EU erhöht die Dosis des Gifts

Der Bundeskanzler scheint während der Sommerpause wieder mal mit der Realität im Land kollidiert zu sein. Merz sieht das deutsche Sozialsystem in einer tiefen Krise. Seine politischen Mitstreiter in Brüssel fordern derweil, die Dosis des Gifts, das Europa krank macht, noch weiter zu erhöhen.

picture alliance/dpa | Fabian Sommer

Sagen wir es klar heraus: Große Teile der politischen Elite besitzen ein gespaltenes Verhältnis zur Realität. Dies gilt gleichermaßen für den ökonomischen Verfall Deutschlands und der EU, wie für die Kommunikation strategischer politischer Ziele, die in der Öffentlichkeit systematisch vernebelt werden. Offene Kritik am Kurs könnte die politische Märchenwelt schneller kollabieren lassen, als es das Einsickern der Realität in die öffentliche Meinung vermag.

Merz und der Sozialstaat

Umso bemerkenswerter erscheinen die mahnenden Worte von Bundeskanzler Friedrich Merz bei seinem Auftritt am Samstag anlässlich des CDU-Landesparteitags in Niedersachsen. „Ich bin mit dem, was wir bis jetzt geschafft haben, nicht zufrieden – das muss mehr, das muss noch besser werden.“

Hört, hört! Ein leises Vibrato der Selbstkritik beim Bundeskanzler. Das ist selten. Und dennoch wirft der Satz die Frage auf, worauf sich Merz konkret bezieht, wenn er vom „Geleisteten“ spricht. Bezieht er sich auf den sogenannten Investitionsbooster, der die deutsche Wirtschaft marginal entlasten soll, während diese regelrecht kollabiert? Oder verweist er auf das gigantische Schuldenpaket und die aufreißenden Finanzierungslücken, die aller Wahrscheinlichkeit nach mit Steuererhöhungen geschlossen werden sollen?

Im Verlauf seiner Rede in Osnabrück fand Merz dann aber ungewöhnlich klare Worte zur Lage des Sozialstaates: „Der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ist mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar.“ Eine ungeschminkte Diagnose, die an Deutlichkeit eigentlich nichts zu wünschen übrig lässt.

Von einer marktwirtschaftlichen Wende, vom Vertrauen in individuelle Lösungen, Eigenverantwortung und dem raschen Abbau der Bürokratie im Land war allerdings nicht die Rede. Kurs halten, lautet da wohl die Devise.

Einsicht – die wohl folgenlos bleiben wird

Auch zum Bürgergeld äußerte sich der Kanzler unmissverständlich: Es könne so nicht bleiben. 5,6 Millionen Menschen lebten im Bürgergeld. Viele Bezieher könnten arbeiten, täten es aber nicht, so Merz. Er sprach damit eine Realität aus, die die Politik üblicherweise meidet.

Ein zaghafter Versuch, die missliche Lage der deutschen Sozialversicherung offen zu benennen. In Zeiten, in denen politische Beschönigungen zum Alltag gehören, darf man es fast schon als Glücksfall betrachten, wenn ein führender Politiker die ökonomischen Realitäten wenigstens ansatzweise zur Kenntnis nimmt.

Haben vielleicht die neuesten Wirtschaftsdaten Merz und seine Mitstreiter in Berlin aufgeschreckt? Das Bruttoinlandsprodukt ist im zweiten Quartal erneut geschrumpft, die Aussichten bleiben trostlos. Angesichts der Tatsache, dass der Staat mit massiven Kreditprogrammen steuernd eingreift und die Neuverschuldung in diesem Jahr auf etwa 3,5 Prozent treibt, verliert die private Wirtschaft mit einer Rate von 4 bis 5 Prozent. Hier von einer Rezession zu sprechen, wäre euphemistisch und eine Verschleierung der tatsächlichen Lage – wir erleben eine Depression.

Mehr EU-Zentralismus

Während der Bundeskanzler am Samstag mit seiner Rede durch die harte wirtschaftliche Realität Deutschlands taumelte, ließen Vertreter der EU mediale Testballons starten.

Es war Mario Draghi, der politische Tausendsassa der EU, der mühelos zwischen dem Amt des italienischen Ministerpräsidenten und dem Chefsessel der EZB wechselte, der in diesen Tagen einen weiteren seiner Berichte vorgelegt hatte. Darin wiederholte er seine altbekannte Forderung: Die Europäische Union müsse enger zusammenrücken und handeln wie ein einziger Staat, wolle sie geopolitisch noch eine Rolle spielen.

