Klingbeil fordert Stahlgipfel

Finanzminister Lars Klingbeil fordert angesichts der Lage der deutschen Industrie einen Stahlgipfel. Gemeinsam mit Unternehmen und Gewerkschaften will man nach Lösungen zur Überwindung der Krise suchen. Die Wirtschaft fordert niedrigere Energiekosten, vulgo: Subventionen. An die Wurzel des Übels wagt sich indes niemand heran.

picture alliance/dpa | Soeren Stache

Gipfel folgt auf Gipfel. Wenige Wochen nach dem spektakulär versandeten Investitionsgipfel mit Bundeskanzler Friedrich Merz fordert nun der Finanzminister den nächsten Krisengipfel für die deutsche Wirtschaft. Diesmal steht die Stahlbranche im Mittelpunkt der politischen Gipfelstürme. Als energieintensiver Wirtschaftssektor wurde sie von der grünen Transformationspolitik besonders hart getroffen.

Katastrophaler Produktionsrückgang

Die Stahlbranche, einst fundamentales Rückgrat industrieller Wertschöpfung in Deutschland, taumelt durch ihre schwerste Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Im Juli 2025 sank die Rohstahlproduktion laut Wirtschaftsvereinigung Stahl im Vergleich zum Vorjahresmonat um 13,7 Prozent auf nur noch 2,7 Millionen Tonnen – bereits der siebte Rückgang in Folge. Das erste Halbjahr sah einen Produktionseinbruch von 11,6 Prozent, von 19,3 auf 17,1 Millionen Tonnen.

Doch der Absturz zeigt sich nicht nur in Produktionsstatistiken, sondern auch in steigenden Insolvenzahlen, Arbeitsplatzabbau und Kapitalverlagerung. Deutschlands größter Produzent, ThyssenKrupp Steel Europe, kündigte den Abbau von 11.000 Stellen bis 2030 an – das entspricht 40 Prozent der Belegschaft. 5.000 Jobs werden unmittelbar gestrichen, weitere 6.000 werden im Zuge von Outsourcing-Maßnahmen oder Verkäufen abgebaut. Parallel schrumpfte im gesamten Verarbeitenden Gewerbe binnen eines Jahres die Zahl der Beschäftigten um rund 120.000.

Depression greift um sich

Zahlreiche bekannte Namen sind der wirtschaftlichen Depression bereits zum Opfer gefallen: Zulieferer wie Benkert oder traditionsreiche Stahlhütten im Saarland mussten ihre Tore schließen. Selbst große Player wie Salzgitter oder ArcelorMittal in Bremen kämpfen mit massivem Kostendruck.

Industriekollaps mit Ansage
Arcelor Mittal macht Schluss mit Habecks grünen Phantastereien
Dass die Energiekrise in Deutschland selbst vor der mit dem Füllhorn begünstigten grünen Subventionswirtschaft nicht Halt macht, zeigt die Tiefe der Krise: Der deutsche Standort steht energiepolitisch so weit im Abseits, dass beispielsweise ArcelorMittal bereits zugesagte Fördermittel in Höhe von 1,3 Milliarden Euro ablehnte und auf die Umstellung der Produktion in den Werken in Bremen und Eisenhüttenstadt verzichtete. Dort sollte CO₂-freier, also „grüner“ Stahl, produziert werden. Die exorbitanten Energiekosten am Standort Deutschland haben auch diesen, unmittelbar aus dem zentralen Planungsbüro für grüne Transformation entlehnten, Traum zerplatzen lassen.

Für die Stahlproduzenten wurde das Worst-Case-Szenario Realität: Unerbittlicher Preisdruck aus Asien, die vermurkste Energiewende und das Aus des russischen Gases treiben die Schlüsselindustrie aus ihrem Heimatstandort. Die Deindustrialisierung ist sichtbar, sie ist messbar und sie wäre vielleicht sogar reversibel, klammerte sich das politische Establishment nicht manisch und verstockt an seine kreuzgefährliche Transformationsideologie.

Auftritt Klingbeil

SPD-Chef Lars Klingbeil hat den Ernst der Lage in der Stahlindustrie immerhin erkannt und reagiert so, wie man es von einem erfahrenen Funktionär erwarten würde – er fordert einen Stahl-Gipfel. Gemeinsam mit den Unternehmen und den Gewerkschaften der Branche soll dann nach Lösungen für die Energiekrise gesucht werden, die nicht zuletzt auch seine Partei, die SPD, mit zu verantworten hat.

Und die Zeit drängt: „Wir als SPD wollen einen baldigen Stahl-Gipfel“, erklärte Klingbeil. Gemeinsam mit Konzernchefs und Betriebsräten wolle man beraten, wie die deutsche Stahlproduktion gegen Billigimporte, explodierende Energiekosten und neue US-Zölle verteidigt werden könne. Vor allem die Frage nach verlässlich niedrigen Energiepreisen solle dabei im Zentrum stehen.

