»Was denken Krähen, wenn sie andere Vögel singen hören?«

Krähen begleiten die Geschichte der Menschheit von der Urzeit bis heute. Sie sind klug, erkennen unsere Gesichter und studieren unser Verhalten, während sie Gegenstand unserer Mythen und Märchen wurden. Monika Maron erzählt von der Faszination für die Rabenvögel und bedenkt das Verhältnis von Mensch und Tier

Eine ältere Dame, schwarz gekleidet, begleitet von einem kleinen, Hund schwer definierbarer Rasse mit krummen Beinen geht langsam durch Berlin; über Straßen und durch einen kleinen Park. Sie wird geradezu verfolgt von einem Schwarm Krähen. Die schwarzen Vögel folgen ihr, tippeln vor ihr, zanken um Futter, das sie ihnen gelegentlich zuwirft. Während die Dame sich den Vögeln zuwendet, ist der Hund davon sichtlich eingeschüchtert.

Das ist, von außen betrachtet, die neu erschiene Erzählung »Krähengekrächz« von Monika Maron. Das Bild wirkt düster. Monika Maron läßt uns damit ein wenig in ihr Inneres schauen. Immer war sie eine präzise Beobachterin, die die Zeitläufte beschrieben hat. Jetzt kann man verfolgen, wie sie sich ihrem Sujet nähert, die Krähen nicht nur beobachtet, sondern die Literatur über sie durchforscht, die Mythen, Märchen und Sagen und Wissenschaften.

Die schwarzen Vögel sind vielfach präsent; hat man das »Krähengekrächz« gelesen, sieht man sie überall. Maron ist nicht zimperlich; die Krähen sind grausam, sie haben die Grausamkeit der Menschen genau beobachtet und ihre Leichen gefleddert. Sie sind klug und gerissen, sie gelten als höchst gelehrig und intelligent.

Tichys Lieblingsbuch der Woche
Zwischen Hund und Mensch geht es um das Elementare
Man sieht in den Schilderungen Marons ihr literarisches Sujet gedanklich wachsen, kann an den Krähen verfolgen, wie bei Ihr Text und Buch entstehen. Aufmerksam verfolgt sie den Flug und die Spur ihres Gegenstands und reiht Assoziationen, Geschichten und Beobachtungen aneinander.

Doch warum Krähen?

»Es ist schon länger her, dass ich in der Zeitung gelesen habe, Krähen könnten menschliche Gesichter erkennen. Später las ich, dass sie sich selbst im Spiegel erkennen und einen roten Fleck, den man ihnen aufs Gefieder geklebt hatte, als Fremdkörper identifizieren können und obendrein entfernen, und zwar an sich selbst, ohne auch nur den irrigen Versuch zu unternehmen, das Spiegelbild zu säubern. Noch später las ich, dass sie Nüsse auf die Fahrbahn legen, um sie von Autos knacken zu lassen. Außerdem habe ich selbst beobachtet, wie mein Hund nach einigen Versuchen, die Krähen, von denen es in unseren Straßen unzählige gibt, aufzuscheuchen, als wären sie schreckhafte Spatzenschwärme, von ihnen so demütigend gefoppt wurde, dass er seitdem ihre Nähe respektvoll ignoriert, auch wenn eine von ihnen dicht vor ihm herumhüpft. Er weiß, dass sie, würde er losspringen, auf den kleinen Zaun vom Spielplatz fliegen würde und von da, versuchte er, ihr zu folgen, auf den unteren Ast der Kastanie und ihm dann, während er, um wenigstens einen kleinen Sieg zu erringen, den Stamm der Kastanie anpinkelt, mit höhnischem Krächzen scharf über den Kopf fliegen würde.

Aber erst als ich las, dass die Krähen den Menschen seit Anbeginn begleiten, dass sie seine ersten Schritte im aufrechten Gang gesehen, seine ersten artikulierten Laute gehört haben, alle seine Kriege erlebt und von seinen Leichenfeldern gelebt haben, dass sie Toten- und Galgenvögel genannt wurden, weil sie überall auftauchten, wo die Menschen ihre Opfer hinterlassen hatten, erst als ich mir das vorstellte, begannen sich die Krähen aus meiner Straße in mein nächstes Buch zu drängen.«

Es ist auch ein spätes Werk; die Autorin beginnt sich von der Welt der Menschen abzuwenden, blickt nach Innen, beobachtet ihre Umwelt und die Mitbewohner distanzierter, als gelte es darüber nachzudenken, was man mitnimmt. Die Krähen mit ihren klugen schwarzen Augen und dem unkontrollierbaren Gehabe, ihr leichtes Kommen und plötzliches Davongeflatter ist wie die Vorwegnahme der eigenen Losgelöstheit von der irdischen Schwere und Bestimmtheit.

