»Trau nur der Statistik, die du selbst gefälscht hast«

Wer Krämer gelesen hat, dem kann kein Bertelsmann mehr eine Studie verkaufen. Denn die politisch maßgeblichen, in den Redaktionen bejubelten Untersuchungen folgen in aller Regel dem alten Prinzip: Frage Unsinn und Du erhältst unsinnige Antworten.

Wir leben in einer Diktatur der Zahlen. Die Inzidenz wird zur Maßzahl, an der unser Leben hängt: 50, 35 oder doch besser Null? Seit über einem Jahr schauen wir bang auf die Entwicklung von Ansteckungen, Letalität, Mobilität, Anzahl von Tests, Auslastung von Intensivstationen. Müssen wir im Käfig bleiben oder gibt es gelegentlich Freigang? Darüber entscheidet die regierungsamtliche Statistik.

Mittlerweile wissen wir: Viele der Zahlen stimmen nicht, und die, die stimmen, sagen nichts aus. Die Anzahl der Infizierten steigt, weil mehr getestet oder im Testlabor ein Gang hochgeschaltet wird, um die allerallerallerkleinsten Spuren eines Miniminiminibruchteils des Virus zu entdecken. »Flatten the curve« war ein nachvollziehbares Konzept – das bloß irgendwie verloren ging. Eine einzige Zahl beherrscht uns. Die Inzidenz. Zu diesem Zeitpunkt kommt die Neuausgabe des Klassikers von Walter Krämer gerade recht.

Der Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik erklärt, was Statistik nicht erklärt, sondern wie mit ihr gelogen, geschummelt, Politik gemacht wird. Was dieses Werk so faszinierend macht: Krämer braucht keine Zahlen, man kann das Buch sogar nachvollziehen, ohne der Addition, der Bruchrechnung oder des Dreisatzes mächtig zu sein. Denn rechnerisch, das ist das Verblüffende bei Krämer, rein rechnerisch stimmen Statistiken immer (jedenfalls in den meisten Fällen) – und trotzdem sind sie oft entweder purer Unsinn oder absichtsvolle Manipulation.

Was man von Krämer lernt, ist eine Statistik zu lesen. Wonach wird gefragt – und ist es sinnvoll? Ist die Betrachtung einer steigenden Inzidenz (siehe oben) sinnvoll, wenn die Anzahl der Tests steigt? Und was folgt daraus, wenn die Ansteckung nur im Promillebereich zur Erkrankung führt? Wenn die Krankheit in Altenheimen und bei über 80-jährigen tödlich wirkt, nicht aber in Schulen und Kitas: Warum werden dann die letzteren zugesperrt und in vielen Altenheimen dem Virus die Türen geöffnet?

Statistik in der Corona-Pandemie
Die überschätzte Übersterblichkeit
Wer Krämer gelesen hat, dem kann kein Bertelsmann mehr eine Studie verkaufen. Denn die politisch maßgeblichen, in den Redaktionen bejubelten Untersuchungen folgen in aller Regel dem alten Prinzip: Frage Unsinn und Du erhältst unsinnige Antworten. Falsche Fragestellungen können keine klugen Erkenntnisse erzeugen. Hinterfrage nicht die Prozentzahlen (die sind des Unsinns Ergebnis), sondern schaue Dir die Fragestellung an; wer wird da befragt, von wem und mit welcher erkennbaren Absicht?

Viele Beispiele erläutern dies: Der Hund liegt in der Fragestellung begraben, oder bei der Auswahl der Befragten, oder in dem, was erfragt wird – und das hat nur selten etwas mit dem zu tun hat, was in der Überschrift und der medial mundgerechten Zusammenfassung steht.

Natürlich ist Statistik eine hohe Kunst, mit der das Ungewisse vermessen werden kann. Doch im Alltag werden wir mit Fake-Statistik zugeschüttet. Statistik als Lügerei geht aber natürlich auch andersherum. Wenn eine Aussage nicht widerlegt werden kann – dann muss das Gefühl her.

