heute show: „Man muss von Politik nichts verstehen, um mitlachen zu können“

Viel zu oft fühlt sich Hugo Müller-Vogg an diese vermeintlich witzigen Filmchen erinnert, in denen der Torwart beim Abstoß ein Eigentor erzielt oder das Geburtstagskind beim Ausblasen der Kerzen in die Torte fällt. Hahaha. Das und mehr in einem Interview.

ZDF/heute show

In der 108-seitigen Studie untersucht Prof. Bernd Gäbler, Medienwissenschaftler und ehemaliger Leiter des Grimme Instituts, die heute show. Er vergleicht diese Sendung zudem mit den Formaten Die Anstalt (ZDF) und extra 3 (NDR/ARD), stellt sie in die Satire-Traditionen des deutschen Fernsehens und wirft einen Blick auf das
US-Fernsehen. Im Rahmen dieser Studie hat Gäbler u. a. auch ein Interview mit dem Publizisten Hugo Müller-Vogg geführt. Wir dokumentieren hier die Fragen und Antworten.

Gäbler: Ist die „heute show“ (ZDF) in Ihren Augen hauptsächlich Quatsch oder Aufklärung?
Müller-Vogg: Quatsch.

Gäbler: Amüsieren oder ärgern Sie sich über die „heute show“?
Müller-Vogg: Natürlich gibt es da auch viel zum Lachen. Aber viel zu oft fühle ich mich an diese vermeintlich witzigen Filmchen erinnert, in denen der Torwart beim Abstoß ein Eigentor erzielt oder das Geburtstagskind beim Ausblasen der Kerzen in die Torte fällt. Hahaha.

Gäbler: Hat die „heute show“ eine Haltung? Wenn ja – welche?
Müller-Vogg: Die Linie ist eindeutig: Alle Politiker sind doof, reden Unsinn und machen den Leuten ein X für ein U vor.

Gäbler: Ist die „heute show“ eine Antwort auf Politikverdrossenheit oder fördert sie diese?
Müller-Vogg: Die „heute show“ ist der Beitrag des ZDF zur Förderung von Politikverdrossenheit – finanziert mit der „Demokratieabgabe“. Ganz wichtig für die Einschaltquote: Man muss von Politik nichts verstehen, um mitlachen zu können.

Gäbler: Geht die „heute show“ zu respektlos/ungerecht/ gnadenlos mit führenden Politikern um? Nennen Sie Beispiele.
Müller-Vogg: Kein Gag ist zu platt, um Politiker vorzuführen.

Beispiel 1: Wohnungsbauministerin Barbara Hendricks kündigt im Bundestag den Bau von Sozialwohnungen an, muss ihre Rede wegen eines Hustenanfalls kurz unterbrechen. Kommentar Welke: „Wenn ich lüge, muss ich auch immer husten“.
Beispiel 2: Zu schwarz-gelben Zeiten wütete Gernot Hassknecht: „Die FDP ist und bleibt ein herzloser Arschgeigenverein.“ Was soll daran witzig sein?

Gäbler: Stellt die „heute show“ politische Probleme und Entwicklung zu respektlos/ unsachlich/ einseitig dar? Nennen Sie Beispiele.
Müller-Vogg: Ja, Unsachlichkeit und Einseitigkeit ist das Geschäftsmodell der Sendung.
Beispiel 1: Andrea Nahles kündigt ein Konzept gegen die Altersarmut an. Kommentar Welke: „Die SPD, die das Rentenniveau einst brutal senkte.“ Erstens war die Rentenreform von 2001 ein Projekt von SPD und Grünen. Zweitens hat Rot-Grün die allmähliche Absenkung des Rentenniveaus nicht beschlossen, um die Menschen zu quälen, sondern um aus der demografischen Entwicklung die richtigen Konsequenzen zu ziehen.
Beispiel 2: In der Sendung wird behauptet, mit einem Riester-Vertrag könne man sich nur „den Arsch abwischen.“ Was beweist, dass die Redaktion für einen billigen Gag die Fakten verfälscht. Bei Riester-Verträgen stehen zu Beginn der Auszahlungsphase mindestens die Einzahlungen plus die staatlichen Prämien – bei einer Familie mit zwei kleinen Kindern 754 € pro Jahr – zu Verfügung.

Gäbler: Wo im politischen Spektrum würden Sie die „heute show“ verorten?
Müller-Vogg: Anders als die meisten Kabarettisten hat die „heute show“ keine politische Agenda. Sie fügt sich aber bestens in den medialen Mainstream ein: links von der Mitte. Was sich u. a. daran zeigt, dass Die Linke kaum vorgeführt wird, die AfD dagegen ständig.

Gäbler: Die „heute show“ durfte im Bundestag nicht drehen – eine richtige Entscheidung?
Müller-Vogg: Ja, weil das Parlament kein Karnevalsverein und kein Zirkus ist. (Dass mancher Politiker dies bisweilen selbst vergisst, steht auf einem anderen Blatt.)
Gäbler: Würden Sie Politikern empfehlen, als Gast in die „heute show“ zu gehen? Begründen Sie Ihre Meinung.
Müller-Vogg: Wenn Politiker mit Entertainer-Qualität wie Gregor Gysi oder Wolfgang Kubicki meinen, diese Publicity nötig zu haben – bitte sehr. Politiker ohne Clown-Gen sollten die „heute show“ dagegen meiden.

Gäbler: Was würden Sie an der „heute show“ verändern?
Müller-Vogg: Es gehört zur „Masche“ der „heute show“, ihre „Reporter“ mit ZDF-Mikros auftreten zu lassen und politische Amateure wie Parteitagsdelegierte mit sinnfreien Fragen zu verwirren. Die Interviewer sollten Ihre Fragen deshalb immer mit folgenden Statement einleiten: „Meine Absicht ist es, Sie dumm, blöde und dämlich aussehen zu lassen. Deshalb meine Frage ….“

Bernd Gäbler: Quatsch oder Aufklärung? Witz und Politik in heute show und Co.
Eine Studie der Otto Brenner Stiftung, Frankfurt am Main 2016 OBS-Arbeitsheft 88 ISSN-Print 1863-6934

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