Mit Orwell im Schweinsgalopp zurück in die Sowjetunion

In "Farm der Tiere" warnt George Orwell dezidiert vor einer linken Revolution. Dass diese Warnung weder abgetan noch ‚gecancelt‘ werden kann, verdanken wir der Tatsache, dass Orwell selbst links stand.

Animal Farm, 1943 geschrieben, war für die meisten von uns Schullektüre. In Märchenform beschreibt George Orwell darin die Entstehung einer repressiv-autoritären Gesellschaft. Da man wusste, dass es hier um die Sowjetunion geht, konnte man als Schüler die Lektüre entspannt genießen. In der Bundesrepublik war man ja meilenweit von solchen Umständen entfernt und konnte sich die Moral der Geschichte für zukünftige Machtergreifungen aufheben. Helmut Kohl war ja auch noch im Amt – und hatte seine Vorliebe für FDJ-Nachwuchs noch nicht entdeckt.

Die momentane gesellschaftliche Entwicklung zeigt, dass die universelle Botschaft dieses Märchens nicht verstanden wurde. Kaum jemand bemerkt, dass wir gerade dabei sind, uns eine neue Farm der Tiere aufzubauen. Dem Umstand, dass Orwells Werke in diesem Jahr gemeinfrei wurden – also nicht länger urheberrechtlich geschützt sind – verdanken wir aber eine Fülle von Neuausgaben, darunter die im Manesse Verlag erschienene, besonders schön ausgestattete und sorgfältig edierte Neuübersetzung von Ulrich Blumenbach, die das hoffentlich ändern werden.

Orwell warnt in Farm der Tiere dezidiert vor einer linken Revolution. Dass diese Warnung nicht gleich im ‚Kampf gegen rechts‘ entsorgt, also weder abgetan noch ‚gecancelt‘ werden kann, verdanken wir der Tatsache, dass Orwell selbst links stand. Er war Zeit seines Lebens Sozialist, wie viele der damaligen englischen Intellektuellen. Die Erfahrung einer rigiden Klassengesellschaft hatte auch ihn auf die Seite der Gleichheitsverfechter getrieben. Und er war sogar ein Held, der im Spanischen Bürgerkrieg an der Seite kommunistischer Guerillatruppen sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte.

Peinliches Vorwort:
Robert Habeck hat aus dem Roman „1984“ nichts gelernt
Dort musste er erleben, wie sowjetische Kommunisten mit ihren Kampfgenossen kurzen Prozess machten, wenn die sich nicht als linientreue Stalinisten gebärdeten. Orwell selbst überlebte diese Umstände nur knapp. Nach seiner Heimkehr musste er feststellen, dass er über diese Erfahrungen nicht berichten konnte. Kritik an der Sowjetunion und an Stalin war im England der vierziger Jahre nämlich tabu. Er musste erkennen, dass das Overtone-Fenster, wie heute wieder, nach links geschlossen war.

Die Bolschewiken hatten nicht nur als Alliierte einen Sympathiebonus. Ihre Ideale waren generell en vogue. Wer in London, New York oder Berlin wirklich hip sein wollte, war eben links. Deshalb gestaltete sich die Suche nach einem Verleger für Orwell äußerst schwierig. Er kritisierte die falsche Seite. Die offensichtlich sowjetkritische Farm der Tiere war ebenso wenig „hilfreich“ wie heute ein Buch von Thilo Sarrazin. Besonderen Anstoß erregte die Tatsache, dass die Machthaber auf der Farm ausgerechnet als Schweine dargestellt wurden.

Dabei ging es Orwell gar nicht darum, den Sozialismus oder linke Utopien an sich zu kritisieren – diese werden ja bis auf den heutigen Tag, besonders im englischen Erziehungssystem, geradezu liebevoll gepflegt. Wahrscheinlich war auch ihm gar nicht bewusst, wie sozialistischer Ehrgeiz, zu Ende gedacht, zwangsläufig in Repression und Freiheitsverlust führt. Ihm fehlte ja auch, im Gegensatz zu den heutigen Akteuren, noch die Anschauung Chinas, Kambodschas oder Nordkoreas.

Dennoch beschäftigte ihn, wie auch eine nominell liberale Gesellschaft im Angesicht vermeintlich höherer moralischer Ziele autoritär werden kann. Er beschreibt dies eindringlich in seinem Vorwort, das in die vorliegende Neuausgabe klugerweise – und wie ursprünglich von Orwell intendiert – unter dem bezeichnenden Titel “Die Pressefreiheit“ wieder aufgenommen worden ist. Gegenstand sind eben diese seine Erfahrungen bei der Verlegersuche. Obwohl bekannt war, welche Art von System sich in der Sowjetunion entwickelt hatte, entschied man sich in England, dies entweder nicht zu glauben oder zu ignorieren. Kritische Stimmen wurden aufs schärfste angegriffen, Autoren diffamiert und schon damals „gecancelt“. Der liberale Grundsatz der Meinungsfreiheit wurde leichtfertig über Bord geworfen, wenn der Zweck nur heilig genug zu sein schien. Damals: das Hohelied des Sozialismus. Heute: die Integration Europas, die Vorteile der Migration, die Notwendigkeit extremer klimarettender Maßnahmen und Virenfreiheit um jeden Preis.

