Christian Kracht: die Toten

Kracht steigert seinen Übermut mit den „Toten“: Er nahm sich die dreißiger Jahre vor, das blutig ernste Faschismusmaterial, und konstruierte daraus eine lockere Cineastenstory nahe am Kitsch.

Bereits in seinem vorletzten Roman: „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ verlegte der einstige Popliterat Christian Kracht den hehren Geschichtsstoff der russischen Revolution in die Schweiz zurück und gab ihn damit moralinfrei für das willkürliche, rein poetische Spiel. Jenseits von gut und böse. Das setzte er fort mit dem Buch „Imperium“, wo er sein Spiel mit einer alten Schnurre aus der Kolonialgeschichte betrieb. Jetzt steigerte er seinen Übermut mit den „Toten“, nahm sich die dreißiger Jahre vor, das blutig ernste Faschismusmaterial, und konstruierte daraus eine lockere Cineastenstory. Ein japanischer Regierungsgeist verfällt auf die Idee, in Kooperation mit den Deutschen die kulturelle Hegemonie Hollywoods zu beenden. „Daher der Wunsch, eine zelluloidene Achse zu bauen zwischen Tokio und Berlin.“

Ein kulturimperialistischer Coup, für den er den deutschnationalen Medienkrösus Alfred Hugenberg  gewinnt. Jetzt wollen sie‘s den Amerikanern einmal zeigen. Eine schneidige Idee, die am Ende natürlich nicht aufgehen kann. Das ist schon der ganze, etwas melanchholisch getönte Bogen für den Plot, den der kapriziöse Dandy nun in fein konfektionierten Portiönchen und Episödchen mit leichter Hand, vielen Rückblenden und seinem exquisiten Spleen für den alt-deutschen Stilvorrat, über sein kleines Buch hin ausbreitet. Dabei bleibt er ganz an der ästhetisch glänzenden Oberfläche, die er in gekonnter literarischer Manier ausstattet und schmückt. Nicht länger das Deutsche mit mythischer Tiefe verwechselnd.

Kracht will auf superbe Art unterhalten und aufreizend antipolitisch wirken, scheinbar naiv nur von abenteuerlichen Dingen, aufregenden Frauen und Helden handelnd. Nichts mehr. Sein Denken versteckt er dabei wie in seinen öffentlichen Äußerungen und Interviews durchweg hintersinnig, aber scherzhaften Sinnes, als wollte er doch nie mehr beweisen, als dass er eben gut und amüsant genug schreiben kann.

Undenkbar deshalb etwa, dass sich der Dandy in eine der TV-Runden hinein hockte, um dort mit schwerblütigen Kulturmeinungsbossen über seine poetischen Pläne herum zu palavern. Nein, meine Rätsel müsst ihr schon selber lösen, dabei helf ich euch nicht, sagt er sich. Also, worin bestehen diese Rätsel und geht er darin auch weit genug, etwa so bösartig weit wie sein heimliches Vorbild Tarantino mit den Inglourious Basterds? Nein, die Geschichte ist kein Schlachthaus (Heiner Müller) für Kracht. Mehr ein bunter Drugstore mit interessanten Storylines, unter welchen man auch amüsantere wählen kann als ausschließlich die von Tätern und Opfern. Und sollte diese Welt gerade wieder einmal untergehen, könnte man sich davor doch wenigstens tüchtig vergnügen, statt die verbleibende Zeit mit moralischen Reflexionen zu verbringen. So ähnlich sein Vorschlag, schon fast eine Botschaft.

Bei aller Lust am literarischen Dekor sollte Kracht jedoch die Tücke der Adjektive nicht unterschätzen, mit welchen er oft einen fahrlässig inflationären Gebrauch pflegt. Etwa wenn der Dämon Japans von einer „makellosen Todessehnsucht“ der Deutschen redet. Dieses Epitheton ist nach den Märtyrerlegenden alter und jüngster Zeit vermutlich doch nie mehr zu verwenden und schon gar nicht im Zusammenhang des stumpfsinnigen Totenkultes der Nazis. Auch sein Hang zum Pomp philosophischer Großraumbegriffe verfehlt jeden parodistischen Zweck, denn wer unter uns vermöchte schon von der „Kosmologie unserer Seins“ redlich zu berichten? Hier schlürft Kracht in allzu großen Pantoffeln durch den Parfümladen seiner Prosa, seiner Liebhaberei für poetische Preziosen. An solchen nicht seltenen Stellen seines Textes beschädigt er leider auch sein Talent.

