Bei Maischberger: In Sachen „Pandemie“ fahren sie weiter nur auf Sicht

Deutschland hat einen Gesundheitsminister, der sich manisch mit Corona beschäftigt – und nach zwei Jahren trotzdem noch riesige Wissenslücken zum Thema. Das wurde bei „Maischberger“ deutlich. Auch dass anderen Kräften in der Regierung das Vertrauen in Karl Lauterbach ausgeht.

Screenprint: ARD/maischberger

Ging es um die Pandemie-Politik, dann war Kanzlerin Angela Merkel (CDU) immer stolz darauf, dass die nicht schlecht sei. Dafür, dass wir „auf Sicht fahren“. Nach über zwei Jahren wäre allerdings der Zeitpunkt gekommen, Scheinwerfer und Scheibenwischer einzuschalten. Doch die Fahrt auf Sicht geht weiter. Der Gesundheitsminister hat zwar Zeit, Panik vor der „absoluten Killervariante“ zu verbreiten. Aber mit dem Befund, welche Corona-Maßnahme wie geholfen hat, kommt er nicht bei. Sandra Maischberger schafft es, eine gute halbe Stunde über die Pandemie sprechen zu lassen, ohne dass diese fehlende „Evaluierung“ der Maßnahmen überhaupt angesprochen wird. Auch eine Leistung.

Aber immerhin hat die Redaktion mit dem Virologen Hendrik Streeck einen guten Gast eingeladen. Einen, der den Finger in die richtigen Wunden legt. Und das so schmerzhaft, dass ZDF-Aktivist Jan Böhmermann schon öffentlich gefordert hat, Persönlichkeiten wie ihn medial nicht mehr zu Wort kommen zu lassen. Nun sitzt Streeck im Expertenrat der Bundesregierung und im Studio bei Maischberger. Und dort weist er auf die größte Schwäche der deutschen Pandemie-Politik hin: Ihr fehlen die Daten. Sie fährt weiterhin auf Sicht. Freiwillig.

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So hat Großbritannien jüngst eine staatlich unterstützte Studie vorgelegt, nach der 99 Prozent der Bevölkerung Antikörper gegen das Virus entwickelt hätten. Das sei gar nicht mal kompliziert, sagt Streeck. Für die Untersuchung brauche es nur „einen Tropfen Blut“. Doch solche Zahlen hat Deutschland nicht. Offiziell seien bisher 25 Millionen Menschen hierzulande infiziert gewesen. Die Dunkelziffer sei grundsätzlich anderthalb bis vier mal höher. Also müssten wir mit „mindestens 50 Millionen“ immunisierten Menschen rechnen. Vier mal 25 wären 100 Millionen Menschen bei 83 Millionen Einwohnern. Die Chance, dass auch Deutschland unfern von 99 Prozent liegt, ist daher nicht gänzlich unrealistisch. Nur wissen, wissen tun wir das nicht. Der Gesundheitsminister warnt vor „absoluten Killervarianten“, statt transparente Zahlen zu liefern.

Ebenso wenig wie die Zahl der Grundimmunisierten ist laut Streeck bekannt, wie die Impfungen gegen Long Covid wirken – also gegen Langzeitschäden nach einer Covid-Erkrankung. Für den Herbst vorbereitet zu sein, bedeutet für Streeck insgesamt eine bessere Datenlage. Die müsse im Herbst in „digitaler Echtzeit“ möglich sein. Ob er denn wirklich glaube, dass es bis dahin aktuelle, digital verfügbare Daten gebe, fragt Maischberger den Virologen. Fast schon belustigt. Seine Antwort: „Wir haben in den letzten zwei Jahren wenig dazu gemacht.“ Bedeutet also: Nein, er glaubt nicht, dass wir die Daten im Herbst haben.

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In Sachen Zuständigkeit verrät Streeck Spannendes. Wenn auch nur zögerlich. In den Ministerien würde vorbereitet, dass es Studien wie die britische zu Antikörpern auch in Deutschland geben soll. „Ministerien?“, fragt Maischberger nach. Wohlwissend, was die Andeutung Streecks bedeutet: nämlich, dass andere Minister in der Regierung in Sachen Corona nicht mehr alleine auf den vom Thema besessenen Lauterbach vertrauen. Welche es denn seien, fragt Maischberger nach: Es gebe ja noch das Forschungsministerium, berichtet Streeck kleinlaut. Das leitet mit Bettina Stark-Watzinger eine Liberale. Die FDP will Lauterbachs Warnungen vor Killervarianten offensichtlich Zahlen entgegensetzen.

