Der Preis einer Unze Silber explodiert. Entlarvt China gerade Jahrzehnte lange Preismanipulation des Bankenkartells? Von Phillip Mattheis
IMAGO / sepp spiegl
Anfang der 1830er Jahre hatte man in Großbritannien ein Problem: Tee aus China war in der britischen Gesellschaft immer beliebter geworden. Schiff für Schiff brachte das Konsumgut aus Kanton, dem einzigen Hafen, der Europäern für Handel mit dem chinesischen Kaiserreich offen war, nach London. Bezahlen ließen sich die Chinesen mit Silber – damals noch global anerkanntes Zahlungsmittel. Die Abflüsse stiegen und stiegen, weshalb man sich in London Gedanken über ein alternatives Zahlungsmittel machte. Das in den indischen Kolonien angebaute Opium bot sich an. Nachdem immer mehr Chinesen, insbesondere in der Beamtenschicht abhängig geworden waren, verbot der Kaiser in Peking die Importe – woraufhin die Briten Peking den Krieg erklärten.
Während in der westlichen Hemisphäre Weihnachten gefeiert wurde, sind in China eigenartige Dinge passiert. Der Silberpreis explodierte und stieg um fast zehn Prozent. In Shanghai wurden zeitweise 10 US-Dollar mehr für die Unze Silber bezahlt als in London und New York. China horte Silber und zerstöre das „Bankenkartell in London und New York“, konnte man auf der Plattform X lesen.
Die Silber-Rally lässt derzeit viele Bitcoin- und Tech-Investoren neidisch werden. Auf Jahresbasis hat sich der Kurs fast verdreifacht. Aktuell wird die Unze Silber für fast 80 US-Dollar gehandelt. 28 US-Dollar waren es im Dezember.
Tatsächlich gibt es ein paar interessante Hypothesen für den Preisanstieg und sie unterscheiden sich ganz grundlegend von den Entwicklungen vor 50 Jahren – und sie haben mit China zu tun.
Die wichtigste Börse für den Silberpreis ist die COMEX. Sie wurde 1933 gegründet. An ihr werden standardisierte Terminkontrakte (Futures) und Optionen auf Metalle wie Gold, Silber, Kupfer und Platin gehandelt. Hier konzentriert sich also der sogenannte Papiermarkt.
Terminkontrakte beinhalten die Pflicht, einen Rohstoff in der Zukunft zu einem bestimmten Preis zu kaufen oder zu verkaufen. Das ist besonders für Minen-Unternehmen wichtig, die sich gegen Preisschwankungen absichern wollen. An der COMEX wird aber ein Vielfaches der tatsächlich jährlich geförderten Silbermenge „auf Papier“ gehandelt. Dieses Verhältnis liegt irgendwo zwischen 1:100 und 1:400. Das heißt: Ein Großteil der gehandelten Futures wird überhaupt nie aufgelöst. Es kommt zu keiner physischen Lieferung. Das schafft Raum für Spekulationen.
Aber das ist noch nicht alles: Zentral ist außerdem die London Bullion Market Association (LBMA), wo der intransparente Interbankenhandel stattfindet. Banken würden demnach nicht nur Signale setzen, sondern auch Silber verkaufen, dass sie sich wiederum bei anderen Banken leihen. Dieselbe Unze Silber wird also mehrfach verliehen und verkauft. Das geht, solange alle mitspielen.
Folgt man der Theorie weiter, hat die Rohstoffbörse in Shanghai dieses Spiel jetzt beendet. Dort nämlich werden keine Futures, sondern ausschließlich physisches Silber gehandelt. Es gibt keine Preismanipulation mehr, und deswegen explodiert der Kurs.
Ob wirklich das hinter dem Anstieg steckt, weiß keiner. Vielleicht hat auch eine erhöhte Nachfrage – Silber wird zur Herstellung von Solarpanels aber auch für Präzisionswaffen benötigt – das Preisgefüge so erschüttert. Vielleicht ist auch ein Großteil von Spekulation getrieben. Die Google-Suchanfragen nach Silber zeigen stetig, wenn auch nicht explosiv nach oben.
Einleuchtender ist da schon die Hypothese, dass schlicht mehrere Faktoren ein spekulatives Fieber ausgelöst haben: Silber ist zwar kein Edelmetall wie Gold, sondern hat vor allem einen industriellen Nutzen. Trotzdem dürfte es von der aktuellen Rally bei Gold – ausgelöst durch die Käufe von Zentralbanken – profitieren und ins öffentliche Bewusstsein rücken. Selbst andere Industriemetalle wie Palladium und Kupfer ziehen jetzt nach. Ein Katalysator war sicherlich auch, dass Peking Mitte Dezember Exportkontrollen für Silber erlassen hat. Die Regeln gelten ab 1. Januar und beinhalten keinen Exportstopp, aber eine genauere Kontrolle der Ausfuhren. Für Peking könnte das ein Druckmittel sein, um die US-Zölle auf Solarzellen wieder zu senken.
Manche sind auch der Meinung, dass es ganz prinzipiell im Finanzsystem gerade zu großem Stress kommt. Der sogenannte „Repo-Markt“, an dem sich Banken über Nacht untereinander Geld leihen, sei am Kippen. Und unter den ganzen harten „Silver Bugs“ hält sich seit Jahrzehnten hartnäckig die Theorie, Silber könnte „re-monetarisiert“ werden, also als Geld zurückkehren – so wie die Zeiten des British Empire, als Tee, Silber und Opium die Welt bewegten.
Am Ende aber unterscheiden sich Rohstoffmärkte grundsätzlich von Aktienmärkten: Sie regulieren sich selbst. Steigen die Preise nachhaltig, werden zuvor unprofitable Minen in Betrieb genommen. Auch das Recycling von Silber beginnt sich zu lohnen: Ab einem Unzenpreis von rund 50 US-Dollar rentiert es sich, Silber aus Solarzellen wiederzuverwerten. Das Angebot erhöht sich, und die Preise beginnen zu fallen.
„The cure for high prices are high prices“, lautet ein amerikanisches Sprichwort: „Das Heilmittel für hohe Preise sind hohe Preise.“
Philipp Mattheis berichtet ab Januar täglich für „Tichys Börsenwecker“ aus Bangkok.
Mattheis hat Philosophie studiert und die Deutsche Journalistenschule besucht. Er begann seine Laufbahn als Redakteur beim Jugendmagazin der Süddeutschen Zeitung. 2012 wechselte er zur Wirtschaftswoche, zunächst als Korrespondent für China und später als Korrespondent für die Türkei und den Nahen Osten. Von 2019 bis 2021 arbeitete er für den Stern als Korrespondent für Ostasien. Er ist Mitglied des Weltreporter-Netzwerks. Sein „bling bling.substack.com“ ist der größte deutschsprachige Newsletter zu Geld, Bitcoin und Geopolitik.




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