„Who controls the past, controls the future.“
Eine Vision, die immer realer wird: »1984« von George Orwell
Auch dieser Parallelitäten wegen haben viele Verlage die Aktualität von Farm der Tiere erkannt.  Mühelos ist die Selbstermächtigung der „Schweine“ unter dem Vorwand der Emanzipation der Schwachen und Ahnungslosen, der „Masse“, also der schwächeren Tiere, zu entziffern. Bei den Hunden fühlt man sich sofort an den Schwarzen Block der Antifa erinnert oder ganz aktuell an übereifrige Covid-Polizisten, die Bienenschützer, Kräutersammler und rodelnde Kinder kujonieren. Man erlebt Déjà-vus, wenn es um die „Früherziehung der Kinder“ geht und delektiert sich an der Beschreibung Napoleons und Schneeballs, weil einem dabei unsere eigene selbst- und parteiinthronisierte Funktionärskaste einfällt, die man, einmal im Amt, nie mehr loswird: die Von der Leyens, Scholzens, Lauterbachs und Stegners und – ja – Merkels. Und auf die das Diktum „ALLE TIERE SIND GLEICH, ABER MANCHE TIERE SIND GLEICHER ALS ANDERE“ eins zu eins zutrifft.

Unter dem Dauerfeuer der täglichen Propaganda fällt es nicht leicht, diese Mechanismen zu erkennen. In der Fabel hingegen erscheint das große Projekt klar und deutlich. Die Schimäre der „‚Gleichheit‘“, erst Europas, dann die der ganzen Welt. Klaus Schwabs Glücksvision der Besitzlosigkeit für alle – doch unter Beibehaltung seines eigenen „unerlässlichen Dienstsitzes“ am Genfer See …

Wir erleben auch heute, dass sich die Parolen aus Orwells Fabel „VIER BEINE GUT, ZWEI BEINE SCHLECHT“ und „ALLE TIERE SIND GLEICH, ABER MANCHE SIND GLEICHER ALS ANDERE“ durchsetzen, verbunden mit nahezu zwangsläufiger Verunglimpfung aller, die nicht mitmachen wollen: der Dissidenten, der vermeintlich „Unvernünftigen“, die, ähnlich wie damals in der Sowjetunion, der großen Utopie im Wege stehen.

Im Pferd Boxer und im Ferkel Petzwutz erleben wir Propagandisten und Tugendwächter, die jenen ähneln, die heute in den Medien verunglimpfen, an den Universitäten und auf den Straßen andere Meinungen niederbrüllen, in Nachbarschaften Maskenverweigerer und Partygänger verpfeifen, alles zur Durchsetzung einer fantasierten Wohlfahrt.

Man darf sich also von der Neuausgabe dieses Klassikers durchaus zu Vergleichen anregen lassen. Und gleich noch einen anderen lesen: 1984, in dem Orwell die weiteren Maßnahmen schildert, die ein Animal-Farm-System im Nachgang erfordert: Zerstörung von Bindung und Tradition, Hirnwäsche und die Umwertung aller Werte.


Georg Orwell, Farm der Tiere. Ein Märchen. Neu übersetzt von Ulrich Blumenbach, mit einem Nachwort von Eva Menasse. Manesse Verlag, 192 Seiten, 18,00 €.


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Kommentare ( 29 )

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Lesterkwelle
2 Jahre her

Man kann nur auf die Lektüre von Aldous Huxleys Nachfolgebuch „Brave new world – Revisited“ verweisen. Und sich über seine nahezu prophetische Weitsicht wundern. Zusammen mit Orwell hat er die heutigen Zustände bereits vorweggenommen. Und wir als Englischschüler haben uns über das Oberschwein Napoleon amüsiert. Es ging ja damals nur um Stalin.Und der war schon tot. Nie wären wir im „freien Westen“ auf die Idee gekommen, dass unsere Gesellschaft so abdriften würde. Es ist erschreckend..

Thorsten Maverick
3 Jahre her

Nur zur Erinnerung an alle hier: Die Nationalsozialisten waren eine linke Partei. Sie sahen sich als die neun Kommunisten und waren strikt gegen das liberale Bürgertum. Wie für alle Sozialisten war für sie das Kollektiv ultimativ wichtig. Genauso war ihr Haß auf die Juden links, denn der findet sich schon bei Marx. Und dann ist da noch die Verehrung des Islams. Die Nationalsozialisten empfanden ihn als wesensverwandt, während die anderen Linken ebenfalls immer mit dem Islam sympathisiert haben, weil er ebenfalls eine totalitäre und kollektivistische Ideologie ist (und die Juden haßt). In Deutschland wurde dieses Wissen leider ausgerottet. Daß die… Mehr