Cora Stephan hat dazu einen fröhlichen Abschnitt in ihrem neuesten Buch Lob des Normalen geschrieben, der die Umkehrung zeigt, die vorgenommen wird, wenn Statistik in sich stimmige aber ungeliebte Ergebnisse zeugt:

»Als Thilo Sarrazin vor über zehn Jahren seinen millionenfach verkauften Bestseller Deutschland schafft sich ab veröffentlichte, war das (…) der Tenor seiner Kritiker: ›Zahlengläubig‹, ›gefühlskalt‹ und ›menschlich schäbig‹ nannte ihn Renate Künast in der Talkshow Beckmann. Aygül Özkan, muslimische Sozialministerin aus Niedersachsen, verkündete ebendort, sie brauche ›keine Statistiken und Analysen‹, da sie ihre Migranten ja kenne. Michel Friedman sprach (in der Sendung Hart aber fair am 1.9.2010 – Anm. d. Red.) sogar von ›Gewalt‹, das Buch reduziere ›Menschen auf Zahlen‹, man müsse ›ein Leben‹ gegen die Statistik setzen. Eine Journalistin krönte die Debatte mit dem Wort ›Zahlen-Kot‹. Deutlicher kann man wohl kaum sagen, was man von belegbaren Evidenzen hält, von Zahlen und Daten…«

Eine Zahl wirkt so ehern – und ist so weich, so biegsam, so anschmiegsam an jedes Lügenwort.

Für mich als Journalist war Krämers Buch der Weckruf, den man gelegentlich in seiner Selbstgewissheit braucht: Natürlich habe ich doch, ach!, Statistikschein I und II vollbracht … also alles gewusst, aber es war mir nicht (mehr) bewusst.

Wer Krämer gelesen hat, geht kritischer durch die Welt und schaut Medien kritischer auf die Finger. Das macht Krämer gefährlich, sein Buch so subversiv. Und damit zur Pflichtlektüre.

Walter Krämer, So lügt man mit Statistik. Aktualisierte und neu gestaltete Neuausgabe. Campus Verlag, 208 Seiten, 19,99 €


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Kommentare ( 34 )

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Waehler 21
2 Jahre her

Die grammatische Steigerungsform von Statistik lautet: Lüge, gemeine Lüge, STATISTIK.
Es ist bedauerlich, dass ein Gesundheitsminister die vorliegenden Erkenntnisse nicht aufbereitet dem Wähler vorlegt, sondern nur von „gut unterrichteten Journalisten“ nach deren „Bauchempfinden“ verbreiten läßt.
Steigerungsform von bedauerlich? Frechheit!

Monika Medel
2 Jahre her

Es wird systematische Irreführung betrieben. Bei meinem Nachbarn wurde gestern am Haus ein Gerüst aufgebaut, die Arbeiter ließen nebenher ihr Radio laufen. Ziemlich laut, ich bekam einiges mit. Zwischen Wumwum und deutschem Schlager ständig eine schrille Frauenstimme: „Der Inzidenzwert steigt! Die Zahl der Infizierten steigt! Die dritte Welle rollt!“ Kein Wort von sinkender Patientenzahl auf den Intensivstationen, nichts von der sinkenden Zahl von Todesfällen. Die Arbeiter schienen es gelassen zu nehmen – keine Masken. Aber es gibt genug Leute die sich da in Hysterie treiben lassen.

Oliver Koenig
3 Jahre her

Der Generation Twitter und Co, deren Aufmerksamsspanne maximal 30 Sekunden beträgt und deren Textverständnis 200 Zeichen nicht übersteigt, braucht man jetzt und in Zukunft nicht mit Büchern zu kommen.

Last edited 3 Jahre her by Oliver Koenig
Riffelblech
3 Jahre her

Um also mal auf‘ s richtige Leben zu kommen : Der Enkel ,11.Klasse wird wegen eines Kontaktes zu einem Mitschüler ohne Testung irgendwelcher Art 14 Tage ins Haus verbannt . (Früher Stubenarrest . ) Mitschüler 1 mal positiv getestet ,Nachtestung abgelehnt . Beschwerdefrei ! Nachfrage beim Gesundheitsamt : Testung des Enkels notwendig : nein Was ist also der Grund ,was der Anlass hier solche völlig schwachsinnigen Maßnahmen zu verhängen. Offensichtlich sind die GÄ vom kollektiven Irrsinn befallen ,Gesunde wegzusperren , Nichtkranke wegen fragwürdiger Tests zu Kranken zu erklären ,obwohl sie nix haben . Aber die total Irren sind wohl doch… Mehr

andreask90
3 Jahre her
Antworten an  Riffelblech

Dazu passend:
Unter Trump galt als Corona-Infizierter, wer EINEN positiven PCR-Test hatte. Die Zahlen waren hoch.
Unter Biden gilt jetzt, wer ZWEI positive PCR-Tests hat UND Symptome zeigt.
Die Zahlen Infizierter gehen in den Keller.
Liegt wohl daran, dass Biden der „Erfinder“ der Impfstoffe ist, obwohl sie bereit unter Trump verabreicht wurden.

