur in der Liebe ist Ganzheit und alles unterhalb der Liebe hat nur in Hinsicht auf die Liebe Sinn: die Freiheit ist nur Freiheit, wenn sie sich binden will. Die Lust ist nur Lust, wenn in ihr die Liebe gefeiert wird. Das brachte mich auf die Theorie von den Kollateralschäden der Fragmentierung. Wir fragmentieren männliche Welten von weiblichen Welten, die Lust von der Treue, die Treue von der Liebe, die Liebe vom Kinderkriegen, das Kinderkriegen vom Mutter- und Vatersein und schließlich auch noch politisch die Erziehung vom Elternhaus. Und wundern uns, wenn nichts mehr geht im Universum der Liebe. Alle Betriebsunfälle der Liebe behaupte ich sind Kollateralschäden von etwas, das ich „fragmentiert“, also aus der Ganzheit der Liebe herausgelöst habe. Die Trennung von Sex und Liebe zerstört die Person im Besten, was sie zu geben hat: sich.

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In Wahrheit wird die Sexualität der Liebe übergeordnet und das Größere gegen das Kleinere eingetauscht, wobei man uns weismacht, „die Begierden, denen wir widerstehen, seien so ‚natürlich‘, so ‚gesund‘ und so ‚vernünftig‘, dass es schon beinah pervers und abnorm wäre, ihnen nicht nachzugeben“, meinte C.S. Lewis. Jenseits von Liebe aber hausen die Vergewaltigung und alle anderen instrumentellen Zurichtungen, etwa die Merkantilisierung von Sex. Heute weiß ich: Vergewaltigung ist normal. Liebe das Kostbare, Seltene. Und deshalb ist Moral für mich etwas ganz Einfaches: Flankenschutz für die Liebe.

Und der andere, der zweite Satz? 

Der fiel in einem Gespräch mit einem Freund, der seine Vergangenheit reflektierte. In den wilden Siebzigern war er in Berlin, lebte und liebte in der Kinderladenszene, von der man heute weiß, was da auch an Missbrauch abging. „Eines Tages“, meinte er, „musste ich da weg. Für freie Liebe muss man Kinder töten!“ Klar wenn man Sex hat, kommen Kinder, da kann man noch so viel verhüten. Und wenn Kinder nicht sein können, weil die Rahmenbedingungen nicht gegeben sind, dann bringt man sie eben rechtzeitig um. Ich hatte mich immer gefragt, wieso gibt es im breiten Spektrum linker Liebeskonzepte nirgendwo eine einzige Theorie, in der Abtreibung nicht zum Credo gehört. Klar, weil ein systemischer Zusammenhang zwischen unverbindlicher Liebe und Kindestötung besteht. Wer ja sagt zum Lustrecht für alle, muss auch Ja sagen zum „Menschenrecht auf Abtreibung“.

„Lust kann wunderschön sein.
Sie kann aber auch anarchische
Verwüstungen anrichten“

Das fordert aber auf dem Synodalen Weg niemand. 

Das stimmt. Aber konsequent zu Ende gedacht landet man da. Lebensschutz muss integraler Bestandteil einer „neuen Sexualmoral“ sein, ja das Fünfte Gebot muss ganz weit nach vorne gerückt werden. Wenn wir der Liebe Flankenschutz geben wollen, muss Sex so sein, dass man gar nicht erst auf den Gedanken kommen muss, ein Kind zu töten. Das wäre eine prophetische „neue Sexualmoral“ mit der man auch junge Menschen faszinieren könnte. Aber danach suchen Sie mal auf dem Synodalen Weg! Da wimmelt es nur so von nachträglichen Rechtfertigungen von Pleiten, Pech und Pannen und fließenden Übergängen ins Land, wo die Zitronen blühen. Alles geht in eine Richtung, und nicht etwa vom permissiven Getümmel ins Christliche, sondern umgekehrt: Vom Christlichen in die vermeintliche neue Freiheit.

Viele Katholiken, gerade ältere, betonen, schlechte Erfahrungen mit dem sechsten Gebot im Beichtstuhl gemacht und die kirchliche Morallehre alles andere als befreiend empfunden zu haben.

Kann man absolut verstehen. Man soll in der Tat bloß nicht meinen, früher seien die Priester alle asexuelle Engel gewesen. Wer die indiskreten Beichtstuhlfragen als Neugier von Zukurzgekommenen interpretiert, liegt gewiss nicht ganz falsch. Nun ist aber die Manie, mit der die Kirche früher auf dem Sechsten Gebot herumritt, der fixen Idee gewichen, man brauche nur ein bisschen Toleranz für die Vielfalt sexueller Selbstverwirklichungen ein bisschen Anschluss an den schönen neuen Sex in der schönen neuen Welt und die Sache sei geritzt. Ich halte das für Selbstbetrug. Diese schöne neue Welt gibt es nicht.

