Infineon und andere: Rote Quartalszahlen stören die Börsen nicht

Die Quartalsberichte der aktuellen Saison reihen eine rote Zahl an die andere. Die Börsen bleiben weitgehend unbeeindruckt in Halte- oder sogar Kauflaune. Sie haben einen entscheidenden Grund dafür, der nicht in den Unternehmensbilanzen zu finden ist.

imago images / Sven Simon
Dr. Reinhard Ploss, Vorsitzender des Vorstandes der Infineon AG

In der aktuellen Berichtssaison jagt eine Hiobsbotschaft die nächste. Die meisten börsennotierten Unternehmen melden tiefrote Zahlen. Wohl noch nie in der modernen Wirtschaftsgeschichte kontrastierten diese Verlustmeldungen aus der Realwirtschaft derart krass mit gleichzeitig stabilen bis steigenden Kursen an den Börsen. Das Muster der Nachrichten ist meist dasselbe: Tiefrote Zahlen, aber Hoffnungsschimmer. Und das reicht den Anlegern offenbar, um die Kurse allenfalls nur leicht zu korrigieren, aber letztlich doch auf einem Niveau zu halten, das fast schon wieder den Höchstständen kurz vor dem Corona-Crash entspricht.

Jüngste Meldung: Der Bayer-Konzern hat das zweite Quartal 2020 mit einem Verlust von 9,5 Milliarden Euro abgeschlossen. Der Chemie- und Pharmakonzern hatte nicht nur unter den Corona-Maßnahmen zu leiden, sondern auch noch unter gewaltigen Kosten für einen Vergleich in mehreren Schadenersatzverfahren wegen des Unkrautvernichters Glyphosat und anderen Rechtsstreitigkeiten. Aber auch den Ausblick für das laufende operative Pharma- und Agrageschäft hat der Konzern gesenkt. Selbst angesichts solcher Katastrophenmeldungen ist der Finanzmarkt auch gegenüber Bayer noch einigermaßen milde gestimmt. Vor einem Jahr jedenfalls war die Bayer-Aktie noch weniger wert als heute.

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Der Automobilzulieferer Schäffler, Schwesterunternehmen des Zulieferers Continental musste für das zweite Quartal einen Umsatzrückgang von 34,5 Prozent melden, übers gesamte Halbjahr berechnet 21,8 Prozent. Und doch hat der Aktienkurs durch diese Nachricht nicht gelitten. Vielmehr als Zahlen scheinen sich die Anleger für Botschaften wie die von Vorstandschef Klaus Rosenfeld zu interessieren: „Die Belebung der Nachfrage im Juni deutet darauf hin, dass es nach dem Tiefpunkt im April schrittweise wieder aufwärtsgeht“. Das Familienunternehmen, das nur stimmrechtslose Vorzugsaktien an die Börse brachte, sei bislang besser durch die Krise gekommen als erwartet. Das genügt den Aktionären offenbar derzeit.

Schon vor rund zwei Wochen, am 17. Juli hatte Daimler seine roten Quartalszahlen abgeliefert. Und war dafür nicht bestraft, sondern belohnt worden. Das Automarkt-Morgenrot aus China und die drastischen Sparankündigungen des neuen Vorstandschefs Ola Källenius übertrumpften am Kapitalmarkt offensichtlich die tiefroten Zahlen aus der Gewinn- und Verlustrechnung. „Es hätte schlimmer kommen können“, scheint die bevorzugte Reaktion der Märkte zu sein.

Ein ähnliches Bild nun auch beim Halbleiter-Konzern Infineon. Im abgelaufenen Quartal (bei Infineon ist es „Q3“, da das Geschäftsjahr schon im Herbst beginnt) meldet man einen „Konzernfehlbetrag“ – vulgo: Verlust – von 128 Millionen Euro und das bei sogar gestiegenen Umsatzerlösen. Dennoch verfängt auch hier der forcierte Optimismus der Anleger, der sogar den von Vorstandschef Reinhard Ploss zu toppen scheint. Während Ploss sich „vorsichtig optimistisch“ für das laufende Quartal zeigt, ist die Börse offenbar satt optimistisch und gönnt dem Unternehmen, das gerade rote Zahlen offenbarte, einen ordentlichen Kursgewinn, so dass die Infineon-Aktie wieder etwa dort steht, wo sie vor der Corona-Krise im März schon stand.

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Damit ist Infineon typisch für den gesamten Dax und die anderen wichtigen Börsenindizes. In den Aktien-Kursen ist die Corona-Pandemie als ein steiles V erkennbar. Während in den Quartalsberichten und Pressemitteilungen stets auf die nach wie vor großen Unwägbarkeiten und Risiken der künftigen Entwicklung der Corona-Pandemie und der politischen Lage hingewiesen wird, und auch die BIP-Kurve nicht wie ein V, sondern wie ein etwas schiefes L aussieht, scheinen Anleger von einem unbeirrbaren Willen zum Aktienkaufen getrieben.

