„Je mehr Meinungsfreiheit, desto besser“

Der Gründer und CEO der neuen Plattform GETTR Jason Miller will auch auf den deutschen Markt. Auf seinem Gegenentwurf zu Twitter und Facebook – „Big Tech“, wie er sagt – soll es keine Cancel Culture geben. Dafür aber bald einen eigenen Bezahl-Dienst. Auch zu Trump hat Miller eine eindeutige Ansicht.

Ein bisschen konspirativ wirkt er schon, der Ort, an dem der Gründer und Chef von GETTR Jason Miller für seine Plattform in Deutschland trommelt: Ein Restaurant im Achtziger-Jahre-Stil am östlichen Stadtrand von Berlin. Zu dem Image des neuen Kurznachrichtendienstes, der eine Alternative zu Twitter bieten will, passt die Retroatmosphäre eher nicht. GETTR, so sieht es der ehemalige Trump-Wahlkampfberater Miller, soll den Markt der sozialen Plattformen revolutionieren, und zwar durch ein radikal neues Angebot – ein Medium ohne Cancel culture.

An einem symbolisch aufgeladenen Datum ging GETTR im vergangenen Jahr auf Sendung: 4. Juli 2021. Die wichtigste Werbung zum Start lieferte unfreiwillig Twitter, als der Kurznachrichtendienst kurz vor der US-Präsidentschaftswahl den Link zu einem Bericht der „New York Post“ über den Laptop des Kandidaten-Sohns Hunter Biden mit Belegen für seine private Geschäfte auf Twitter unterdrückte .
Gut neun Monate nach dem Start zählt die GETTR weltweit über 5 Millionen Nutzer. Nach den USA und Brasilien ist Deutschland der drittgrößte Markt des Herausforderers. Von den 396 Millionen Twitter-Nutzern weltweit (Nutzer, die mindestens einmal im Monat twittern) sind die GETTR-Zahlen also noch weit entfernt. Miller beeindruckt das nicht sonderlich. Er verweist vor allem auf das schnelle Wachstum seines Unternehmens.

Alexander Wendt sprach mit dem zwar etwas Jetlag-geplagten, aber gut gelaunten GETTR-Chef über seine Pläne.

TE: GETTR will auf dem deutschen Markt Kunden gewinnen. Deutschland ist allerdings bekannt für eine sehr strenge Regulierung der sozialen Medien. Nach dem „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ sind Bußgelder bis zu 50 Millionen Euro möglich, wenn ein Unternehmen es versäumt, kritische Inhalte zu löschen – wobei „kritisch“ nicht unbedingt bedeutet, dass sie rechtswidrig sein müssen. Ihre Plattform verspricht ein Maximum an Meinungsfreiheit. Wie sollen Sie das für Ihre deutschen Nutzer garantieren?

Jason Miller: Wir arbeiten mit unseren Anwälten zusammen, um sicherzustellen, dass deutsche GETTR-Nutzer ihr Recht auf freie Meinungsäußerung so weit wie möglich ausüben können, wobei natürlich alle lokalen Gesetze eingehalten werden. Wenn lokale Behörden ihre Grenzen überschreiten, versuchen wir jedoch immer, uns auf die Seite der Meinungsfreiheit zu schlagen. Wie wir jetzt in vielen Ländern gesehen haben, arbeiten immer mehr Regierungen – einschließlich der Biden-Regierung in den Vereinigten Staaten oder der Macron-Regierung in Frankreich – mit Big-Tech-Plattformen zusammen, um abweichende Meinungen und Opposition unter dem Deckmantel der „Desinformation“ zu unterdrücken. Das halten wir für falsch.

Welche roten Linien setzt sich GETTR selbst? Also: welche Art von Inhalten würden Sie von Ihrer Plattform ausschließen oder nach Ihren eigenen Standards löschen?