Es ist ein schmales Bändchen, man kann es unbeschwert in der Jackett-Tasche mit sich tragen und langsam Wort für Wort genießen, auf wenigen Seiten, in überschaubarer Lesezeit, nichts drängt, kein Cliffhanger treibt, die Lektüre ist mühelos. Überdies ist es elegant gestaltet, wie aus jener Zeit stammend, in der das Büchermachen noch eine Kunst war und die Frage nach dem angemessenen Papier von Bücherliebhabern entschieden wurde und nicht von den Controllern in leserfernen Konzernzentralen hinter Bildschirmen. So passen Form und Inhalt  perfekt zueinander.

Monika Maron, Krähengekrächz. Erzählung. Hoffmann und Campe, Hardcover, 64 Seiten, 15,00 €.


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Kommentare ( 7 )

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Nibelung
1 Jahr her

Tiere sind uns ebenbürdig, weil wir alle aus der gleichen Ursuppe kommen und uns nur marginal unterscheiden. Tiere sähen nicht und ernten dennoch und durchleben je nach Art das gleiche Leben wie wir, während wir im Gegensatz zu ihnen noch in der Lage sind uns Krücken jeglicher Art fürs Überleben zu bauen, was aber am Ende auch nichts hilft und wir nach Ablauf des Zyklusses genauso verwelken wie sie, ob nackt und bloß oder mit Armani-Anzug, das spielt keine Rolle und meinen dabei noch, wir seien die Krone der Schöpfung. Die Lebenswelt zu erfahren ist auch für Tiere eminent, wobei… Mehr

KorneliaJuliaKoehler
1 Jahr her

Rabenvögel sind an sich wirklich faszinierende und mutige Geschöpfe. Nur wenn sie in großen Kolonien nahe an den Wohngebieten brüten, werden sie zur schlimmen aggressiven Plage, Oder sollte man vielleicht
sagen, dass die Wohngebiete zu nahe an die Brutgebiete gebaut wurden? Wie dem auch sei, diese Vögel sind Meister der
Anpassung an Klima und Umwelt und erobern sich mit ihrer Intelligenz und Wehrhaftigkeit ihre Lebensräume.

K. Sander
1 Jahr her

In den 1960er Jahren hatten wir auch mal einen Raben. Anfangs war der noch in einem Ei. Weil dort das Dach umgebaut wurde, hatte dieses schon etwas kaputte Ei uns jemand mitgebracht. Wir haben die Schalen zerlegt und der Rabe wurde immer größer. Wir hatten ihm auch eine „Wohnung“ in der Garage gebaut. Der durfte dort auch immer freiwillig raus und war öfter auch in unserer Wohnung. Der Rabe hat uns immer zugehört und das danach gesprochen. Das war keine verzerrte Stimme wie bei Papageien sondern klang richtig echt. Als Kinder waren wir auch täglich lange auf dem Hinterhof. Mittags… Mehr

j.heller
1 Jahr her

Wenn die einen Singvogel hören, überlegen sie, ob sie den zu Tode hacken und fressen können. Was sie mit Jungvögeln bei jeder Gelegenheit tun, oder mit jungen Eichhörnchen.
Die Mistviecher vermehren sich derzeit wie Ratten, machen Lärmterror mit ihren Nistplätzen in Wohngegenden und profitieren wie die Nilgänse vom woken, aggressiv-sentimentalen Zeitgeist, der aber auch alles unter Schutz stellt. Außer dem was Schutz braucht, nämlich die Nicht-Aggressiven.
Nur weil Krähen Schläue besitzen, sind sie noch lange nicht sympathisch und „menschlich“ im Sinne von „human“.

Alte weise Frau
1 Jahr her

Als Liebhaberin der Krähenvögel danke ich Ihnen für diese Buchinspiration, Herr Tichy. Werde es sofort bestellen.

Deutscher
1 Jahr her

Auch in unserer indigenen Mythologie kommt den Rabenvögeln eine gewichtige Rolle zu: Odins Raben, Hugin und Munin, fliegen täglich in die Welt hinaus, um ihm dann, auf seinen Schultern sitzend, zu berichten, was sie gesehen.

Last edited 1 Jahr her by Deutscher
mitdenkerin
1 Jahr her

Lieber Herr Tichy,
Sie sind selbst ein Poet. Ihre gute Seele muss schreiben und ich bin dankbar, dass ich Ihre Gedanken lesen darf. Manchmal darf ich daran wachsen, manchmal mich nicht allein fühlen, oft heiter und fröhlich durch den Tag gehen.
Die Welt wäre ärmer ohne Sie (und Ihr Team). Danke.
Bleiben Sie behütet!