Was soll man auch tun mit all dem Geld, das neu geschaffen wird? Oder, wie in einem Börsenbericht der ARD zu lesen war: „Ein sehr wichtiges Argument für Aktien bleibt dennoch einmal mehr das viele Geld, für das bei der Suche nach attraktiven Anlagemöglichkeiten eigentlich nur der Aktienmarkt bleibt.“ Einer solchen Aktienhausse können rote Zahlen aus den Unternehmen und staatlichen Statistiken offensichtlich wenig anhaben. Denn der Preisanstieg der Aktien ist offensichtlich ebensowenig durch die Qualität der Aktien selbst bedingt, wie eine hohe Inflation der Konsumgüterpreise durch die Qualität der Konsumgüter bestimmt ist. Kein Wunder, dass immer wieder Stimmen laut werden, die die lästige Pflicht zur Quartalsberichtserstattung abschaffen wollen.

Die Erklärung für die gegenwärtigen Aktienkurse ist ganz offensichtlich weniger in den realwirtschaftlichen Leistungen der notierten Unternehmen zu finden, sondern in erster Linie im (Zentral-)Bankensystem, das immer ungehemmter Geld aus dem Nichts schafft, das vor allem bei denen landet, die ohnehin schon das meiste haben. Die Anleger, die da mitmachen, und das neue Geld in Vermögenswerte stecken, verhalten sich keineswegs irrational. Sie profitieren einfach von der Inflationierung der Vermögen, die ihren Vorsprung vor den wenig oder gar nicht Vermögenden immer weiter ausbaut. Und wer nicht mitmacht, der wird, ohne es recht zu merken, ärmer.

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Kommentare ( 13 )

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Fulbert
3 Jahre her

Der Bericht liegt mit der Begründung des billigen Geldes richtig, differenziert aber nicht ausreichend. Extrem gestiegen sind vor allem Technologiewerte und sonstige Profiteure der Krise wie etwa Pharma- und Medizintechnikaktien. Konjunkturyklische Aktien, darunter auch die genannten Schaeffler, liegen im langjährigen Vergleich nach wie vor am Boden, zumal die spezifischen Probleme der Autoindustrie hinzukommen. Auch Bayer sind zuletzt wieder deutlich gefallen, hauptsächlich wg. der Unsicherheiten bei Glyphosat. Es wird an der Börse also keineswegs undifferenziert gekauft, sondern es tut sich eine gewaltige Kluft zwischen den einzelnen Branchen auf – was auch erhebliche Risiken schafft.

fatherted
3 Jahre her

Die Börse ist schon lange zum Casino verkommen. Puts und Calls, die eigentlich mal zur Absicherung von Investitionen gedacht waren, sind zu reinen Zockerpapieren geworden. Da noch von Investition oder Kennzahlen zu sprechen ist doch reiner Mumpitz. Siehe Hertz, tui, Wirecard und Co. Die Kurse geben weder den aktuellen Marktwert noch die Situation in der sich die Unternehmen befinden wieder. Und Herr Scholz empfiehlt künftigen Rentnern ihre Spargroschen in dieses Casino einzuwerfen. Wenn es dann zum Totalverlust kommt….wird mit den Fingern auf die Anleger gezeigt und sie als Gierhälse verschrien. War alles schon mal da…damals beim Neuen Markt….kann mich noch… Mehr

Alexis de Tocqueville
3 Jahre her
Antworten an  fatherted

Scholz will enteignen. Ab nächstes Jahr dürfen Sie Gewinne aus Derivaten voll versteuern, Verluste nur bis 10k ansetzen. Damit macht man schnell mehr Steuern als reale Gewinne.
Das ist so als würde man dem Gemüsehändler die 120k Einnahmen besteuern, ohne die 80k Ausgaben anzusetzen.

Iso
3 Jahre her

So wirklich scheinen die Anleger dem Braten nicht zu trauen. Die FED gibt den US-Unternehmen,damit diese ihre eigenen Aktienrückkaufprogramme Finanzieren. Jüngstes Beispiel Alphabet. 10 Milliarden Dollar Kredit, obwohl die Firma Rücklagen über 150 Milliarden Dollar hat, und Deutschlands Privataleger kauften im 1. Halbjahr 2020 mit 83 Tonnen Gold, mehr als die Chinese mit 81 Tonnen. Aber der Autor hat recht. Wer nicht mitmacht verliert. Nur sollte man wissen was man kauft. Denn die neuen Höchststände im S&P 500 sind nur 10 Tech-Aktien, inklusive den Kreditkartenunternehmen zu verdanken. Alle anderen liegen in der Summe 10% unter den Höstständen.

