Augstein und Blome: Die Fragen der Deutschen

Wenn die Journalisten Jakob Augstein und Nikolaus Blome ansetzen, die Fragen der Deutschen zu beantworten, könnte man Reflexe zeigen. Man kann aber auch einfach lesen und einen echten Mehrwert daraus ziehen. Ein Selbstversuch.

Jakob Augstein und Nikolaus Blome haben gemeinsam ein Buch geschrieben. Nun soll man als Leser denken, dass beide ordentlich geplaudert hätten, man ein Gesprächsprotokoll angefertigt oder das Gespräch sonst wie aufgezeichnet, dann transkribiert und zwischen zwei Buchdeckel hat pressen lassen. Stimmt aber nicht. „Links oder rechts?“, erschienen im Penguin Verlag, ist mutmaßlich in weiten Teilen eine Gesprächssimulation, ein nachbearbeitetes, zitateangereichertes, später am Rechner hübsch hochgetuntes Palavern über Gott und die Welt und ganz viel über Deutschland und die Deutschen.

Nun ist so eine Vorgehensweise legitim. Der Mehrwert solcher Unternehmungen entsteht ja nicht aus 1:1 wiedergegebenen Denkaussetzern morgens um halbfünf in einer Edelpinte in Charlottenburg, sondern aus wohldurchdachten Antworten auf Fragen, die die Nation bewegen, durchdekliniert von zwei prominenten Journalisten – aus Hamburg und Berlin, von Spiegel und Springer. Andere haben es vorgemacht. Giovanni di Lorenzo sogar öfter, mal mit Axel Hacke, mal mit Helmut Schmidt. Und Joschka Fischer plauderte mit Fritz Stern, der es auch mal mit Helmut Schmidt versuchte. Die Liste ist lang. Ist ein neueres Sprechen-wir-über-Deutschland wirklich von Nöten? Man könnte denken ja: Europa steckt in der Krise, die Einwanderungsdebatte entzweit die Gesellschaft und die sozialen Medien entwickeln eine Dynamik, die den Etablierten Sorge bereitet. Warum also nicht?

Am Tisch hinten in der Ecke

Augstein und Blome trafen sich nach eigenem Bekunden „wochenlang jeweils in den frühen Morgenstunden im Restaurant Manzini“ an einem „Tisch in der Ecke“. Unklar bleibt, ob man die Nacht durchgemacht hat um sich dann in der Dämmerung in dem reinen Manzini-Männerbetrieb von Hüsnü Erdogdu zu treffen, oder ob man gleich früh aus dem Schlafanzug ins teure Tuch und die Budapester sprang um vor dem Tagwerk beim Frühstück miteinander zu sprechen. Beides klingt schwierig. Manzini jedenfalls schließt um ein Uhr nachts und öffnet erst wieder morgens um Acht. Mittags bekommt man für 19,20 Euro ein gebratenes Buttermakrelenfilet  auf getrüffeltem Schwarzwurzelgemüse, violetten Kartoffeln und Kräutervelouté, ein solides Wiener Schnitzel liegt noch über solchem Schnickschnack bei satten 23 Euro.

Das Leben unser beiden Schnitzelesser ist freundschaftlich miteinander verwoben, Augstein holte Blome für eine kurze Episode zum Spiegel und als „Augstein und Blome“ streitet man seit Januar 2011 immer Freitags ein Viertelstündchen auf Phoenix (in einem Grimmepreis nominierten Format, wie beide nicht vergessen in ihrer „Einleitung“ zu erwähnen) über Themen, die Deutschland bewegt wie über die Frage: „Spaß oder Sexismus – Was ist was?“ (01.02.2013).

Nun steht „Links oder Rechts?“ für 13 Euro also auf der Speisekarte des Buchhandels, nur etwa halb so teuer wie ein Schnitzel bei Manzini, untertitelt mit der kecken Ansage: „Antworten auf die Fragen der Deutschen“ – ach was, nicht keck, eigentlich fast größenwahnsinnig, aber so etwas könnte sich auch der Verlag ausgedacht haben. Also In dubio pro reo.

Nun ist dieser Jakob Augstein in der öffentlichen Wahrnehmung zweifellos der interessantere Typ und Nikolaus Blome also erst einmal der Sidekick. Eine Augstein-hypnotisierte Autorin schrieb für die Zeit 2013 über den Journalisten, er sei „verstrickt in eine Story, in der sich Mediengeschichte und bundesrepublikanische Historie, Kabale, Liebe, Konkurrenz und Neid verknäulen“. Über Blome werden kleinere Brötchen gebacken, da heißt es an selber Stelle, Blome sei „eine abwägende, seriöse, vernunftbegabte Stimme“. Hier also der barocke linke Aphoristiker Augstein und ihm gegenüber der politisch recht pfiffige Fleißarbeiter Blome.

