Neuer Shooting-Star des Feuilletons: Wie man das Land auf den großen Krieg mit Russland vorbereitet

Plötzlich scheinen sich alle einig, dass ein gewisser Artur Weigandt die Antwort auf alle deutschen Wehrfragen ist. Wie im Flug wird der Journalist und Buch-Autor zum Wehrfähigkeitsbeauftragten des deutschen Feuilletons. Kritische Nachfragen sollen sich da erübrigen und werden als „Drohungen“ aufgefasst.

Screenprint via Instragram / goetheinstitut_kasachstan

Vielleicht war es ja als Fortbildungsmaßnahme gedacht, als das Goethe-Institut Kasachstan den Journalisten Artur Weigandt im letzten Jahr auf eine „Lesetour“ durch das zentralasiatische Land schickte – jenes Land, in dem er geboren worden war. Von Astana führte Weigandts Weg über Pawlodar, Oskemen und Almaty bis ins kirgisische Bischkek und Kara-Balta. In der Goethe-Institut-Werbung auf Instagram hieß es dazu, das Publikum solle die Gelegenheit nicht verpassen, „mit Artur zu sprechen“, ihm Fragen zu stellen und „zu hören, was ihm am Herzen liegt“.

Was Weigandt derzeit besonders „am Herzen liegt“, das ist die Wehrhaftigkeit des deutschen Kulturbürgertums. Mit seinem dezent in Tarnfarben designten Buch „Für Euch würde ich kämpfen. Mein Bruch mit dem Pazifismus“ sorgt der Journalist und Autor gerade für Diskussionen und vor allem Elogen in deutschen Feuilletons und Sendeanstalten.

Die Fortbildung war also nicht sehr erfolgreich, jedenfalls nicht für Weigandt selbst. In seinem Buch – hier auszugsweise in der Welt nachzulesen – schreibt er, die „EU, Deutschland“ – so wörtlich, es geht ihm anscheinend um ein unauflösbares Ganzes – seien nicht perfekt, aber sie seien jedenfalls „besser als die kasachische Steppe“ und der „Militarismus in Russland“. Dieses Europa, meint Weigandt, sei „verteidigungswert“, obwohl sich umgehend die Frage stellt, ob der neue Sondervermögens-Militarismus in Europa gegen den Militarismus in Russland hilft. Seine Lesereise hat das anti-östliche Ressentiment in Weigandt offenbar verstärkt, obwohl er gelegentlich auch über Antislawismus geschrieben haben soll, vermutlich in Bezug auf Ukrainer.

Im Flug vom Ich zum Wir

Weigandt fährt fort mit einer wahren Wehrhaftigkeitsprosa: „Wehrhaft zu sein bedeutet nicht, blind zu gehorchen oder die eigene Kritik zu ersticken. Es bedeutet, im Inneren zu streiten, zu hinterfragen, zu fordern – und nach außen hin bereit zu sein, politische Differenzen beiseitezulegen, wenn die Freiheit bedroht ist.“ Also Uneinigkeit nicht ersticken, sie aber „beiseitelegen“, wenn erforderlich. So wie damals, als Corona an die Tür klopfte und es auch nur noch gehorsame ‚Demokraten‘ geben sollte. Man will es ja, um Gottes willen, nicht wie die karthagischen Konsuln machen, die sich einst in Rom lächerlich machten, weil die eine Partei der anderen offen widersprach. Heute ist anscheinend erneut ein Nationalismus gefordert, der keine Parteien kennen soll, allerdings einen „EU-Deutschland-Nationalismus“ mit unklarem Inhalt und Epizentrum.

Und weiter geht es mit der Pflugscharen-zu-Panzern-Lyrik. Weigandt will sich der Frage stellen, ob er eine Waffe in die Hand nehmen würde. Nicht mehr und nicht weniger. Er, man, wir seien verpflichtet, die „Ukraine unterstützen, mit allem, was wir haben“, und vor dieser Verantwortung will der Wortkünstler nicht „fliehen“. Es ist bezeichnend, dass Weigandt hier in einem Satz vom „ich“ zum „wir“ wechselt – aus einem persönlichen Bekenntnis wird flugs ein Appell an seine Leser.

