Europaparlament schwächt Lieferkettengesetz ab

Mit einer Koalition aus konservativen und nationalkonservativen Kräften hat das Europaparlament am Donnerstag das geplante Lieferkettengesetz in seinem Geltungsbereich eingegrenzt. Substantiell dürfte es sich lediglich um einen Scheinerfolg handeln, doch genügte es, Linke und Grüne ganz gewaltig in Rage zu bringen.

picture alliance / Hans Lucas
Symbolbild Abstimmung in Straßburg

Endlich, möchte man sagen, regt sich in EU-Europa Widerstand gegen die zunehmend invasive Regulierungsarbeit der Brüsseler EU-Kommission. In einer Abstimmung im Europäischen Parlament stimmte eine Mehrheit aus Konservativen und Nationalkonservativen am Donnerstag für eine Aufweichung des Geltungsbereiches des Lieferkettengesetzes.

Dieses soll Unternehmen verpflichten, entlang ihrer gesamten globalen Lieferketten die von der EU-Kommission definierten menschenrechtlichen und ökologischen Standards verbindlich einzuhalten, zu prüfen und mögliche Verstöße zu melden.

Dabei stehen sie selbst unter ständiger Aufsicht, stets mit dem Damoklesschwert schwerster Disziplinarverfahren über sich. Das Gesetz gilt als eines der umfangreichsten Bürokratiewerke der jüngeren Vergangenheit und hat in der Wirtschaft zuletzt zu erheblichem Widerstand geführt.

Brandmauerdebatte läuft heiß

382 Abgeordnete stimmten für die Abschwächung des Regelwerks, 249 dagegen, 13 enthielten sich. Vor der entscheidenden Verhandlungsrunde mit den Mitgliedstaaten sieht der neue Entwurf nun vor, dass erst Unternehmen mit mindestens 5000 Beschäftigten statt bisher 1000 und einem Jahresumsatz von 1,5 Milliarden Euro statt 450 Millionen Euro unter die Berichtspflicht fallen.

Treibende Kraft hinter diesem parlamentarischen Vorstoß war die Europäische Volkspartei (EVP), zu der auch die Unionsparteien zählen. Gemeinsam mit den rechtskonservativen European Conservatives and Reformists (ECR) gelang es ihr, das Regelwerk zu entschärfen – sehr zum Entsetzen der Grünen und der Linken, die von einem „handfesten Skandal“ sprechen.

Sie werfen der EVP vor, bewusst eine Koalition mit den rechtskonservativen Kräften im Parlament geschmiedet zu haben, um eine Mehrheit zu sichern. Besonders in der Kritik steht EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU). Die deutsche Grünen-Abgeordnete Anna Cavazzini sprach von einer „Grenzüberschreitung“ und einer „kalkulierten Einbindung der extremen Rechten“, um politische Mehrheiten auf Kosten der Glaubwürdigkeit des Parlaments zu schaffen.

Cavazzini sprach von einem „Super-GAU“ und betonte, dass Kompromisse wie der heutige die Zusammenarbeit mit rechtsextremen Kräften legitimierten und Europa auf einen grundlegend falschen Weg führten. Ihre Parteikollegin Lena Schilling sprach von einem klaren Bruch mit den Prinzipien von Menschenrechten und Umweltschutz, für die sie weiterhin kämpfen wolle.

Scheinsieg im Regulierungsparadies

Trotz der erfolgreichen gemeinsamen Abstimmung muss man ernsthafte Zweifel haben, dass sich am Gewerk Substanzielles ändern wird.

Denn das Lieferkettengesetz bleibt, trotz aller kosmetischen Korrekturen, ein trojanisches Pferd weitreichender Regulierung. Selbst wenn kleinere und mittlere Unternehmen künftig nicht direkt unter die Richtlinie fallen, droht ihnen dennoch die faktische Einbindung: Immer dann, wenn sie Teil der Lieferkette großer, berichtspflichtiger Konzerne sind, werden sie gezwungen sein, dieselben Auflagen und Standards zu erfüllen – nur ohne eigenen Einfluss auf deren Ausgestaltung.

