Brigitte Bardot: Die Revolution, die sich selbst überlebte

Erst sprengte sie die Moral der Spießer, dann den Konsens der Woken. Die Nachrufe auf Brigitte Bardot zeigen die Hilflosigkeit des Mainstreams. Eine Würdigung jenseits von Heiligsprechung und Verdammnis. Von Silvia Venturini

picture alliance / COLLECTION CHRISTOPHEL | Han Productions - C.E.I.A.D. - C

Als Brigitte Bardot 1973 der Filmwelt den Rücken kehrte, war sie 39 Jahre alt und auf dem Höhepunkt ihres Ruhms. Sie hätte noch Jahrzehnte weitermachen können – die Rollen, das Geld, die Bewunderung. Sie wollte nicht. „Ich habe meine Jugend und meine Schönheit den Männern gegeben“, sagte sie später. „Jetzt gebe ich meine Erfahrung und das Beste von mir den Tieren.“

Es war der erste von vielen Brüchen in einem Leben, das sich jeder Einordnung verweigerte. Am 28. Dezember 2025 ist Bardot in Saint-Tropez gestorben, 91 Jahre alt. Die Nachrufe, die nun erscheinen, sind so gespalten wie das Frankreich, das sie hinterlässt.

Diffusez la vidéo (lien ci-dessous) où j'évoque ces réactions folles pour montrer aux Français à quel point la Gauche est méprisable. pic.twitter.com/eW8NFY1uKV

— Nicolas Faure ☀️🏄🏻 (@nicolasfaure89) December 28, 2025

Man kann die Feuilletons dieser Tage in zwei Kategorien einteilen. Die einen verneigen sich vor der Ikone der 50er und 60er, der Frau, die in „Und immer lockt das Weib“ eine neue, unverschämte Weiblichkeit auf die Leinwand brachte; nur um dann hastig zu versichern, dass man mit der „späten Bardot“ natürlich nichts zu tun haben möchte.

Die Göttin, die zur Eiferin wurde, heißt es dann. Als wäre ein Leben nur dann konsistent, wenn es den Erwartungen der Kommentatoren entspricht.

Die anderen reklamieren sie als eine der Ihren: politisch unkorrekt, unbeugsam, eine Patriotin, die sich den Mund nicht verbieten ließ. Marine Le Pen nannte sie „unglaublich französisch“. Auch das ist Vereinnahmung, wenn auch von der anderen Seite.

Beide Lesarten verfehlen das Wesentliche. Denn Bardot war keine Konservative, die sich nachträglich über die sexuelle Revolution empörte. Sie war die sexuelle Revolution, oder zumindest eines ihrer wirkmächtigsten Symbole. Und gerade das macht ihre spätere Entwicklung so interessant.

Die Befreiung und ihre Kosten

In den 50er Jahren, als das bürgerliche Europa noch in den Konventionen der Vorkriegszeit erstarrt war, sprengte Bardot die Korsetts – buchstäblich und metaphorisch. Sie verkörperte eine Weiblichkeit, die sich nicht entschuldigte, die begehrte statt nur begehrt zu werden, die den männlichen Blick nicht fürchtete, sondern herauszufordern schien.

In einer Zeit, in der Sexualität noch weitgehend unter dem Deckmantel bürgerlicher Scham verhandelt wurde, war das revolutionär.

Doch irgendwann, in den Jahrzehnten nach ihrem Rückzug aus dem Rampenlicht, begann Bardot, Fragen zu stellen. Nicht die Fragen einer Reaktionärin, die das Rad der Zeit zurückdrehen wollte. Sondern die Fragen einer Frau, die die Befreiung gelebt hatte und sich nun fragte, wovon eigentlich.

Die sexuelle Revolution, deren Vorreiterin sie gewesen war, hatte gesiegt. Aber was war aus diesem Sieg geworden? Eine Kultur der Beliebigkeit, in der Freiheit oft nur ein anderes Wort für Konsum war? Eine Gesellschaft, die alles enttabuisiert hatte, außer der Frage, ob Tabus vielleicht auch ihren Sinn gehabt hatten?