Also mehr von jener Medizin, die Europa krank gemacht hat. Mehr Zentralismus, weniger Subsidiarität, dafür verstärktes technokratisches Durchregieren. Draghi zeigt damit einmal mehr, was Brüssel plant – genau wie vor eineinhalb Jahrzehnten während der Staatsschuldenkrise: Konzentration der Macht in Brüssel, Entscheidungen jenseits demokratischer Kontrolle, durchgedrückt von einem politischen Apparat, der die Narrative in den Medien orchestriert. Scharfe Zensurregeln, mediale Beeinflussung der öffentlichen Meinung – dies sind unsaubere Mittel, um jede Opposition am eingeschlagenen Zentralisierungskurs zum Schweigen zu bringen.

Wir erleben die identische autoritäre Logik, die damals funktionierte und die Draghi heute erneut propagiert.

Lagarde und die Migration

Auch Draghis Mitstreiterin Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, befand sich am Wochenende auf Werbetour für die Politik Brüssels. Lagarde widmete sich, ein wenig abseits des geldpolitischen Parketts, dem Migrationsthema, einem Komplex, der in der deutschen Politik und in den Medien gekonnt umfahren und verfremdet wird.

Lagarde ließ ihren medialen Testballon beim Federal Reserve Meeting in Jackson Hole steigen, um die Stimmung in Europa vorsichtig auszuloten. Folgt man ihren Ausführungen, wäre ohne massenhafte Migration ein Wachstum in Europa nicht mehr denkbar (von welchem Wachstum spricht Lagarde eigentlich?). Sie verwies darauf, dass das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands ohne ausländische Arbeitskräfte heute etwa sechs Prozent niedriger läge als noch 2019.

Dass sich das Land seit geraumer Zeit in der Depression befindet, scheint sich im Führungszirkel der EZB bislang noch nicht herumgesprochen zu haben.

Dann war es Zeit für das altbekannte Totschlagargument: Ohne Zuwanderung lasse sich der Arbeitskräftemangel nicht beheben, so Lagarde. Kein Wort von der technologischen Revolution durch KI oder Robotik und die damit verbundenen Effizienzgewinne, die diesen Mangel ausgleichen werden. Kein Wort von der Migration als Sicherheitsrisiko, von kulturellen Konflikten, von einem politischen Islam, der mit europäischen Werten nicht vereinbar ist.

Dass Lagarde gerade jetzt in Jackson Hole diese Linie vertritt, ist pikant, da die USA mit der Rückführung illegaler Migranten begonnen und das Kapitel der Europäisierung amerikanischer Politik beendet haben. Ihre Rede wirkte im Land des rationellen Aufbruchs und der politischen Wende deplatziert – ein weiteres europäisches Kuriosum, das auf amerikanischer Seite bestenfalls Kopfschütteln provoziert haben dürfte.

Auch in Jackson Hole wurde deutlich, wohin die Reise in der EU geht: Die Grenzen bleiben offen, die politischen Eliten ignorieren die Gefahren, während die Linke ihr Wählerpotenzial auf Kosten der europäischen Kultur und Wirtschaft ausweitet.

Bittere Bilanz

Fassen wir die drei Einzelereignisse zusammen – Merz’ Rede auf dem CDU-Landesparteitag, Lagardes bizarrer Beitrag in Jackson Hole sowie den aktuellen Bericht von Mario Draghi – ergibt sich eine besorgniserregende Konklusion: Die Wirtschaft befindet sich im beschleunigten Verfall, herbeigeführt durch eine selbstverschuldete Energiekrise und Überregulierung. Gleichzeitig drohen die Sozialkassen, nicht zuletzt durch massive illegale Zuwanderung, zu kollabieren. Eine Lösung des Problems sollen Zentralisierung und Regulierung bringen – kombiniert mit weiterer ungezügelter Armutsmigration.

Auch die von Finanzminister Lars Klingbeil intonierte Debatte um Steuererhöhungen, gekleidet in die übliche sozialdemokratische Gerechtigkeitsgrütze, fügt sich nahtlos in die Gesamterzählung ein: Der Einzelne zählt nichts, der Staat regelt alles und nimmt den Bürger für seine Zwecke mehr und mehr in die Pflicht. Es ist erschreckend, mit welcher Impertinenz inzwischen in diesem Land Angriffe auf das Privateigentum der Bürger, und dazu zählen auch immer weitere Steuererhöhungen, inszeniert werden, ohne auf nennenswerten Widerstand zu treffen. Die Merz-CDU jedenfalls ist zu einem bürgerlichen Schutzwall aus Papier und heißer Luft verkommen.

