Bei Lanz: Den jährlichen Bildungsnotstand gib uns heute

Kinder – vor nicht allzu langer Zeit nannte ZDF-Mann Böhmermann sie noch ungestraft „Ratten“, die die böse Corona-Pest verbreiteten. Jetzt kümmert sich ZDF-Mann Lanz geradezu fürsorglich um sie. Und zeichnet – wie traditionell einmal im Jahr – ein katastrophales Bild unseres Schulsystems. Von Brunhilde Plog

Screenprint: ZDF / Markus Lanz

Lernrückstände bei Erstklässlern, eskalierende Gewalt, Mobbing, Lehrkräftemangel und ein vielerorts desolater Zustand von Schulgebäuden – die Lage in Deutschlands Bildungssystem ist so angespannt wie altbekannt. Zuletzt im Dezember vergangenen Jahres hat sich Lanz dem Thema gewidmet. Jetzt ist das nächste Jahr um, und die Lage scheint höchstens schlimmer geworden zu sein. Gerade erst wieder hat die IQB-Studie 2025 massive Defizite im Schulsystem aufgezeigt.

Die Gäste bei Lanz können die Misere mit Fakten aus ihrem Arbeitsalltag unterfüttern. Bei Barbara Mächtle, Schulleiterin an der Grundschule Gräfenau in Ludwigshafen, haben 447 von 459 Kindern einen Migrationshintergrund. Normaler Unterricht ist kaum mehr möglich. Die Schüler seien „ohne Perspektive“, sagt sie, und „erfahrungsgemäß fangen die sich auch nicht mehr“. Die Zahlen seien lange bekannt, würden aber „sehr ungern veröffentlicht“. Mächtle wünscht sich mehr Förderung im frühkindlichen Bereich. „Ich habe viele Kinder, die haben zu Hause kein Buch“, erzählt sie. Bei Hausbesuchen sehe sie oft nicht mal Spielzeug oder Malzeug. „Manche Kinder fassen in der Schule zum ersten Mal einen Stift an.“ Dann die Sprachbarriere. Viele Kinder würden in Stadtvierteln aufwachsen, in denen man problemlos ohne Deutsch durchkommt. Folge für den Unterricht: „Man arbeitet mehr mit Bildern, Gesten“, so Mächtle.

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Engin Çatik, der seit Januar versucht, eine Schule in Berlin-Friedenau wieder in die Spur zu bringen, die als Gewalt-Hotspot für bundesweite Schlagzeilen sorgte, betont auffallend oft, dass es weniger einen Migrationshintergrund gebe und viel eher „Armutsgründe“. Wenn es um länderspezifische Konflikte geht, fällt bei ihm sehr oft das Wort Ukraine, aber auch der Balkan oder die Türkei. Der Schulleiter spricht verklausuliert von Menschen, die „unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht wertschätzen“. Erst auf Nachfrage nennt er die Dinge beim Namen. Ja, es gebe auch Probleme mit jenen „kleinen Paschas“, die einst Friedrich Merz anprangerte. Also vornehmlich Jungen aus arabischen Ländern, die ein Problem mit Homophobie hätten oder mit der Akzeptanz von Lehrerinnen. „Jungen und Mädchen“, sagt der stets um Ausgleich bemühte Çatik, muss dann aber gleich zurückziehen. Naja, Mädchen dann wohl doch eher weniger …

Man müsse Wert darauf legen, dass Deutsch gesprochen wird, aber zugleich die Muttersprache der Kinder und ihre Diversität wertschätzen, sagt Çatik, der als Deutsch-Türke selbst einen Migrationshintergrund hat. Da sei es doch gut und hilfreich, wenn man das Kind auch mal frage: „Kannst Du mir sagen, was Banane auf Ukrainisch heißt.“ Aber ebenso klar müsse jedem Schüler sein: „Um einen Bildungsabschluss zu bekommen, muss man Deutsch sprechen.“

Schule sei mehr als nur Lernort, sie sei „Lebensraum und Beziehungsraum“, sagt Çatik. „Die Schule muss immer mehr auffangen, was Familie nicht leisten kann.“ Der Betreuungsschlüssel mache sie jetzt aber zum reinen „Aufbewahrungsort“. Çatik: „Wir sitzen dann vor 26, 30, 34 Schülerinnen und Schülern. Dann entsteht keine Bindung mehr zueinander. Wir sind dann heilfroh, dass die Kinder am Nachmittag wieder raus sind, weil wir so überfordert sind.“