Finanziert wurde die Zentralasienreise natürlich vom Steuerzahler, wie die Bundesregierung nun auf Anfrage des AfD-Abgeordneten Udo Hemmelgarn, auch Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, angab. Reisekosten, Kosten für Unterkunft und Honorare für die Veranstaltungen beliefen sich zusammen auf etwas über 4.500 Euro. Reich wurde Weigandt damit sicher nicht. Ist das aber eine Petitesse? Dem Abgeordneten Hemmelgarn geht es ums Prinzip: „Bei diesem Vorgang ist nicht die Summe der Skandal, sondern, dass überhaupt ein deutscher Bellizist auf Steuerzahlerkosten eine Lesereise durch Zentralasien macht.“ Die Kunst- und Meinungsfreiheit will Hemmelgarn dabei ausdrücklich gewährleistet wissen. Dafür setze sich die AfD ein. Aber die Bundesregierung müsse „Frieden und Verständigung fördern“, nicht „Menschen, die Deutschland in den großen Krieg mit Russland treiben wollen“.

Bohémiens werden an die Front getrieben

Daneben bekommt man so seine Zweifel, ob Weigandt das schaffen wird, mit dem Waffe-in-die-Hand-Nehmen und mit dem Sich-der-Verantwortung-Stellen angesichts seiner weiterhin dekadentistischen Selbstinszenierung auf Instagram, die andere Nutzer mit Kommentaren wie „bohemian kafkacore“ oder „Hot boy summer“ versehen.

Eben weil Weigandt seine Erkenntnisse in einem Buch festgehalten hat, wird er derzeit auf fast schon gespenstische Weise in allen öffentlichen und vielen nicht-öffentlichen Kanälen durchgereicht. Besprechungen mit und ohne Interview gibt es im SWR, BR, WDR, bei der ZEIT, der taz, der Süddeutschen, sogar im Cicero und der Berliner Zeitung.

Für den SWR ist Weigandt schon Wehrpflichtbefürworter und ein „russlanddeutscher Autor“. Sein Buch wirkt wie der Versuch, die bourgeoisen Bohémiens für den Kriegseinsatz an der Ostfront zu mobilisieren – zumindest in Gedanken. Dem SWR sagt Weigandt dazu passend: „Menschen, die keinen Willen haben und keine Überzeugung haben zu kämpfen, werden auch niemals wirklich richtig kämpfen können.“ Weigandt scheint gerade zum Wehrfähigkeits-Beauftragten der deutschen Kulturressorts zu werden.

Die Einziehung per Losverfahren fand er allerdings auf den ersten Blick „moralisch fragwürdig – als würde man Verantwortung dem Zufall überlassen“. Sie passt in der Tat nicht zu seiner eigenen fatalistischen Erzählung von unbedingter Wehrhaftigkeit. Aber dann stellte sich auch Weigandt die Frage, ob die Bundeswehr mit knapp 200.000 Soldaten „überhaupt die Kapazität“ habe, „einen ganzen Jahrgang auszubilden“. Das wären rund 300.000 Mann jedes Jahr. Wie gut es ist, dass er das weiß. Dass der ausgeloste Wehrdienst ein Scheunentor für ein waberndes Ungerechtigkeitsempfinden wäre, scheint aber egal zu sein. Wer wird es verhindern können, dass Gerüchte aufkommen über die Söhne betuchter oder wohlbestallter Eltern, die „zufällig“ nicht eingezogen wurden?