Alexis de Tocqueville
3 Jahre her
Antworten an  Iso

Klar, der Tech Sektor zieht den Karren, weil die Techs sowieso schon die größten nach Marktkapitalisierung waren und durch Corona eher profituieren.
Es ist aber immer (!) nur eine kleine Gripppe, die die Indizes dominiert. Bis 2007 waren es die Banken.
Drum sind die Börsen auch nicht zusammengebrochen, obwohl der weltweite Lockdown realwirtschaftlich viel schlimmer war, als die platzende US-Immobilienblase damals.

Tesla
3 Jahre her

Nun ja, wenn die EZB alle möglichen und auch unmöglichen Anleihen gemäß ihres Programms aufkauft, nur um Geld in die Märkte spülen, dann wissen sowohl die Unternehmen als auch die Anleger und die EZB selbst, dass das Geld nie wirklich zurückgezahlt wird, sondern allenfalls die eine alte fällige Anleihe durch eine neue ersetzt werden kann. Die Verbindlichkeiten stehen zwar in den Büchern, aber es gibt niemanden, der sie einfordern wird.

StefanB
3 Jahre her

„Die Erklärung für die gegenwärtigen Aktienkurse ist ganz offensichtlich weniger in den realwirtschaftlichen Leistungen der notierten Unternehmen zu finden, sondern in erster Linie im (Zentral-)Bankensystem, das immer ungehemmter Geld aus dem Nichts schafft, das vor allem bei denen landet, die ohnehin schon das meiste haben.“ –> Der sogenannte Cantillion-Effekt* Die per diesem Mechanismus begünstigten Gruppen können vor dem Reset noch schön auf Einkaufstour gehen und sich mit essenziellen Assets (Immos, Unternehmen, Edelmetalle) eindecken, bevor das System dann mit neuem Geld startet. Der große Rest verliert in diesem Zuge seine Ersparnisse und fängt – planmäßig – bei Null an. Es handelt… Mehr

WandererX
3 Jahre her

… und das gehobene Bürgertum wird gutteils immer unrealistischer und weltfremder, immer „internationaler“, macht immer mehr krumme Geschäfte (siehe die Betrügereien im Modezinbereich z.B. oder bei den Managern und Top- Ingenieuren von VW und Bosch), nimmt dieses Land lieber aus, als es kulturell neu ausrichten zu helfen. Riesige Immobiliengewinne, riesige Erbschaften machen allzu Viele bequem und blind – und dumm. Davon ist in deren Zeitungen wie der FAZ oder Süddeutsche natürlich nichts zu lesen. Interessant ist zum Beispiel, dass trotz riesiger Gewinne im Bausektor große Teile Stuttgarts (wie der Osten, Norden, Kaltental usw.) völlig versifft und vergammelt aussehen, d.h. es… Mehr

Britsch
3 Jahre her
Antworten an  WandererX

Diese Sicht der Dinge z.B. Bezüglichj Stuttgart ist aber doch ein bischen unrealistisch / realitätsfremd. Wohl nach oberflächlich betrachteten Zahlen die ohne nähere Fakten zu vollkommen falschen Schlüssen führen.

Alexis de Tocqueville
3 Jahre her
Antworten an  WandererX

„wird nicht einmal das Mindeste daraus für die Renovierung der Gebäude genutzt, sondern dafür lieber überteuerte Tesla- oder Amazon- Aktien gekauft.“

Immobilien sind die einzige Anlageklasse, die ihren Nachteil schon im Namen trägt.
Ich würde unter grüner Regierung auch nicht in Immobilien investieren.

Alexis de Tocqueville
3 Jahre her

Von 2003 bis 2012 kostete ein Standardbief 55 Cent.
2015 kostete er 62 Cent.
2020 kostet er 80 Cent.

Es hat über zehn Jahre gedauert, bis ein Brief 7 Cent teurer wurde. Dann 5 Jahre für 18 Cent. In 2022 ist der Spuk vorbei, auf die eine oder andere Art.

Tizian
3 Jahre her

Glauben Sie, das deshalb weniger Post verschickt wird, also rein aus finanziellen Gründen? Kaufen die Leute nicht dennoch 1EUR-Brötchen, die man 20 Pfennige gekostet haben? Man könnte ewig fortführen. Erst wenn die Gehälter nicht mehr steigen oder zumindest nicht entsprechend den Preisen wacht der Bürger auf. Teuerung wird akzeptiert, wenn auch nicht freudig. Aber erst weniger Geld in der Kasse macht das Dilemma offensichtlich.

Alexis de Tocqueville
3 Jahre her
Antworten an  Tizian

Aber die Preissteigerung beschleunigt sich. Sind denn die Löhne und Zinsen ebenso schnell gestiegen?