Streeck selbst spricht sich bei Maischberger in entscheidenden Punkten für einen Politikwechsel aus: So fordert er eine andere Teststrategie. Er sei gegen das anlasslose Testen. „Wir können nicht mehr jeder Infektion hinterherlaufen.“ Zwar sei er dafür, die Infrastruktur fürs Testen aufrechtzuerhalten. Aber nur noch für Menschen, die Symptome zeigen. Denn diese seien deutlich ansteckender als Menschen, die keine Symptome zeigen.

Auch ist Streeck gegen einen weiteren Lockdown. Das Erwünschte wie die Vermeidung von Infektionen wiege nicht das Unerwünschte auf, das ein Lockdown anrichte: die Schäden für die wirtschaftliche Existenz vieler Menschen. Vor allem aber auch die psychologischen Erkrankungen, die die bisherige Lockdown-Strategie verursacht hat, wie jüngst die DAK dokumentiert hat.

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Von Schäden betroffen sind auch andere Gäste Maischbergers. Unter anderem der Kabarettist und Theaterbesitzer Urban Priol. Er fordert „Apokalyptiker“ wie den Weltärzte-Chef Frank Ulrich Montgomery auf, auch an die zu denken, die unter den bisherigen Maßnahmen gelitten hätten. Für ihn ist das die Kunstszene. Oder Anita Schedel. Ihr Mann ist im Frühjahr 2020 an Covid-19 verstorben. In Folge der Corona-Politik konnte sie sich nicht von ihrem Mann verabschieden: „Wichtige Rituale des Abschiednehmens“ seien so nicht möglich gewesen und ihr Mann habe den Weg in den Tod alleine gehen müssen. Von der Politik erwarte sie, dass „diese Art von Isolation nicht mehr kommt“.

Schedel selber leidet an Long Covid. Sie habe ihre frühere Sportlichkeit verloren, erzählt sie. Auch leide sie unter dem „chronischen Erschöpfungssyndrom“. Mit Disziplin könne sie aber die Folgen mindern. Streeck weist seine Gastgeberin darauf hin, wie problematisch es sei, wenn das Gespräch von solch einer persönlichen Betroffenheit in einen theoretischen Umgang mit Strategien der Pandemiebekämpfung wechsele.

Damit trifft Streeck einen Punkt. Schedels Schicksal emotionalisiert. Grundsätzlich. Auch wenn sie selbst streng sachlich auftritt. Was Streeck wiederum ermöglicht, sachliche Forderungen aufzustellen wie eine andere Teststrategie. Es war aber eben nicht die Redaktion, die ihm den Weg dahin geebnet hat. Zusammen mit dem Versagen beim Thema Evaluierung der Maßnahmen zeigt „Maischberger“ so, dass Medien auf der Corona-Fahrt oft genug eher der Nebel als der Scheinwerfer sind.



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Kommentare ( 24 )

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Teiresias
1 Jahr her

Die fahren doch nicht „auf Sicht“ – mit der Verweigerung der Evaluierung fährt die Koalition einen vorsätzlichen Blindkurs. Nur so kann der Betrug weitergehen („Inzidenzzahlen“ statt seriöser Kohortenstudien z.B.).

Sie wollen die Corona-Schikanen („Maßnahmen“ genannt), sie wollen die Inflation, wir sollen frieren für die Ukraine, verarmen für das Klima, der Untertan soll sich in einem Multifrontenkrieg wiederfinden, daß er nicht weiß, wo ihm der Kopf steht und in seiner Überforderung am Ende die neue Weltordnung, den „Great Reset“ oder wie auch immer man es nennen will, resignierend akzeptiert.

John Farson
1 Jahr her

Ich würde noch eine, respektive zwei weitere Maßnahmen hinzufügen, da ich felsenfest überzeugt bin, dass man einen wirtschaftlichen Crash herbeiführen möchte, um danach auf digitales Geld ö.ä. umzustellen. Weiterhin bekämpfen Regierung und EUkratie den Verbrennungsmotor, wobei das eigentliche Ziel der Individualverkehr sein dürfte. Nimmt man dem Plebs die Mobilität ist bereits viel gewonnen. Er kann sich dann viel schlechter organisieren und ist abhängig von öffentlichen Verkehrsmitteln. Man stelle sich große Demonstrationen vor, wo dann plötzlich die Züge ausfallen – rein zufällig natürlich. Oder man macht es, wie in China, wo die Bürger sich einscannen müssen, um bestimmte Gebäude überhaupt betreten… Mehr

Last edited 1 Jahr her by John Farson
Kassandra
1 Jahr her
Antworten an  John Farson

Nur: wenn ihnen der Strom ausgeht, kann das alles nicht gelingen. Außer sie spekulieren tatsächlich auf weniger Menschen, die Strom verbrauchen – und nur damit ausreichende „Erneuerbare“.