Pomp und Tote

Die Toten bewegen sich kaum in Krachts Roman. Sie reden kaum miteinander. Dialoge sind Mangelware, störten die Tonalität der Märchenzeit wohl zu sehr. Die Handlung gehört der postheroischen Beliebigkeit und endet damit, dass der reichlich mit Hugenbergs Geld dotierte Schweizer Regisseur Nägeli am Schluss eine kreuzfade Nebel-Story abliefert. Die Toten sind tot, Kracht gräbt sie nicht aus, er erfindet nur ihre Geschichten, und deren Gestalt verleiht er ihnen allein, ohne Rücksicht auf den gelehrt-historischen Sinn. Wie es wirklich war, bleibt Geheimnis der Sterne. Tut nichts mehr zur Sache. Ist uninteressant für die Postfaktizität. Der Erzähler aber erfindet nicht nur, er restauriert auch ein wenig die Legende der Toten.

Dabei fällt er gelegentlich in altes abgestandenes Fahrwasser zurück und verwertet und verurteilt die ins Nazimäßige verstrickten Helden wie eben jenen Hugenberg und den berühmten, später immer noch berühmter werdenden Heinz Rühmann, auf allzu geläufige Art. Warum lässt er seine Fantasie hier nicht noch viel böser werden und der beiden Lizenz zum Satanischen nicht noch weiter ins Schreckliche wachsen? Denn Krachts Tendenz konstatiert doch unzeitgemäß genug: alle moralischen Urteile gegen die Täter kommen schon immer und längst zu spät. Oder wer will noch hundert Jahre über sie richten? Warum sie nicht anders, als Spielbälle der Fantasie ausnützen, voll ausbeuten deren perverse Lust an der Macht?

Die Story steht mehr, als sie fließt

Hollywood hat eh alle ästhetischen Zirkusspiele und Schlachten gewonnen und die alten Avantgardeansprüche auf Wahrheitspathos in der Kunst haben sich postfaktisch erledigt, jetzt, da die alten Aristokraten (De Sica, Visconti bis Jean Luc Godard) verschwunden sind, wie einst der Stummfilm, und das prekäre Massenpublikum nur noch Spaß und Rekorde wirklich gerne versteht. Mithin natürlich auch den sagenhaften Charly Chaplin, der eine kuriose Nebenrolle in dem Roman spielt und ums Haar einem Attentat entkommt. Einer der bunten Tupfer auf dem glitzernden Teppich des Textes, auf dem alles den zäh fließenden Strom der alten Zeit hinabfließt. Auch Siegfried Kracauer, der berühmte Filmkritiker und die Lotte Eisner treten kurz auf und schlagen einen Taxichauffeur zusammen, im Tiergarten, weil er ein Nazi ist. Ja, schön eine zitathafte Reminiszenz an Kästners Fabianroman, aber eigentlich steht die Story mehr, als dass sie fließt. In einer der vielen Episoden des Romans parodiert der Erzähler den romantischen Breitwandkitsch Hollywoods auf der kleinen Bühne literarischer Kunstfertigkeit.

Die Orte in Japan, der Schweiz und in Deutschland unterscheiden sich kaum voneinander, sind wie die Figuren auch aus Glanzpapier geschnitten, nie konkret beschrieben. So schwebt alles wie eine Spielmarkensammlung in einem sagenverhüllten Irgendwo, wo „schwarzgraue Wolken am Horizont erscheinen“ und andere Versatzstücke der Landschafterei sich abwechseln. Die Filme, aus denen zitiert und Ausschnitte geschildert werden, sind wahrnehmbarer als die realen Fassaden, an welchen entlang der Roman sich abspielt. Anscheinend. Ähnlich verhält es sich mit den Hauptfiguren, dem Regisseur Emil Nägeli und seinem japanischen Geschäftspartner Masahiko  Amakasu. Deren  prinzliches Aufwachsen in strengen Internaten wird kurz nacherzählt, doch es wird nie ersichtlich, warum. Die narrative Ökonomie erscheint selbstreferentiell.