Der Schwerpunkt von GETTR liegt auf dem Schutz politischer Äußerungen, nicht auf Äußerungen im Allgemeinen. Das ist eine Entscheidung, die wir getroffen haben, um unseren Marktplatz der Ideen zu schützen. Wir müssen sicherstellen, dass GETTR ein Ort ist, an dem sich Menschen wohlfühlen können, um eine lebhafte Debatte zu führen, ohne dass sie gemobbt oder bedroht werden. Wir haben ein robustes Moderationssystem, das dieses Verhalten verbietet. Die Gesetze in Deutschland und Österreich sind ebenfalls klar, so dass wir sie zum Beispiel in Bezug auf Volksverhetzung, Beleidigung, Verleumdung, Aufwiegelung und das Zeigen verbotener Symbole befolgen müssen. Wir hoffen, dass unsere Nutzer die Gesetze in ihrem Land verstehen und sie auch respektieren. Die meisten Menschen verstehen auch, dass wir illegale Inhalte entfernen müssen, etwa Russia Today, das der Europäische Rat in der EU verboten hat. Dagegen können wir einfach nichts tun.

Ihre Plattform wächst schnell. Wo sehen Sie Gettr in den nächsten 3-5 Jahren? Glauben Sie, dass GETTR auf 100 Millionen Nutzer anwachsen kann?

Auf jeden Fall! Ich möchte, dass wir innerhalb der nächsten Monate 10 Millionen Nutzer erreichen. GETTR ist die am schnellsten wachsende Social-Media-Plattform in der Geschichte. Und ich glaube, dass wir in fünf Jahren die erste Social-Media-App sein werden, die die Menschen morgens öffnen, um mit ihrer Familie und ihren Freunden in Verbindung zu bleiben, um auf unzensierte Nachrichten und politische Debatten zuzugreifen, um digitale Zahlungen zu tätigen und um von ihren Lieblings-Influencern zu hören. Je mehr Big Tech und lokale Regierungen Menschen ohne guten Grund zensieren und bestrafen, desto mehr Menschen werden zu GETTR strömen. Ich glaube nicht, dass sich dieser Trend in naher Zukunft ändern wird.

Wann wird GETTR rentabel sein? Können Sie uns einige Zahlen zu Einnahmen und Investitionen nennen?

Als privates Unternehmen sind unsere Finanzen privat, und wir geben keine Kommentare zu unserer aktuellen finanziellen Lage ab. Wir treffen uns jedoch immer wieder mit neuen potenziellen Partnern, die an die Mission von GETTR glauben und bereit sind, in das Unternehmen zu investieren. Auch unsere bestehenden Geldgeber stehen fest hinter GETTRs anhaltendem Erfolg und hinter unserem explosivem Wachstum. Im Laufe dieses Jahres werden wir viele aufregende Geschäftsentwicklungen haben, darunter unser eigenes, auf Kryptowährung basierendes Zahlungssystem GETTR Pay, mit dem wir es nicht nur mit Big Tech, sondern auch mit Unternehmen wie American Express und PayPal aufnehmen werden. Übrigens: Im Gegensatz zu unseren Wettbewerbern haben wir uns verpflichtet, die Daten unserer Nutzer niemals zu verkaufen.

Ein Problem, das das Wachstum von Plattformen einschränkt – von neuen Plattformen mehr als von etablierten – ist die Tatsache, dass die meisten Gesellschaften politisch tief gespalten sind. Eine neue Plattform kann ihren Anteil an Nutzern bekommen – aber wenn diese eher konservativ und libertär sind, werden Liberale und Linke sie eher meiden und andersherum. Haben Sie eine Idee, wie man diese Meinungsblasen durchstoßen kann?

