Anne Will klagt, warum passiert nicht, was die Kanzlerin binnen zweier Wochen versprach

Noch nie hat eine Talkrunde so viele ratlose und sogar verzweifelte Zuschauer zurückgelassen: Die Regeln unserer Demokratie sind schuld, dass die Regierung die Corona-Pandemie nicht ausreichend bekämpfen kann.

Screenprint ARD / Anne Will

„Anne Will“ gelang gestern Abend eine Premiere in der langen Geschichte der Talkshows im deutschen Fernsehen. Keine Gesprächsrunde dieser Art dürfte je so viele ratlose und sogar verzweifelte Zuschauer zurückgelassen haben. Denn die Erkenntnis, die blieb, war so einfach wie bestürzend: Die Regeln unserer Demokratie sind schuld, dass die Regierung die Corona-Pandemie nicht ausreichend bekämpfen kann, und zweitens, wie der Kölner Intensivmediziner Michael Haller die unmittelbar bevorstehende Apokalypse der Triage ankündigte, „Es ist 5 nach 12 auf den Intensivstationen. Zwei Drittel aller Krankenhäuser in Deutschland seien bereits an der Belastungsgrenze.“

Provoziert hatte das Ganze die Gastgeberin selbst, in dem sie eine völlig inhaltsleere Frage stellte, die wahrscheinlich nur sie selbst als bemerkenswert journalistisch empfand. Mit ernster Miene und deutlich erhobener Stimme klagte sie in die Runde, dass die Kanzlerin kürzlich in ihrer Sendung durchgreifende Maßnahmen innerhalb von zwei Wochen versprochen habe, aber bis heute nichts geschehen sei.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Ungeachtet der sachlichen Hinweise Peter Altmaiers, das doch ein Gesetz auf den Weg gebracht worden sei, aber der demokratische Rechtsstaat sich Regeln gegeben habe, die eben nun mal einzuhalten seien, insistierte Will weiter – vergleichbar einem Kleinkind, das unbedingt Schlittschuhlaufen möchte, obwohl der See nicht zugefroren ist. In den darauffolgenden Minuten des Streits um des Kaisers neue Kleider ging wertvolle Sendezeit verloren. Der Talk nahm streckenweise infantile Züge an. Vielleicht sollte man „Anne Will“ demnächst im Satire-Teil des Programms am frühen Nachmittag unterbringen.

Wären nicht der Parteichef der FDP, Christian Lindner, aber auch der Berliner Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) in der Runde vertreten gewesen, wäre ein Zurück zum eigentlichen Sachthema, wie weiter in der Corona-Politik, vielleicht gar nicht mehr möglich gewesen. Authentisch und nachvollziehbar schilderte Berlins Bürgermeister, wie kompliziert die Lage in seiner Millionenstadt sei, und letztlich keine Entscheidung für sich allein nur richtig sein könne. Da seien die Schüler des 7. bis 9. Jahrgangs, die seit vier Monaten keinen Tag Schule besucht haben, und zugleich aber einen Anspruch auf Unterricht haben. Nun wisse man aber auch, dass gerade in letzter Zeit die Schulen als Träger der Infektion hervorgetreten seien. Auch könne man doch nicht einem Menschen, der nach einem langen Arbeitstag nach Hause kommt und sich auf eine abendliche Stunde Joggen freut, ihm diese verbieten. Auch sei doch dem älteren Ehepaar im Rentenalter nicht verständlich zu machen, warum der abendliche Spaziergang zu zweit nicht mehr möglich sein kann. Es drohe die Gefahr, dass die Menschen einfach nicht mehr mitmachen.

Junge Leute im Stich gelassen
Offene Pubs in Großbritannien, ewige Tristesse in Deutschland
Den eigentlichen Grund für diese Entwicklung, sagte Müller freilich nicht. Die endlose Kette von Pleiten, Pech und Pannen hat das Vertrauen in die politisch Verantwortlichen so tief erschüttert, dass man ihnen gar nichts mehr abnimmt, schlimmer noch, sie als komplett inkompetent empfindet. Niemand mahnte in der Runde eine Kommunikationsstrategie an, die an die Stelle des Obrigkeitsgehabes speziell aus dem Kanzleramt treten muss. Lindner wies darauf hinwies, dass die massiven Eingriffe in Grundrechte, bis hin zu Ausgangssperren, nicht etwas seien, was man eben mal so nebenbei anordnen könnte, sondern die Substanz unserer Wertordnung berührten. Dankenswerterweise erinnerte er daran, dass bereits mehrere Verwaltungsgerichte entsprechende Beschlüsse wieder aufgehoben hätten und die jetzt beabsichtigte Gesetzgebung diese Klagemöglichkeit schlicht abschaffe.