Weigandt meint: Ein „Frieden, den man sich nur leisten kann, solange andere bluten, ist kein Frieden – er ist ein moralischer Luxus. Ein Frieden der Bequemen, nicht der Tapferen.“ Das will sagen, dass der Krieg in der Ukraine ein notwendiger ist, der nicht einfach so enden kann, auf keine Weise. Und daher müssen die Deutschen bereit sein, dort wieder mitzukämpfen. Diplomatische Lösungen gibt es in dieser Welt nicht, nur den Endkampf der Systeme.

Sind Fragen Drohungen?

Und natürlich war seine Familie nicht freiwillig nach Kasachstan gegangen. Seine Mutter habe unter anderem auch ukrainische Wurzeln, schreibt Weigandt in einem Gastbeitrag für ntv, und die Vorfahren seines Vaters „wurden von Stalin in die Ödnis geschickt, weil sie deutsch waren“ – also gleich zwei Gründe, um gegen ein imperiales Russland zu sein. Das klingt alles sehr vernünftig, wenn es aus dem Mund eines scheinbar Betroffenen kommt. Aber wie wurde Weigandt eigentlich zum Betroffenen?

Klar ist, dass sich Weigandts Engagement insbesondere seiner persönlichen Geschichte verdankt: Seit Kriegsbeginn hat er seinen Job als Journalist an den Nagel gehängt und ist als Übersetzer für die Bundeswehr tätig, unterstützte so angeblich auch die Ausbildung von Ukrainern an Leopard-Panzern. Weigandt, das wird deutlich, ist kein unbeteiligter Beobachter und behauptet das auch gar nicht. Er befürwortete etwa auch den Einsatz von Napalm gegen russische Soldaten, um das dann später zur „Übertreibung“ zu erklären.

Screenprint: via X

Die Fragen von Udo Hemmelgarn hält Weigandt derweil für eine „gezielte Drohung vonseiten der AfD“ – gegen was oder wen und inwiefern, das zu erklären spart sich der erregte Kriegs-Blogger. Und das ist vielleicht der eigentliche Skandal, dass einer wie Weigandt da, wo das eigene Narrativ brüchig wird, mit Vorwürfen nur so um sich wirft – vielleicht ja auch, um ein bisschen (nun beinahe wörtlich zu nehmenden) „Kriegsnebel“ zu verbreiten. Opposition gegen die eigenen Ziele soll unmöglich werden. Und das ist irgendwie nicht der freie Westen, von dem Weigandt ja auch nirgendwo geschrieben hat.

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Kommentare ( 19 )

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CasusKnaxus
19 Tage her

Ein weiterer Clown -oder besser Hofnarr. Vielleicht kann er ja Fritzes Anbläser spielen?

Marcus Iunius Brutus
19 Tage her

„Wer wird es verhindern können, dass Gerüchte aufkommen über die Söhne betuchter oder wohlbestallter Eltern, die „zufällig“ nicht eingezogen wurden?“ In Amerika sagt man: a rich Man’s war, and a poor Man’s fight.

Wilhelm Rommel
19 Tage her

Eigentlich müsste die Bemerkung Karl Valentins: „Des ignoriern ma net amoi …“ zu diesem literarischen ‚Mister Nobody‘ völlig ausreichen, würden sich nicht sowohl der ‚Künstler‘ als auch seine medialen – und letztendlich politischen – Antreiber auch hier wieder mal auf groteske Weise demaskieren, ohne dies selbst zu merken. Es gab Zeiten in diesem Land (bis anno 45 bzw. anno 89), da stolperten ähnlich zweifelhafte ‚Staats- und Parteidichter‘ auf allen denkbaren Bühnen herum – unbegabte Mietmäuler zumeist, wie sie (wenigstens in Phase I) der selige Tucholsky meisterhaft und voller Inbrunst ‚zerfetzen‘ konnte. Heute sind wir wieder soweit! Nachdem die reichlich wirre (=grüne)… Mehr

Last edited 19 Tage her by Wilhelm Rommel
Hieronymus Bosch
19 Tage her

In einem Land wie diesen, wo der Wahnsinn mittlerweile Methode ist, wundert einen nichts mehr! Nicht einmal so etwas!