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Besonders erschütternd sind die Beispiele, die Katja Rininsland vom Stadtelternbeirat Frankfurt mitgebracht hat. Ihre Kinder sind seit Jahren in einer reinen Containerschule untergebracht, also einer Ansammlung von Baucontainern, im Sommer gern mal 42 Grad heiß und im Winter oft ohne funktionierende Heizung. „Die sitzen dann da mit Schal, Mütze, Handschuh“, erzählt sie, und das oft über Wochen. Zum Sportunterricht werden die Kinder mit Bussen quer durch die Stadt gekarrt. „Von 90 Minuten finden dann 35 noch statt.“

Lanz lässt Fotos einspielen: Ein Trinkbrunnen als ultimative Waffe gegen die Hitze, aber zu klein, um eine normal große Flasche aufzufüllen. Eine Batterie von Außenwaschbecken, wo sich die Kinder zu Corona-Zeiten mehrmals täglich die Hände mit eiskaltem Wasser waschen mussten, bis die Finger blau waren. Bilder von der Essensausgabe, die schier Unglaubliches zeigen: eine Frikadelle, angeblich Hühnchen, aber rotes Fleisch und nicht ganz durchgegart.

Rininsland hat Fotos aus allen der knapp 200 Frankfurter Schulen sammeln lassen – oft unidentifizierbar, „weil vieles einfach nur als Pampe oder Brei auf den Tisch kam“. Krönung: Für diese Verpflegung zahlen die Eltern drei Euro, und der Caterer bekommt sogar knapp zehn Euro – pro Portion. „Wir waren alle schockiert“, erzählt die Elternvertreterin, „man kann sich gar nicht vorstellen, dass sowas auf den Tisch kommt.“ Warum das nicht kontrolliert werde, will Lanz wissen. Personalmangel, heiße es dann immer, sagt Rininsland.

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Schulleiterin Mächtle hat auf eigene Faust Projekte entwickelt. Eines davon kostete läppische 8000 Euro. Doch die Stadt hat abgewunken. Am Ende wurde es von der BASF gesponsort; man ist dankbar über den größten Arbeitgeber Ludwigshafens. Bleibt abzuwarten, wie lange der Chemieriese noch zur Verfügung steht.

Steffen Burchardt, SPD-Landrat im Jerichower Land (Sachsen-Anhalt), hat Ende 2024 offiziell den Bildungsnotstand ausgerufen. Er bereichert die Runde mit Erlebnissen aus dem harten Alltag eines Politikers. Bildungsmärsche, Vorschläge an die Landesregierung, 1500 offene Lehrerstellen. Er lässt immer mehr Quereinsteiger einstellen, die gar keine pädagogische Ausbildung haben. Und das Bildungssystem in seiner Heimat lebe mittlerweile von Projektfinanzierungen durch den Europäischen Sozialfonds ESF. Oft begrenzt auf zwei Jahre, „und keiner weiß, ob es dann weitergeht“. So wird sich halt durchgewurschtelt.

Ein Land, das keine Rohstoffe hat, dringend ein gutes Bildungssystem braucht und permanent über Fachkräftemangel leidet – „Jeder der diesen Fachkräftemangel beklagt, der kennt anscheinend unser Schulsystem nicht“, sagt Schulleiterin Mächtle.

Für Lanz ist das alles, wie jedes Jahr, mal wieder absolut unglaublich. Er möchte es wie immer „gern verstehen“. 75 Minuten lang, dann gute Nacht und ab zum heute journal.

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Kommentare ( 82 )

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kurowski
1 Monat her

Es gibt nur zwei Wege für erfolgreiche Pädagogik:

Mehr Motivation: Temporär hilfreich. Aber das ist nirgendwo über die gesamte Schulzeit durchhaltbar.
Mehr Zeit mit Bildung verbringen. Also alle Kinder in die Kita, alle Lehrer in die Schule, und zwar ganztägig und ganzjährig und das Ganze kostet gar nichts. Personal ist schließlich schon da. Nur so geht bessere Bildung.