EinBuerger
3 Jahre her

Ich muss mich noch einmal melden: Orwell beschreibt in dem Buch „Farm der Tiere“ etwas ganz Konkretes: Wie sich eine anfangs „glorreiche und tolle linke Revolution“ immer mehr in eine „linke Ausbeuterdiktatur“ a la Stalinismus verwandelt. Man kann das Buch ganz sicher nicht auf heute übertragen. Am ehesten noch, wenn die Cancel Culture Linke trifft oder wenn die Antifa Linksgrüne angreift.
„1984“ beschreibt übrigens eine Linksdiktatur a la Stalinismus im Endstadium. Mit der perfekten Umerziehung: „Foltere jemanden so lange, bis er die Partei, die ihn foltert, abgrundtief liebt.“

EinBuerger
3 Jahre her

Ehrlicherweise würde ich sagen, dass Orwell in der „Farm der Tiere “ nicht vor einer linken Revolution warnt. Er warnt eher davor, dass „man sich die linke Revolution nicht von den Schweinen wegnehmen lassen soll“. Also: Revolution gut, Schweine schlecht.
Ich finde, wir sollten nicht die Bücher umschreiben wie es uns passt. Es reicht, dass die Linksgrünen Orwells 1984 zu einem „Buch gegen Rechts“ machen wollen.

ichhabefertig
3 Jahre her

Ja, habe erst letztens in der Tagesschau welche gesehen.

Stefferl
3 Jahre her
Antworten an  ichhabefertig

Seit wann sieht man in einer Nachrichtensendung Beine?

Wilhelm Roepke
3 Jahre her

Animal Farm muss genauso im Bewusstsein gehalten werden wie Goethes Faust, Hauptmanns Die Weber, Poppers Falsifizierungsthese, Kants kategorischer Imperativ, Schillers Räuber und Augustinus´These von einer nicht an das Recht gebundenen Regierung als Räuberbande sowie die Taten und Texte der Weißen Rose.

Wenn diese Literatur jemals vollständig vergessen sein sollte, hat sich Europa aufgelöst. Ob dann die internationalen Sozialisten, die nationalen Sozialisten, die religiösen Fanatiker oder sonstige Feinde der Freiheit die Macht übernommen haben werden, spielt dann eigentlich auch schon keine Rolle mehr.

Gut, dass Sie an „1984“ erinnern, Herr Winter!

Franz O
3 Jahre her

Overton-Fenster. Das ist nach Joseph P. Overton benannt. Auch wenn Overtone-Window (Überton-Rahmen) angesichts des Sachverhalts außerordentlich passend ist.

Farbauti
3 Jahre her

Schöner Artikel über ein Buch, das in jedes Kinderzimmer gehört. Das zu Orwells Zeit Linkskritik so unbeliebt wie heute war, wußte ich noch nicht.

Julian Schneider
3 Jahre her

Ob „Farm der Tiere“, „1984“ oder „Fahrenheit 451“ oder auch „Die Welle“: Die Linken verkaufen es so, als seien in all diesen Büchern die Nazis gemeint – nicht etwa sie selbst. Man hat es ja auch gut verstanden, die Nationalsozialisten als Nazis und nicht etwa Sozialisten zu framen. Das heißt: Selbst wenn die Kids heutzutage mit diesen Büchern – die gegen sozialistischen und kommunistischen Totalitarismus gemünzt sind – konfrontiert werden, denken sie ja, dass die Bücher „gegen Räächts“ gerichtet sind und nichts mit all den linken Terrorregimes von Stalin, Mao oder Pol Pot zu tun haben. Und im Zweifelsfall hilft… Mehr

Last edited 3 Jahre her by Julian Schneider
UngebetenerGast
3 Jahre her
Antworten an  Julian Schneider

Danke, dass Sie „Fahrenheit 451“ erwähnt haben.

EinBuerger
3 Jahre her
Antworten an  Julian Schneider

Ich weiß nicht, wie viele der Schüler oder Studenten überhaupt irgendetwas über den Stalinismus wissen. Und wie viel sie real über die Geschichte des Kommunismus wissen.
Ich weiß auch nicht, ob das überhaupt in Schulen gelehrt wird. Maximal unter dem Motto „Kalter Krieg“. Aber wie das System im Inneren funktioniert hat, wohl kaum.

Franz
3 Jahre her

Um den üblichen Denkfallen zu entkommen sollte uns bewusst sein dass es immer der Mensch ist der Unheil anrichtet. Der oft gute Ideen in perverse Weise umkehrt und dabei noch glaubt der gute zusein. Ob es sich dabei um Politik, Religion oder sonstiges handelt ist eigentlich sekundär. Es sind immer dieselben menschlichen Eigenschaften die das verursachen. Das ist sehr wichtig. Denn nur wenn man sich dessen bewusst ist kann man das aktuelle Problem korrekt analysieren, bzw. zu Lösungen kommen. Denn es ist nicht der Sozialismus. Oder sonst ein…. ismus. Wir Menschen, unsere Menschlichkeit ist so anfällig für unsinnigkeiten. Oft aus… Mehr