Fleißarbeiter versus Aphoristiker

Gleich vorweg gesagt, „Links oder rechts?“ wird Seite für Seite mehr die Stunde des Nikolaus Blome. Schnell entsteht der Eindruck, dass sich der 53-jährige gebürtige Bonner bisher medial unter Wert verkauft hat. In „Links oder rechts?“ präsentiert er sein intellektuelles Coming-Out. Aber auch Augstein profiliert sich hier entlang von 30 Streitgesprächen. Was in seiner Wochenkolumne auf SPON immer so schwer fassbar erscheint, wo er politisch nun wirklich steht, was er denken mag zwischen Metaphern und prosaischen Raunen, bekommt  deutlich mehr Substanz. So kann der Hamburger der Frage nicht mehr ausweichen, wie links er wirklich ist. Sympathisiert er mit den Grünen? Gar mit dem linken Flügel der SPD? Wie katholisch ist der Protestant wirklich?

Nein, nach 250 Seiten wird deutlicher, Augsteins „Im Zweifel links“, ist 2016 zweifellos in der Partei von Sahra Wagenknecht verortet. Selten hat sich der 52-jährige auch gegenüber seiner eigenen Bedenkenträgerei so weit aus dem Fenster gelehnt. In diesem Format schwillt Augsteins radikales Pathos zum linken Wetterleuchten an. Alleine das lohnt die Lektüre und kann als echte Leseempfehlung genommen werden.

Ein paar Beispiele? So wünscht Augstein der SPD eine „sozialistische Vision von Europa“, für ihn ist „die Rückkehr zur Demokratie inzwischen ein linkes Projekt.“ Die Aufgabe linker Politik bestehe darin, für „mehr Durchlässigkeit und mehr Umverteilung“ zu sorgen, selbst der Liberalismus hat „seine politische Heimstatt“ nur noch bei den Linken. „Kapitalismus erzeugt Ungleichheit, nur der Staat kann diesem Mechanismus entgegenwirken“, die Eliten hätten zuerst den gesellschaftlichen Konsens aufgekündigt.

Zum Populismus sagt Augstein: „Schade nur, dass er von rechts kommt“, „und was die Linkspartei angeht, gibt es so etwas, wie einen negativen Parteibuchjournalismus“, über die würde nämlich gar nicht oder nur schlecht berichtet. Zum Ende des Buches dann auf Seite 177 sogar ein finales Bekenntnis: „Egal, was wir im Einzelnen von Linkspolitikern halten mögen, linke politische Ideologie ist mit dem Erbe der Aufklärung vereinbar, rechter Fremdenhass ist es eben nicht.“ Das muss man nicht mögen, aber so deutliche Positionierungen helfen, miteinander die Debatte zu führen.

Negativer Parteibuchjournalismus

Man darf nach Lektüre sagen, dieser Augstein hat sich an der AfD für die Linke radikalisiert. Vielleicht ist das dann sogar, was ihn am meisten gegen die AfD aufbringt, sie manipuliert ihn nachhaltig. Und seine Fundamentalopposition gegen die Petry-Partei zwingt ihn nun dazu, sich endlich einmal eindeutig zu positionieren. An der AfD ist der politische Augstein erwachsen geworden und es tut ihm spürbar weh. Es verletzt empfindlich nicht nur sein politisches, sondern auch sein journalistisches Selbstverständnis. Und in der Folge beschreibt er auch das so offen und voller Selbstzweifel wie nie: „Wer hat den Menschen früher die Gegenwart erklärt? Schriftsteller, Journalisten, Wissenschaftler. Der Platz der Journalisten dieser Reihe ist fragwürdig geworden. (…) Es kümmert die Leute einfach nicht mehr in dem Maße, was wir zu sagen haben.“

Nun ist es aber auch so, dass Jakob Augstein mindestens mit seiner fundamentalen Systemkritik, die er ja sonst in seinen Kolumnen schon mal wie eine FataMorgana auftreten lässt, viel näher dran ist an der AfD, als ihm lieb sein kann und als sein Gegenüber Blome für sich reklamieren müsste. Der nämlich erscheint geradezu resistent gegen radikale Strömungen ganz gleich von welcher Seite. Als langweiliger Spießer würde man in linksintellektuellen Kreisen die Nase rümpfen über einen, der sich wahrscheinlich nicht einmal zu schade wäre, zu Besuch bei Augstein in Hamburg nachzufragen, ob der nicht Karten besorgen könnte für König der Löwen oder Phantom der Oper, während der Einladende eigentlich schon Talib Kweli im Mojo Club gebucht hatte, so einen total hippen New Yorker Political Hiphop.