Dann wurde es noch einmal heftig. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Deutschen Bundestag, Katrin Göring-Eckhardt, forderte im schrillen Zweiklang mit Frau Amann vom „Spiegel“, dass doch endlich die Betriebe in Deutschland ihre Produktion einstellen müssten. Wenn es sein müsse, dann eben auch durch staatliche Anweisung.

Entscheidung über die Freiheit
Das Grundgesetz – Papier ohne Wert?
Hier fühlte man sich automatisch an einen spöttischen Slogan während der Debatte über die Nutzung der Kernkraft in den 70ern erinnert, der da lautete: „Wir brauchen keine Kraftwerke, bei uns kommt der Strom aus der Steckdose“. Ob sich die Grünen und ihre Follower in den Redaktionsstuben dieses Landes wirklich noch nie gefragt haben, wer das ganze schöne Geld erwirtschaftet, mit dem unser Staat so viel Nützliches aber auch viel Firlefanz veranstaltet? Wenn der Export nicht mehr läuft, ist Deutschland nicht nur arm dran, sondern dann ist der Arm ganz ab.

Zwei existentielle Fragen dürften dem deutschen Michel in der vergangenen Nacht das Schlafen vergällt haben. Was ist bloß, wenn ich nächste Woche krank werde? Zweitens, wie werden wir bloß die demokratischen Hürden los, die unsere Regierung am Handeln hindern? Vorschläge zur Güte: Wo bleibt der Aktionsplan, die nötigen zusätzlichen Intensivbetten-Kapazitäten plus Personal schnellstens bereitzustellen, wenn überhaupt dieser Gedanke je in den Köpfen war? Dann schlage ich vor, dass die Kanzlerin noch in dieser Woche einen Angriff außerirdischer Heerscharen aus dem All ankündigt, was zweifellos dem Kriegsfall entspräche und Frau Merkel höchstpersönlich alles Nötige auf dem Kommandoweg veranlassen könnte. Vielleicht hat Angela Merkel ja wirklich solche Träume, aber die DDR kommt selbst beim schlechtesten Willen nicht wieder – Gottseidank!

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 120 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

120 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
niezeit
2 Jahre her

Die Mainstream-Journalisten, Frau Will voran, haben sich vor einigen Jahren entschlossen, den Weg der neutralen Beobachter (sog. Vierte Gewalt) zu verlassen und sich zu Ursupatoren aufzuschwingen. Damit begeben sie sich zwangsläufig in die Unwägbarkeiten und Risiken von Macht. Das heißt, dass sie bei Verlust derselben auch zur Verantwortung gezogen und unterdrückt werden können. Das lehrt die Geschichte. Wer die Aussicht der Machtergreifung hat, ist sich dessen oft nicht bewusst.

heinrich-behrens
2 Jahre her
Antworten an  niezeit

die haben sich entschlossen mit wenig Arbeit sicher Millionen zu verdienen. Banal einfach. Und charakterlosen Menschen ist es dabei egal was sie für einen Schaden anrichten.

Sonny
2 Jahre her

„…aber die DDR kommt selbst beim schlechtesten Willen nicht wieder – Gottseidank!“
Gestatten Sie, dass ich lache. Denn ich glaube, dass Sie sich irren.

heinrich-behrens
2 Jahre her
Antworten an  Sonny

Warum? Stimmt doch. In der DDR wars fröhlicher und sicherer. Und das wird erstmal lange Zeit nicht wieder kommen 🙂

Rasio Brelugi
2 Jahre her

Ach, hätten wir es also mal wieder geschafft. Jetzt sind wir also wieder bei: Die Demokratie ist zu schwach, wenn es darum geht, ernste Probleme zu lösen. Hatten wir doch schon zu Ende der Weimarer Republik. Da haben dann alle Nicht- und Schein-Demokraten auf die noch ach so junge Demokratie eingeprügelt – bis sie dann dahin war. Jetzt wäre es dann also mal wieder soweit. Wo doch die Kanzlerin vor zwei Wochen bei der Will schon „gemahnt“ hatte, sie werde jetzt nicht tatenlos zusehen. Ogottogottogottogott! Alles, was Merkel will, ist, den ultimativen Lockdown, die ultimative Beschneidung von Grundrechten durchziehen, bevor… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Rasio Brelugi
Edu
2 Jahre her