Klingbeil nutzte die Gelegenheit, den Zollstreit mit den USA in die Kette der Krise einzuflechten. Doch niemand wird ihm abnehmen, dass Donald Trump plötzlich die Schuld am Niedergang der deutschen Stahlindustrie trägt – nicht einmal die eigenen Sozialdemokraten. Mit Blick auf die USA plädiert der Minister für niedrige Zölle und hohe Quoten. Schließlich sind die Amerikaner auf die Qualität deutschen Stahls angewiesen, etwa beim Flugzeugbau. Ein Versuch, politische Verantwortung geschickt zu verlagern – eine klassische politische Märchenerzählung auf hohem Niveau.

Umschiffen des Problems

Unterm Strich soll der Gipfel einen Schulterschluss von Politik, Wirtschaft und Arbeitnehmern herbeiführen. Die Wirtschaft drängt derweil verständlicherweise auf die Senkung der hohen Energiekosten. Diese müssen dringend wieder auf ein wettbewerbstaugliches Niveau fallen, das ist unbestritten. Offen bleibt lediglich die politische Strategie.

Die Pleitefabrik
Kriegswirtschaft soll Lücke schließen
Die Politik der Europäischen Union – besonders die Grüne Transformation, wie sie Berlin interpretiert – hat in der Großindustrie systematisch eine Abhängigkeit von Subventionen kultiviert. Das bemerkenswerte Schweigen der Wirtschaftselite angesichts der schweren Strukturkrise der deutschen Wirtschaft ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass sich hier ein korporatistischer Geist breitgemacht hat. Es wäre also kaum verwunderlich, wenn am Ende vor allem ein Energiekostenzuschuss für die Branche herauskäme.

Die Öffentlichkeit ist daran gewöhnt, die Betriebe sowieso – und die Politik kann sich einmal mehr im Glanz des vorgestellten Problemlösers sonnen – eines Problems, das sie selbst erzeugt hat.

Der Green Deal, die heilige Kuh der ökologistisch-sozialistischen Politik, wird derweil nicht angetastet.

Wirtschaftsgipfel als Medieninszenierung

Dass sich Wirtschaft und Politik, obwohl die Lösung so offen auf dem Tisch liegt, dennoch zu einem Gipfel verabreden werden, dient ausschließlich der Medienhygiene und der Dominanz des öffentlichen Diskurses. Es fällt nicht leicht, gegen eine politische Lösung zu argumentieren, mit deren Ergebnis möglicherweise mittelfristig zehntausende Arbeitsplätze gesichert werden können. Dass auf lange Sicht knappe Ressourcen auf Kosten Dritter fehlgelenkt und damit zusätzliche ökonomische Schäden verursacht wurden, spielt zunächst eine untergeordnete Rolle, dafür werden die staatsnahen Medien sorgen.

Zahlen, die den Niedergang dokumentieren
Das Wirtschaftswunder Merz-Klingbeil fällt nicht aus, es findet nur woanders statt
Wirtschaftsgipfel sind verstaubte Medienspiele, in denen Politik und Wirtschaft eine Form des Aktionismus vorspielen, wo in Wahrheit gerade jetzt unmittelbares politisches Handeln gefragt wäre. Limousinen, Dienstwagen, großer Presseaufruhr, lange nächtliche Sitzungsrunden – das alles wird inszeniert für die Öffentlichkeit, die sich rasche Problemlösungen unter höchstem Einsatz der verantwortlichen Akteure erhofft.

Immerhin stehen nun auch die Existenzen der verstummten Funktionäre der Großwirtschaft und der Gewerkschaften im Feuer – weshalb diese sich nur allzu gern auf dieses politische Medien-Theater einlassen.

Dieses über Jahrzehnte eingeübte klassische Medienspiel hat seinen normativen Sinn in einer Zeit, in der Gesellschaft und Wirtschaft einem stabilen Pfad folgen. Sie helfen moralisch bei der Überwindung temporärer Rezessionen, sind aber nicht geeignet, die strukturellen Probleme, die in erster Linie von der Politik erzeugt werden, zu lösen.

Was wir mit dem Stahlgipfel erleben werden, ist hingegen rasche Symptomlinderung: Ein Pflaster wird über eine der zahlreichen Wunden geklebt, die die Politik der Wirtschaft geschlagen hat.

Subventionitis als Symptom

Wird die Bundesregierung nun endgültig zur Gipfel-Stürmerin? Schon jetzt reiht sich ein Krisentreffen ans nächste – und nicht nur die Stahlindustrie verlangt nach politischer Notfallmedizin. Auch in anderen Kernbranchen wie der Bauwirtschaft, dem Maschinen- oder Fahrzeugbau ist die Produktion von ihren Höchstständen längst im zweistelligen Prozentbereich abgesackt.