Haba Orwell
20 Tage her

> Er, man, wir seien verpflichtet, die „Ukraine unterstützen, mit allem, was wir haben“, und vor dieser Verantwortung will der Wortkünstler nicht „fliehen“

Ich nehme an, er hat sämtliches Geld für das Buch nach Kiew für weitere goldene Klos geschickt? Hat das jemand erfragt?

BBHamburg
20 Tage her

Aber aber, wir könnten doch zur Feier des Tages mal die offenen Grenzen verteidigen. Natürlich nur die Jungs. In einem vom Bankensystem geliehenen großzügig verzinsten Panzer, der die für Schwangere geeignet ist. Zu komisch!!!

Karl Schmidt
20 Tage her

Eine Freiheit, die nicht ist, kann auch von außen nicht bedroht werden. Tatsächlich sitzt ihr Feind – wie meistens – im eigenen Land. Dabei bedarf es keiner Diskussion, wie groß die Restfreiheit aktuell gerade noch ist, denn dem steht im Kriegsfall ja als Preis das eigene Leben gegenüber – und dafür müsste die zu verteidigende Freiheit schon außerordentlich üppig sein. An üppigen bürgerlichen Freiheiten sind die von der Leyens, Steinmeiers, Faesers, Haldenwangs, Harbarths sowie die gesamte SED und Grünen-Mischpoke (wie der Berliner sagen würde) jedoch gar nicht interessiert. Warum sollten die Bürger dann an deren Kriegen interessiert sein? Davon profitieren… Mehr

BBHamburg
20 Tage her

Die Art und Weise wie der verrückte Gedanke, Russland wolle Europa jetzt endlich erobern, hier um sich greift ist durchaus erschreckend.
Das Tröstliche ist jedoch, das es Weigandt und seinen Gleichgesinnten ganz sicher auch nicht im entferntesten gelingen wird, etwas auf die Beine zu stellen, das dem russischen Volk gefährlich werden könnte. Schon sehr bald sitzt Deutschland in der Schuldenfalle und hat gewiss ganz andere Probleme.

Sanijo
20 Tage her

Herr Weigandt kann mit allen Altparteien-Mitglieder der CDU/CSU, SPD, Grünen und Linken sowie der FDP den Verfassungsschutz und den Staatsschutz, Richter Staatsanwälte, Beamte, den Mainstream Journalisten auch beim Rundfunk, der gesamten Antifa, alle Merkel-Migranten seit 2015 sowie alle linke vom Staat bezahlten NGOs, inklusive ihrer gesamten Familien an die Ukrainische Front, ausgestattet mit Besenstiele und laut im Chor Bumm rufen. Das sollte reichen um Deutschland wehrhaft zu machen! Die Russen würden sich totlachen! Wehrhaft sollte das deutsche Volk gegen die oben genannten sein, die sich gegen uns verschworen haben! Auch ich befürworte Napalm gegen die oben genannten, nur um es… Mehr

Fieselsteinchen
20 Tage her

Was hat es mit der deutschen “Wir stehen vor Moskau”-Obsession auf sich? Ist das ein Paralleluniversum? Hat der Bildungsmangel dermaßen zugeschlagen, dass weder historische noch geographische Maßstäbe zählen? Weder wurde die Freiheit am Hindukusch verteidigt noch in Kiew, unsere Freiheit kann nur in Berlin verteidigt werden. Meine Vorfahren mütterliches kommen aus der weiteren Region Shitomir und flohen aufgrund von Pogromen Richtung Westen, bis über den Atlantik wollte oder konnte man wohl nicht, nichts ist dazu bekannt, denn das Schlimmste ereilte sie etwa 60 – 70 Jahre später. Die Ukrainer waren mehr als willig und hilfsbereit, schon eh und je, sicher… Mehr

Last edited 20 Tage her by Fieselsteinchen