Enorme Einbußen der Autobauer durch die Coronapandemie erwartet

Ohne staatliche Gegenmaßnahmen werden die Automobilhersteller einer Studie zufolge weltweit 2020 statt der erwarteten 90 Millionen Pkw nur 64 Millionen verkaufen – ein Minus von 29 Prozent.

© Steffi Loos/Getty Images

Die Corona-Pandemie erfasst die Automobilindustrie stärker als zunächst erwartet. Der weltweite Pkw-Markt bricht 2020 im wahrscheinlichsten Szenario um 29 Prozent ein, wenn keine staatlichen Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Zu diesem alarmierenden Ergebnis kommt eine aktuelle Branchenanalyse von Bain & Company. Überdurchschnittlich stark betroffen sind Europa und Nordamerika, während China den Höhepunkt der Krise zunächst hinter sich hat und derzeit eine zweite Ausbruchswelle zu verhindern versucht. In diesem Szenario könnte die Autoindustrie 2020 im Schnitt um bis zu 90 Prozent an Profitabilität einbüßen. Dazu kommen noch die erforderlichen Mittel für das erwartete höhere Rabattniveau nach der Lockdown-Phase.

„Die Automobilbranche steckt in ihrer wahrscheinlich schwersten Krise überhaupt“, betont Klaus Stricker, Bain-Partner und Co-Leiter der globalen Praxisgruppe Automotive und Mobilität. „Die Regierungen sollten diese Schlüsselindustrie in Deutschland und Europa umfassend unterstützen, um die Liquidität der Unternehmen zu sichern – insbesondere im Zuliefer- und Händlerbereich.“ Darüber hinaus braucht es staatliches Eingreifen, um den Markt kurzfristig zu stimulieren und mittelfristig erforderliche Strukturinvestitionen wie den Ausbau der Ladeinfrastruktur zu fördern.

Die durch Covid-19 ausgelöste Rezession wird der Bain-Analyse zufolge mindestens so stark sein wie diejenige im Zuge der Finanzkrise 2008/2009. Doch wie wirkt sich dieser weltweite Konjunktureinbruch auf die Autoindustrie aus? Unter den vier möglichen Szenarien „Quick Rebound“, „Short Setback“, „Prolonged Slowdown“ und „Deep Recession“ scheint aktuell die dritte Variante die wahrscheinlichste. Demnach würde der Markt nach zwei Quartalen langsam wieder zurückkehren, wäre jedoch von einer anhaltend hohen Unsicherheit geprägt. Ohne staatliche Gegenmaßnahmen hieße das: Die Automobilhersteller würden weltweit 2020 statt der erwarteten 90 Millionen Pkw nur 64 Millionen verkaufen – ein Minus von 29 Prozent. Die Absatzzahlen würden bis April um bis zu zwei Drittel zurückgehen und erst ab Mai allmählich wieder steigen. Zur Analyse des erwarteten Kundenverhaltens führt Bain regelmäßig eine Covid19-Kundenumfrage in China sowie in den USA und Europa durch.

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Der chinesische Automarkt zeigt erste Erholungstendenzen. Der Pkw-Absatz nimmt bereits seit März langsam wieder zu und wird im Gesamtjahr 2020 auf etwa 19 Millionen Stück kommen. Angesichts der vor der Krise prognostizierten 26 Millionen wäre dies ein Rückgang um rund ein Viertel. Deutlich stärker trifft die Corona-Rezession hingegen Europa. Mit elf Millionen verkauften Pkw wird für 2020 ein Minus von 30 Prozent erwartet. Noch heftiger trifft es Nordamerika. Dort dürfte der Aufwärts-trend für das laufende Jahr erst im Frühsommer einsetzen. Gerechnet wird mit einem Absatz von 13 Millionen Fahrzeugen, was bei ursprünglich für 2020 prognostizierten rund 20 Millionen einer Verringerung von fast einem Drittel entspräche.