Vom Glamour zum Tierschutz

Bardots zweites Leben gehörte den Tieren. Ihre 1986 gegründete Stiftung setzte sich gegen Robbenjagd, Stierkampf und industrielle Massentierhaltung ein und das mit einer Radikalität, die sie auch als Filmstar ausgezeichnet hatte. Bardots Einsatz ging weit über Promi-Philanthopie und wohldosiertes Engagement vor den Kameras hinaus. Es wurde zu ihrer Lebensaufgabe, die zunehmend misanthropische Züge annahm.

„Ich bevorzuge Tiere“, sagte sie einmal. „Sie sind ehrlicher als Menschen.“ Man kann das als Bitterkeit lesen, oder auch als konsequente Schlussfolgerung einer Frau verstehen, die das Showgeschäft von innen kannte, inklusive der Heuchelei, der Eitelkeit und der Vernutzung des Menschen durch den Menschen. Dass sie sich am Ende des Lebens lieber um Hunde und Katzen kümmerte als um den Kulturbetrieb, der sie einst gefeiert hatte, ist vielleicht weniger Flucht als nüchternes Urteil.

Die politische Unbequemlichkeit

Und dann ist da die politische Bardot, jene Figur, die in den Nachrufen wahlweise beschwiegen, bedauert oder verteidigt wird.

Ja, sie wurde mehrfach wegen „Anstiftung zum Rassenhass“ verurteilt. Ihre Äußerungen über den Islam, über Einwanderung, über das, was sie als Verfall der französischen Kultur empfand, waren oft drastisch.

Aber wer ehrlich ist, muss auch zugeben: In der Substanz lag sie nicht immer falsch. Die Fragen, die sie stellte – über Integration, über kulturelle Identität, über die Grenzen des Multikulturalismus – sind heute Mainstream-Debatten, geführt von Politikern, die vor zehn Jahren noch als xenophob galten. Bardot stellte diese Fragen früher, lauter und ungefilterter. Dass ihr die Form fehlte, die heute von öffentlichen Figuren erwartet wird, machte sie angreifbar. Aber die Fragen selbst verschwanden nicht, indem man die Fragende verurteilte.

Ihre Ablehnung der #MeToo-Bewegung, die Bardot als „heuchlerisch“ bezeichnete, passt ins Bild. Hier sprach eine Frau, die in den 60ern ihre Sexualität selbstbewusst ausgelebt hatte, die Männer verführt und verlassen hatte, wie es ihr gefiel, und die nun mit Befremden auf eine Generation blickte, die sich gleichzeitig als empowered und als Opfer inszenierte.

Man muss ihr nicht in allem zustimmen. Aber man sollte anerkennen, dass sie aus einer Position sprach, die heute kaum noch jemand einzunehmen wagt: der Position einer Frau, die tatsächlich frei gelebt hat und die diese Freiheit nicht mit Opferstatus verwechselte.

Die Revolution, die ihre Kinder frisst

Was bleibt also von Brigitte Bardot? Die Filme, gewiss, auch wenn sie selbst nichts mehr von ihnen wissen wollte. Der Tierschutz, der durch ihre Stiftung weiterlebt. Und die unbequeme Erkenntnis, dass Revolutionen nicht enden, wenn sie gesiegt haben. Sondern dass dann erst die Fragen beginnen.

Bardot hat die Befreiung vorgelebt, bevor andere sie theoretisierten. Und sie hat, Jahrzehnte später, die Kosten dieser Befreiung benannt – lauter und undiplomatischer, als es dem kulturellen Establishment lieb war. Dass sie am Ende ihres Lebens von denselben Milieus gemieden wurde, die sie einst als Ikone gefeiert hatten, sagt weniger über sie als über diese Milieus.

Sie war weder Heilige, noch Märtyrerin noch politische Denkerin. Sie war eine Frau, die lebte, wie sie wollte. Erst in der Revolte gegen die bürgerliche Enge, dann in der Revolte gegen das, was aus dieser Revolte geworden war. Dass sie damit aneckte, wird sie nicht überrascht haben. Sie tat es dennoch, aus freien Stücken.

Frankreich begräbt eine Ikone. Der Umgang mit ihrem Vermächtnis wird zeigen, ob Frankreich noch fähig ist, unbequeme Fragen auszuhalten. Oder ob es vorzieht, sie zusammen mit der Fragenden zu beerdigen.

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