„endlich die Betriebe in Deutschland ihre Produktion einstellen müssten“ ok, eine sehr inntelligente Analyse. Fangen wir mit der bösen Pharmaindustrie an. Putin liefert uns sicherlich genügend Sputnik. Masken und Desinfektionsmittel waren auch nicht notwendig, solange China keine liefern wollte. Daran kann man erkennen, KGE war schließlich geraume Zeit auf der Uni – Studierende heißt das jetzt – ob sie es getanhat? . sicherlich angestrengt versucht dürfte sie es doch haben. Könnte im Herbst dann bei Annalena Minischter – in/dw für Bildung und Wissenschaft werden oder den dicken Saarländer beerben (wegen Betriebeschließung und so) Selten so einen unreflektierten Mist gehört. zum… Mehr

handwerk
2 Jahre her

BLINDFLUG – alle Maßnahmen von einer Merkelregierung in der Corona Epidemie !!!!!

Deutscher
2 Jahre her

„Zwei Drittel aller Krankenhäuser in Deutschland seien bereits an der Belastungsgrenze.“ Das sind sie doch dauernd, seit der rote Gerd mit dem grünen Joschka zusammen dem Gesundheitswesen die neoliberale Maxime (nicht Marxime) vom Profitzwang als „Arznei“ verabreicht hat. So, what? „Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Deutschen Bundestag, Katrin Göring-Eckhardt, forderte im schrillen Zweiklang mit Frau Amann vom „Spiegel“, dass doch endlich die Betriebe in Deutschland ihre Produktion einstellen müssten. Wenn es sein müsse, dann eben auch durch staatliche Anweisung.“ Das ist der ultimative Traum der Grünen und linksgrünen Journalisten: Produktion einstellen! Alle Räder stehen still, weil mein grünes Hirn das… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Deutscher
Ernst-Moritz Arndt
2 Jahre her

Vielleicht hat Angela Merkel ja wirklich solche Träume, aber die DDR kommt selbst beim schlechtesten Willen nicht wieder – Gottseidank!“
Nein Georg, bist du blind? Die DDR ist doch bereits wieder zum Leben erwacht – oder träume ich nur?

Andreas aus E.
2 Jahre her

Eben wieder einen erwischt, wohl Rentner, in seinem Elektromobil – ohne Maske!
Sogleich herbeigerufene Polizei wird den wohl haben erschießen müssen, bin gleich weiter zum Hochhaus Straße weiter, wo im Fahrstuhl einer Maskenabstand nicht eingehalten hatte.
Man hat viel zu tun diese Tage, als Bürgerhilfspolizist, bis auch letzter Covidiot erwischt worden sein wird!
Man sollte Ehrenamtliche mit Impfpistolen ausstatten, um Verdachtsfälle unbürokratisch unschädlich machen zu konnen.

Last edited 2 Jahre her by Andreas aus E.
Kuestensegler
2 Jahre her

„Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Deutschen Bundestag, Katrin Göring-Eckhardt, forderte im schrillen Zweiklang mit Frau Amann vom „Spiegel“, dass doch endlich die Betriebe in Deutschland ihre Produktion einstellen müssten.“ – Den Damen kann geholfen werden. Als erstes kann die SPIEGEL Druckerei geschlossen werden. Danach können alle Bundestagsabgeordneten auf 50% ihrer Bezüge verzichten.

Ernst-Moritz Arndt
2 Jahre her
Antworten an  Kuestensegler

Das ist Gleichmacherei. Was können die von der AfD für die Dummheit der anderen?

Thomas Grote
2 Jahre her

Was ein unfassbarer Unfug! Jeder, der klar denken kann weiss mittlerweile, daß Daten zu Infektions- und Todeszahlen absichtlich falsch abgegrenzt interpretiert werden. Und zwar von denselben Gestalten, die da so einen Verfassungsverrat herbeigeredet haben. Mit Altmaier im Merkelauftrag. Jetzt muß man nur noch Eins und Eins zusammenzählen.