Sie haben insofern Recht, als die Konservativen auf die Online-Zensur eingestellt sind und bereits auf alternative Plattformen ausgewichen sind. Allerdings werden die Menschen auf allen Seiten des ideologischen Spektrums durch die unvernünftigen Verbote aus dem Silicon Valley wach. Sie suchen nach einer Alternative. Das ist auch ein globales Problem, nicht nur eins der Republikaner in den USA oder „Pro-Trump“-Problem. Die Sperrkultur macht keine Unterschiede – man denke nur an den linken Journalisten Glenn Greenwald, die Bestsellerautorin J.K. Rowling oder den Komiker John Cleese, der letzten Monat für einen schlechten Witz bestraft wurde. Wir glauben, dass immer mehr Menschen einen Ort suchen, an dem sie ihre politischen Ansichten wirklich frei äußern können. In Deutschland sehen wir einen großen Teil unseres Wachstums bei den covidmaßnahmen-kritischen Leuten und Gegnern der Impfpflicht, die oft Grüne, Ex-Grüne und Hippies sind. Sie sind auf GETTR absolut willkommen! Wir haben die linke Politikerin Sahra Wagenknecht angeschrieben, die wegen ihrer Covid-Kritik in ihrer Präsenz in den sozialen Medien bedroht ist, und die altgediente Feministin Alice Schwarzer, die als „transphob“ und „islamophob“ bezeichnet wird. Wir würden sie gerne dabei haben. Wir hoffen, dass sie sich eines Tages anschließen. Wenn es um die Meinungsfreiheit geht, sagen wir: Je mehr, desto besser!

Sie haben mit Donald Trump zusammengearbeitet. Denken Sie, dass er 2024 noch einmal kandidiert?

Ja, das wird er.

Wie schätzen Sie seine Siegchancen ein?

Wie man an der Weltlage sehen kann, sind die Chancen für Donald Trump umso besser, je länger die Regierung Biden-Harris im Amt ist.

Was halten Sie von Trumps eigener Plattform „Truth Social“? Ist es ein Konkurrent? Oder ein Partner?

Wir begrüßen die Rückkehr von Präsident Trump in die sozialen Medien und freuen uns, dass er wieder zu Wort kommt, nachdem Twitter und Facebook im vergangenen Jahr den beispiellosen Schritt unternommen haben, einen amtierenden US-Präsidenten zu zensieren. Wir glauben, dass eine steigende Flut alle Schiffe hebt, also, dass es umso besser ist, je mehr Plattformen es gibt, die die freie Meinungsäußerung vor Angriffen schützen. Das beweist die Tatsache, dass die Zahl der Anmeldungen bei GETTR in der Woche nach der Ankündigung von Präsident Trump im vergangenen Oktober um 135 Prozent gestiegen ist. In diesem Jahr sind wir um weitere 50 Prozent gewachsen. GETTR ist nach wie vor die am schnellsten wachsende Social-Media-Plattform in der Geschichte. Sie erreichte schon drei Tage nach dem Start die erste Million Nutzer.

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Kommentare ( 20 )

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H. Meier
1 Jahr her

Ich wünsche GETTR viel Erfolg. Jede für liberale, Strukturen auf dem Meinungsmarkt positionierte Plattform, hat die große Chance intelligente Diskussionen zu ermöglichen. Das Bedürfnis nach objektiven oder neutralen Informationen, für die sogar ein Obolus von den Nutzern entrichtet wird, die niemehr bei den alten Verlagen Meinung bestellen oder sich vom GEZ nen Tinnitus einfangen wollen, wird täglich zunehmen. Die „Alten hams komplett verkackt“. Erst gingen ihnen die Annoncen-Märkte verloren usw. Wobei die ganze Klugheit der Medienhäuptlinge so sichtbar war, wie ihr Unterschlüpfen in Merkelhaushalten, wo sie nun als Partei-Konzern, den Kanzler und seine Kombattanten täglich bespielen. Wer braucht denn son… Mehr

Michael Palusch
1 Jahr her

Hat er nicht gesagt. Er sagte, das ihm durch der Beschluß und das Verbot durch den EU-Rat die Hände gebunden sind. Welchen Wert allerdings eine Platform haben sollte die sich an alle Zensurgesetze zu halten hat, ist mir jedoch auch nicht ganz klar. Der Unterschied scheint lediglich darin zu liegen, dass die einen im vorauseilenden Gehorsam und getrieben durch die eigene Ideologie voranschreiten, die anderen aber nicht.

kdm
1 Jahr her

Sobald Gettrs Konkurrenz (oder eine ideologische Partei) Gettr mit Mülltexten zumüllt, wird auch Gettr Zensur einführen („müssen“).