Karstenholm7
2 Jahre her
Antworten an  Riffelblech

Kennen wir auch. Habe meine Frau vom Flughafen abgeholt, sie kam aus „Hochrisiko Gebiet“… Beim Gesundheitsamt angerufen was nun passieren soll, ja die Frau in die Heimquarantäne und was wird aus mir?? Nichts! Ich kann wieder zur Arbeit gehen. War doch aber 4 Stunden mit dem Seuchenvogel im Auto unterwegs, ja nee macht nichts, wieder zur Arbeit gehen.

Michaelis
3 Jahre her

Jeder, der mal mit Statistik in Berührung gekommen ist oder mit ihr gearbeitet hat, der weiß, das deren Mathematik per se unzweifelhaft ist. Gefährlich ist ihr Missbrauch, ihre Instrumentalisierung für „wissenschaftsfremde“ Zwecke, für Propaganda und Irreführung, selbst wenn man damit „gutmenschliche“ Ziele verfolgt, siehe Klimawandel usw. Und dabei geht es zumeist gar nicht um Statistik im engeren Sinne, sondern um andere Aspekte wissenschaftlicher „Methodik“ – Instrumente der Datenerhebung, Zusammensetzung der Stichproben, die „Versuchsanordnung“ als Ganzes usw. Vor allem hier wird massiv gegen die Prinzipien seriösen Forschens verstoßen, selbst bei der Wahl angeblich „geeigneter“ Auswerteverfahren. Wobei die schwerwiegendsten Verstöße bereits dort… Mehr

Markus Gerle
3 Jahre her

Na, das ging ja schnell. Vor kurzem habe ich hier noch eine Neuauflage des Buches empfohlen. Jetzt ist sie da. Heute morgen fragte ich nach einer Buchbesprechung, weil ich nicht weiß, ob ich mir das Buch kaufen soll. Ich habe ja noch die Ausgabe von 1991. Jetzt ist sie da.
Das fluppt hier bei TE. Also, jetzt wünsche ich mir einen 911er 😉

christin
3 Jahre her

„Für mich als Journalist war Krämers Buch der Weckruf,…“

Und für mich war Thilo Sarrazins Bestseller – Deutschland schafft sich ab –
der Weckruf, aber wer nicht hören und lesen will, den straft das Leben.

ZfD21
3 Jahre her

Dem gibt es nicht zuzufügen. Außer, dass es für alle Seiten gilt!

Heiner
3 Jahre her

Das Buch war schon ein der bisherigen Ausgabe eine Wucht. Und wenn wir uns ansehen, was man derzeit bei Covid19 mißt, dann wird es noch wertvoller. Was wird eigentlich mit den Massentestungen gemessen? – Die Durchseuchungskurve der Population! Diese ist eine katalytische Wachstumskurve, die sich immer (!) der 100 % Marke annähert. Das hat Muench schon 1959 nachgewiesen. (Muench, H: Catalytic models in epidemiology, Cambridge 1959) Diese Kurve ist nur von der Kontaktrate und der Kontagiosität der Erreger ab! Was müßte man eigentlich messen? – Die Zahl der wirklich Kranken (Also nach WHO diejenigen mit Symptomen von Atemwegserkrankungen und mit… Mehr

andreask90
3 Jahre her

Jüngstes Beispiel: Jede Erwähnung oder Diskussion über Wahlbetrug wird rigoros unterdrückt, geblockt, gelöscht. Nur wenige rechte Medien erwähnen ihn.
Statistisch gesehen gibt es also keinen Wahlbetrug.

andreask90
3 Jahre her
Antworten an  andreask90

Wir reden hier nicht davon, was möglich ist, sondern was ist.
Natürlich können Statistiken informativ sein, wenn sie nicht missbraucht werden.