Es ist allerdings noch immer kein politisches Einlenken zu erkennen, weder in der deutschen Großindustrie, die sich zu sehr an die Subventionen gewöhnt hat, noch in der Politik selber. Es handelt sich um ein selbst geschaffenes Strukturproblem, das nur mit dem Bruch des Green Deals zu lösen wäre. Von diesem Krisenpunkt, einem grundsätzlichen Wendepunkt, sind wir aber noch ein großes Stück des Weges entfernt.

Einmal dort angelangt, wird die wirtschaftliche Dauerdepression das streng hierarchisch aufgebaute Machtgebäude, an dessen Spitze die ideologische Leitung Brüssels thront, in ihren Grundfesten erschüttern. In dem Moment, in dem die ökonomische Leistung den unstillbaren Hunger der installierten Subventionsmaschine nicht mehr zu stillen vermag, wird das zentralistische Kunstgebäude, das ausschließlich auf diesen Finanzströmen aufgesetzt ist, zerfallen. Erste Risse sind bereits sichtbar. Die deutsche Stahlbranche zählt unbestritten dazu.

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Kommentare ( 63 )

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Shipoffools
3 Monate her

Von Seiten der Kartellparteien wäre an dieser Stelle einfach nur Ehrlichkeit gefordert. Es gibt nichts zu bekämpfen, weil die Deindustralisierung das eigentliche Ziel ist.
Auf dem Weg gilt es möglichst viele Nebelgranaten zu zünden, damit es der Michel nicht merkt. Das Land läuft der Auslöschung entgegen.

Benedictuszweifel
3 Monate her

Wir werden von Verbrechern regiert, die von Verrückten gewählt wurden.

Peter Klaus
3 Monate her

Gipfel über Gipfel – da wird sogar Reinhold Messner langsam neidisch. „Green Deal“ = Arbeitsplatzvernichtung in Deutschland, aber „es hätte ja klappen können“, wie die beileidigte Leberwurst, die Ende dieses Monats aus dem BT ausscheiden wird, erst neulich festellte.

baul
3 Monate her

Die Wurzel des Übels hat exakte Namen. Nicht nur die von Ministern und Nichtsnutzen wie „Präsidenten von Wirtschaftsinstituten“, auch Parteien, NGO etcpp. WER „regiert“ dieses Land seit Gründung in überzähligen JahrEn? Genau! Weg damit.Die können es nicht. es braucht keine Antifanten dafür.

swengoessouth
3 Monate her

Was soll ich da als Eigentümer und GF eines kleinen mittelständischen Unternehmens sagen. Ich bin fassungslos was hier im Land passiert. Es wird mit dem Vorschlaghammer als mutwillig kurz und klein geschlagen. Jeden Tag ließt man die Erfolgsmeldungen. Ein Bekannter von mir arbeitet als Ing. bei Daimler. Mitte vierzig hat jetzt ein Abfindungsangebot bekommen über 48 (!) Monatsgehälter bekommen. Und die Bürger? …. Es scheint niemand zu interessieren. Dabei finanzieren die produktiv Arbeitenden in den Firmen (werden täglich weniger) alles hier im Lande. Alles hängt von dieser inzwischen kleinen Randgruppe ab. Jeder im öffentlichen Dienst (werden täglich mehr) oder Beamte… Mehr

Endlich Frei
3 Monate her

Wofür die Spesen für einen Stahl-Gipfel. Die Industrie hat sich infolge des Habeckschen Energiepreis-Turbos – und Wahnsinn des Grünen Stahls“ doch längst verabschiedet.

Die Klientel der SPD genießt längst „sozial abgefedert“ den Vorruhestand….. die Arbeitsplätze sind längst unwiederbringlich weg…

alter weisser Mann
3 Monate her

Was will er denn beitragen, zum Gipfel? Geschwätz vermutlich.
Das Geschwätz der ewig (mit-)regierenden SPD hilft aber nicht „gegen Billigimporte, explodierende Energiekosten und neue US-Zölle“.

Rainer Schweitzer
3 Monate her
Antworten an  alter weisser Mann

Naja, vielleicht will er ihnen ein neues Geschäftsmodell vorschlagen: Geschwätz statt Stahl. Deutlich geringere Produktionskosten, ein schier unerschöpflicher Bedarf und die Knalltüten von SPD und Grünen zahlen jeden Preis.

Zack
3 Monate her

Es hat schon seinen Grund warum Habeck das Land verlassen hat und ohne Personenschutz auch nie wieder betreten kann!

Das gilt auch für die meisten aktiven Politiker. Sowie für die Frau die uns das alles eingebrockt hat und immer noch gefeiert wird! 🤦‍♂️

Wilhelm Roepke
3 Monate her

Wenn Klingbeil einen Stahlgipfel einberuft, steht die Komplettschließung der Industrie offenbar unmittelbar bevor; sonst würde er es nicht tun.

Haeretiker
3 Monate her

Und wieder ein Gipfel. Von dem kann man dann, wie am Sontag bei ArcelorMittal in Hamburg, 140 t flüssigen Stahl in den Gully kippen.