Es war ein geschickter Schachzug der Brüsseler Ideologen, das Lieferkettengesetz mit einem eingebauten Kaskadenprinzip zu versehen. Dass dieser tiefgreifende und kostenintensive Regulierungsrahmen europäische Unternehmen im globalen Wettbewerb schwächen wird, scheint die Bürokraten in Brüssel kaum zu kümmern.

Auch dass sich Unternehmen aus dem Ausland vom europäischen Markt zurückziehen könnten, hat man in Brüssel und Berlin offenkundig falsch eingeschätzt. Zuletzt waren es katarische Energieunternehmen, die sich offen über das neue Regelwerk beklagten – und sogar mit einem Gaslieferstopp drohten.

Ist Weber der Bahnbrecher?

Aber kann man den heutigen Tag wirklich als politische Volte verstehen? Die Compliance-Kette des Lieferkettengesetzes wird so oder so gesetzlich verankert – ganz gleich, wie sehr man sie zu entschärfen versucht. Umso drängender stellt sich die Frage, weshalb Manfred Weber diese gemeinsame Abstimmung mit den Rechtskonservativen überhaupt auf den Weg gebracht hat.

Sollte ausgerechnet er derjenige sein, der, über die Bande Brüssel gespielt, die Brandmauer zur AfD faktisch einreißt – und damit der Union eine neue, bislang undenkbare Koalitionsoption eröffnet? Macht der heutige Tag Manfred Weber zum Bahnbrecher, der die Unionsparteien letztlich mit einem Scheingefecht im Europaparlament aus der babylonischen Gefangenschaft der Linken befreien könnte, in die sie sich selbsttätig manövriert haben?

Es wäre höchste Zeit, präsentiert sich doch das gesamte Regierungswerk der Regierung von Bundeskanzler Friedrich Merz bislang als einziger Kotau vor linken bis extrem linken und ökologistischen Positionen. Sei es nun die gescheiterte Reform beim Bürgergeld, beim Bürokratieabbau oder in der Energiepolitik, wo die Regierung bislang den Kurs der Ampel konsequent fortgesetzt hatte – das Regierungshandeln ist dem ökosozialistischen Leitbild verpflichtet und atmet den Geist klassischen Etatismus.

Dass es die Prinzipien des freien Wettbewerbs sein könnten, die Menschen vor Ausbeutung und die Natur vor Raubbau durch die Zuweisung von Eigentumsrechten schützen, sowie dem transparenten Umgang der Unternehmen vor der interessierten Öffentlichkeit, ist bislang in Berlin noch keinem der Regierungsmitglieder der Union in den Sinn gekommen.

Panik im linken Lager

Die Panik im linken Lager ist jedenfalls mit Händen zu greifen. Hatte man doch zuletzt die Union parlamentarisch und inhaltlich vor sich hergetrieben und zur Aufgabe eigener Prinzipien gezwungen.

Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) versuchte mit einer journalistischen Nebelkerze von der eigentlichen inhaltlichen Debatte abzulenken.  Dort hieß es, mit den Stimmen „extrem rechter Abgeordneter“ seien nun die Sorgfaltspflichten für europäische Unternehmen abgeschwächt worden – und damit Näherinnen in asiatischen Textilfabriken wie auch Beschäftigte auf Bananenplantagen nicht mehr ausreichend vor Ausbeutung und giftigen Pestiziden geschützt.

Eine absurde Unterstellung. Denn europäische Unternehmen gehören im globalen Maßstab zu den ethisch und transparent arbeitenden Akteuren überhaupt – und werden nun durch diese Art moralischer Rhetorik mit einer Verdächtigungskultur konfrontiert, wie man sie wohl nur in Deutschland kennt.

Auch für Valérie Hayer, die Fraktionsvorsitzende der liberalen Renew Europe-Fraktion, wurde heute ein „gefährlicher Präzedenzfall“ geschaffen – und zwar auf Kosten der Unternehmen in Europa. Wie das allerdings konkret zusammengehen soll, müsste Hayer der Öffentlichkeit wohl ein andermal erklären.

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