Exilant99
1 Jahr her

Deutschland ist in Sachen Meinungsfreiheit irgendwo vor Iran und Nordkorea. Das westliche Land mit der stärksten Internetzensur. Auch andere Medien wie Filme und Videospiele werden im Westen nur in Deutschland zensiert.

Aber der Michel schläft gerne weiter. Meinungsfreiheit in Deutschland ist nur ein Feigenblatt.

GETTR wird wahrscheinlich sofort von der Regierung ins Visier genommen und dann bald verboten wegen gewisser Inhalte. Sowie sie Telegram ins Visier genommen haben.

LadyGrilka55
1 Jahr her

„… ein radikal neues Angebot – ein Medium ohne Cancel culture …“

Dass in Deutschland „ein Medium ohne Cancel culture“ ein „radikal neues Angebot“ ist, sollte einem eigentlich den Atem verschlagen. Denn dieser Satz wirft ein Schlaglicht auf den Zustand von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland.

Ich finde es sehr gut, dass auch TE endlich auf GETTR hinweist. Jeder, der sich über die üblich gewordenen Cancel-Culture-Orgien der üblichen Verdächtigen Ärgert, sollte dorthin wechseln. Hoffentlich finden wir auch TE bald auf GETTR.

littlepaullittle
1 Jahr her

Ich bin (leider) ueberzeugt davon, dass dies niemals klappt:
Entweder wird eine soziale Plattform durch den Eigentuemer zensiert, oder durch die entsprechende Regierung, die den Eigentuemer zwingt.
Die „Hassrede“ oder „Fake news“ werden definiert. Und des einen Freie Meinung ist des anderen Hassrede. Und Feindsender werden verboten.
Bis eine juristische Klaerung erstritten, ist der Kaese gerollt und interessiert kaum noch …….

Last edited 1 Jahr her by littlepaullittle
Iso
1 Jahr her

Mit der Meinungsfreiheit nimmt man es nicht so genau in Deutschland. Eine Garantie gibt es dafür nicht, wie einige Telegram-Gruppen gerade bemerken.

Andreas aus E.
1 Jahr her

Ich werde das nicht nutzen, so wie auch das Internet insgesamt ablehne.
Es gibt da nur Hass und Gewaltaufrufe, sogar pornographische Inhalte, derlei kommt mir nicht ins Haus.
Ich nutze für Information ARD, ZDF und den Deutschlandfunk, manchmal kaufe ich Qualitätspublikationen wie den Spiegel, die Zeit oder die Süddeutsche, das genügt.
Internet jedenfallskommt nicht in Frage, da könnte ich ja gleich Putin oder Rechtsextremisten zum Kaffee einladen – mit mir nicht!

Manuela
1 Jahr her
Antworten an  Andreas aus E.

Danke für den lustigen Kommentar! Daumen rauf von mir!?

Frank_y
1 Jahr her
Antworten an  Andreas aus E.

Top Satire

Jens Lueck
1 Jahr her
Antworten an  Andreas aus E.

Sehe ich auch so. Ich glaube nicht einmal, dass sich dieses neumodische Internet durchsetzen wird. Wer soll denn diese ganzen Webseiten alle lesen? Und kompliziert ist es ja auch noch: Computer anstellen, beim Hochfahren warten, dann mühsam Webseite suchen (dabei bloß keinen Tippfehler machen), dann im Internet Explorer anzeigen lassen und über den Drucker ausdrucken. Diese Papier- und Druckertintenverschwendung macht schlicht keinen Sinn. Das Format ist zudem viel kleiner als von einer Tageszeitung und das Papier zu dick. Da kann ich auch gleich eine Zeitung lesen und spare viel Zeit und Geld.

Lesterkwelle
1 Jahr her

Freuen Sie sich nicht zu frueh! Hier regieren die Landesmedienanstalten und das NetzwerkDG. Andere Laender machen es vor! Ploetzlich Sind laestige Platform abgeschaltet. MIT telegram wird es gersde versucht. FDGO und GG, dad war einmal,!

Manuela
1 Jahr her

Twitter, Gettr… Es tut sich was! Schaun ‚mer mal, dann wer’mer scho sehn…

Last edited 1 Jahr her by Manuela