Nicht in diesen Zeiten
Der Rückzug ins Private als Lösung?
Die moderne Literatur ist in weiten Teilen eine epische Verarbeitung der bitteren Früchte eines aus allen Fugen geratenen Umgangs mit der Liebe. Spätestens #MeToo führte uns vor Augen, dass Übergriffigkeit von sexistischen Bemerkungen bis hin zu handgreiflichen Taten nichts Exotisches ist. Das ist Alltag. Fast häufiger als Liebe. Das verführerische Spiel der Geschlechter ist nur dann schön, wenn es nicht auf Raub hinausläuft, wenn also keine gewaltsame Aneignung von etwas geschieht, das nur geschenkt werden kann. Missbrauch und Vergewaltigung sind Synonyme.

Sexualität erscheint bei Ihnen als etwas sehr Gefährliches. Läuft das nicht auf eine neue katholische Leib- und Lustfeindlichkeit hinaus?

Nein. Lust ist eine Schöpfungsgabe Gottes. Erst ihr Gebrauch entscheidet über Gut und Böse. Die Lust und der Lusttrieb die Begierde, die Konkupiszenz, wie die Theologen sagen sind so ambivalent wie das Leben selbst. Aber die Konkupiszenz zu verniedlichen ist neokatholischer Kitsch, ein netter Versuch das Dynamit zu entschärfen. Lust kann wunderschön sein; sie kann aber auch anarchische Verwüstungen anrichten. Niemand, der kritisch wahrnimmt, wie sich die Geschlechter in den letzten 50 Jahren in ihrem Verhältnis zueinander besser gesagt: auseinander entwickelt haben, hängt heute noch dem Botticelli-Bild vom spielerisch-lustvollen Umgang der Geschlechter an.

Was erwarten Sie von den Bischöfen? 

Was wir brauchen, ist ein Neustart mit einer komplett neuen Vorlage, die mit Sexualmoral dort ansetzt, wo sie gebraucht wird – siehe oben. Es müsste ja eine Sexualmoral sein, die mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und mit „Veritatis splendor“, dem fundamentalen Lehrschreiben der Kirche zur Moraltheologie, kongruent ist. Man muss nämlich kein Prophet sein: Der vorliegende Entwurf des Synodalen Wegs wird vom Lehramt genauso kassiert werden, wie das unzureichende Papier des ÖAK (Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen – Anm. d. Red.) zur Mahlgemeinschaft. Und vollkommen zurecht.

Aber könnte man nicht wenigstens das Bemühen vieler Bischöfe auf dem Synodalen Weg würdigen, die Distanz zwischen Kirche und Gesellschaft zu verringern? 

Schauen Sie sich die Themen oben an. Die Gesellschaft schreit gerade nach dem prophetischen Dienst der Kirche. Was aber macht die? Sie macht es wie Jona. Schifft sich ein nach Tarschisch. Sie hat aber einen Job in Ninive. Eine Kirche, die aus Populismus ihren prophetischen Dienst verweigert und dem Gott des Lebens entkommen möchte, wird wie Jona über Bord geworfen. Sie wird schwerer als die sie umgebenden Wasser hinabsinken in das Meer des Vergessens, wird verschluckt werden von der öffentlichen Meinung. Weil sie aber unverdaulich ist, wird sie am nächsten Strand wieder ausgespuckt werden. Sie wird so lange mit Irrelevanz bestraft sein, bis sie um des Wohles der großen Stadt willen ausgerichtet hat, was zu sagen ihr auferlegt ist.

Das Interview mit Bernhard Meuser führte Oliver Maksan, Chefredakteur der katholischen Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur DIE TAGESPOST, wo es zuerst erschienen ist. Wir danken für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.

Bernhard Meuser, Freie Liebe. Über neue Sexualmoral. Fontis Verlag, 432 Seiten, 20,- €.


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Johann Thiel
3 Jahre her

Ein interessanter Beitrag der zwar nur von der Sexualmoral der Katholischen Kirche handelt, aber im Grunde beispielhaft für die Orientierungslosigkeit der Kirche insgesamt steht, weil sie ihre Wurzeln im Glauben, genauso aus den Augen verliert, wie die Menschen in den westlichen Gesellschaften ihre Wurzeln im Christentum.