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Kommentare ( 74 )

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Peter Pascht
3 Monate her

Da unterschreibe ich jedes Wort. Alles vortrefflich dargelegt. Allerdings ist diese psychische Krankheit „Realitätsverlust“ unheilbar, geradezu Voraussetzung in Deutschland Politikerin und Politiker zu werden. Ein Selektionsmerkmal der Ära Merkel. Wer nicht blöd genug war, hatte keine politischen Karierechancen. Diese psychische Krankheit „Realitätsverlust“ ist ein epidemisches Erbe des SED-„Realitätsverlust“ der Ära Merkel. Sagen wir es klar heraus: Große Teile der politischen Elite besitzen ein gespaltenes Verhältnis zur Realität. Dies gilt gleichermaßen für den ökonomischen Verfall Deutschlands und der EU, wie für die Kommunikation strategischer politischer Ziele, die in der Öffentlichkeit systematisch vernebelt werden. Offene Kritik am Kurs könnte die politische Märchenwelt… Mehr

alteDame
3 Monate her

Also, wenn alle Vernunft fehlt, gibt es auch keine vernünftige Antwort.
Immer öfter erinnere ich mich an eine amerikanische TV Serie „BrainDead“ (2016), die Satire sein sollte. Damals konnte ich darüber schmunzeln. Einige Politiker begannen seltsam zu argumentieren und redeten Unsinn. In ihren Hirnen hatten sich außerirdische Lebewesen festgesetzt, die die Steuerung übernahmen. Heute finde ich es gar nicht mehr lustig.

MartinKienzle
3 Monate her

Weshalb sich über die sogenannte „EU“ echauffieren, deren Zweck darin besteht, das indigene Deutsche Volke zu unterdrücken (https://www.youtube.com/watch?v=aLW-dAwZeNc)?

Julius Schulze-Heggenbrecht
3 Monate her

Die seit mindestens 20 Jahren praktizierte Politik Westeuropas hat uns in den Abgrund gerissen. Wir stürzen bereits, es hat nur noch nicht jeder gemerkt. Und die gleichen Politiker, die für diesen Absturz, für den Fall Westeuropas verantwortlich sind, sitzen noch immer an den Schalthebeln der Macht und erzählen uns, dass MEHR und noch MEHR von dem, was sie bisher getan haben, die Lage ändern und verbessern würde. Und die Wähler honorieren diesen Unsinn, indem sie diese Politiker immer und immer wieder wählen. Ich hab die Befürchtung, dass die Westeuropäer kollektiv verrückt geworden sind … Und die Verrückten an den Wahlurnen… Mehr

Don Didi
3 Monate her

Schalthebel der Macht? Ich habe gestern eine sehr schöne, mE zutreffende Beschreibung der Macht des deutschen Bundeskanzlers gelesen: Filialleiter einer kleinen Niederlassung einer internationalen Holding.
Welche Entscheidungen kann die Bundesregierung eingepfercht zwischen Wirtschaftslobbyisten, WEF, UN, USA, EU etc. denn überhaupt noch treffen?
Wieso unterscheiden sich die politischen Maßnahmen der unterschiedlichen Parteien schon lange nicht mehr, oder nur noch virtuell im Wahlkampf?
Wieso sitzen in der Politik vollständig unfähige Marionetten?
Macht haben Trump oder Putin, nicht aber Merz oder Klingbeil, das sind reine Befehlsempfänger.

