Der Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera ist vom Oberlandesgericht Frankfurt/Main von allen Anschuldigungen freigesprochen worden. „Polemische und überspitzte Äußerungen eines Evolutionsbiologen zur ‚Ehe für alle‘ nicht strafbar“, überschreibt das Gericht die Presseerklärung.
Wo endet Meinungsfreiheit, wo beginnen „Volksverhetzung“, „Verleumdung“ und „Beleidigung“? Um diese diffizile Frage ging es von 2019 bis Februar 2022 in gerichtlichen Verfahren durch drei Instanzen hindurch. Nun ist der Kasseler Biologieprofessor Ulrich Kutschera (Spezialgebiete: Evolutionsbiologie und Physiologie) von den Anschuldigungen „Volksverhetzung“, „Verleumdung“ und „Beleidigung“ unter Berufung auf das Recht auf freie Meinungsäußerung vom 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt/Main letztinstanzlich freigesprochen worden. Das OLG-Urteil vom 8.2.2022 (Az. 2 Ss 164/21) liegt TE vor, es ist vom OLG allerdings noch nicht online gestellt worden.
Hintergrund: Kutschera hat dem Netzwerk „kath.net“ am 5. Juli 2017 ein Interview gegeben. Anlass: Der Bundestag hatte am 30. Juli 2017 beschlossen, dass die Ehe zukünftig auch homosexuellen Paaren offenstehe. Siehe 18/6665 und 18/12989. In namentlicher Abstimmung hatten 393 Abgeordnete dafür gestimmt, 226 dagegen, und vier hatten sich der Stimme enthalten. Die Fraktionen von SPD, Links-Partei und Bündnis 90/Die Grünen hatten geschlossen für die „Ehe für alle“ gestimmt; die Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion hatte den Gesetzentwurf abgelehnt, etwa ein Viertel der Unionsabgeordneten indes hatte dafür gestimmt.
Die inkriminierten Äußerungen
Kutschera sagte im Interview mit „kath.net“ am 5. Juli 2017 unter anderem, der Begriff ‚Bevölkerung‘ „heißt Population, und Populationen sind definiert als Fortpflanzungsgemeinschaften“. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften bezeichnete er als „sterile, a-sexuelle Erotik-Duos ohne Reproduktions-Potenzial.“ Männliche Homosexualität bezeichnete er als er „Falschpolung“. Gleichzeitig betonte er auch, Homosexuelle sollten nicht diskriminiert werden.
Kutschera wandte sich außerdem entschieden gegen ein adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare. „Sollte das Adoptionsrecht für Mann-Mann bzw. Frau-Frau-Erotikvereinigungen kommen, sehe ich staatlich geförderte Pädophilie und schwersten Kindesmissbrauch auf uns zukommen“, erklärte er in dem Interview.
Mehrere Personen (darunter ein Arzt und ein Universitätsmitarbeiter sowie der damalige Vorsitzende des AStA) erstatteten daraufhin Strafanzeige gegen Kutschera. In der Folge nahm die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen Volksverhetzung, Beleidigung und Verleumdung auf. Hessens damaliger Wissenschaftsminister Boris Rhein (CDU, seit 2019 Präsident des Hessischen Landtags und designierter Nachfolger von Ministerpräsident Volker Bouffier) nannte Kutscheras Thesen „abstrus“. Die Kasseler Uni-Leitung verwies auf die Wissenschaftsfreiheit, distanzierte sich aber von Kutscheras Äußerungen.
Prozess vor Amtsgericht, Landgericht und Oberlandesgericht
Rund zwei Jahre später, am 5. Juni 2019, erhob die Staatsanwaltschaft gegen Kutschera vor dem Amtsgericht Kassel Anklage wegen Volksverhetzung in Tateinheit mit Beleidigung und Verleumdung. Am 3. August 2020 wurde Kutschera durch das Amtsgericht der Beleidigung Homosexueller für schuldig befunden, von den restlichen Vorwürfen freigesprochen und zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 100 €, also 6000 €, verurteilt. Gegen dieses Urteil legten der Staatsanwalt und Kutschera selbst Berufung ein. Am 3. März 2021 wurde Kutschera von der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts (LG) Kassel mit der Begründung freigesprochen, seine Äußerungen seien von der Meinungsfreiheit gedeckt (Az. 1622 Js 25245/17 – 7 Ns). Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von vier Monaten zur Bewährung und eine Geldstrafe von 9000 Euro gefordert.
Kritik äußerte der LG-Richter dennoch, er sprach von einer „verengten Weltsicht“ Kutscheras, der seine Aussagen allein auf Fortpflanzung fokussiere, und von einer „unwürdigen Entgleisung in der Wortwahl“. Die Empörung homosexueller Menschen durch Kutscheras Äußerungen seien insofern legitim, so Richter Reichhardt. Doch die freie Meinungsäußerung verliere ihren Schutz auch nicht dadurch, dass sie scharf oder verletzend formuliert sei.
Die Sache landete schließlich nach Antrag der Staatsanwaltschaft Kassel beim Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt/Main. Das OLG hat schließlich am 8. Februar 2022 (Az. 2 Ss 164/21) die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des LG Kassel verworfen und Kutschera in allen Punkten freigesprochen. Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar. Am 28. Februar 2022 veröffentlichte das OLG qua Presseerklärung den Tenor des Freispruchs, aber noch nicht das gesamte Urteil. Die Presseerklärung war wie folgt überschrieben: „Polemische und überspitzte Äußerungen eines Evolutionsbiologen zur ‚Ehe für alle‘ nicht strafbar.“ Und weiter: Diese Meinungsäußerungen des Angeklagten seien nicht als Schmähkritik zu werten und daher nicht strafbar. Mit der Bezugnahme auf „lesbische Frauen“ oder „homosexuelle Männer“ werde eine unüberschaubare Gruppe angesprochen, so dass eine solche Äußerung nicht auf die persönliche Ehre jedes einzelnen Betroffenen durchschlägt. Die Äußerungen des Angeklagten seien deshalb im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung anzusehen. Professor Kutschera war damit nie rechtskräftig verurteilt.
Kutschera lesen?
Wenn sich Kutschera, der internationale Gastprofessuren innehatte und innehat, öffentlich äußert, greift er gelegentlich voll in die Tasten. Dass dies Verletzungen hinterlässt, sollte er bei zukünftigen Erklärungen einkalkulieren. Ein Wissenschaftsminister und Richter, die Kutschera unter Berufung auf die Meinungsfreiheit freisprachen (siehe oben: „abstrus“, „unwürdige Entgleisung“), haben dies zum Ausdruck gebracht.
Dann wären mehr Leute bereit, Kutschera zu lesen.
TE-Leser mögen sich auch als Nicht-Juristen und Nicht-Evolutionsbiologen ihr eigenes Bild machen, inwieweit Kutscheras Bücher, die wohl ganz bewusst gegen den politischen und medialen Gender-Mainstream geschrieben sind, das Recht auf eigene Meinung und auf Wissenschaftsfreiheit beanspruchen dürfen. Weitere Infos zu Kutscheras Arbeiten: www.evolutionsbiologen.de
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