RMPetersen
1 Jahr her

Früher, so zweite Hälfte der 90er, war Frau Maischberger eine selbstdenkende Moderatorin, immer links-grün und etwas blindaktiv-eingagiert für das Ökologische und das Soziale, aber immerhin diskussionsbereit. Sie konnte zuhören und verstehen.

Waehler 21
1 Jahr her

„Nun sitzt Streeck im Expertenrat der Bundesregierung und im Studio bei Maischberger“! Offensichtlich funktioniert doch noch etwas, oder warum konnte Herr Lauterbach und Herr „Bödefleld“ es nicht verhindern. Dank an Herrn Scholz!. Der Aussage der Kanzlerin es wird auf Sicht gefahren stimme ich aber nicht zu , eher nach Gehör- wenn´s kracht noch einen Meter oder zwei!  Dass manche Politiker gerne den Bürger mit Volkszählungen bis auf die Unterhose durchleuchten und bei Richtungsentscheidungen eben diese Akribie vermissen lassen hat, einen einfachen Grund. Man könnte dann im Nachhinein jede getroffene Maßnahme auf ihre Sinnhaftigkeit überprüfen. Wer will das schon als Politiker?… Mehr

Kontra
1 Jahr her

Man könne gar keinen Terroranschlag in dem Opel Corsa seiner Schwester verüben, dazu braucht es mindestens einen geliehenen Kleinlieferwagen! RUMS! Das durchaus wissenswerte Detail erfuhr man im ZeeDeeEff heute journal – interessant!

Jan
1 Jahr her

Seit Mitte März 2020 hat es keinen Zeitpunkt mehr gegeben, an welchem die Bundesregierung, egal ob unter Merkel oder Scholz, irgendein Interesse am Ausstieg aus der sogenannten Pandemie gehabt hätte. Im Gegenteil: Verzweifelt sucht man nach Gründen, um das ganze Ding endlos am Laufen zu halten. Es geht nur um drei Dinge: Maßnahmen, Impfen und Kontrolle – um ihrer selbst Willen. Sie sind längst zum eigentlichen Zweck der Pandemiepolitik geworden. Um Gesundheitsschutz geht es schon lange nicht mehr, das ist nur vorgeschoben.

Pe Ro
1 Jahr her

Jetzt verstehe ich. Blinde fahren auf Sicht, das erklärt alles.

Bob Hoop
1 Jahr her

Hendrik Streek war seit Beginn der „Pandemie“ eine Stimme der Vernunft, auch wenn er mit angezogener Handbremse fahren musste, um überhaupt noch öffentlich zu Wort kommen zu dürfen. Leider nützt das nichts, wenn die Mehrheit der Bürger und die gesamte Wirtschaft, die wirren Ideen eines Geisteskranken und das Abkassieren eines profitgeilen Medizin- und Pharma-Komplexes, voll unterstützen. Die Massenmedien haben den, durch Dauerpropaganda und Einschüchterungstaktik, intellektuell gedämpften Bürger fest in der Hand. Dieser ferngesteuerte Homo funktionalis willigt inzwischen sogar gehorsam in seinen eigenen Untergang ein. Da hilft auch keine andere Teststrategie. Da hilft nur ein Wunder.

Last edited 1 Jahr her by Bob Hoop
Biskaborn
1 Jahr her

Ich vermute Böhmermann wird nun einen weiteren Versuch starten Streeck zu diskreditieren und aus der öffentlichen Diskussion zu verbannen. Wetten, das ZDF knickt ein? Ansonsten wird kein Weg an neuerlichen harten Corona-Maßnahmen vorbeiführen, die Lobby der Corona Hardliner, einschließlich großer Teile der Bevölkerung, ist viel zu mächtig als das die Vernünftigen hier irgend etwas positives bewegen könnten. Auch die FDP wird sich dem kommenden Corona Diktat widerstandslos unterwerfen!

olive
1 Jahr her

Der vierte Teil Prof.Dr.Dr. M.Haditschs „Suche nach der Wahrheit“ ist da. Sehr empfehlenswert. Servus Mediathek.