Die Bain-Analyse zeigt drei strategische Handlungsfelder auf, die Automobilhersteller und Zulieferer angesichts der Corona-Krise angehen müssen:

Mitarbeiter schützen, Cashflow sichern und Neustart vorbereiten. An erster Stelle steht die Sicherheit der Belegschaft. Ein striktes Cash-Management sieht unter anderem den Einsatz flächendeckender Kurzarbeit vor. Die Verschiebung von Fahrzeugprojekten ist zu prüfen. Zudem gilt es, verstärkt Kaufanreize für Kunden zu schaffen und das Händlernetz zu stabilisieren.

Krise nutzen, um Strukturhürden zu überwinden. Die Komplexität im Unternehmen sollte drastisch reduziert werden. Das betrifft beispielsweise Modellvarianten, Antriebe und Ausstattungen. Das Investitionsportfolio gehört auf den Prüfstand, Effizienzprogramme müssen weiter beschleunigt und intensiviert werden. Ebenso müssen der Onlineabsatz ausgebaut und das Vertriebsnetz optimiert werden.

Strategische Weichen stellen, um gestärkt aus der Krise zu kommen. Gut positionierte und stabil finanzierte Unternehmen haben in der Krise die Chance, neue Profitpools zu erschließen. So können sie – etwa durch gezielte Übernahmen – wichtige Zukunftskompetenzen aufbauen. Diese umfassen unter anderem die Bereiche E-Mobilität, Konnektivität und digitale Dienste oder autonomes Fahren.

„Trotz der hohen Anforderungen, Einsparungen zu realisieren, darf die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen nicht auf der Strecke bleiben“, stellt Bain-Experte Stricker fest. Mehr denn je müssen die Mittel für Forschung und Entwicklung sowie für Investitionen in Einklang mit der Unternehmensstrategie eingesetzt werden. So werden künftige Schlüsselbereiche ausreichend ausgestattet, während an anderen Stellen konsequent gespart wird. Darüber hinaus müssen sich Automobil- und Mobilitätsunternehmen auch auf bleibende Veränderungen im Kundenverhalten – also auf eine neue Normalität – einstellen. Durch im Lockdown erprobte Alternativen könnten beispielsweise in Zukunft persönliche Treffen durch Videokonferenzen ersetzt und damit Geschäftsreisen reduziert werden.

„Neben dem akuten Krisenmanagement sollten die Automobilhersteller den Markteinbruch auch nutzen, um strukturelle Wachstumshindernisse zu beseitigen“, resümiert Ralf Kalmbach, Bain-Partner und Co-Leiter der globalen Praxisgruppe Automotive und Mobilität. „Unternehmen, die gestärkt aus der Krise kommen wollen, leiten jetzt die strategischen Veränderungen ein, mit denen sie sich nachhaltig vom Wettbewerb absetzen können.“

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Kommentare ( 8 )

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Coco Perdido
3 Jahre her

Wenn „die“ Automobilindustrie etwas verlautbart mit dem Ziel, vom Staat Geld und sonstige, flankierende Maßnahmen zu verlangen, werde ich sofort stutzig. Schon hinter der Anonymität („die Automobilindustrie“) verschwinden unterschiedliche Einschätzungen der Hersteller. Die Quelle, Bain & Company, ist eine Unternehmensberatung, die von der Autoindustrie lebt. Lobbyismus. Eine Hand wäscht die andere. Warum fragt man z.B. keine Lehrstuhlinhaber für Automobilwirtschaft, die genug Distanz zur Industrie haben und mit regelmäßigen Studien auf dem Laufenden sind aber auch Aspekte einbeziehen, warum nach Aufhebung einer staatlich verordneten Händlersperre mit vermehrtem, nachholendem Kauf zu rechnen ist? Den vorliegenden Redaktionsbeitrag fand ich auch bei „automotive IT“,… Mehr

Montesquieu
3 Jahre her

Die existentielle Krise der Automobilindustrie entstand eindeutig VOR Corona. Man sollte das Narrativ von Politik und Vorständen, die sich dadurch finanzielle Subventionen erhoffen, nicht teilen.
Falsche politische Entscheidungen in der Umwelt- und Energiepolitik haben den Sterbeprozess der deutschen Automobilindustrie und ihrer Zulieferbetriebe verursacht. Die Automobilindustrie hat dazu geschwiegen.
Mit Hilfe Corona versucht man das nun zu vertuschen.