Zwei Journalisten zwei Welten. Das hätten die Filous jedenfalls gerne, denn dann könnte man sagen: Reicht doch, wozu noch eine Petry Rechtsaußen und eine  Wagenknecht außen links.  Wenn den Lippenbekenntnissen nur die Tat folgen würde. Augstein war ja mal nah dran, als er mit seinem Buch Sabotage eine Handlungsanweisung für die linke Revolution geben wollte und dann so sang und klanglos scheiterte mit einer Bauanleitung für Farbbeutel.

Vom Farbeutel zum Tampon

30 Fragen wurden in „Links oder rechts?“ sortiert in die sechs Rubriken Macht, Geld, Moral, Heimat, Wir und Die. Und weil man den Gesprächen an sich wohl noch nicht so ganz traute, streute man ein paar Kontroversen mit ein, von jedem Protagonisten ein kurzes eineinhalb Seiten langes Essay zu Themen wie „Ist die SPD zu retten?“ oder „Hamburg oder Berlin?“ Das stört nicht, hat aber auch wenig Mehrwert. Erst nach hinten raus wird’s lockerer, wenn man beispielsweise über die englische Queen erzählt, was  zwar überhaupt nichts mit den Fragen der Deutschen zu tun hat, aber durchaus amüsieren kann, wenn Augstein sich für den Tampon-Dialog von Prinz Charles begeistert während Blome das Königinnenhaus für überflüssig hält. Na ja.

Kurz noch zu Blome und warum er in diesem Buch so gut wegkommt: Der Junge zeigt Eier. Was zunächst noch wirkt, als wolle er nur ein wenig gegen den charismatischeren Gegenüber sticheln, mausert sich zu einem wirklich guten Blatt, das er im zweiten Teil des Buches immer besser auszuspielen versteht. Überhaupt wird „Links oder rechts?“ ab Seite 100 richtig gut. Die Fragen „Verliert die Mitte das Maß?“, „Sind wir ein normales Land?“ und „Wieviel Fremdes ist zu viel?“ werden exzellent verhandelt. Blome erklärt, Leute wie Augstein hätten den Begriff „Heimat“ „jahrzehntelang diffamiert und in die rechte völkische Ecke schieben wollen. (…) Und dann wundern Sie sich, dass Teile der einheimischen Bevölkerung erst wie entwurzelt und dann wie entfesselt erscheinen.“ Da schwimmt Augstein dann und  – na klar – erinnert schnell an den Nationalsozialismus nur um sich von Blome dann sagen zu lassen, „für den Heimatbegriff eines Landlust-Heftchens reicht die Toleranz der Linken, alles andere ist nach wie vor rechtsradikal. (…) Indem Sie Heimat zur Privatsache erklären, wollen Sie sich drücken vor der Frage, wer in Deutschland Regeln und Werte definiert und durchsetzt. Das war der Jahrhundertfehler der Linken und Grünen und hat geradewegs auf den Irrweg von Multikulti geführt.“

Ein gutes Buch. Eines, das man empfehlen kann. Wenn man als Leser bereit ist, wenn man sich mal für den Moment einlassen kann, den beiden Protagonisten zuzuhören, wenn man sich vorgetastet hat und miterlebt, wie die Sache Fahrt aufnimmt. Dann ist das für jeden politisch interessierten Leser ein echter Mehrwert. Ganz gleich, wo man selbst steht. Man muss hier keine der beiden Positionen teilen. Sollte man vielleicht auch nicht. Denn über den linken Daumen gepeilt, kommen Augstein und Blome natürlich aus dem selben Lager. Aber sie bieten uns hier etwas an, das Sinn macht: Sie liefern Denkanstöße in einem erquicklichen Maß an Wahrhaftigkeit. Und sie haben sich die Mühe gemacht einen wirklich passablen Fragenkatalog für die Fragen der Deutschen aufzustellen, dem man folgen kann. Es ist ein Debattenanstoß. Sogar ein richtig guter.

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