89-erlebt
3 Monate her

CDU:
1. Club der Unfähigen.
2. Blockpartei von grünen Post Kommunisten.
3. NERO‘s der deutschen Wirtschaft (Energie, Auto, Chemie.)
4. Zerstörer des hiesigen Sozialsystems durch Import von analphabetischen Überschusses.
5. Mittäter bei all den Messermorden, Vergewaltigungen.
6. Totengräber der Demokratie in D und EU.

chris
3 Monate her

die deutschen Rentner sollen verzichten und Sonderdienste leisten, weil sie „den Generationenvertrag verletzt haben“ – sagt Fratzscher (wie viele Kinder hat der eigentlich?), der einer Geisteswelt entstammt, in der man jährlich sein Geschlecht wechseln kann und Regierungsgebäude mit Regenbogenfahnen beflaggt. Die deutschen jungen Leute sollen ab 2026 an Waffen ausgebildet und bald auch zwangsverpflichtet werden um an der Ostfront (um die geht es ja) ein Vaterland zu verteidigen, dessen Namen sie zuhause nicht aussprechen dürfen. Gleichzeitig bleiben die Grenzen offen, Milliarden werden im Ausland verschenkt, die Steuern werden erhöht, der Sozialstaat abgebaut, tausende Windräder aufgebaut, Krankenhäuser zugemacht und die Wirtschaft… Mehr

Last edited 3 Monate her by chris
Simplex
3 Monate her
Antworten an  chris

Dazu nur eine Frage: Was besagt der § 130 StGB – Volksverhetzung?

LiKoDe
3 Monate her

Der Aussage von Bk Merz „Der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ist mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar.“ folgt eben keine Vernunft. Vernünftig wäre nun, die volkswirtschaftliche Leistung DEs zu erhöhen, und zwar mit wissenschaftlich-technischem Fortschritt und Vorsprung [Industrie 4.0] und einer dadurch massiv erhöhten Produktivität, so dass bei niedriger Arbeitslosigkeit [1970 0,7%] und auskömmlichen Löhnen/Gehältern der Sozialstaate kaum benötigt werden würde. Doch die Umwandlung der EU und insbesondere DEs in eine grosse Armutszone durch Ansiedlung invasorisch-kolonisatorischer Völkerwanderer ist nach wie vor das Ziel radikalliberaler Globalisierer und vieler Nutzniesser [Regierungen der Herkunftsländer der Völkerwanderer, einheimische Asylindustrie… Mehr

Ombudsmann Wohlgemut
3 Monate her

Die EUdSSR möchte nur in eine Position, wo sie genug Macht hat, um dem Großteil der Welt ihre irreale Ideologie aufzudrücken, der Wohlstand der Bevölkerung ist ihr egal. Ich erinnere mich gut an die Gespräche mit den Migranten, die ehrliche harte Arbeit leisten, gerade im sozialen Bereich, wo sie ja von unseren Eliten immer als Paradebeispiel aufgeführt werden. Die sagen nämlich selbst, dass es hier zwar ok ist, ihnen aber nach den Abgaben kaum Geld übrig bleibt und dass es ihnen in „ärmlichen“ Ländern wie Syrien sogar besser ging. Was sagt das über unseren Staat aus, der den tragenden Säulen… Mehr

Julius Schulze-Heggenbrecht
3 Monate her
Antworten an  Ombudsmann Wohlgemut

„Was sagt das über unseren Staat aus …“
Es zeigt uns, dass es sehr wahrscheinlich kein Zufall mehr ist, kein Ungeschick, keine Dummheit, kein mangelnder Realitätsbezug der verantwortlichen Politiker. Es bleibt dann nur eine Schlußfolgerung: Es MUSS Absicht sein. Und da sollte man sich, um das zu verstehen, schon fragen: WEM nützt das?

Haedenkamp
3 Monate her

#Sozialdemokratische Gerechtigkeitsgrütze# – in einfacher Sprache: Enteignung – bis zur vollständigen Vernichtung. Die meisten interessiert das nicht.

H.H.
3 Monate her

Wenn man die letzten 30 Jahre betrachtet und sieht, was aus den sich harmlos anfühlenden Bestrebungen, die Ukraine zu einem EU- und Nato-Mitglied zu machen, geworden ist, dann kann man sich leicht vorstellen, was in 2015+30 = 2045 in Deutschland los sein wird: Bürgerkrieg! Wer diesen beginnen wird, ob die Biodeutschen oder die Neubürger kann ich nicht vorhersehen. Wohl aber mit Gewissheit, dass es Bürgerkrieg geben wird. Ich gebe zu, dass ich genauso schlecht wie Thilo Sarrazin bin, was Vorhersagen betrifft: Der Bürgerkrieg könnte durchaus 15 Jahre früher stattfinden

89-erlebt
3 Monate her
Antworten an  H.H.

Die EUdSSR wird ein Groß Libanon. Lokale Ausführungen davon sind bereits in Frankreich, Schweden, UK und Buntland zu besichtigen.