Coco Perdido
3 Jahre her
Antworten an  Montesquieu

Noch nicht einmal an der deutschen Politik hat es gelegen. Die Leute brauchen derzeit einfach nicht so viele Autos wie hergestellt werden können oder haben trotz bester Konjunktur, die wir lange hatten, zu wenig Geld. Man kann es drehen, wie mal will, es fällt immer auf die Wirtschaft selber zurück. Entweder Kapazitätsfehlplanung oder zu kleine Löhne.

Politik hin oder her. Wer ein Auto braucht, kauft eines, wenn er es kann.

CIVIS
3 Jahre her

Ehrlich gesagt: wer sich als „deutsche Autobauer“ selbst den „grünen E-Mobilitätsstrick“ um den Hals legt, darf sich nicht wundern, wenn ihm der Stuhl -wenn auch unvorhergesehen durch Corona- unter den Füßen weggezogen wird. Und dieses ganze voreilige hysterische Szenario eines selbst geplanten Selbstmordes der ganzen deutschen Autoindustrie geschah bisher schon unter freundlicher Mithilfe und Beifallsrufen grüner und roter Politiker, der gesamten GroKo, und insbesondere -vollkommen pervers- mit großer Zustimmung aller deutschen Autobosse und sogar der Gewerkschaften und der Betriebsräte. Jetzt haben sie ihr gewünschtes Ergebnis nur etwas früher bekommen; Corona hat diese Entwicklung nur etwas beschleunigt. Mein Bedauern hält sich… Mehr

Coco Perdido
3 Jahre her

Wer ein Auto braucht, wird eines kaufen. Wer den Kauf aus technischen Gründen oder aus Verunsicherung (Dieselproblematik) aufgeschoben hat, hat Nachholbedarf. Das kommt zum normalen Kaufgeschehen noch dazu.

Es wäre falsch wenn nicht verlogen, der Coronasituation etwas in die Schuhe zu schieben, dass sich schon vor Corona etwa Mitte 2019 angebahnt hat. Tichys Einblick berichtete damals über die Situation. Aber auch damals wäre der Bedarf zu bedenken gewesen. Wer ein Auto wirklich braucht, der kann nicht ohne.

friedrich - wilhelm
3 Jahre her

……ihr könnt es wohl i m m e r noch nicht lassen, von e-mobil zu schreiben! das ist gehirnwäsche! mit mir nicht mehr!

Biskaborn
3 Jahre her

Man darf hier noch anmerken, dass für Deutschland die Automobilindustrie wohl der wichtigste Wirtschaftsfaktor ist. Ich glaube allerdings, das das unsere Grün-linken Politprofis ganz anders sehen. Wollen dort doch viele am Besten ganz aufs Automobil verzichten. Dieser jetzt erwartete Einbruch wird insbesondere Grüne Weltenretter mit ihren verbandelten NGO‘s und sonstigen grünen Eiferern besonders freuen. Auch in der EU wird man sich zumindest heimlich begeistert zeigen , passt doch das Auto nicht wirklich in die GreenDeal Fantastereien. So würde dort niemand auf die Idee kommen die CO2 Grenzwerte auszusetzen die der Autoindustrie gigantische Kosten aufbürdet. Man wird sicher zum Schein Hilfen… Mehr

Coco Perdido
3 Jahre her
Antworten an  Biskaborn

Die Automobilwirtschaft ist tatsächlich der wichtigste Wirtschaftsfaktor, von dem jeder 7. Arbeitsplatz in direkt oder indirekt abhängt. Das würde ich als gefährliche, systemische Schräglage bezeichnen, die in einem längeren Prozess zu ändern ist.

Deutschland wäre gut beraten, wenn es ausgewandwanderte Produktionen anderer Branchen zurückholt. Deutschland und die EU sind durch die Globalisierung von Regimen abhängig geworden, auf die sie im Fall der Fälle keinen Einfluss nehmen können.