Denn so stilhaft edel und gut verständlich die kurzen Kapitel geschrieben sind, ein notwendiger Zusammenhang zwischen ihnen stellt sich nicht her. Das ist Absicht und fungiert als pures Vexier- Spiel mit dem Leser. Der Boden zwischen Traum und Realem, Film und Literatur, Vergangenheit und Gegenwart schwankt beständig. Man liest in einem Traum, den ein heimlicher Monteur immerzu in eine verwirrende Ordnung bringt, auf die gar nichts zu bauen ist. Außer vielleicht die unendliche Sehnsucht nach Bedeutung. Das wird  besonders deutlich in der Episode, die so für sich allein und seperat steht, dass man zunächst glauben möchte, sie enthalte tiefere symbolische Motive für das Ganze des Buches. Aber dies Ganze ist allenfalls ein Fragment, bestehend aus lauter kleinen Fragmenten, die auf alles Erdenkliche anspielen, nur auf kein Ganzes im Sinne eines Romans.

Nahe an Kitsch und Hollywood

Der Japaner fährt allein im Bus in eine vollkommen abstrakte  Gegend, wo er in „der Windstille des späten Nachmittags“ ein junges Mädchen erkennt, das sich plötzlich, „einem fallenden Schatten gleich, die Klippen hinunterstürzte“. Erschüttert klettert er hinab an ein mythisches Meer, dessen Ufer er vergeblich nach dem Mädchen absucht, bis er plötzlich vor einer Höhle steht. „Im Inneren kauerte eine junge Frau, den Rücken an die Wand gelehnt winkte sie ihn herbei, ihr Haar war zerzaust und struppig, außer einem ledernen Fetzen, der ihren Oberkörper bedeckte, war sie nackt.“ Eine schaurig- dämonische Szene, die an die frühromantischen Märchen eines Ludwig Tieck erinnert. „Die junge Frau, die nicht identisch ist mit der Selbstmörderin, welche sich von den Klippen stürzte und unauffindbar bleibt,  offenbart sich als eine Gefangene, die hierher verschleppt wurde, sie weiß nicht von wem und hat jetzt ihr schreckliches Schicksal ewiger Verdammnis zu erleiden. Nachdem sie den jungen Japaner zuerst zu Boden streckt und danach zärtlich liebkost, glaubt sie dennoch nicht daran, dass der Held sie retten und zurückbringen könnte in ihr früheres Leben. Dennoch fleht sie ihn darum an und er reißt sich wieder von ihr los, um sie sogleich, nach dem Wiederaufstieg in die Ebene, wo sein abenteuerlicher Ausflug begann, schnell zu vergessen. Nur manchmal noch, kurz vor dem Erwachen taucht sie an seinem Bett wieder auf, oder er gewahrt sie wieder „im lauernden Dunkel eines Kinosaales, wenn sie dort wieder kauert, (…) unterhalb der Leinwand, neben dem gerafften samtenen Vorhang.“ Das ist sehr nah am Kitsch, wie ihn jeder kennt, aber auch mit jenem Fabrik-Stoff gemacht, aus welchem Hollywood bis heute Geld und größte Erfolge schöpft. Es sind lose Traum-Fäden, die zwischen den Scherben eines zerbrochenen Menschheitstraumes herum liegen. Das Buch eine Geschmacks-Mischung aus heroischen Gesten Ernst Jüngers und der stilfrommen Andacht Peter Handkes.

Kracht Schluss

Krachts poetische Versuche könnten eine Wende in der schönen Literatur einleiten. Das Böse will literarisch neu entdeckt und entfacht werden. Die politische Korrektheit und Befindlichkeitskultur hat ausgedient. Die moralische Prüderie darf endlich wieder verschwinden.

Wim Setzer ist Kabarettist, Kunstkritiker und Journalist.

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