Alles andere ist netter Klimbim
s. Bildungspolitik Niedersachsen

moorwald
1 Monat her

Zu Sieferles bestürzend klarsichtiger Prognose noch ergänzend: G. Heinsohn, Wettkampf um die Klugen. Streng faktenbasiert. Da sieht man, wohin die Reise -nicht nur Deutschlands – geht.

giesemann
1 Monat her

Bildung ist eine Holschuld, Angebote gibt es hierzulande mehr als genug. Auch das Internet muss man nicht nur zum Daddeln benutzen.

Kassandra
1 Monat her
Antworten an  giesemann

Welche mit einem IQ unterhalb von 80, die das Lernen nicht lernen können und quasi, wenn überhaupt, nur praktisch bildbar unter Betreuung zum Arbeiten gebracht werden könnten, sind dazu nicht fähig.
So schlau, hier dauerhaft Gelder abzugreifen, scheinen sie allerdings zu sein – zumal man es ihnen in den Ämtern wohl auch einfach zu machen beliebt.
.
Was aber mit denen, die mit niedrigem IQ oder auch nicht der Schulpflicht entwachsen sind?

Last edited 1 Monat her by Kassandra
Kontra
1 Monat her

Eine Runde von links Radikalen, aka Lehrer, die über Probleme philosophieren, die die von ihnen gewählten Parteien maßgeblich mit geschaffen haben-sensationell!

Karl Renschu
1 Monat her

Das Problem sind nicht die Quereinsteiger. Es ist die moderne Pädagogik.

Wuehlmaus
1 Monat her

Was die Banane auf Ukrainisch heißt ist mir hier ziemlich egal.
Schon seit 2014 weiß man eigentlich, dass die Illegalen wenn sie überhaupt eine Schule besuchen können, ein Mindestniveau vorher nachweißen müssten.
Aber es sind ja nur unsere Kinder, die dann beim Lernen ausgebremst werden.
Bildung wird sowieso überschätzt.

Schwabenwilli
1 Monat her

„. Viele Kinder würden in Stadtvierteln aufwachsen, in denen man problemlos ohne Deutsch durchkommt.“

Das wars dann, zuerst sind es Stadtviertel, dann Städte (siehe England), dann vermutlich Kreise am Ende steht dann sowas Wie Ex-Jugoslawien, wenns gut läuft mit sowas wie Tito, wenn nicht, der Absrieg in die Anarchie.

Kassandra
1 Monat her
Antworten an  Schwabenwilli

Es gibt Beispiele von Ländern, die erobert wurden, wo keine der Indigenen übrig blieben: „Muslims have and still are ethnically cleansing the lands they colonized. Afghans used to be Buddhist. Iraq was Christian. What do you think happened to all the Jews from Yemen, Morocco, Syria, Egypt etc? How did the Hindu population of Pakistan go from 30% to 2% in a generation? https://t.co/JlPDRC0Ywl https://x.com/YasMohammedxx/status/1766386334749360439

Logiker
1 Monat her

Hat man je in den überregionalen Medien (auch den sog. alternativen !!) von den Elternmärschen gehört, von denen der SPD-Politiker aus Sachsne-Anhalt berichtete?

Mehrfach und immer wieder mit mehr als 500 Teilnehmern nur in einer kleinen Kreisstadt?

Kassandra
1 Monat her
Antworten an  Logiker

Bei uns wurde nicht mal in den regionalen Medien auf die Montagsspaziergänge hingewiesen – nicht mal, als da 1000e am Laufen waren.
Nur zu Beginn, da haben sie uns als „rechts“ tituliert – und das sitzt bei Dummen bis heute.

Logiker
1 Monat her

Wenn man gestern – was man allerdings schon vorher wußte – bei Lanz das ganze Elend deutscher Schulen und des Bildungssystems sieht, dann ist jeder Euro und jede Knarre, die von hier in die Ukraine geschickt wird, ein Verbrechen. So, wie jeder zusätzliche und nicht abgeschobene Flüchtling.
Und zwar eines der höchsten Kategorie !

Biskaborn
1 Monat her

Vorweg, ich habe die Sendung nicht gesehen. Offensichtlich wurde die Bildungskatastrophe recht offen angesprochen. Mir fehlt aber, ob die Verursacher dieser unhaltbaren Zustände eindeutig benannt wurden? Klar ist, die AfD, natürlich nicht eingeladen, war es nicht, auch Putin, der Ukraine Krieg und das Klima waren bzw. sind es nicht. Also wer hat das verantwortet, wäre doch eine zuerst zu stellende Frage!